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Montag, 30. Dezember 2013

WhatsApp

Bei einer Geburtstagsfeier saß ich am Tisch mit lauter jungen Leuten. Alle hielten ihr Smartphone in der Hand und "kommunizierten" damit. Ständig ging die Aufmerksamkeit dahin. Piept oder klingelt es gerade? Die Finger huschten und trippelten liebevoll und schlafwandlerisch über das Display. Manchmal zeigten sie sich gegenseitig ihre Geräte und lachten über irgend etwas. Ich verstand nur Bahnhof. Ich fühlte mich ausgeschlossen. Niemand sprach mit mir. Wenn, dann nur so nebenbei.

Meine Nichte hat mich jetzt darüber aufgeklärt, was da los war. Das ist "WhatsApp". Du kannst da ständig mit allen Freundinnen Bilder und Nachrichten austauschen. Das machst du dann den ganzen Tag. Von meiner Nichte habe ich mitbekommen, dass man sich auch völlig überflüssige und nebensächliche "Nachrichten" und "Photos" austauscht. "Ich bin jetzt hier oder da." "Schau mal dieses Eis hier an, cool oder!" "Ist nichts los hier!" "Bis später!" "Ja, bis später!" "Bin schon wieder da, mir ist langweilig!" "Dir auch? Mir auch!" Hauptsache, man ist in Verbindung.

Ich bin ein Dinosaurier der Kommunikation. Ich rede gerne mit einem Menschen direkt mir gegenüber. Ich nehme seinen Gesichtsausdruck wahr, den Klang der Stimme und die Bewegungen des Körpers. Da bleibt mir keine Zeit, auf ein Display zu schauen. Wenn ich das täte, wäre ich nicht mehr im Gespräch.

Ich kann nicht gleichzeitig im Smartphone sein und bei meinem Gegenüber. "WhatsApp" - du bist mein Konkurrent und mein neues Feindbild. Neidisch sehe ich zu, wie die Hand meiner Nichte dich streichelt und dir Zuwendung schenkt. Ein flüchtiger Blick zu mir und ich komme mir uralt vor. Ich bin eben doch schon ein alter Onkel, der sich noch bei facebook aufhält und lange Texte in einem Blog schreibt.

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Sonntag, 29. Dezember 2013

Liebe nach Laotse




Pflicht ohne Liebe mach verdrießlich
Verantwortung ohne Liebe macht rücksichtslos
Gerechtigkeit ohne Liebe macht hart
Wahrheit ohne Liebe macht kritiksüchtig
Erziehung ohne Liebe macht widerspruchsvoll
Klugheit ohne Liebe macht gerissen
Freundlichkeit ohne Liebe macht heuchlerisch
Ordnung ohne Liebe macht kleinlich
Sachkenntnis ohne Liebe macht rechthaberisch
Macht ohne Liebe macht gewalttätig
Ehre ohne Liebe macht hochmütig
Besitz ohne Liebe macht geizig
Glaube ohne Liebe macht fanatisch

Dienstag, 19. November 2013

Das Herz sieht weiter als...

So lautet ein Spruch aus Zentralafrika: "Das Herz sieht weiter als das Auge." Exupery sagt es ähnlich: "Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar." Manche Sprüche sagen wir inzwischen so leicht dahin. Hast du es schon mal probiert, mit dem Herzen zu sehen?
Wenn du deine Augen öffnest, dann nimmst du die Gegenstände um dich herum wahr. Du siehst Bäume, Häuser, Straßen und Menschen. Bei einer Fata Morgana siehst du auch etwas, aber deine Augen täuschen dich. Das, was du siehst, ist gar nicht vorhanden, zumindest nicht vor deinen Augen. Deine Augen sagen dir: Da ist etwas, ich kann es genau erkennen. Das gibt dir ein Gefühl von Sicherheit. Ja, da ist ein Baum. Und wenn du hingehst und ihn anfasst, bekommst du deine Bestätigung. Auch deine Hände teilen dir mit: Ja, das ist wirklich ein Baum.
Wenn da nur nicht die optischen Täuschungen wären? Wiegen deine Augen dich nur in Sicherheit? Ist da in Wirklichkeit vielleicht gar nichts? Die Augen gaukeln dir Sicherheit vor. Deine Augen können vor allem nur bis zum Horizont sehen. Sie sehen einen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit.
Wenn du deine Augen schließt, dann siehst du noch immer! Du siehst mit deinem Bewusstsein die ganze Welt, den Mond, die Sterne, die Planeten, alle Menschen und alle Tiere auf der Welt. Mit den "Augen des Herzens" kannst weiter sehen als das Auge. Mit den "Augen des Herzens" kannst du dich verbinden mit allen Menschen, die du liebst und die dich lieben. Mit dem Herzen kannst du eine tiefere Schicht der Wirklichkeit "sehen" und wahrnehmen.
Normalerweise sind wir mit unserer Wahrnehmung im Kopf, dort wo die Augen sitzen in der Nähe unseres Verstandes. Wir nehmen die Dinge von dieser Stelle oben im Kopf aus wahr. Du könntest dir jetzt vorstellen, wie diese inneren Augen nach unten wandern in die Herzgegend. Jetzt nimm einmal alles von dieser Position aus wahr. Das geht nicht mit den leiblichen Augen, sondern nur mit den Herzensaugen. Von dort aus wird die Welt auf einmal viel größer und weiter.
Die Bibel erzählt uns, dass Gott uns nach seinem Ebenbild geschaffen hat. Vielleicht ist die Sichtweise vom Herzen her die Art, wie Gott wahrnimmt und sieht. Wir können es ihm gleich machen. Oft sind wir leider die wenigen, aber entscheidenden Zentimeter vom Herzen entfernt im Kopf bei unseren leiblichen Augen.
Manchmal verhindern unsere Augen den Gang zum Weg zum Herzen. Vom Kopf zum Herzen musst du nur rutschen. Vom Herzen zum Kopf hast du einen steilen Weg. Manchmal wundere ich mich über uns Menschen, dass wir uns für den schwereren Weg entscheiden. Also: "Das Herz sieht weiter als unser Auge."

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Freitag, 1. November 2013

Mensch ärgere dich nicht!

Du hast im Spiel mit dem Würfel deines Lebens eine Sechs gewürfelt und kommst optimal heraus. Es läuft rund. Alles, was du anpackst, wird etwas. Du bist vollkommen auf dein Ziel ausgerichtet und gehst unbeirrt deine Bahn. Zugleich bist du allerdings innerlich angespannt. Je näher du deinem Ziel kommst, desto mehr Sorgen breiten sich in deinem Inneren aus. Wird dein Glück reichen? Kommst du an? Hoffentlich wird beim Schlussspurt nichts schlimmes geschehen! Deine innere Anspannung steigt.
Und - in dir verändern sich unbermerkt und nach und nach deine Einstellungen zum Leben, deine Leichtigkeit und Gelassenheit. Du erinnerst dich kaum noch an die Anfangsfreude, als alles so glatt lief. Längst hat die Anspannung, die Sorge und die Ahnung einer sich nähernden Katastrophe alle Energie geraubt.
Dann geschieht, was du schon vorausgeahnt oder vielleicht selber kreiert hast. Da kommt plötzlich jemand von hinten und fegt dich aus dem Weg. Es reicht ihm nicht aus, dich zu überholen und einen hämischen Blick zurückzuwerfen. Er muss dich in die Knie zwingen und dich dazu bringen, wieder von vorne zu beginnen. Und das so kurz vor dem Ziel! Der vernichtende Blick im Vorbeiziehen wäre allein schon genug gewesen. Aber das reichte dem Gegner nicht aus. Er musste dich in den Staub stoßen, hinunter in den Abgrund.
Du stehst wieder am Nullpunkt und fängst von vorne an. Dabei schaut dich die ganze Zeit über der Schriftzug auf dem Spielebrett an: "Mensch ärgere dich nicht!" Du ärgerst dich und zwar mehrfach! Über dein Pech, über das Glück des anderen, über deine scheinbar falsche Strategie, über deinen eigenen Ärger, darüber, dass du wieder von vorne beginnen musst usw.
Irgendwann wird dir jedoch bewusst: Hey, es ist ein Spiel! Es ist nur ein Spiel! Und, wenn du diese Erfahrung auf das Leben überträgst? Im Leben ist es nicht so?! Doch, wenn du ehrlich bist - im Leben ist es durchaus manchmal so. Nicht immer so krass, aber in den Grundzügen wird es dir immer wieder geschehen, dass du gut unterwegs bist und dann fällst. Dass du wieder aufstehen musst und weitergehst.
Im Vorgang des Spielens wächst deine Erfahrung und deine Kraft, das Leben besser annehmen zu können. Wenn du im Spiel öfter gefallen und wieder aufgestanden bist, hast du alle Gefahren und Hindernisse mit den damit verbundenen Gefühle schon mehrfach durchlebt. Vor allem die traurigen und ärgerlichen Gefühle konnten sich einmal richtig austoben und verloren ihre Schrecken.
Im "Mensch-ärger-dich-nicht-Spiel" wird dir bewusst, dass du spielst. Jetzt denke noch einmal einen Schritt weiter. Und wenn dein Leben auch nur ein Spiel ist? Ein großes Spiel? Ein heiliges Spiel? Zwar ein ernsthaftes Lebensspiel, aber eben doch nur ein Spiel?
Wenn ich Kinder beobachte, dann stelle ich fest, dass sie im Erleben keinen Unterschied machen. Ihr "ernstes" Leben ist ein fortwährendes Spiel. Ob mit Bauklötzen oder mit dem Essen oder miteinander reden - alles im Kind spielt.
Zurück zum "Mensch ärgere dich nicht". Ist dir folgendes klar? Du kannst jederzeit aus dem Spiel aussteigen und es beenden. Das Spiel spielt nicht mit dir, DU spielst es! Du kannst jederzeit ein anderes Spiel beginnen. Du hast die Freiheit! Werde dir dieser Freiheit bewusst! Wenn du dir dieser Freiheit bewusst bist, wirst du anders spielen als bislang. Nicht mehr so verbissen, nicht mehr so auf Sieg.
Heute ist ein Feiertag. Allerheiligen! Der Beginn des sogenannten Totenmonats November; Einstieg und Ausstieg in das Ende von Allem und zugleich der große Neubeginn - ein Wendepunkt. Ein Feiertag bietet die Möglichkeit zum Ausstieg aus dem Spiel, aus den vielen Lebensspielen! Mach eine Pause von den vielen "Lebensspielen"! Ich sehe was, was du nicht siehst? und das... heißt Himmel! 

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Montag, 29. Juli 2013

Konfrontation mit dem Nickneger

Bis vor Kurzem besaß ich eine Figur, die in früheren Zeiten an der Krippe stand. Diese Figur hatte auch einen Namen: Nickneger. Ich schreibe dieses Wort nicht in Anführungsstrichen, auch wenn es mir total gegen den Strich geht. Das Wort ist diskriminierend, die Figur ist diskriminierend, der Spruch dazu ist diskriminierend und die Absicht, die diese Figur verkörperte ist auch diskriminierend. An der Krippe warf man dem Nickneger ein Geldstück in den Hut. Das Geld war gedacht für die Aufgaben der Mission Zum Dank nickte er stellvertretend für alle Heidenkinder dieser Welt. Für das Nicken sorgt ein verborgener Mechanismus im Inneren der Figur. Der fromme Geldeinwerfer las den Spruch dazu: "Ich war ein armer Heidensohn, jetzt kenn ich meinen Heiland schon. Und bitte darum jedermannn: Nehmt euch der armen Heiden an."
Mein Nickneger verbringt sein Leben jetzt in einer Kiste. Ich packe sie nur zu Demonstrationszwecken aus. Diese oder eine ähnliche Figur stand in der Vergangenheit völlig legal und ohne Skrupel an den großen Kirchenkrippen. Gott sei Dank sind wir vorsichtiger und respektvoller geworden mit dem Glauben anderer Menschen. Es ist gut, dass unser Bewusstsein dafür wächst, mit Wörtern wie Neger, Heiden und Mission anders umzugehen.
Dennoch ist der Nickneger Zeitzeuge einer überholten Vorstellung einer alten Welt, einer christlichen Welt, einer Welt, die unterteilte in Gläubige und Heiden, in Entwickelte und Unterentwickelte. Beim Betrachten dieser Figur kommt bei mir Scham hoch. Ich würde sie nie in eine Vitrine stellen. Zugleich frage ich mich, wie wir heute mit Menschen umgehen, die anders sind als wir. Gibt es das heute auch noch, dass wir Menschen zu unseren Nicknegern machen? Ich tue dir gutes und sei bitteschön auch dankbar dafür.
"Ich war ein armer Heidensohn". Niemals warst du arm! Du warst reich gesegnet mit Kultur, mit Lebensfreude mit Liebe und allem, was der Mensch benötigt.  Niemand braucht sich deiner anzunehmen. Du besitzt deine eigene Würde wie jeder andere Mensch auch!

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Dienstag, 11. Juni 2013

Kinder, die was wollen...

 Ich dachte, der Spruch sei ausgestorben. "Kinder, die was wollen, kriegen was auf die Bollen." Wie so häufig, mache ich interessante Erfahrungen im Supermarkt. Dort sagte ein kleiner Junge zu seiner Mutter: "Mama, ich will ein Eis!" Doch Mama hatte den Spruch drauf. Kinder, die was wollen,... Wunderbar! Das erspart jede weitere Diskussion. Eis gibt es nicht! Fertig! Mama hatte keine Lust auf weitere Diskussionen und Wünsche. Sie war genervt. Vielleicht hatte der Junge ja schon vorher andere Wünsche geäußert, die ich nicht mitbekommen hatte. Ich hörte nur den Spruch: Kinder, die was wollen...
Ich hätte mich gefreut, wenn Mama gesagt hätte: "Junge, ich sehe deinen Wunsch zwar, aber heute bekommst du kein Eis. Ich möchte mich jetzt um unsere Einkäufe kümmern. Morgen kannst du noch mal fragen. Aber jetzt in diesem Augenblick nicht!" Der Spruch mit den Bollen greift tiefer als man denkt. Es spricht den Kinder ab, einen Willen zu haben. Der Wille ist wichtig, die Wünsche und Bedürfnis, die damit verbunden sind, auch. Ich bin mit diesem Spruch groß geworden. Kinder hatten nichts zu wollen und zu wünschen sondern dankbar zu sein für das, was da war. Die Eltern bestimmten, was für uns Kinder gut und richtig war. Wir waren als Kinder unmündig. Das wir damals noch nicht so erfahren waren wie Erwachsene, das kann ich teilen. Aber das mit dem Absprechen meines Willens, das kann ich nicht teilen.
Zunächst geht es doch darum, die Wünsche und Bedürfnisse wahrzunehmen und auszudrücken in der Hoffnung, einfach zunächst mal gehört zu werden. Wie sollen Erwachsene ihre Bedürfnisse kennen, wenn diese als Kinder schon im Keim erstickt wurden. Nicht jeder Wunsch muss sofort erfüllt werden! Aber da sein dürfen!
Das bekannte Sprichwort steigert die vorhandenWünsche auch noch mit einer Strafandrohung. Hör auf zu wollen, sonst sind die Oberschenkel dran! Warum wohl die "Bollen?" Wegen des Reimes? Wenn ich auf die Hinterseite der Oberschenkel schlage, geht der Mensch in die Knie. Geht es also doch um die Brechung des Willens?
Willenlose Menschen sind leichter zu händeln, aber nur auf den ersten Blick. Willenlose Menschen haben es schwerer, im Leben zurecht zu kommen. Solange sie klein sind, können die Eltern ja die Konsequenzen ihrer Erziehung tragen und das Wünschen und Wollen übernehmen. Aber wehe, aus den Kindern werden Erwachsene. Es dauert, bis der verschüttete Wille aus der Kindheit wieder auftauchen darf! Ich möchte den Spruch verändern in: "Kinder mit einem starken Willen sind besser in der Lage, für ihre eigenen Bedürfnisse zu sorgen."

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Montag, 27. Mai 2013

Wenn der Flügel nur herumsteht!

Als wir in dieses Haus einzogen stand da noch ein alter schwarzer Flügel in der Diele. Niemand wollte ihn haben, die Tochter der verstorbenen Frau nicht und auch ncht die Musikschule. Der Flügel war verstimmt und einige Hundert Euro Investitionskosten hätte es schon gebraucht.
Ich besitze eine Klarinette aus dem "Baujahr" 1911. Ungefähr fünf Jahre lang habe ich dieses Instrument gespielt. Seit jetzt mehr als 20 Jahren liegt es im Köfferchen und ab und zu schaue ich mal rein. Ein alter Flügel und eine betagte Klarinette, die nicht mehr gespielt werden. Zum Glück "funktioniert" meine Klarinette noch.
Viele Menschen erzählen mir ähnliches: Ich habe mal gestrickt vor langer Zeit. Ich konnte mal richtig gut Tennis spielen. Ich war mal Leistungsschwimmer! Generationen von Blockflötenspielern sind in unserem Land großgeworden. Wo mögen diese Flöten nun liegen? Viele von uns investieren in der Kindheit in eine Fähigkeit und in ein Talent, das irgendwann nicht mehr gepflegt wird. Vielleicht steckten dahinter nur die verborgenen Wünsche unserer Eltern. Sie wollten mal musizieren und durften das nie.
Manchmal haben wir uns aber einfach nur weiterentwickelt und das, was wir früher mochten, ist heute nicht mehr dran. Aber wir schleppen die Dinge aus der Vergangenheit noch mit uns herum. Hast du mal deinen Keller, die Schränke oder den Dachboden durchforstet nach Relikten aus deiner Vergangenheit? Konntest du dich von ihnen trennen?
Manche sagen mir: Ich könnte ja mal wieder... Ich würde ja gerne mal wieder... aber! Eines ist klar! Wenn du zu viele Relikte aus der Vergangenheit mit dir herumträgst, kann dein Inneres schnell zu einem Friedhof werden. Räum mal auf und wirf weg oder verschenk, was du nicht mehr brauchst! Du wirst merken, so kann auch Neues zu dir kommen!

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Mittwoch, 13. März 2013

Sei vollkommen, aber nicht perfekt!




Perfektion oder Vollkommenheit! Gibt es denn da einen Unterschied? Ist Perfektion nicht das Gleiche wie Vollkommenheit? Im Alltag gebrauchen wir beide Worte oft wie Synonyme. Für mich gibt es dennoch einen großen Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen und es könnte hilfreich sein, da einmal genauer hinzuschauen.
Der Duden spricht bei „Perfektion“ von der höchsten Vollendung oder der Meisterschaft bei der Verrichtung einer Tätigkeit. Das ist durchaus verständlich. Wir wünschen uns ja ein Waschmaschine, die wirklich funktioniert und nicht nur so ungefähr. Auch beim Hausbau macht es Sinn, dass die Mauern gerade und die Fugen dicht sind. Eine perfekte Handwerksarbeit ist schon erstrebenswert. Zugleich bedeutet „perfekt“ jedoch auch, dass etwas „abgeschlossen“ ist und damit zur Vergangenheit gehört. Was abgeschlossen ist, kann man dann auch getrost loslassen.  
Was für eine Waschmaschine noch verständlich ist, kann für andere Lebensbereiche jedoch eine Überforderung sein. Viele Menschen möchten in allem nach Perfektion streben.  Neben den exakten Anforderungen an den Beruf, haben wir vielleicht auch noch den Anspruch an uns als perfekte Mutter, als perfekter Vater und meinen damit eine möglichst fehlerfreie Erziehung der Kinder. Oft geht es dabei um Vermeidung von Fehlern und um die Scham, die aufkommt, etwas nicht gut genug gemacht zu haben. Da klingeln alte Sprüche von früher in unseren Ohren: „Kind, das musst du noch einmal machen, das ist nicht gut genug. Das ist noch nicht perfekt!“
Ich habe noch das Schreiben mit dem Griffel auf einer Schiefertafel gelernt. Jeden Schultag mussten wir eine ganze Tafel mit runden Bögen gestalten exakt von Linie zu Linie – nicht drüber und auch nicht drunter. Es sollten perfekte Bögen sein. Meine Bögen waren nur selten perfekt. Mutter nahm dann oft den Lappen und wischte alles wieder weg. Ich musste von vorne beginnen und durfte so lange weiterschreiben, bis sie einigermaßen zufrieden mit meiner Arbeit war. 
Jede und jeder von uns kann eine ähnliche Geschichte erzählen von mehr oder weniger gelungenen Entwicklungsschritten. Am Ende entwickelt sich manchmal ein Perfektionszwang, der das Leben erschwert und förmlich vermiesen kann. Da reichen dann nicht die achtzig Prozent gelungene Arbeit, es sollten wenigstens hundert und ein Prozent sein, besser noch mehr. Für die letzten Prozentpunkte strengen wir uns dann auch noch übermäßig an. Die Folge ist irgendwann der innere Zusammenbruch und die Kapitulation.
Mein Vorschlag: verzichte auf die Perfektion und sei einfach vollkommen! Wie meine ich das? Ich muss dazu eine kleine Geschichte erzählen. Vor einiger Zeit war ich zu einem Empfang eingeladen und  eine Gruppe von Grundschulkindern sorgte für das musikalische Rahmenprogramm. Ungefähr zehn Jungen und eine Lehrerin betraten mit ihren Käppis auf dem Kopf die Bühne, stellten sich auf, zogen das Käppi von der Stirn und legten es mehr oder weniger elegant auf den Bühnenboden. Dabei standen sie breitbeinig da wie eine Eins in völliger Selbstsicherheit. Das war schon professionell. Die „Käppi-absetzen-Aktion“ sorgte für ausgesprochenes Vergnügen bei den Zuschauern. Dann sangen sie ihr erstes Lied. Meine musikalisch feinfühligen Ohren horchten auf: da singt doch ein Junge schief! Er singt zwar eine Melodie, aber eine, die mit dem ursprünglichen Lied nichts mehr zu tun hat. Ich konnte ihn sofort identifizieren. Alle anderen Kinder sangen super genau die Töne des Liedes. Aber der eine Junge sang schief. Ohne jeden Zweifel! Durch ihn wurde der Auftritt alles andere als perfekt. Zu meiner Kinderzeit wurden Kinder, die „nicht singen“ konnten, vom Singen ausgeschlossen. Doch dieser Junge war dabei. Er sang jenseits aller Perfektion. Und wie lautete mein innerer Kommentar? Es war vollkommen! Da war pure Freude und Vergnügen beim Singen. Da gab es einen Zusammenhalt in der Gruppe und das Selbstverständnis, ein Teil eines großen Ganzen zu sein. Der Auftritt dieser Kinder sorgte bei allen Zuhörern für Freude und Wohlwollen. Es war vollkommen! 
Was macht Vollkommenheit aus? Fehler in der Umsetzung von Aufgaben kann es durchaus geben, Qualitätsstandards werden vielleicht nicht erreicht. Aber dafür gibt es keinen Druck von Überforderung. Keiner bewertet dich, schimpft mit dir oder macht dich klein. In der Vollkommenheit bist du in deinem Tun völlig im Sein. Du bist die pure Lebensfreude.
In der Bibel sagt Jesus einmal: Seid also vollkommen, wie es auch euer himmlischer Vater ist. (Mt 5,48) In der Regel hören wir oft den Anspruch von Perfektion, hier an dieser Stelle eine moralische Perfektion. „Sei die beste Mutter, der ideale Vater, der tollste Ehemann und die perfekte Ehefrau!“ Gemeint ist biblisch etwas völlig anderes als eine moralische Höchstleistung. Im Hebräischen lautet es ursprünglich: sei „tamim“, wie es auch Gott ist. „Tamim“ heißt übersetzt „ganz“, „vollständig“, „ungeteilt.“ Damit ist also die Einladung ausgesprochen, mit seinem Herzen ungeteilt bei dem zu sein, was man gerade fühlt, denkt oder macht. Auf das Singen übertragen würde das heißen: singe nicht perfekt, aber singe mit ganzem und ungeteiltem Herzen. Mache es vergnügt und spüre dabei die Leichtigkeit und die Freude.
So ist Gott! Gott ist tamim! Gott ist mit seiner ungeteilten Aufmerksamkeit ganz bei uns. Er erfreut sich an seiner Schöpfung, er freut sich über uns. Er sieht unsere Entwicklungen und ist einfach nur da für uns. Es geht Gott nicht um Perfektion, sondern um das „Tamim – Vollkommensein“. Es gilt, sein Leben zu bejahen mit Haut und Haaren, mit der Vergangenheit, mit allen Gefühlen und mit allen erlebten Geschichten. Klammer nichts aus und heiße alles willkommen, was zu dir gehört.  Neben dem Verzicht auf den inneren Kritiker kann es in der Fastenzeit eine wunderbare Ergänzung geben: sei da mit deinem ungeteilten Herzen und mit ganzer Aufmerksamkeit!

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