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Montag, 7. November 2022

Verbinde dich mehr!



Wie schnell kann es geschehen, dass ich mich getrennt fühle. Dazu reicht schon ein kleiner Anlass mit großen Auswirkungen. Ich stehe zum Beispiel am Morgen auf und möchte mit dem Fahrrad zum Bahnhof fahren. Mein Hinterrad ist platt und ich kann nicht fahren. Und schon gibt es „trennende“ Gedankenketten. Ich mag mein Fahrrad eh nicht mehr, weil es alt ist und schwerfällig läuft. Ich verliere Zeit und muss nun ganz schnell laufen wenn ich den Zug noch bekommen möchte. Ich fühle mich unwohl in meiner Kleidung, weil ich verschwitzt im Zug sitzen werde. Ich bedaure mich jetzt schon am frühen Morgen, weil ich am Ende ja auch wieder zurücklaufen muss. Dann stellt sich mehr und mehr ein Gefühl von Trennung ein.
Ich fühle mich getrennt von meinem Fahrrad, getrennt von meinem Körper, getrennt von der Tagesenergie und getrennt von einem Wohlgefühl. Zum Glück erlebe ich solche Zustände nicht jeden Tag. Aber sie passieren immer wieder und kommen in der Regel ganz plötzlich. Da gibt es ein Ereignis, ein Gefühl oder einen Gedanken und schon befinde ich mich in einem abgetrennten Zustand.
In welchen Situationen erlebst du ähnliches? Du fühlst dich wohl und dann geschieht etwas, das dich aus deiner Mitte bringt. Ein bestimmter Tonfall deines Partners. Ein Vorwurf. Ein Missgeschick. Die Erinnerung an eine Kränkung. Du kommst mehr und mehr in ein isolierendes Gefühl. Da drüben ist die Welt und hier bin ich. Dazwischen ist ein Abgrund und eine Brücke kann ich nicht wahrnehmen. 
Zugleich ist das aber auch ein Teil unserer ganz normalen Wirklichkeit. Wir sind nun einmal kein Einheitsbrei. Eine große menschliche Masse von einem einzigen Körper. Wir sind nicht die Erde, aber ein Teil davon. Sobald das Bewusstsein meiner selbst in mir da ist, bemerke ich den Unterschied. Da gibt es das Gegenüber mehr oder weniger entfernt und das unterscheidet sich von mir.
Diese Feststellung hat noch keine Bewertung. Da bin zunächst einmal ich und dort gegenüber bist du. Wir sind zwei verschiedene Menschen, die unterschiedlich denken und fühlen. Du könntest auch nicht in mich hineinkriechen und fühlen wie sich meine Gefühle anfühlen. Ich kann das auch nicht bei dir. Ich kann mir vorstellen wie es sich anfühlt, wenn du dich freust. Weil ich ähnliche Gefühle kenne und vergleichen kann. Aber wie tief deine Freude ist wüsste ich nicht.
Ein Chinese könnte mir etwas von China erzählen und ich bekomme Bilder im Kopf von Häusern, Bergen und Bäumen. Meine Bilder werden aber nur ähnlich sein wie die Bilder meines chinesischen Freundes. Und meine Bilder werden sich eher fremd anfühlen und die inneren Bilder des Chinesen wie Heimat.
Sich von den Menschen und Dingen getrennt zu wissen ist also zunächst einmal natürlich. Die Welt besteht aus Milliarden von einzelnen Wesen. Ich bin nicht mein Fahrrad, wenn ich morgens losfahren möchte. Ich bin ich und ich besteige mein Fahrrad, das von mir ganz verschieden ist. Das Fahrrad lebt in der Fahrradwelt und ich in der Menschenwelt. Und zwischen uns gibt es einen Schnittpunkt wenn wir Zeit miteinander verbringen.
Aber was geschieht, wenn ich am Morgen vor meinem platten Reifen stehe? Dann löst das in mir ein Gefühl und einen Gedanken aus. Ich fühle mich unwohl. Ich spüre etwas, das sich wie Ärger anfühlt. Ich bedenke die Konsequenzen und den Zeitverlust und die Arbeit und die Kosten, die auf mich zukommen. Zwischen meinem Fahrrad und mir entwickelt sich ein Konglomerat von Fragen, Befürchtungen und Ärger. Es entsteht mehr und mehr ein Raum der Trennung. Das Fahrrad entfernt sich zwar nicht räumlich von mir, aber gedanklich und gefühlt.
Je weiter sich das Fahrrad entfernt, desto entfremdender können auch meine Impulse werden. Was habe ich falsch gemacht? Habe ich nicht aufgepasst? Bin ich über eine Glasscherbe gefahren? Habe ich mein Fahrrad nicht genug gepflegt? Bin ich vom Pech verfolgt? Womit habe ich das verdient!
Durch solche oder ähnliche Gedanken vergrößere ich die Entfernung zum Fahrrad immer mehr. Der Kreis der Entfremdung wird noch größer, wenn ich das platte Fahrrad als Symbol für mein ganzes Leben sehe.
Was habe ich in den letzten Wochen alles platt gemacht? Bin ich vom Wesen her unaufmerksam oder zerstörerisch? Wo verfolgt mich das Pech denn noch? Warum muss ich immer über Glasscherben fahren? Das wird ein teures Jahr! Die anderen Menschen haben viel mehr Glück und sind bevorzugt. Womit habe ich das verdient!
Auf einmal bin ich voller Fragen, die in die tiefere Trennung führen und die Antworten, die ich erhalte, lassen mich wiederum tiefer sinken in die Traurigkeit. Das nennt man dann wohl Depression.
Vielleicht denkst du, dass das mit dem Fahrrad übertrieben ist. Du machst dir da keine Gedanken oder Gefühle zu. Du reparierst einfach und dann ist alles wieder gut. So mache ich das auch - normalerweise. Aber nicht unbedingt am frühen Morgen, wenn ich losfahren möchte.
Das Fahrrad ist auch nur ein Beispiel. Schlimmer wird es ja dann, wenn es um konkrete Menschen geht, die ich mag. Du sitzt am Sonntag mit deiner Familie am Frühstückstisch und alle wollen einen Ausflug machen. Du aber nicht. Du hast eigentlich etwas vor, worauf du dich die ganze Woche schon gefreut hast. Deine Familie strahlt dich an und möchte mit dir den Ausflug machen. Was machst du? Spürst du den Stich in deinem Herzen? Oder kannst du deine Pläne sofort über den Haufen werfen und dich mitfreuen? Oder kommen dir Trennungsgedanken wie: „Schon wieder werde ich nicht gesehen mit meinen Bedürfnissen. Eigentlich möchte ich heute lieber etwas für mich machen. Ich verderbe sowieso allen die Laune wenn ich so missmutig mitfahre.“
Wenn du ehrlich bist wirst du feststellen, dass ein Tag nie so genau verläuft wie du es dir ausgedacht hast. Es kommt immer etwas dazwischen. Selten läuft es völlig reibungslos und nur zu deiner Zufriedenheit ab. Ständig ist deine Fähigkeit gefragt, spontan umzudenken. Vielleicht gehörst du zu den Menschen, die das sogar mögen und für die das kein Problem ist. 
Leider bewerten wir oft die Ereignisse und machen uns das Leben dadurch schwerer als wir müssten. Außerdem befinden wir uns in einer Welt, die Trennung über alles liebt. Beim Fußball braucht es zwei Mannschaften, die gegeneinander kämpfen. Wenn du die Nachrichten anschaust hörst du nur von Skandalen, Intrigen, Verlusten und Katastrophen. Du wirst förmlich überschüttet mit Negativität. Die Welt ist korrupt und schlecht. Die Feinde lauern überall – in Russland, Syrien und in den USA. Die eigenartigen Präsidenten bekommen mehr Aufmerksamkeit als sie verdienen.
Was geschieht aber mit dir und deinem Geist, wenn du diese Negativität ungefiltert zulässt? Du wirst überschüttet mit Adrenalin und Kortisol. Lauter Hormone, die dich in einen Stresszustand versetzen. Du kommst in so eine Art Überlebensmodus. „Wie schaffe ich es, bis morgen nicht unterzugehen!“ Du kommst aus deiner Mitte und aus deinem Gleichgewicht. Du wirst anfällig für falsche Heilsversprechen, für die Werbung, die dir ein besseres Leben verspricht und für Versicherungen, die du eigentlich nicht brauchst. Du erlebst dich wie eine ängstliche Maus in einem gefährlichen Dschungel. Morgen schon bist du tot. Dir bleiben noch wenige Stunden.
Das Leben kann immer einmal wieder gefährlich werden. Ganz normal. Ich kann etwas essen, das ich nicht vertrage. Ich kann einen Verkehrsunfall haben. Ich kann arbeitslos werden oder schwer erkranken. Ich muss es mir aber nicht ständig herbeidenken. Die Welt ist voller Möglichkeiten, trennende Gefühle und Gedanken zu produzieren. Die Wirtschaft liebt das, weil sie damit ihr Geld verdient. Entweder durch Verlockungen oder durch Angst.
Sind wir Menschen also hilflos und dem Schicksal ausgeliefert? Wir befinden uns im Frieden und leben im Geiste so, als hätten wir Krieg!
Wenn wir Menschen bewusste Wesen sind, dann können wir uns entscheiden. Wir können uns dafür entscheiden, dass wir uns lieber verbinden. Ich kann in jeder noch so lebensfeindlichen Situation einen verbindenden Gedanken entwickeln oder ein verbundenes Gefühl. Das ist auf jeden Fall heilsamer für meine Seele.
Ich kann also am Morgen vor meinem platten Fahrrad stehen und mich freuen über die vielen Fahrten mit einem heilen Reifen. Ich kann planen, wie ich es lustvoll wieder ans Laufen bekomme. Ich kann überall hin einen liebenden Gedanken schicken. Wenn mein Arbeitgeber mit mir unzufrieden ist kann ich ihm dennoch einen lichtvollen Tag wünschen. Wenn ich die innere Freiheit habe!
Dazu braucht es so etwas wie eine Grundsatzentscheidung, die ich jeden Tag erneut treffe. Egal, wie viel Trennendes ich erlebe und mir begegnet – ich entscheide mich für die Verbindung. Ich kann mich sogar mit meinem „Trennungsgefühl“ verbinden. Ich spüre zum Beispiel einen inneren Ärger und habe Verständnis für mich. Es macht Sinn, ärgerlich zu sein und ich bin mit mir ganz einverstanden.
Wenn ich mich verbinde, dann sehe ich mehr die Möglichkeiten als den Mangel und die Einschränkungen. Wenn ich aber in meiner Kränkung bleibe, dann bekomme ich nichts. Ich bin gekränkt und enttäuscht und habe zusätzlich jetzt die Isolierung und Einsamkeit. Erst, wenn der andere auf mich zukommt und sein Unrecht einsieht, komme ich heraus aus meinem Schneckenhaus. Das kann ich so machen, aber währenddessen sitze ich dort in meiner einsamen Ecke und habe Trennungsgefühle.
Wie kann es uns gelingen, dass die Trennungen nicht mehr so viel Macht über uns haben? Dass wir uns nicht mehr so schnell hinreißen lassen von den negativen Einflüssen? Wenn ich mich erinnere an meine mir innewohnenden göttlichen Qualitäten, wächst die Bereitschaft, damit auch zu arbeiten. Das braucht Lust, Bewusstsein, Entscheidung und Training.
Wenn ich mein Leben als ein Geschenk betrachte dann befinde ich mich in einem Gefühl der Verbundenheit. Ich kann dieses Geschenk behüten, pflegen und es wertschätzen. Ich kann jeden Tag etwas dafür tun, dass ich den Blick dafür nicht verliere, sondern das „geschenkte Feld“ vergrößere.
Die schöpferische Qualität, mit der wir Menschen das machen, nennen wir Liebe. Lieben ist also die einfachste Art und Weise, sich immer wieder zu verbinden wenn etwas Trennendes auftaucht.
Wenn ich liebe dann spürt das mein ganzer Körper. Er wird überflutet von Dopamin und Serotonin. Von den Hormonen also, aus denen der Glücksfaktor zusammengesetzt ist. Der Kern der christlichen Botschaft ist nicht eine Kirchenverfassung sondern die Frage nach dem Gelingen der Liebe. Wie sähe eine Kirche aus, die wirklich liebt? Was wäre da anders? Wie sieht dein eigenes Leben aus, wenn du ganz in der Liebe bist? Bist du es womöglich schon? Das wäre fantastisch! Auf jeden Fall wünsche ich dir noch mehr davon. Mögest du in der Liebe und im Bewusstsein der Verbundenheit reich gesegnet sein.

Samstag, 5. November 2022

Wer anderen eine Blume sät blüht selbst auf.

Das gefällt mir. Ich möchte dir gerne eine Blume säen. Ich freue mich, wenn ich etwas Licht in dein Leben bringen darf. Wenn ich dir sagen darf, ein wie wundervoller Mensch du bist. Wenn ich wahrnehmen darf, was du alles für Fähigkeiten und Begabungen hast. Und wie du das so hinbekommst mit dem Leben. Ich sehe, wie du jonglierst mit den vielen Bällen von Beruf, Beziehungen, Hobbys, Selbstfürsorge und Reisen. Wenn ich mitbekomme, wie du jedes Jahr reifer und prächtiger geworden bist. Wie deine Blüten aufgegangen sind und sich enfaltet haben. Und wie geschickt du Sonne tankst und dem Boden die Nahrung entziehst, die du brauchst.
Dir eine Freude zu bereiten bereitet mir selber auch Freude. Es geht gar nicht anders. Wenn ich schreibe, dann merke ich, wie sich so freudvolle Gedanken und Gefühle in mir ausbreiten. Wenn ich Blumen säe, dann wächst eine doppelte Freude. Die Blumen existieren in sich und ich darf mich daran erfreuen. Und wenn ich dir Blumen säe, dann werde ich nicht ärmer. Ich gebe nichts von mir, dass dann komplett bei dir wäre und nicht mehr bei mir. Ich blühe wirklich mit auf. Eine sehr schöne Motivation, großzügig zu sein.
An Karneval werfen die Jecken Kamelle. Immer aus dem Vollen. Irgendwann sind die Töpfe leer. Aber es gab eine geheimnisvolle Verwandlung. Die Töpfe leer, die Herzen voll. Wer anderen eine Blume sät büht selber auf.
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Freitag, 4. November 2022

An etwas Gutes erinnert man sich, das Böse geht einem nicht mehr aus dem Sinn. (aus Finnland)


Worüber hast du dich heute gefreut? Fällt dir etwas ein? Worüber hast du dich vor zwei Wochen gefreut? Was ist dir in den letzten Wochen Gutes passiert? Jetzt denkst du vielleicht nach und dann bekommst du eine Idee! Ja! Ich war doch eingeladen zum Geburtstag. Es war nett! Ich habe da diese interessante Frau kennengelernt. Das war ein sehr schöner Abend. Jetzt, wo du danach fragst, fällt es mir auch wieder ein.
Das Gute gerät aber so nach und nach in Vergessenheit. Es taucht nur wieder auf, wenn ich mich bemühe. Wenn ich nachdenke. Wenn ich mich erinnere. Die Aktivierung des schönen Ereignisses wird für mein System nicht mehr gebraucht.
Wenn mich etwas schockiert, dann bleibt das im Körper hängen. Sofort bekomme ich einen Adrenalinschub. Bloß nicht weiter da dran denken. Das Ereignis geht mir nicht mehr aus dem Sinn. Wenn ich mich selber frage, wann ich denn mal etwas Schreckliches erlebt habe, dann reihen sich die Ereignisse wie Perlen an einer Schnur. Es läuft ab wie ein Film.
An das Gute kann ich mich durch nachdenken aktiv erinnern und mich freuen. Das Böse steckt noch in den Knochen. Was mache ich mit dieser finnischen Weisheit? Wenn ich möchte, dass ich entspannt und ausgeglichen bin dann arbeite ich lieber an meinen positiven Erinnerungen. Ich lasse das Gute in mir groß werden. Ich tue aktive etwas dafür. Und ich passe auf mich auf, dass ich mich nicht suhle in den negativen Ereignissen. Nicht ständig erinnern! Nicht immer wieder sich selbst quälen. Es zumindest nicht auch noch forcieren. Und zugleich eine innere Friedensarbeit mit sich machen. "Auch, wenn mir dieses Ereignis in den Knochen steckt, darf ich weiterleben. Danke!"
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Donnerstag, 3. November 2022

Das Blöde am faul sein ist, du weißt nicht, wann du fertig bist.

Eigentlich leben wir in zwei Welten, die sich prinzipiell voneinander unterscheiden. Die Welt der Aktivität, des Fleißes und des Tages und die Welt der Passivität, der Faulheit und der Nacht. Beide Welten existieren nebeneinander, berühren sich ein wenig und fordern von mir ständig einen kompletten Wechsel in meiner Art, da zu sein auf dieser Welt. Wir machen das zum Glück automatisiert. So kostet es uns nicht so viel Kraft.
Wenn ich eine Aufgabe habe und sie erledige, dann weiß ich am Ende, wann ich fertig bin. Ich sehe das Ergebnis. Wenn ich im Wachbewusstsein einen Plan entwerfe dann kann ich einschätzen, wie weit ich bin in der Umsetzung und wie lange ich noch brauche. Was die Hindernisse sind und wie ich sie überwinden kann. Das alles läuft mehr oder weniger strukturiert ab. Dieser Teil meiner Welt hat ein eigenes Wording: Adrenalin und Kortisol, Stress, Tatendrang, Umsetzungsenergie, Power, Kraft und Energie, Fleiß.
Wenn ich mich zurückgelehne in meinem Sessel und anfange, mit dem Denken aufzuhören schaltet mein System um auf Entspannung. Das Gehirn wechselt in den Alpha Zustand. Die Aufmerksamkeit geht in den Körper und ich kann mehr spüren wie er sich anfühlt. Da verlangsamt sich etwas. Die Zeit hört auf zu existieren. Im Zustand der Entpannung gibt es ja nichts zu tun. Ich brauche einen Wecker am Morgen, der mir hilft, mich wieder in den anderen Modus einzufühlen. Auch diese Welt hat ein eigenes Wording: Serotonin, Oxytocin, ausruhen, entspannen, loslassen, Stille, Passivität, Kontemplation, Faulheit.
So wird es klar, warum Fleiß zeitorientiert ist und faul sein sich der Zeit entzieht. Mit der Passivität bin ich fertig, wenn ich fertig bin. Wenn es sich so anfühlt, als sei es jetzt gut. Das kann fünf Minuten dauern oder auch drei Stunden. Wenn du sehr entspannt bist, wirst du den Zeitraum gar nicht wissen. Wenn du also so richtig faul bist könnte es peinlich werden, wenn du dabei erwischt wirst von der anderen Seite des Lebens. Der Fleiß hat für das entspannte Dasein kein Verständnis. Er versteht es nicht und hat kein Verständnis. Er tickt ja völlig anders. Die Faulheit ist für ihn eine fremde Welt. Der Fleiß vergleicht ja auch. Im Verhältnis zu ihm ist die Faulheit der Gegenpol. Faulheit ist auch das Wording für das Nichts tun aus der Sicht von Fleiß. Wenn ich Faulheit fragen würde nach der Selbstbezeichnung dann würde sie vielleicht sagen: Ich gebe mich der Muße hin. Sie würde Fleiß auch eher sehen als Unfähigkeit müßig zu sein. Die Muße hat ja nicht einmal ein Verb für das eigene Tun, weil es nicht in diese Kategorie gehört. Müßen? Muße ist ein Seinszustand - etwas jenseits von Raum und Zeit und Tun.
"Das Blöde am faul sein ist, du weißt nicht, wann du fertig bist."- mischt zwei Welten, die nicht zusammenpassen. Darum kommt dir der Satz auch komisch oder sperrig vor.
Wie erlebst du diese beiden Welten? Welche ist dir vertrauter? Welche magst du mehr? Wo fühlst du dich eher wohl? Was ist dir angenehm oder unangenehm? Und vielleicht gibt es ja eine Neugier, die unbekanntere oder beängstigendere Welt zu besuchen und sich mit ihr vertrauter zu machen.
Jede Welt birgt eine eigene und besondere Qualität. Mein Verdacht geht da hin, dass wir die "Faulheit" noch nicht wirklich entdeckt haben in ihrer Ressource. Da gibt es noch ein paar Geheimniss, die wir Menschen lüften dürfen. Sie zeigen sich leider nicht mit den Mitteln der aktiven Welt. Sie zeigen sich eher, wenn du still wirst. Wenn du länger still wirst und wenn es dir gelingt, der aktiven Welt zu enfliehen. Dann zeigt sich etwas. Das, was sich zeigt, ist eher wortlos. Es lässt sich eher umschreiben in Bildern oder Vergleichen. Das Schöne am faul sein ist, dass nicht fertig werden musst.
www.matthias-koenning.de


Mittwoch, 2. November 2022

Auch wenn es blöd ist, ich bleibe!

Ich bin eingeladen zu einem Geburtstag. Viele Gäste sind da und viele finde ich nett. Es könnte ein netter Abend werden. Da gibt es einen Gast, der wohl gerne im Mittelpunkt steht. Er kommentiert alles, weiß zu jedem Thema etwas zu sagen. Hat einen leicht schrägen Humor. All die netten anderen Gäste werden stiller und stiller. Und irgendwann ist es wirklich blöd. Soll ich gehen? Es macht ja schließlich überhaupt keinen Spaß mehr. Auch wenn es blöd ist, ich bleibe!

Ich gehe ins Kino weil mir der Film eine gute Unterhaltung verspricht. Die ersten Minuten langweilen mich. Es wird nicht besser. Hier und da ein Lichtblick. Aber nur unwesentlich. Ich könnte jetzt einfach aufstehen und gehen. Neun Euro für nichts! Auch wenn es blöd ist, ich bleibe!

Ich war mal mit einer Gruppe in der Oper in Barcelona. Eine lyrische Oper wurde gespielt. Wir saßen auf Plätzen, wo wir die Bühne nicht sehen konnten. Oper auf dem Bildschirm vor der Nase. Lyrische Oper? Keine emotionalen Höhen und Tiefen. Für meine Ohren Sprechgesang. Zwei Stunden aushalten bis zur ersten Pause. Ein kurzes verständnisvolles Nicken. Wir gehen! Es ist uns zu blöd!

Was ist gut daran zu bleiben, auch wenn es blöd ist? Alles im Leben muss ständig toll sein. Toller Urlaub! Wunderbarer Arbeitsplatz! Klasse Auto! Alles immer wunderbar! Wer kann diesen Leistungsdruck nur aushalten? Wenn ich immer nur auf der Sonnenseite des Lebens sein muss komme ich ganz schön ins Schwitzen!
Langeweile ist auch mal gut. Es muss nicht immer alles toll laufen. So ungefähr ist auch in Ordnung. Es darf auch mal blöd sein. Auch mal ganz blöd. Dann ist es eben blöd. Wenn es blöd ist kann ich auch mal Blödsinn machen. Blödsinn kann ganz schön sinnig sein!
Ich sitze also beim Geburtstag diesem Menschen gegenüber, der das ganze Feld beherrscht. Es ist ziemlich blöd! Blödem begegne ich mit Blödsinn! Dann mache ich doch mal Blödsinn! Ich übertreibe. Ich stelle absurde Behauptungen auf. Ich verteile Komplimente an die Gastgeberin. Ich lade ein, mal die Plätze zu tauschen. Ich fasse den Entschluss, den nervtötenden Redner durch ständiges Nachschenken zum Schweigen zu bringen. Gerade wenn es blöd ist bleibe ich! Gute Laune kann ja jeder! Endlich mal eine blöde Situation. Ich nehme die Herausforderung an!
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