Translate

Montag, 31. Juli 2023

Wir selbst sind die Ursache aller unserer Hindernisse. (Meister Eckhart 1260 - 1327)


Du musst eine Aufgabe erfüllen. Vielleicht denkst du: Kann ich! Mache ich! Alles da! Wunderbar!
Vielleicht geht der Fokus deiner Aufmerksamkeit aber auch nach außen. Mir fehlen bestimmte Materialien. Eine bestimmte Person will das nicht! Das Wetter ist nicht geeignet. Es ist zu früh oder zu spät. Dir fehlt das Geld. Du siehst lauter Hindernisse und an diesen Hindernissen kannst du nichts ändern. Das System ist so wie es ist und das "Außen" setzt dir diese Hindernisse.
In einem Gleichnis in der Bibel wird von einem Gelähmten erzählt, der nicht rechtzeitig zum Heilen in den Teich Bethesda eintauchen kann. Jesus wundert sich, warum er die Chancen nicht nutzt, wo der Teich doch direkt vor seinen Füßen liegt. Unglaubliche 38 Jahre wartet er darauf, dass ihn jemand in den Teich trägt. Der Gedankengang des Gelähmten: "Es gibt ein Hinderniss! Ich brauche einen Menschen, der mich trägt. Sonst wird das nichts mit der Heilung."
Wer darauf wartet, dass sich die Hindernisse im Außen auflösen muss sich auf eine lange Wartezeit einrichten. Möglicherweise bis zum Tod. Meister Eckhart lädt mich ein, die Perspektive zu verändern. Schaue nicht auf die Hindernisse im Außen. "Wir selbst sind die Ursache aller unserer Hindernisse." Kennst du die Hindernisse in deinem Inneren? Deine Glaubenssätze? Einschränkenden Gefühle? "Ich würde ja viel mehr machen wenn ich nicht so ängstlich wäre." Wenn du das erkennst kannst du was mit deiner Angst machen. Auf das Außen hast du manchmal wenig Einfluss. Aber deine inneren Hindernisse kannst du bearbeiten. Da kannst du deine Macht entfalten. Manchmal schaust du dir die äußeren Hindernisse an damit du die inneren nicht wahrnehmen musst. Hindernisse, für die du dich vielleicht schämst? 
Selbsterforschung ist angesagt. Die blinden Flecken entdecken. Sich den Herausforderungen stellen und sich weiterentwickeln. Jedes Hindernis kannst du als Geschenk wahrnehmen. Es lädt dich ein, daran zu reifen. 
  

Samstag, 29. Juli 2023

Von Fruchtfliegen lernen!



Wenn der Herbst kommt, werden die Fruchtfliegen hoffentlich verschwinden bis zum nächsten Jahr. Seit ein paar Tagen scheinen sie sich zu vermehren und bevölkern die Küche. Sie sitzen im Schrank bei der Schokolade oder auf dem Rand der Rotweinflasche. Vor allem mögen sie unseren biologischen Abfall. Ich mag sie nicht und darum wird es Zeit, sie einmal zu würdigen. Nicht die Fruchtfliegen an und für sich. Ich möchte das beleuchten, wofür sie stehen und was sie mir über das Leben sagen können.

Erste Erkenntnis: Fruchtfliegen halten sich dort auf wo es gärt.
Wenn Obst reift fängt es irgendwann an zu gären. Da ist dann ordentlich was los im Obst. Bakterien verrichten ihre Arbeit. Dabei wird Energie freigesetzt! Da laufen starke Veränderungsprozesse. Es fängt an zu riechen und der Geruch wird immer stärker. Das Obst befindet sich sozusagen in einer existentiellen Krise und geht über in einen Sterbeprozess.
Wir Menschen machen um Veränderungen und Krisen oft einen weiten Bogen. Wir haben es gerne beständig. Mit Wachs behandeltes Obst vermittelt die Illusion ewiger Jugend. Alles soll bleiben wie es ist. Wenn Veränderungen, dann bitte sanft und ohne Krise. Und vor allem ohne Gestank. Leider sind menschliche Veränderungen oft mit Konflikten verbunden. Unsere Konflikte gleichen den Gärprozessen im Obst. Die Fruchtfliege haut da nicht ab sondern fliegt mitten hinein. Sie liebt diesen Veränderungsprozess, weil sie ihre Eier ablegen kann. Dort gibt es Nahrung und Energie. Sie weiß, dass dort etwas zu holen ist. Sie macht ihre Geschäfte mit dem, was andere nicht mehr wollen.
Davon könnte ich doch lernen! Dort, wo es gärt im Leben, finde ich zugleich Energie. Auch wenn Konflikte nicht so gut aushaltbar sind, bergen sie doch spannendes Material. Wo sich etwas verändert geschieht Leben. Da ist was los! Sterben kann ich auch noch morgen. Wir suchen ja manchmal unsere Quellen in der Ruhe und in der Erholung. Im Abschalten und im Urlaub. Und – wenn es dort tot ist? Wenn sich dort nichts findet? Die Fruchtfliege nutzt die Gärungsprozesse für ihre eigenen Angelegenheiten. Ein sehr geschickter Umgang mit Veränderungen und Krisen.

Zweite Erkenntnis: Fruchtfliegen kommen hartnäckig wieder.
Die Fruchtfliege lässt sich nicht abschrecken. Wenn ich sie mit der Hand verscheuche dreht sie ein oder zwei Runden und kommt wieder. Nur wenn ich sie töte, gibt sie auf. Zwangsweise! Sie steht einfach auf gärendes Obst. Um ihr Ziel zu erreichen riskiert sie ihr Leben.
Mir fehlt manchmal diese Hartnäckigkeit. Ich lese eine Gebrauchsanweisung und wenn ich sie nicht verstehe dann kann ein Gerät schon mal ein paar Wochen liegen bleiben. Ich bitte einen Freund um Unterstützung und wenn dieser ablehnt, dann gebe ich auf. Aber einmal habe ich mich auf die gleiche Stelle zwei Mal beworben. Auf die Stelle, wo ich jetzt arbeite. Beim ersten Mal erhielt ich einen ablehnenden Brief. „Vielen Dank, aber wir haben uns schon entschieden.“ Ein paar Wochen später stand die gleiche Anzeige wieder in der Zeitung. Ich bewarb mich noch einmal. Mit dem gleichen Text. Nach dem Prinzip der Fruchtfliege! Ich wollte da hin. Dann musste ich eben noch einmal fliegen. Es gab zu mir jedoch eine Alternative. Ich blieb hartnäckig und so wurde ich genommen.
Weißt du, wie oft du im Leben einfach nur zu früh aufgegeben hast? Du hättest nur noch einmal nachfragen müssen? Wie viele Chancen hast du dir dadurch vergeben? Es gibt ja diese lästigen Werbeanrufer von Energieunternehmen oder Weinhändlern. Die machen es wie die Fruchtfliegen. Sie bleiben einfach dran. Wenn es nicht ab und zu erfolgreich wäre würden sie es doch nicht machen, oder? Fruchtfliegen denken nicht nach. Sie machen einfach. Immer dem Geruch nach und ab auf die Nahrungsmittel. Ich glaube, dass wir manchmal zu viel nachdenken. Ich könnte ja mal überlegen, auf welchem Feld des Lebens sich mehr Hartnäckigkeit positiv auswirken würde. Ein paar Monate lang habe ich zum Beispiel in jeder Bäckerei nachgefragt, ob sie auch Kuchen mit Dinkelmehl hätten. Lange Zeit tat sich nichts. Inzwischen jedoch finde ich das Gewünschte bei dem einen oder anderen Bäcker. Ich sollte diese Hartnäckigkeit wieder aufnehmen.
Im Lukasevangelium wird von einer benachteiligten Witwe erzählt. Sie versucht, bei einem gewissenlosen Richter ihr Recht durchzusetzen. Der gibt irgendwann nach, nur weil er seine Ruhe haben will.
Hartnäckigkeit setzt voraus, dass ich mit Ablehnungen und Zurückweisungen umgehen kann. Ich kenne solche Menschen, die das wunderbar können. Da bleibt mir manchmal der Mund offen stehen. Sie bleiben unbeeindruckt einfach dran. Wenn ich abgelehnt werde mit einem Anliegen dann gehe ich erst mal in heftige Gefühle von Ärger oder Trauer. Das wiederum macht mich unfähig, wieder nachzufragen.
Vielleicht können andere das besser als ich, weil sie sich nicht so ärgern oder weil sie Zurückweisungen besser verkraften können. Aber ich könnte mich doch wie die Fruchtfliegen einfach weiterentwickeln. Ich muss ja nicht bis zum Ende meines Lebens angsterfüllt bleiben. Das Leben ist doch sowieso ein Abenteuer, nicht wahr? Wenn ich nichts wage kann ich mich auch gleich in einen Sarg legen. Oder ich richte mich nur ins Überleben ein. Die Fruchtfliege sagt mir: „Überleben ist überflüssig wie Fußpilz. Sterben muss ich sowieso. Aber jetzt will ich ran an die Töpfe!“

Dritte Erkenntnis: Fruchtfliegen machen eine ordentliche Metamorphose vor ihrem ersten Flug.
Die Larve ernährt sich vom gärenden Obst und danach verpuppt sie sich. Während dieser Zeit nimmt sie keine Nahrung mehr zu sich und wartet ab. Sie wartet ab, bis sich der Körper umgebaut hat zur Fliege.
Ich lebe oft ein anderes Prinzip. Hier noch was tun und da noch was tun. Ist es jetzt gut? Nein, noch nicht ganz! Ich könnte da noch mal anrufen und da noch mal nachschauen. Und wenn alles getan ist, bin ich in Gedanken immer noch damit beschäftigt. War es richtig so? Nicht doch besser anders? Erst, wenn das Ereignis herum ist tritt Stille ein. Die Fruchtfliege „gönnt“ sich eine Zeit der völligen Stille. Sie macht nichts und wartet einfach ab. Was geschehen muss, geschieht von selbst.
Zum Wachsen und Werden gehören solche Phasen unbedingt dazu. Phasen, in denen die Dinge wie von selber geschehen. Ich habe den Eindruck, dass wir uns solche Zeiten immer weniger gönnen. Alles muss kontrolliert werden. Prozesse werden perfektioniert und genormt. Zeitabläufe sollen verkürzt werden. Aber Wachstum folgt in einer bestimmten Phase den eigenen Gesetzen. Wenn ich mich schlafen lege lasse ja auch los. Ich höre auf, noch etwas zu regeln. Die Welt läuft eine ganze Nacht weiter ohne mich und ich steige währenddessen aus.
Aber wenn ich wach bin, dann muss ich wieder mitmischen im Weltgeschäft. Ich kann ja Einfluss nehmen. Aber die Fruchtfliege lässt für eine wichtige Phase ihres Lebens einfach los. Metamorphose. Umwandlung von A nach B. Vorher fressen und hinterher fliegen. Alles zu seiner Zeit. Hefeteig muss auch gehen. Kann ich loslassen? Lange genug loslassen? Zum richtigen Zeitpunkt? Wenn ich loslasse werde ich zum Beobachter meiner selbst. Diese Position kann ich empfehlen. Manchmal zum Beobachter seiner eigenen Prozesse zu werden. Irgendwann ist es so weit und die Metamorphose ist abgeschlossen.
Auch in Zukunft werde ich alles dafür tun, die Fruchtfliegen loszuwerden. Es bleiben aber ein paar Erkenntnisse: Ich darf da sein, wo das Leben heftig tobt. Ich bleibe hartnäckiger bei den Wünschen und Bedürfnissen. Und ich nehme mir die Zeiten, die es braucht damit wachsen kann was wachsen will. 

Freitag, 28. Juli 2023

Sei auf der Hut, dass dich die Zunge nicht verderbe! Das Unheil, das die Zunge verschafft, verjähret nicht! (persische Weisheit)

Ein Mann kommt zu mir in die Beratung. Seit vielen Jahren hat er Ärger mit seinem Nachbarn. Mal geht es um einen Ast, der über das Grundstück reicht, mal geht es um Bälle, die in seinem Garten landen. Verwandte parken an einer verbotenen und falschen Stelle. Der Nachbar hat irgendwann einmal böse geschaut. Und oft gibt es Streit und - es geht um gar nichts. Anwälte wurden schon zu Rate gezogen und die Polizei wurde auch schon bemüht. Selbst der Mediator konnte nichts ausrichten. 
Ich frage ihn, ob das immer schon so war oder ob es auch bessere Zeiten gab. Da konnte sich der Mann daran erinnern, dass es wirklich mal ganz unproblematisch war. Beim näheren Untersuchen stellte sich heraus, dass er seinen Nachbarn zur Silberhochzeit vergessen hatte, einzuladen und es mündlich zwei Tage vor dem Fest nachholte. Zwar spät, aber nicht zu spät, dachte er. Meine Vermutung war: Die Kränkung war tiefer als er ahnte. Bis heute zahlt er den Preis der Kränkung. Nie gab es eine Entschuldigung, nie wurde der Vorfall nachbesprochen.
Wenn du einmal zurückgehst in dein eigenes Leben: Erinnerst du dich an Worte oder Sätze deiner Eltern, die dir durch Mark und Bein gingen? Worte, die du bis heute nicht vergessen hast? Sätze, die wie ein Stachel in deinem Fleisch sitzen? "Nie machst du was richtig!" "Immer kommst du zu spät!" "Aus dir wird nichts werden!"
"Das Unheil, das die Zunge verschafft, verjähret nicht!" sagt das persische Sprichwort. Manche Sätze in deinem Herzen benötigen wirklich einen Friedensprozess. Ich wünsche dir einen guten Heilungsweg!
www.matthias-koenning.de

Donnerstag, 27. Juli 2023

Früher war ich eingebildet. Heute weiß ich, dass ich toll bin.


Als Kinder saßen wir früher am Küchentisch und sprachen über Verwandte, Nachbarn und Freunde. Und es wurde verglichen. Vor allem die Noten in der Schule. Wer war besser und wer war schlechter. Meine Eltern waren sehr stolz, wenn Verwandte sagten: "Ihr habt eure Kinder aber gut erzogen." Eine Tante sagte sogar einmal zu meiner Mutter: "Ich habe lieber deine Fünf als die Eine von deiner Schwägerin."
Meine Eltern konnten es nicht ausstehen, wenn jemand eingebildet war. Lehrer waren eingebildet, Ärzte und auch der Pastor. Ich könnte jetzt noch eine Liste erstellen der vielen eingebildeten Menschen in unserem Dorf. Dazu gehörte auch der Dorfpolizist. Mein Gott, war der eingebildet. Dabei wussten alle, dass er ein aler Nazi war.
Meine Eltern waren so froh, dass wir nicht eingebildet waren. Eine gute Note in der Schule war Pflicht, Schuldigkeit und Verdienst. Man hüte sich vor Einbildung. Die schreckliche Strafe wird folgen. Wir waren überhaupt nicht eingebildet. Wir kamen mit wenig Geld aus und waren alle gut in der Schule. Wir haben alle Aufgaben und Arbeiten im Familienalltag gelöst. Aber wir waren nie dabei eingebildet.
Wir waren also überhaupt nicht eingebildet. Zumindest nicht sichtbar. Unsichtbar waren wir aber die eingebildetsten Menschen im Dorf. Eine perfide Form von Einblidung. Eine unsichtbare Einbildung. Die Einbildung, eine perfekte Familie zu sein. Alles funktionierte wie am Schnürchen.
"Früher war ich eingebildet. Heute weiß ich, dass ich toll bin." Mir geht es um das Selbstbewusstsein und das Selbstvertrauen. Ich bin in Ordnung, so wie ich bin. Mit dem, was ich kann und noch mehr mit dem was ich nicht kann. Ich bin in Ordnung jenseits meines Könnens. Ich bin toll und du auch! Du musst nichts dafür leisten und dich nicht verstecken. Und es ist gesund, sich nicht ständig zu vergleichen und sich immer zu bewerten. Dieses Bewerten macht dich krank in deiner Seele.
Lehne dich gelassen zurück. Lege die Hände in den Schoß. Heute weiß ich, dass ich toll bin!
www.matthias-koenning.de

Mittwoch, 26. Juli 2023

Gucken kostet nix

Neugierig stehe ich vor einem Laden für Damenbekleidung. Im Schaufenster lese ich den Spruch "Gucken kostet nix". Ich könnte ja mal einfach reingehen und schauen, oder? Aber das sagt sich so leicht, dass das nichts kostet. Es kostet meine Zeit und Energie. Meine Neugier und Überwindung von Angst und Unsicherheit. Es kostet die Überwindung von meinen Glaubenssätzen wie: "Die wollen bestimmt am Ende doch mein Geld." "Das ist nur ein Trick um mich hereinzulocken." "Das ist ein Köderspruch!"
Ich stehe vor dem Laden und kann durch das Fenster hindurchschauen. Von hier aus kann ich alles im Laden sehen. Es lohnt sich für mich nicht. Es gibt nichts, was mich verlockt einfach mal umsonst zu schauen. Es ist draußen nicht einmal kalt, so dass ich mich aufwärmen wollte dort. Gucken kostet nix und lohnt sich für mich auch nicht. Und gucken kostet doch was. Vielleicht nicht mein Geld. Aber ich zahle mit anderen Mitteln.
Zugleich stimmt auch was anderes. Mal über den Tellerrand schauen. Hinter dem Gartenzaun. Kleine Dinge machen, die ich normalerweise nicht tun würde. Die Comfortzone verlassen. Neue Erfahrungen machen. Dem Impuls der Neugier folgen. Das Abenteuer leben wagen. Mal etwas riskieren. Das nächste mal, wenn ich vor diesem Laden stehe, werde ich ihn betreten. Aber dann, dann wird sich die Besitzerin umschauen. Was ich dann machen werde! Ich werde echt was riskieren. Genau weiß ich noch nicht. Aber ich werde was machen, wetten?
www.matthias-koenning.de

Dienstag, 25. Juli 2023

Je weniger ich von dem war, was ich war, desto besser habe ich mich gefühlt. (Leonard Cohen)

Über viele Jahre meines Lebens hinweg habe ich mich angestrengt, vor mir bestehen zu können. Da gibt es ja die Vorstellung meiner Eltern, meiner Lehrer und der Kirche von einem sinnvollen und guten Leben. Ich wollte ja dazugehören. Teil des Ganzen sein. Meine Eltern fanden Fleiß, Zuverlässigkeit, Ordnung und Höflichkeit sehr wichtig. Ich wusste: Wenn ich mich darum eifrig bemühe, werde ich vor ihnen bestehen und dazugehören dürfen. So hat sich über viele Jahre ein "Ich" gebildet, von dem ich denke, dass das "Ich" bin.
Jetzt, als Erwachsener gibt es immer wieder Situationen, wo ich nach meinem anerzogenen Ich etwas machen müsste, das in mir einen Widerstand hervorruft. Will ich das wirklich oder spricht da im Hintergrund die Stimme meines Vaters? Es kommt mir manchmal so vor, als ob um mich herum sich eine Kruste gebildet hat, wie eine Art zweites "Ich". Wenn ich erkenne, dass das die Stimme meiner Eltern war, dann überprüfe ich, ob ich das loslassen kann. Ich kann Cohen gut verstehen, wie sich das anfühlt, wenn ein Teil der Kruste abspringt. Das, was ich als zu mir gehörig empfinde, ist womöglich gar nicht meins. Es gehört jemand anderem. Ich lasse also ein kleines Stück "falsche" Kruste los und spüre, dass ich auch ohne weiterleben kann und dass es sich ganz gut anfühlt.
Ich erlebe viele Menschen im "mittleren" Alter, die langsam aufwachen und überprüfen, welche Stimmen da im Inneren sind und wo sie hingehören. Das kann ganz schön verwirren, wenn man damit erst einmal anfängt. Stell dir vor, dass du mit einem Rucksack unterwegs bist. So nach und nach ist immer etwas dazugekommen und dein Körper hat sich an die Last gewöhnt. Du weißt gar nicht mehr, wie ein Leben ohne Last sich anfühlen könnte. Jetzt aber ist die Zeit reif, dass du deinen Rucksack öffnest und aussortierst. Was gehört dir oder möchtest du behalten und was kannst du loslassen? Es kann sein, dass es sich am Ende besser anfühlt! Ein wenig leichter und Platz für Neues.
www.matthias-koenning.de

Montag, 24. Juli 2023

Nur ein wenig


 

Wenn es doch nur ein bisschen mehr regnen würde. Es ist einfach zu trocken. Schon wieder müssen wir regelmäßig gießen, damit unser Gemüse nicht vertrocknet. Ich erwarte nicht, dass der Regen jeden zweiten Tag kommt. Nur ein wenig mehr – das würde schon helfen.

Ich erwarte gar nicht, dass die Bahn pünktlich ist. Die Zeiten haben sich geändert. Pünktlich war einmal. Aber könnte sie nicht doch ein wenig pünktlicher sein? Nicht ganz so oft ausfallen wegen Stellwerkfehler, Oberleitungsschaden, Personalmangel, Tiere auf den Gleisen, Baustellen, Platzmangel im Bahnhof, Streik… All das ist in Ordnung, vielleicht nur ein bisschen weniger. Warum? Dann ist es erträglicher, aushaltbarer. Ich hätte sofort mehr Verständnis. Ich wäre nicht so verärgert und mein Bahnleben würde entspannter verlaufen.

Nur ein wenig – für manche Situationen hört sich das fast an wie ein Wunder. Der erste Schritt aus der Ohnmacht und Hilflosigkeit. Wenn es einen ersten Schritt gibt, dann vielleicht auch ein zweiter kleiner Schritt.

In meinen Beratungen tauchen häufig solche aussichtslosen Situationen auf. Am Arbeitsplatz verstehe sich jemand mit seinen Kollegen überhaupt nicht mehr. Rückenschmerzen wollen nie wieder verschwinden. Eine Kundin fühlt sich in der Arbeit so überlastet, dass der Urlaub nicht mehr reicht, herunterzukommen. Wenn die Preise weiterhin so steigen, wird ein Kunde nie mit seiner Rente auskommen. Der soziale Abstieg und die Armut sind vorprogrammiert. Viele Menschen haben viele Gründe, sich beim Leben oder bei Gott zu beschweren. Es ist nicht in Ordnung. Es ist zu viel. Total ungerecht und vor allem aussichtslos.

 

Magst du noch weiterlesen? Oder denkst du jetzt, dass ich herumjammere und zu den Klagenden gehöre. Spüre ich jetzt deinen Widerstand und die Worte in deinem Inneren: „Du übertreibst! So schlimm ist es doch gar nicht! Noch bist du nicht tot und deine Kunden auch nicht.“ Wenn du das jetzt gerade denkst, bin ich nicht weit von dir entfernt. Ich sehe immer das Licht in der Dunkelheit. Ich schaue gerne nach dem, was noch geht, wenn nichts mehr geht. Ich liebe die Herausforderung, das Positive im Negativen zu sehen. Ich reise gerne in das Land der Möglichkeiten, das sich immer wieder öffnet.

Wenn du das auch so wahrnimmst, bist du wie ich gesegnet. Dann gehörst du zu den Optimisten und zu denen, die sich das Leben nicht vermiesen lassen wollen. Genieße mit mir das Geschenk. Neben dir gibt es aber auch die Pessimisten, die ständig klagen und auf der dunklen Seite des Lebens stehen im Betrachten des halb leeren Glases. Herzlich willkommen! Sie sorgen dafür, dass wir als Menschen nicht stehen bleiben und uns weiterentwickeln. Ohne die Jammerer gäbe es keine Innovationen und Verbesserungen an den Haushaltsgeräten, Autos, Häusern und Beziehungen. Pessimisten sind im Grunde des Herzens großartige Weltverbesserer. Hilfreich, wenn sie es schaffen, aus dem Klagen ins Handeln zu kommen.

In meinem Newsletter denke ich mit dir aber an eine andere Gruppe von Menschen. Diejenigen, die eigentlich ein zufriedenes und ausgeglichenes Leben führen. Menschen, die sich den Wohlstand durch harte Arbeit verdient haben. Menschen, die sich für eine gute Beziehung anstrengen. Eltern, die ihre Kinder lieben, gut versorgen und dann bekommen sie das Leben als Erwachsene nicht hin. Rutschen ab in Drogen, Beziehungsdramen oder psychische Erkrankungen.

Manchmal kommen Menschen zu mir in die Beratung mit dem ersten Satz: „Ich hätte nie gedacht, dass ich hier mal lande. Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen und jetzt hocke ich hier und weiß nicht weiter. Das ist nicht gerecht.“ Dann höre ich, wie sie ihr Leben wirklich gut meistern. Was sie alles geleistet haben. Wie sie stolz auf sich sein dürfen. Und wie sehr sie eine Belohnung verdient hätten für Fleiß, Aufrichtigkeit und Anstrengung. Diese Menschen jammern nicht schnell. Wenn sie jammern, dann ganz am Ende, wenn nichts mehr geht. Wenn die Möglichkeiten sich erschöpft haben.

Die Vorstellung davon, dass nichts mehr geht, führt in die Resignation, Hilflosigkeit und Ohnmacht. Wenn sich dieser Zustand für uns einstellt, wird es sehr unangenehm, auch gefährlich. Denn wir könnten die Vorstellung bekommen, dass das Leben sich nicht mehr lohnt. Wofür das Ganze noch!

Das erlebe ich dann auch in meinen Beratungen, dass Menschen am Ende des Erzählens zu diesem Schluss kommen, dass sich das alles nicht mehr lohnt. Wenn die Sinnfrage auftaucht. Menschen geraten in der Regel nicht in die Krise bei Kleinigkeiten. Dann sind wir bei Problemen, wo es doch irgendwann eine Lösung gibt.

Es gibt Situationen, wo die Schwere spürbar wird. Die Belastung und die Ohnmacht, die sich nicht wegschieben lässt und das wir aushalten müssen. Wo wir keine Wahl haben. Da wird die Angst spürbar vor einem starken Verlust. Das unerträgliche Erleben einer Trennung. Die unversöhnliche Kränkung einer Verletzung durch einen geliebten Menschen.

Ich möchte es gerne wertschätzen und anerkennen, dass das Aushalten und Ertragen eine hohe Leistung ist. Das Geschehene ist sehr ungerecht und nicht in Ordnung. Das so etwas niemand verdient hat. Und dass es gut wäre, die Uhr zurückdrehen zu können.

Was könnte neben dem unausweichlichen Aushalten einer schwierigen Situation und dem solidarischen Mittragen noch hilfreich sein? Was mir hilft und was ich dir anbieten möchte, ist der Gedanke: „ein wenig!“

Ein wenig Erleichterung, dass die Last nicht mehr ganz so schwer ist. Ein wenig Zuwendung, dass da auch Trost hinkommen kann. Ein wenig, damit es einen kleinen Unterschied gibt. Keine große Hoffnung, aber ein wenig. Keine große Lösung, aber ein wenig Wunsch danach. Ein kleines „Vielleicht“!

Das „ein Wenig“ ist der Versuch, den Weg in die immer größere Aussichtslosigkeit abzubremsen, zu verlangsamen und kurz zu unterbrechen. Ein kleines Stopp. Das „ein Wenig“ darf nicht zu groß sein. Dann würde ich die Schwere weg reden und nicht ernst nehmen. Das „ein Wenig“ kann schnell ein „zu viel“ werden. Ich vermute, dass Diplomaten die Fähigkeit haben, in ganz kleinen Schritten zu denken und dabei sehr geduldig zu sein.

Wo neigst du dazu, die Dinge zu verabsolutieren. Deine „Immer“ und „Nie“. Deine Diskriminierungen und Vorurteile. Deine übersteigerten Erwartungen an das Glück. Wo bist du manchmal halsstarrig oder zwanghaft? In welche Felder deines Lebens würde das „ein Wenig“ eine kleine Entlastung bringen. Ein leichtes Durchatmen und ein Seufzen, dass etwas wieder in Bewegung kommt.

Ja genau, das wäre für mich eine gute Übung. Seufze mal wieder. „Ach ja, ist wirklich schwer, aber ich schaffe das schon. Zumindest jetzt für einen kleinen Augenblick könnte ich es spüren.“

Ich mag es, wenn ich bei einer Hochzeit am Buffett bedient werde: „Was hätten Sie gerne?“ Dann sage ich: „Ein wenig von Allem.“ Oder „Ein wenig von dem und ein wenig von dem.“ Es ist so viel da, dass die Sammlung von dem vielen Wenigen auf einmal einen großartigen bunten Teller ergibt. Das Wenige ist keine Belastung. Ich muss mich da nicht durchessen. Das „Wenige“ an sich fühlt sich leicht an. Und vielleicht ist es genau das, was hilft, wenn alles schwer wird. Die Unpünktlichkeit der Bahn, der Krieg, die Krise, die drohende Verarmung, das gesamte Paket… Wenn überall ein „wenig Leichtes“ hinfließen darf, verändert sich das ganze Paket. Auch wenig leichter ist schon leichter.

Wovon darf es also bei dir ein wenig mehr sein oder etwas weniger? Wo darfst du dir das Leben etwas erleichtern? Ich könnte ein wenig gelassener werden beim Bahnfahren. Nur ein wenig würde mir schon helfen. Jetzt sitze ich gerade mal wieder in der Bahn. Sie hat zwanzig Minuten Verspätung. Dabei darf ich dir schreiben und merke nicht, wie der Zug bummelt. Und außerdem könnte ich ein wenig mehr Freude spüren darüber, wie viel Glück im Leben ich hatte. Wie sehr ich gesegnet bin. Das mag ich auch dir sagen: Wie sehr du gesegnet bist!

www.matthias-koenning.de 

 


Samstag, 22. Juli 2023

Möge der neue Tag sich im Einklang mit dir treffen. (altirische Weisheit)

Heute ist Samstag. Der Samstag erzählt mir: "Ich habe noch keine Gestalt. Die Stunden sind nicht festgelegt. Da gibt es viele Freiräume und tausende von Möglichkeiten. Ich bin voller frischer Brötchen und bunter Marktstände. Ich bin pulsierendes Leben und Verlockung. Ich bin Muße und Entspannung. Ich bin Kino und Ausflug. Ich bin ohne "müssen" und "sollten". Ich komm dir wohlwollend, neugierig, offen und freundlich entgegen. Ich bin wie die einladenden Auslagen im Schaufenster. Ich bin ein Versprechen und eine Erfüllung. Ich bin Verheißung und Lust! Na, und wo bist du?"
Ja, wo bin ich am heutigen Samstag? Ich streife die Woche von Montag bis Freitag ab wie die tote Haut einer Schlange und schwinge im Einklang mit dem Samstag mit. Ich brauche dafür meine Zeit, denn der Samstag spricht zu mir wie ein junger springender Hund, der sich austoben möchte. Aber ich setze den ersten Schritt und kaufe frische Brötchen.
Dir wünsche ich einen reichen Samstagsegen.

www.matthias-koenning.de

Freitag, 21. Juli 2023

Merkwürdig, wie wir die andern beurteilen und nicht merken, wie elend unsere Geringschätzung ist - bis sie uns fehlen, bis man sie uns wegnimmt. Carlos Ruiz Zafon


Ich teile diese Beobachtung. Da gibt es Menschen in meinem Umfeld, die es schaffen, in mir ein negatives Gefühl zu erzeugen. Das geschieht, wenn jemand zu laut spricht. Wenn mir jemand so einen befehlerischen Ton in seiner Sprache hat. Wenn mich jemand ungefragt auf meine Fehler hinweist. Die Besserwisser. Die Ratschlaggeber, die Rat geben, ohne dass sie gefragt werden. Menschen, die den Tisch nicht abwischen und verkrümelt hinterlassen. Menschen, die nicht grüßen, wenn sie kommen.
Ich spüre, wie mein Ärgerpegel schnell steigt. Wenn jemand das ein einziges mal macht, dann vergesse ich es schnell. Aber bei Wiederholungen prägt sich in mir das Bild von einem Menschen, der mir auf die Nerven geht und den ich immer mehr geringschätze. Ich spüre mein Ärgergefühl aber habe nicht das Bewusstsein davon, dass ich diesem Menschen jetzt einen absoluten Stempel aufgedrückt habe. Das ist jetzt für immer der Lautsprecher oder der Befehler oder der Besserwisser. Und an diesem Menschen kann ich so wunderbar meine Ärgergefühle auslassen. Er wird zum Blitzableiter all meiner Ärgergefühle.
Wenn jetzt dieser "Blitzableiter" aus meinem Leben verschwindet, dann habe ich keinen anderen über den ich mich ärgern kann. Mir fehlt der Blitzableiter. Ich muss dann in mich selber hineinschauen. Die anderen Menschen bilden so etwas wie mein "soziales Ich im Außen". Was ich in mir nicht haben möchte, verlagere ich nach außen. Dann bin ich viel erträglicher mit mir selbst. Sonst müsste ich ja zugeben, dass ich selbst ein Lautsprecher, ein Befehler oder Besserwisser bin.
Wie soll ich es dann mit mir selber aushalten? Besser allerdings wäre es! Ich hätte die Chance, mich weiter zu entwickeln. "Merkwürdig, wie wir die andern beurteilen und nicht merken, wie elend unsere Geringschätzung ist - bis sie uns fehlen, bis man sie uns wegnimmt." Das Wegnehmen und Fehlen führt uns in ein Loch und bewirkt, dass wir uns mit uns selbst konfrontieren können. Dieser andere, den ich geringschätze, bin ja ich!
www.matthias-koenning.de

Donnerstag, 20. Juli 2023

Pechvogel darfst du dich erst nennen, wenn du Sargmacher bist und die Menschen aufhören zu sterben. (arabische Weisheit)


Mir begegnet ein Mensch der mir sagt: „Ich habe nur Pech in meinem Leben! Alles, was ich tue, misslingt mir!“
Ich kenne Menschen, über die ich denke: „Oh je! Nichts gelingt denen, das sind echte Pechvögel.“ Dann spreche ich mit denen und stelle fest: Die sind total glücklich! 
Ob du ein Pechvogel oder ein Glücksvogel bist liegt daran wie du dein Leben deutest.
Die arabische Weisheit lehrt dich, nicht zu früh eine Definition von deinem Leben als Pechvogel abzugeben. Ein echter Pechvogel muss erst noch geboren werden. So unmöglich es ist, dass die Menschen aufhören zu sterben, so unmöglich wird es sein, dich als Pechvogel zu sehen. Wenigstens ein kleines Quantum Glück ist für jeden bestimmt. 

Mittwoch, 19. Juli 2023

Die Ohren sind meistens Zeugen ohne Einladung. Von den Bantu

Ich höre so viele Dinge, die nicht für mich bestimmt sind. Meine Ohren hören es und haben keine Einladung bekommen. Es wäre gut, wenn ich alles Gehörte filtern könnte. Habe ich eine Einladung oder keine. Wenn es keine Einladung gibt habe ich dort nichts zu suchen. Nicht für mich bestimmt! Die Party findet mit anderen statt, aber nicht mit mir.
Wenn da nicht die Neugier wäre. Wenn da nicht die Sorge wäre, dass da über mich gesprochen wird. Wenn da nicht die Angst wäre, dass da was gegen mich läuft. Meine Ohren sind ständig dabei. Ich kann sie nicht verschließen. Aber ich kann mit ihnen sprechen. "Hallo Ohren! Herein darf nur, wer eine Einladungskarte hat. Ohne Karte kein Eintritt!" Die Einladungskarte vergibt mein Bewusstsein. Ich treffe eine Entscheidung. Da gibt es einen Regisseur in mir, der sagt, wer mitspielen darf und wer nicht.
Ich könnte ungewollt zu einem Geheimnisträger werden. Ich könnte heimlich mächtiger werden und mich wichtiger fühlen. Aber das würde nur mein Ego aufblasen und mehr nicht. Je mehr ich ohne Einladung in mich aufnehme, desto mehr Müll sammelt sich an und verhindert, dass ich zu dem komme, was zu mir gehört. Im Hören kann ich einen Unterschied machen. Was zu mir gehört willkommen. Was nicht zu mir gehört bleibt draußen!
www.matthias-koenning.de

Dienstag, 18. Juli 2023

Ohne Glanz und Gloria!

Urlaubszeit! Es ist Sommer. Im Fenster hängt noch ein Stern aus der Weihnachtszeit. Ein Zacken hat sich vom Fenster gelöst. Die Farben verblassen. Der Glanz vergeht. Es ist halt Sommer und Weihnachten ist längst vorbei. Na ja, bis zum nächsten Weihnachtsfest dauert es ja auch nur noch knapp ein halbes Jahr. Jetzt könnte er auch ruhig noch hängen bleiben.
Vielleicht handelt es sich aber auch gar nicht um einen Weihnachts- sondern eher um einen Ganzjahresstern.
Jedenfalls erinnert mich der Stern am Fenster im Hochsommer an eine wichtige Erkenntnis. Die Dinge zum richtigen Zeitpunkt loszulassen und zu verabschieden. Da gibt es Hosen in meinem Schrank, die ich schon lange nicht mehr angezogen habe. Da stehen Tassen im Schrank, aus denen nie getrunken wird. Bücher, die ich nie gelesen habe und nie lesen werde. Wo siehst du die "Weihnachtssterne" im übertragenen Sinne in deiner Wohnung? Was könnte gut mal entsorgt werden?

Der Stern im Fenster macht mich aber auch aufmerksam auf die inneren Erlebnisse und Ereignisse, die noch in mir wirken und die ich nicht loslasse. Weil ich es noch nicht bewusst gemacht habe. Oder weil es mir bisher gar nicht aufgefallen ist. Oder weil ich es einfach nicht kann. Da hat mich mein Partner gekränkt und diese Kränkung bekomme ich einfach nicht aus dem Kopf und aus dem Herzen. Da klebt sie nun wie ein verblassender Weihnachtsstern in meiner Seele. Wenn ich da mal so richtig hinspüre, dann bemerke ich viel Zeug! Da könnte ich gut mal aufräumen und abhängen. Wenn das Zeug nur nicht so kleben würde!

Wie werde ich die "inneren Weihnachtssterne" los? Ich brauche sie doch gar nicht mehr. Sie passen nicht in die Zeit. Nicht in mein jetziges Leben. Sie sind Ballast. Überflüssig. Behindernd. Trotzdem werde ich sie nicht los. Ich verabschiede sie irgendwie, aber sie kommen durch die Hintertür zu mir zurück. Wie bei einem PC ziehe ich ein neues Betriebssystem auf und anschließend wirkt zugleich das alte im Hintergrund und verlangsamt meine Programme.

Es ist Sommer. Ich habe Urlaub! Ich kann mal einfach hinspüren und mit den "inneren Weihnachtssternen" ganz persönlich reden. Ein wenig verhandeln. Mit Geduld und Verständnis. Vielleicht geht ja auch schon ein wenig lockern. Manche verziehen sich auch freiwillig nach einem Gespräch. Manche bleiben auch. Aber ich gewichte sie nicht mehr so.
Ich schaue auf den Weihnachtsstern und freue mich über den Zacken, der schon das Festkleben aufgegeben hat. Ich kann auch dran vorbeischauen. Ich sehe noch genug! Den Weg, die Bäume und denjenigen, der da kommt. Es muss nicht perfekt sein. Einem Oldtimer sieht man auch die Jahre an und hat Verständnis für die eine oder andere Schramme. Gelassenheit dem "Zeug" im Inneren gegenüber ist schon ein ganz wichtiger Schritt im Prozess des  Loslassens. Damit bin ich zufrieden. Ich habe ja schließlich Urlaub!
www.matthias-koenning.de

Montag, 17. Juli 2023

... und in der schwärzesten Nacht meines Lebens sah ich Sterne. Carlos Ruiz Zafon


Wenn die Nacht der Seele schwarz ist, dann fühlt sie sich schwarz an. Um mich herum gehen die Lichter aus. Alle Freundlichkeit verschwindet. Die Liebe schleicht sich davon. Die bisher sinnvollen Dinge entleeren sich des Sinnes. Der Prozess erscheint unaufhaltsam, wenn er einmal begonnen hat. Die Dunkelheit wird unaufhaltsam dunkler und die Nacht breitet sich aus.
Was ist, wenn dann der Zeitpunkt kommt, wo nichts mehr ist? Ich erinnere mich an eine Wanderung auf Madeira in einen der dunklen Tunnel. Da gab es einen Tunnel, wo man nach einigen Metern nichts mehr sehen konnte. Der Weg ging ein wenig krumm, so dass der Anfangspunkt nicht mehr sichtbar war und der Endpunkt auch nicht. Kein Lichtstrahl kam an. Ein Moment, wo die Angst sich einschlich und unaufhaltsam durch die Knochen kroch.
... und in der schwärzesten Nacht meines Lebens sah ich Sterne. Das klingt wie eine Verheißung. Wie ein Geschenk. Und bei Zafon war es einfach so. Kein Ratschlag, dass du es auch so erfahren könntest. Er sah Sterne in der schwärzesten Nacht. Manche Sterne kann ich erst sehen, wenn die Nacht schwarz genug ist. Je schwärzer die Nacht auf der Erde, desto leuchtender erscheinen mir die Sterne. Manchmal gibt es keine Rettung aus der unmittelbaren Umgebung. Aus dem gewohnten Feld. Manchmal gerate ich ja in die Dunkelheit, weil das Feld dunkel ist, in dem ich mich bewege. Wie tröstlich, wenn aus der Ferne etwas auf mich zukommt. Etwas, das weit genug entfernt ist von der Dunkelheit.
Stell dir vor, dass du dich in einer emotional schwarzen Nacht befindest. Deine unmittelbare Umgebung bewirkt oder verstärkt sogar diese Nacht. Und du stellst dir vor, dass es einen Stern in der Ferne gibt. Du siehst ihn noch nicht. Du stellst dir nur vor, dass es einen gibt. Halte diese Vorstellung fest. Du magst nicht die gleiche Erfahrung gemacht haben wie Zafon. Aber du darfst dich von seiner Erfahrung mit nähren. Wenn nur ein Mensch in der Schwärze die Sterne sieht reicht es für alle!
www.matthias-koenning.de


Freitag, 14. Juli 2023

Gestalte dein Psychotop



Ich habe keine Lust mehr auf Corona. Aber es lässt uns noch nicht los. In der Anfangsphase hatte ich den Eindruck, dass es um das Thema Sicherheit ging. Gefährdete oder infizierte Menschen wurden isoliert und es die Distanz sollte bewirken, dass das Virus sich nicht mehr sprunghaft ausbreiten kann. Das war bestimmt ein gesundheitspolitischer kluger Gedanke. Diese Phase der Isolation dauert noch bis heute an. Es gibt noch keine Normalität. Welche Menschen umarmst du schon wieder? Wo haben sich deine Fluchtreflexe schon automatisiert? Dein Griff zur Maske? Wir sind alle ein Stück abgetaucht ins Private, Intime und Verborgene. Zunehmend spüre ich in meinen Beratungen neue Themen: Die sozialen und psychischen Folgen der Isolation. Wir sagen ja so leicht hin zu alten Menschen: „Einen alten Baum verpflanzt man nicht.“ Dabei halten wir uns als jüngere noch für flexibel und beweglich.
Ich glaube, das ist ein Irrtum. Wir haben bislang alle gedacht, dass wir sehr sicher sind. Die Sicherheit haben wir aber nicht in unserem inneren Personenkern gefunden sondern durch die Einbindung in eine soziales Netzwerk, einen zuverlässig funktionierenden Arbeitsplatz und die Möglichkeiten, immer wieder einen Ausgleich finden durch Reisen und Hobbys. Erst, wenn wir all das nicht mehr so zur Verfügung haben merken wir, wie sehr das zu uns gehört. Das Bedürfnis nach Sicherheit bekam viel Raum und unsere Bedürfnisse nach Verbundenheit und Autonomie mussten hinten anstehen. Bei Hören von einem Podcast fiel das Wort „Psychotop“ und ich wurde wach. Was ist denn das?
Das Wort „Biotop“ ist mir geläufig. Es handelt sich um ein zusammengesetztes Wort aus dem Griechischen und heißt: Leben und Raum, Lebensraum. Auf so einem überschaubaren und abgegrenzten Lebensraum finden sich Pflanzen und Tiere ein, die eine Art Lebensgemeinschaft bilden. Das kann eine Flussaue sein, ein Wald oder eine Streuobstwiese. Eine Gemeinschaft, die sich einen Raum teilt und wo alle gut existieren können.
Eine Pflanze kann nicht überall wachsen und gedeihen. Sie braucht einen bestimmten Ort und eine kompatible Umgebung. In unserem Garten gibt es prächtige Orte für die Sonnenblumen und Stellen, wo sie kämpfen müssen und eher dahinkümmern. Da kommen mehrere Faktoren zusammen. Es ist nicht nur die Sonne und der Regen. Auch der Boden, der Wind, die Umgebung und rätselhafte Faktoren spielen eine Rolle.
Und nun meine Gedanken zum „Psychotop“. Wir Menschen sind ja nicht viel anders als die Pflanzen. Wir existieren ja nicht einfach als Einzelwesen, sondern wir gehören auch zu einem Lebensraum. Und weil wir so verschieden sind, brauchen wir auch sehr unterschiedliche Psychotope – Räume, in denen sich unsere Seele aufhält, hoffentlich wohlfühlt und weiterentwickelt wie die Pflanzen.
Den ersten Aspekt sehe ich im körperlichen Anteil. Manchmal komme ich in eine Wohnung, wo ich mich einfach wohlfühle. Ich finde vom Verstand dafür nicht sofort Gründe, warum das so ist. Der Körper scheint von sich aus das Signal zu vermitteln: „Hier mag ich mich aufhalten. Hier ist es angenehm.“ Beim Nachdenken gibt es dann Erkenntnisse und Begründungen dafür. Es liegt vielleicht an den vielen Pflanzen. Oder an der Farbgebung im Raum. Ich mag eher die Größe und Weite oder das kuschelige Beieinander von Stoffen und Kissen. Es können auch die Gerüche sein, die der Raum verströmt.
Manchmal komme ich in eine Wohnung und habe das Gefühl, dass ich sofort wieder gehen muss. Es riecht abgestanden. Der Staub hat sich überall niedergesetzt. Die Möbel stehen beziehungslos in der Gegend herum. Es ist schmuddelig und nicht aufgeräumt. Oder der Raum ist völlig steril, staubkornfrei, leergeräumt und wirkt so, als ob dort niemand wohnt. Dann frage ich mich, wie Menschen es dort aushalten. Ich muss mir klarmachen, dass das ihr äußeres Psychotop ist und nicht meines. Nicht jede Pflanze braucht einen Dschungel oder eine mediterrane Landschaft. Man kann auch die Wüste lieben und nur dort existieren.
Wie erlebst du deine eigene Wohnung? Wohnst du so, dass es für dich angenehm ist. Fühlst du dich wohl? Geh doch mal durch deine Räume und überprüfe es. Stell dich in jeden Raum hinein und spüre nach, wie er wirkt auf dich. Angenehm oder unangenehm? Vielleicht gibt es Räume, in die du sehr gerne gehst und Räume, die du vermeidest. Das verwaiste Kinderzimmer, dass dich schmerzlich daran erinnert, dass deine Familienphase nun lange abgeschlossen ist. Der Kellerraum, der immer einen Modergeruch verströmt den du nie abstellen konntest. Ein bestimmter Raum, der von einem anderen Familienmitglied mehr oder weniger besetzt wird und wo du nach wenigen Sekunden flüchten möchtest. In deiner eigenen Wohnung gibt es mehrere Psychotope, die sich den Raum teilen und miteinander auskommen müssen. Bleibt dir genug Platz für dein eigenes Psychotop oder beschränkst du dich auf eine kleine Ecke?
Wenn ein Psychotop über viele Jahre besteht dann gewöhnen wir uns Menschen daran. Eigentlich möchte ich manches verändern. Vieles passt nicht mehr so richtig. Wie Kleidung im Schrank, die mich daran erinnert, dass ich einmal eine andere Figur und einen anderen Geschmack hatte. Überprüf einmal das „äußere“ Psychotop deiner Wohnräume und schau, ob du es wieder passender für dich machen kannst.
Der zweite Aspekt bezieht sich auf das Miteinander. In einem Biotop gibt es die Nachbarschaft und das Beisammensein der unmittelbaren Nachbarn. Pflanzen stehen beieinander, weil sie sich gegenseitig unterstützen und genug Entfaltungsmöglichkeit geben. Bäume und Pilze versorgen und unterstützen sich gegenseitig. Bienen und Blüten profitieren voneinander und überall kannst du Beziehungsketten und Zusammenhänge entdecken.
In unserem menschlichen Psychotop sehe ich das ähnlich. Wir sind von Menschen umgeben, die wir mögen und die uns mögen. Manche mehr und manche auch weniger. Und manchmal verändert sich das. Freundschaften können zerbrechen. Unerträgliche Arbeitskollegen finden wir doch netter als wir dachten. Blöde Nachbaren haben auch ihre guten Seiten. Wenn ich mir mein Psychotop basteln könnte, dann würde ich einige menschliche Pflanzen weiter von mir wegstellen und andere wieder näher zu mir holen. Es gibt auch menschliche Pflanzen, die ich nicht so mag, die mir aber helfen in meiner Weiterentwicklung. Und es gibt menschliche Pflanzen, die ich aus meinem Psychotop entfernt habe, weil es nicht funktioniert in meinem nahen Umfeld.
Überprüf doch mal dein soziales Psychotop. Da wächst etwas über Jahre vor sich hin und wird  zum Gestrüpp und zum Wildwuchs. Oder du magst deinen Sozialraum immer weniger, vergraulst alle und es ist am Ende niemand mehr da. Betrachte doch einmal dein soziales Psychotop und überprüfe, ob es noch für dich stimmig ist. Wo könntest du was dazu pflanzen? Was könnte von dir weiter weg? Was ist schon lange unverträglich und könnte sich ein anderes Psychotop wählen? Erinnere dich daran, dass du die Weichen stellen kannst. Die gesamte Menschheit können wir nicht beeinflussen, aber unserem eigenen Psychotop können wir Gestalt geben.
Neben dem Ort, an und in dem du wohnst und neben den Menschen, die dein Leben mitbestimmen gibt es mindestens noch eine dritte wichtige Komponente. Dein inneres Psychotop. Das finde ich persönlich sehr spannend und interessant. So groß die Welt im Außen ist, die ich mit Milliarden von Menschen teile, so groß ist auch mein inneres Psychotop. Nur ein winzig kleiner Teil davon ist mir bewusst. In mir trage ich also eine verborgene riesengroße Welt, die mein Leben beeinflusst.
Es macht viel Sinn, sich mit dem eigenen inneren Psychotop zu beschäftigen. Was brauche ich, um mich wohlzufühlen oder gut mit mir zu sein? Was sind meine Bedürfnisse? Wie viel Sicherheit brauche ich eigentlich? Wie stark bin ich in Verbindung mit mir und mit allem, was ist? Wo habe ich Autonomiebestrebungen? Wie stark greifen immer wieder frühkindliche Traumata in mein Leben ein und bestimmen meinen Alltag? Was dürfen andere Menschen von mir sehen und wissen und was möchte ich gerne verbergen? Wie streng bin ich mit mir selbst oder wie großzügig und freigiebig darf ich sein? Was passiert mit mir, wenn ich in meine Stressmuster falle und wie kann ich so auf mich achtgeben, dass das nicht so schnell passiert. Wie komme ich aus den Sackgassen meines Lebens einigermaßen gut heraus? Kann ich gut in mir wohnen, so dass es ausstrahlt auf meine Umgebung? Bin ich mir selbst ein Himmel oder eher die Hölle?
Du hörst lauter Fragen, die beantwortet werden wollen. Stell dir mal vor, dass ein anderer Mensch in dir wohnen darf. Das wäre hypothetisch einfach möglich. Dieser Mensch denkt genau deine Gedanken, fühlt deine Gefühle als wäret ihr wie Doppelgänger nur ineinander verschachtelt und er kennt deine ganze Lebensgeschichte so, als hätte er sie selbst erlebt. Könntest du das erlauben? Gäbe es einen Menschen, der dir so willkommen wäre?
Was wäre deine erste Reaktion? Wäre es so etwas wie große Freude? Weil du so reich bist und alles in dir gerne teilst? Oder käme da schnell Scham hoch. „Hilfe, die Hälfte meiner Innenräume würde ich schnell abschließen. Da darf niemand hinschauen. Nicht einmal ich selbst!“ Vielleicht hättest du aber auch Sorge, dass es deinen Besuchern einfach nicht gefallen würde in dir. Klar, wenn du dich selber vergiftet hast mit lauter negativen Gedanken, einem vernichtenden Kritiker, lauter Dämonen und destruktiver Gefühle – also so, dass du es mit dir selber kaum aushalten kannst - dann würde ich bestimmt niemanden einladen.
Vielleicht aber könnte die Vorstellung hilfreich sein, dein inneres Psychotop mal zu sanieren. So, dass du dich nicht mehr schämen musst. So, dass du dich mit dir selber wohlfühlst und auch das negative Zeug mal sortierst und wohlwollend betrachtest. Dir würde dann auffallen, wie viel Zeit und Energie du damit verbringst, die Teile in Schach zu halten, die dich innerlich bedrohen.
Der einzige Mensch, der es mit dir ein Leben lang aushalten muss bist du selbst. Du kannst deine Wohnung wechseln, Menschen austauschen, den Arbeitsplatz kündigen. Das kannst du alles machen und zu bestimmten Zeiten macht das auch Sinn. Überprüfe, ob dein Psychotop als Wohn- und Sozialraum noch stimmig ist. Aber dein eigenes inneres Psychotop begleitet dich überall mit hin. Du kannst es nicht ablegen, nicht wegpacken und nie austauschen. Es ist einfach ein Teil von dir und letztlich du selbst. Du kannst es aber gestalten und bewohnbarer machen. Du darfst selbstfreundlich und wohlwollend mit dir sein. Du bist da drin dein eigener Gast. Einen anderen Menschen kannst du in dir natürlich nie so einladen, dass er alles von dir mitbekommen würde. Aber du selber kannst das mit dir so machen.
Du bist in dir selbst eine blühende Landschaft mit ungeheurem Reichtum. Du bist so reich in dir, dass es für ein Leben nicht reicht. So überbordend die Schöpfung im Außen ist, so unglaublich reich ist deine innere Landschaft. Sie hat angenehme und auch unangenehme Seiten. Du bist voller Sonne und voller Schatten. Du bist voller innerer Liebe und Freude und voller innerer Angst und Wut. Das alles und noch viel mehr ist dein innerer Reichtum. Wenn du in deiner Angst, in deinen Schatten und in deiner Wut versinkst und nichts anderes mehr wahrnehmen kannst, wird es natürlich schwierig. Und es kann sein, dass du dich wie ein chronisches Katastrophengebiet erlebst. Ich bin mir aber sicher, dass es diese anderen wohlwollenden, freudigen und lebensbejahenden Landschaften in dir auch gibt.
Hast du einmal darüber nachgedacht, wie sich dein inneres Psychotop zusammensetzt und ob du es beeinflussen, verändern und gestalten kannst? Was kannst du also tun, um dein inneres Psychotop so zu gestalten, dass du dich mit dir selber angenehmer fühlst? 
Spirituell drückt Jesus es im Lukasevangelium so aus: „Das Reich Gottes ist inwendig in euch.“ (Lk 17,21) Es kommt nicht, es entsteht nicht, es ist immer schon da in mir. Es wird Zeit, dass wir uns auf Entdeckungsreise begeben. 

Donnerstag, 13. Juli 2023

Wer loslässt, hat beide Hände frei!

Zu mir kommt jemand mit einem Stapel voller Sorgen. Die Mutter ist schwer krank. Der Vater ist so hilflos. Der Bruder drückt sich. Der Pflegedienst kostet viel Geld, macht aber nicht seine Arbeit. Die Rente reicht nicht aus. Die eigene Familie streikt, die Oma weiterhin so intensiv zu betreuen. Dazu kommt noch ein Bandscheibenvorfall und eine berufliche Krise und die Aussicht in den nächsten Jahren keinen Urlaub machen zu können.
Dann kommen noch ein paar Kleinigkeiten hinzu, dass das Auto nicht mehr so richtig funktioniert und die Heizung erneuert werden müsste usw...
Dann sage ich: "Stopp! Das hält doch niemand aus!" Ich fange mit ihr noch mal von vorne an. Welche Probleme waren das noch mal? Die Mutter! Ich drücke der Ratsuchenden für die Mutter ein Buch in die Hand. "Die erste Last! Dafür symbolisch das Buch." Für den Vater das zweite Buch, für den Bruder das dritte Buch... du ahnst es schon. Der Bücherstapel wächst und wächst. Dieser Sorgenmensch sagt nach langer, langer Zeit: "Das ist aber echt schwer! Muss ich das jetzt tragen? Ich kann nicht mehr!" "Das finde ich auch! Aber es bleibt Ihnen nichts anderes übrig! Da müssen Sie jetzt durch!"
"Wer loslässt, hat beide Hände frei!" Wenn ich zu viel trage, werde ich am Ende handlungsunfähig. Also bleibt nichts anderes übrig als loszulassen. Aber wenn ich loslasse, dann habe ich beide Hände frei und kann etwas machen. Es wäre also hilfreich, sich sein Leben so einzurichten, auf jeden Fall handlungsfähig zu bleiben, also mit den "Händen" etwas machen zu können. Genügend Freiraum zu spüren. Wie viele Bücher kann man über einen längeren Zeitraum halten? Zwei, drei? Einen Stapel?
Oder gar keines? Ich plädiere für gar keines! Jedes Buch trage ich nur für eine kleine Weile und lass es dann wieder los. Jedes Buch. Jedes Problem. Jede Sorge! Nur für eine Weile! Ich habe nämlich gerne von Zeit zu Zeit meine Hände wieder frei! Neben dem Bewältigen von Problemen brauche ich meine Hände zum Essen und für die Streicheleinheiten!
www.matthias-koenning.de


Mittwoch, 12. Juli 2023

Verabrede dich mit dem Leben!

Manchmal poste ich einen Text, den ich vor ein paar Jahren schon einmal geschrieben habe. Der heutige Text liest sich bei Corona völlig anders. Zwar geht Sauna im Augenblick nicht, aber es bleibt gültig, dass das Leben noch nicht vorbei ist. Also! 

Du sitzt auf deinem Sofa und hast nichts zu tun. Das ist eigentlich ja auch in Ordnung. Einfach mal herumsitzen und nichts tun. Das machen wir eh viel zu wenig. Wenn du aber öfter auf deinem Sofa sitzt und lieber etwas anderes tätest sieht das schon anders aus.
Es könnte ja sein, dass du auf deinem Sofa sitzt und denkst, dass das Leben an dir vorüberzieht und du nicht dabei bist. Dein Freundeskreis trifft sich ohne dich. Deine Familie ignoriert dich. Über deinem Haus regnet es, während deine Nachbarn im Sonnenlicht eintauchen. Überall brummt das Leben. Nur nicht auf deinem Sofa. Dann fragst du dich, wie das sein kann! Hat man dich übersehen? Hast du dich versteckt?
Du könntest jetzt Ursachenforschung betreiben. Dich verurteilen. In die Depression abrutschen. Oder? Du könntest dich einfach mit dem Leben verabreden! "Hallo Leben. Ich bin hier und sitze gerade auf dem Sofa. Magst du dich mit mir verabreden? Ich würde dich gerne treffen und etwas mit dir unternehmen." Was würde das Leben dann sagen? "Herzlich willkommen! Ich bin hier draußen! Komm zu mir. Auf die Straße. Auf den Berg. In die Volkshochschule. Ich bin überall!" Du müsstest auf jeden Fall dein Sofa verlassen. Als ersten Schritt! Egal, wohin du gehst. Auch, wenn du noch kein Ziel hast. Du stehst auf und verlässt dein Sofa. Du machst dich auf den Weg und musst das Ziel noch gar nicht wissen. Das Leben findet ja überall statt. Du stehst also auf und triffst eine Verabredung. Du sagst zum Beispiel: "Hallo Leben. Ich gehe jetzt in die Sauna. Kann ich dich da treffen?""Komm vorbei! Ich bin schon da!" Wenn du dich mit dem Leben verabredest kannst du dich darauf verlassen, dass es auch da ist!
www.matthias-koenning.de

Samstag, 8. Juli 2023

Man könnte sich den ganzen Tag ärgern. Aber man ist nicht dazu verpflichtet. (Peter Hohl)


Wie sehr könnte ich mich den ganzen Tag ärgern! Mein Brot am Morgen ist nicht mehr frisch. Ich bin vor dem Wecker aufgewacht. Es regnet, obwohl es  nicht angekündigt war. Die Straßen sind überfüllt. Da überholt jemand rücksichtslos. Das Büro ist nicht warm. Die Kollegin ist schlecht gelaunt. Ich habe einen Text nicht abgespeichert und jetzt ist er verloren. Noch nicht genug?
Wenn ich die Augen aufmache, dann finde ich genug Quellen für enormen Ärger. Und wenn ich mich schon mal ärgere, dann füge ich dem Ärger noch mehr hinzu. Höchstwahrscheinlich wird mir das Schicksal helfen, indem es für Nachschub sorgt nach dem Motto: "Ich liefere, was du bestellt hast!"
Mein Adrenalin- und Kortisolspiegel steigt ordentlich an und ich bin ordentlich unter Dröhnung. Ärger belebt!
Ich könnte mich ärgern. Aber ich muss es nicht. Ich bin nicht dazu verpflichtet! Nicht verpflichtet! Oder doch? Gehöre ich zu den Menschen, von denen man erwartet, dass sie verärgert durch die Gegend laufen. Gehöre ich zu denen, die man nur mit Samthandschuhen anfassen kann? Dünnhäutig? Zu gestresst? Nicht mehr autonom? Fremdbestimmt? Dauerbewohner im Haifischbecken?
Das kann sein. Aber ich bin nicht verpflichtet, mich in diesem destruktiven Bereich aufzuhalten. Ich muss nicht. Ich kann das Territorium wechseln. Kann ich es noch? Oder ist mein Leben schon automatisiert. Ich habe ein Abo für Ärger. Ein Abo kann ich kündigen. Ich bin nicht verpflichtet! Was also tun vor dem nächsten Ärger? Ich entscheide mich! Für Wohlwollen und Verständnis!
Ich muss nur aufpassen, dass ich kein Adrenalinjunkie bin. Ein Abhängiger vom Kortisol! Ich müsste mit der Vorstellung leben, dass es mal gerade in mir friedlich ist und dass dieser Zustand willkommen ist. Dann ist nichts los! Es gäbe nichts zu tun außer freundlich mit sich, seinen Fehlern und den Fehlern der anderen zu sein.
www.matthias-koenning.de

Freitag, 7. Juli 2023

Upgrade für den Tag!


"Carpe diem!" Diesen Satz habe ich bislang so verstanden:

Nutze den Tag! 

Die Zeit ist kostbar!
Handle nicht unüberlegt!
Mach keine überflüssigen Dinge!
Wer weiß, ob du morgen noch lebst!
Was du heute kannst besorgen...
Morgenstund hat Gold im Mund...

Immer geht es darum, möglichst viel hineinzupacken. Jeden Zeitraum auszunutzen. Die Vorstellung ist mir nicht sehr sympathisch.
Jetzt habe ich eine andere Übersetzung gehört.

Pflücke den Tag!

Der Tag ist wie eine Blume!
Lebendig!
Farbig!
Duftend!
Freude auslösend!
Bejahend!
Zustimmend!
Ein Geschenk!
Du darfst!

"Nutzt" du noch oder "pflückst" du schon? Stell dir vor, dass du diese Welt und diesen Körper verlässt. Wirst du dann auch noch "nutzen" in der Dimension der Zeitlosigkeit? Pflücken wirst du ganz bestimmt - das Leben, die Liebe, die Freude...

www.matthias-koenning.de

Donnerstag, 6. Juli 2023

Ohne Anstrengung!


Ein Baby mag sich sehr anstrengen, um durch den engen Geburtskanal auf diese Welt zu kommen. Es mag diese anstrengende Erfahrung lange in sich tragen. Vielleicht erwächst daraus sogar ein Glaubenssatz. "Streng dich an! Das Leben ist kein Zuckerschlecken!"
Im Sandkasten kämpft es um die Schüppe mit den anderen Kindern. Im Kindergarten bemüht es sich, den Erzieherinnen zu gefallen. In der Schule holt es durch viel Üben das Letzte aus sich heraus. Und es erfährt im Laufe des Lebens immer wieder die Bestätigung: "Streng dich an, dann wirst du belohnt!"
Bevor das Baby auf die Welt kommt, geschah jedoch etwas anderes. Da gab es keine Anstrengung. Keine Leistung. Keine Arbeit. Den Großteil der "Arbeit" erledigte das Prinzip Geschenk und Wachstum wie von selbst. Es war ein großes Geschehen lassen. Da reihte sich Wunder an Wunder. Der menschliche Körper fügte sich in seiner unglaublich hohen Komplexität ohne jede Anstrengung. Jede Zelle wusste, was sie zu tun hatte. Jede Zelle fügte sich einem inneren Bauplan. Mit absoluter Sicherheit und völlig fehlerfrei.
Wenn du dir dein Leben heute anschaust, nach welchem Prinzip lebst du? Das Leben als Anstrengung oder das Leben als ein Wunder des Wachstums wie von selbst? Ich glaube, dass es gut ist, an der einen oder anderen Stelle es einfach mal geschehen lassen. Ins Vertrauen gehen! Nicht ständig rumerziehen an den Kindern. Ständig nörgelig mit sich selbst zu sein und an sich herumzuzerren. Diese immer wiederkehrende Unzufriedenheit mit sich und mit der Familie.
Die Pflanze wächst von selbst. Sie braucht nur Licht, Luft und Wasser und einen guten Platz. Was brauchst du? Licht, Luft und Wasser und einen guten Platz. Dann darf geschehen, was immer auch geschieht.
www.matthias-koenning.de

Mittwoch, 5. Juli 2023

Sei Du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt. (Mahatma Gandhi)


Ja, ich wünsche mir Veränderungen. Wenn ich die Augen öffne, dann sehe ich genug Möglichkeiten, diese Welt zu verbessern, indem sie verändert wird. In meiner Wohnung sehe ich die Spinnweben und Staubflächen. Im Garten das Unkraut. In der Stadt die Häuser, die mal gestrichen werden könnten. In der Stadtverwaltung die Pleiten und Pannen. Beim Bürgermeister die Defizite. Bei den Häusermaklern die hohen Kosten. Und überhaupt die Ungerechtigkeit im Land und die Parteien, die man auf keinen Fall wählen darf. Ich sehe viele Möglichkeiten, die Welt zum Besseren zu verändern.

Die Spinnen in meiner Wohnung werden wiederkommen. Der Bürgermeister ist so wie er ist. Die Makler werden für mich nicht ihre Gebühren verändern. Ich stelle fest, dass ich im Außen nur wenig Möglichkeiten habe. Da bin ich immer auf Zustimmung und Mitarbeit der anderen angewiesen. Immer wieder springt zwar mein Herz an und schreit: "Ungerechtigkeit!" Und ich wünsche mir wirklich die eine oder andere Verbesserung. Aber ich bleibe da schnell in der Ohnmacht.

Mahatma Gandhi gibt mir einen wichtigen Hinweis: "Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt." Ich selbst kann die Veränderung sein! Es geht nicht einmal so sehr um ein Tun. Wenn ich anders denke und fühle trage ich schon zur Veränderung bei. So gehe ich in die Haltung der Dankbarkeit und der tiefen Verbundenheit. Ich wünsche mir und der Welt Frieden und Liebe. Das kann ich immer machen. Zu jeder Stunde des Tages. Auch jetzt. Ich wünsche dir Frieden und Licht!
www.matthias-koenning.de

Dienstag, 4. Juli 2023

Glück ist nichts Äußeres, sondern ein leises Singen der Seele. (Zenta Maurina)


Wie schön! Hast du schon einmal das Singen deiner Seele vernommen? Wenn du es hörst, ist es ein wunderbares Geschenk! Es wird innerlich auf eine bestimmte Weise still. Es ertönt ein feiner Ton, der das Herz trifft. Ein Wohlbefinden breitet sich im ganzen Körper aus. Du bist ganz gegenwärtig. Ganz da! Ganz in Übereinstimmung mit Herz, Kopf und Bauch.
Du kannst es fördern indem du es einlädst. Stell dir vor, dass dein Körperraum und dein Herzbereich wie ein Tempel sind. Ein heiliger Ort. Schirme alle Geräusche von außen ab und bitte deinen Verstand, in eine aufmerksame und wohlwollende Beobachterposition zu gehen. Dein Verstand möge die Aufmerksamkeit auf die Stimme richten, die gleich kommt. Du kannst es mit einem leichten Lächeln unterstützen. Du kannst es auf keinen Fall erzwingen. Es stellt sich ein!
Du bereitest das Nest vor. Du gehst in die Achtsamkeit. Du bist dir selbst Freundin oder Freund. Du hörst auf, im Außen zu suchen und von dort etwas zu erwarten. Die Quelle der Liebe ist tief in dir drin. Sie braucht aber deine Unterstützung, damit du ihren Klang hören kannst.
Hörst du schon das leise Singen deiner Seele?
www.matthias-koenning.de

Montag, 3. Juli 2023

Ein Quantum mehr Selbstfreundlichkeit!

Suche so oft wie möglich nach dem, was verbindet und achte darauf, nicht das Trennende wahrzunehmen.
Jeder Mensch kann sich weiter entwickeln. Du selbst und auch alle anderen.
Auch der, den du nicht liebst, ist ein Kind Gottes und wird von ihm geliebt.
Die Liebe wird dir helfen, fehlerfreundlich zu werden und "gnädiger" mit dir selbst umzugehen.

Wenn du dich nur noch auf die Liebe konzentrierst, wird sich dein Leben radikal verändern.
Entscheide dich jetzt dazu, mit aller Kraft zu lieben, dich selbst und die Menschen, mit denen du zusammenlebst, die ganze Schöpfung und vor allem diejenigen, die du eigentlich nicht magst. 

www.matthias-koenning.de

Samstag, 1. Juli 2023

Das Grün der Wiesen erfreue deine Augen, das Blau des Himmels überstrahle deinen Kummer, die Sanftheit der kommenden Nacht mache alle dunklen Gedanken unsichtbar. (Irischer Segen)


Wie gehst du mit Kummer und mit dunklen Gedanken um? Wo wohnen sie in deinem Körper? Spüre dem einmal nach. Vielleicht sitzt der Kummer im Herzen und die dunklen Gedanken im Kopf? Vielleicht sitzen sie da und strahlen auf deinen ganzen Körper aus. Du spürst die Schwere in den Gliedern. Du entwickelst einen Tunnelblick. Du nimmst nicht mehr wahr, was um dich herum geschieht.
Kummer und dunkle Gedanken sind wirklich schwer zu ertragen. Die dunklen Gedanken kommen oft als ein Grübeln daher. Hier eine Schleife, daraus eine neue Schleife... Du gehst von Schleife zu Schleife und... dann fängst du wieder von vorne an. Die dunklen Gedanken lieben die Worte: Hätte, Sollte, Müsste. Der Kummer liebt den tiefen Seufzer und die Ohs und Ahs.
Die bedrückende Nachricht heißt: Kummer und dunkle Gedanken gehören zum Menschsein dazu. Sei dankbar, wenn du davon nicht zu viel hast. Aber sie sind und bleiben ein Teil von dir.
Der irische Vers leugnet das auch nicht. Er schenkt dir jedoch eine Ergänzung. Wenn du schon Kummer hast, dann möge das Blau des Himmels ihn überstrahlen. Im Lichte des blauen Himmels bekommt der dunkle Kummer eine andere Färbung. Und wenn deine Sorgen dich gefangen halten richte deine Augen auf das Grün der Wiesen.
Dieser Aspekt ist interessant! Der irische Segen schlägt uns eine Art Farbtherapie vor. Im Grün des Lebens und im Blau der Beruhigung findet dein Kummer Trost. Am Tag mag das noch gehen. Der größte Verbündete von kummervollen Gedanken ist jedoch die Nacht. Ich kenne so viele Menschen, die sich tagsüber gut ablenken können, aber beim Einschlafen fangen die Gedanken an zu kreisen. „Die Sanftheit der kommenden Nacht mache alle dunklen Gedanken unsichtbar.“
Auf dem ersten Blick erscheint dir die Nacht wie ein Feind. Er verstärkt die dunklen Bilder und angsteinflößenden Gedanken. Mir gefällt es, das Bild der Nacht zu verändern. Die Nacht kann sehr sanft sein. Als Kind bist du unter die dunkle Decke gekrochen und hast dich versteckt wie in eine Höhle. Ich lege mich also schlafen und entwickle das Bild einer bergenden Höhle. Wenn dann die Gedanken kommen sage ich ihnen: „Ich kann euch nicht sehen, es ist ja dunkel! Erst morgen im Licht des neuen Tages kann ich mich wieder mit euch beschäftigen. Macht es wie ich und legt euch schlafen. Gute Nacht!“
Erinnerst du dich an die schöne Familienserie von den „Waltons“? Zum 
Schluss einer jeden Episode gab es einen kurzen Dialog quer durch alle Schlafzimmer. Das war ein sehr hilfreiches Ritual den Tag abzuschließen. Jeder sagt seinen letzten Gedanken und vergewissert sich, dass alle Familienmitglieder da sind. Dann lassen alle ihre Gedanken los und Stille kehrt ein. Wünsche also deinem Kummer eine gute Nacht und versprich ihm, dass du dich am nächsten Tag wieder darum kümmerst.