Translate

Dienstag, 25. Juli 2023

Je weniger ich von dem war, was ich war, desto besser habe ich mich gefühlt. (Leonard Cohen)

Über viele Jahre meines Lebens hinweg habe ich mich angestrengt, vor mir bestehen zu können. Da gibt es ja die Vorstellung meiner Eltern, meiner Lehrer und der Kirche von einem sinnvollen und guten Leben. Ich wollte ja dazugehören. Teil des Ganzen sein. Meine Eltern fanden Fleiß, Zuverlässigkeit, Ordnung und Höflichkeit sehr wichtig. Ich wusste: Wenn ich mich darum eifrig bemühe, werde ich vor ihnen bestehen und dazugehören dürfen. So hat sich über viele Jahre ein "Ich" gebildet, von dem ich denke, dass das "Ich" bin.
Jetzt, als Erwachsener gibt es immer wieder Situationen, wo ich nach meinem anerzogenen Ich etwas machen müsste, das in mir einen Widerstand hervorruft. Will ich das wirklich oder spricht da im Hintergrund die Stimme meines Vaters? Es kommt mir manchmal so vor, als ob um mich herum sich eine Kruste gebildet hat, wie eine Art zweites "Ich". Wenn ich erkenne, dass das die Stimme meiner Eltern war, dann überprüfe ich, ob ich das loslassen kann. Ich kann Cohen gut verstehen, wie sich das anfühlt, wenn ein Teil der Kruste abspringt. Das, was ich als zu mir gehörig empfinde, ist womöglich gar nicht meins. Es gehört jemand anderem. Ich lasse also ein kleines Stück "falsche" Kruste los und spüre, dass ich auch ohne weiterleben kann und dass es sich ganz gut anfühlt.
Ich erlebe viele Menschen im "mittleren" Alter, die langsam aufwachen und überprüfen, welche Stimmen da im Inneren sind und wo sie hingehören. Das kann ganz schön verwirren, wenn man damit erst einmal anfängt. Stell dir vor, dass du mit einem Rucksack unterwegs bist. So nach und nach ist immer etwas dazugekommen und dein Körper hat sich an die Last gewöhnt. Du weißt gar nicht mehr, wie ein Leben ohne Last sich anfühlen könnte. Jetzt aber ist die Zeit reif, dass du deinen Rucksack öffnest und aussortierst. Was gehört dir oder möchtest du behalten und was kannst du loslassen? Es kann sein, dass es sich am Ende besser anfühlt! Ein wenig leichter und Platz für Neues.
www.matthias-koenning.de

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen