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Dienstag, 5. April 2022

Die Familienergänzerin


Vor einigen Jahren musste ich eine Frau beerdigen, die keine Familienangehörigen hatte. Mehr als fünfzig Jahre war sie in ein und demselben Haushalt tätig als Haushälterin. Sie begleitete die Kinder, die dort aufwuchsen, nahm Anteil an allen Familienereignissen und wurde nach und nach quasi zu einem Teil einer Familie ohne blutsverwandt zu sein. Sie hieß bei allen "unsere Mia". Mia war immer da, sie stand immer zur Verfügung. Wenn Mutter keine Zeit hatte, weil sie im Geschäft war, war Mia zur Stelle. Irgendwo bügelte, putzte oder kochte sie. Irgendwo saß sie und sorgte sich um die kaputten Strümpfe. Sie kannte keine 40 Stunden Woche, sondern war immer anwesend. Die letzten zwei Jahre ihres Lebens verbrachte sie auf einer Pflegestation. Aber die Wahlfamilie kümmerte sich um Mia. Mia wurde nicht vergessen. Bis zum Ende ihres Lebens blieb sie ein Teil der Familie und die Trauer war echt und tief. In der Ansprache nannte ich Mia "Familienergänzerin". Das war ihre Berufung. Sie hat nicht einfach nur den Haushalt versorgt, sondern dort, wo etwas fehlte, das ergänzt und vollständig gemacht. 
Keine Familie auf dieser Welt ist perfekt. Keine Mutter ist perfekt, kein Vater ist perfekt. Jede Familie hat ihre Defizite und Eigenarten. Jeder Familie tut es gut, wenn Verwandte und Freunde mal hereinschauen und etwas "ergänzen". Das ist auch der tiefere Grund einer Patenschaft bei der Taufe. Der Pate, die Patin ist im besten Sinne eine "Familienergänzerin". Er oder sie macht die Mütterlichkeit oder Väterlichkeit vollständiger. 
Eine "Familienergänzerin" erinnert an die Clans von früher. Bauernhöfe mit Mägde und Knechte sorgten dafür, dass jeder in einem Verband eine Bezugsperson hatte. Familienergänzerinnen tragen zur größeren Fülle des Lebens bei. Danke Mia, dass du da warst und danke an alle "Mias" und "Theos" dieser Welt, die sich eine Wahlfamilie ausgesucht haben.


www.matthias-koenning.de 

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