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Mittwoch, 16. August 2017

Die Aufpasserin!

Sie sitzt auf dem Rasen und hat einen Stuhl mitgebracht auf dem sie es lange aushalten kann. Die Sonnenbrille schützt sie vor der Sonne und macht sie auch ein wenig unsichtbar. Für viele Stunden schaut sie in eine ganz bestimmte Richtung. Ihr Schild um den Hals deutet darauf hin, dass sie zu einer Einrichtung oder einer Gruppe gehört. Sie ist keine Touristin. Wer schleppt schon Stühle mit durch die Gegend? Aufmerksam beobachtet sie etwas. Immer in eine Richtung.
Sie beobachtet ein Objekt in etwas Entfernung. Der Rasen verschluckt sie, so dass sie von dem Objekt aus nicht sofort gesehen werden kann. Jeder hätte die Möglichkeit, dieses Objekt zu zerstören. Wenn man schnell genug ist. Diese Frau bewacht ein Objekt der Skulpturenausstellung in Münster.

Und das ist das Objekt: Eine Skulptur von Justin Matherly mit dem Titel "Nietzsches Felsen". Auf dem Foto wirkt es jetzt ein wenig wie ein Zelt. Ich stehe also vor diesem Kunstobjekt und nehme eigentlich die Aufpasserin wahr.
Kunst ist bestimmt interessant und der Künstler hatte bestimmt ein Idee mit seinem Felsen auf Krücken und Gehhilfen. Aber mich interessiert diese Aufpasserin. Was denkt sie so den ganzen Tag? Muss sie oft eingreifen wenn die Leute das Kunsterwerk anfassen wollen? Darf sie in der Zwischenzeit lesen? Hat sie genug Wasser dabei? Lebt sie davon? Was bekommt sie so in der Stunde? Und was macht sie, wenn sie nicht Kunstwerke bewacht? Ist sie vielleicht selber Künstlerin und würde lieber ihre eigenen Skulpturen bewachen?
Die Aufpasserin führt mich hin zu einem Gedanken. In Filmen geht es immer um die Hauptdarsteller, die berühmten Persönlichkeiten. In der Politik und bei Vereinen schauen wir auf die Präsidenten. Die öffentlichen Kameras richten sich in der Regel auf die Hauptfiguren. Auf die kommt es scheinbar an! Aber ist das wirklich so?
Was würde ein Chefarzt ohne seine Team machen? Was ein Künstler ohne die Material-Lieferer? Ein Bundeskanzler ohne all die Sacharbeiter? Eine Ameisenkönigin ohne ihr Volk?
Je höher der Posten, desto wichtiger erscheint er uns. Desto mehr steht ein Mensch in der Öffentlichkeit. Alle schauen darauf. Aber mich interessiert, was da nebenbei geschieht. Das Verborgene. Das, worauf keiner achtet. Dort werden die Geschichten erzählt, die das Herz berühren. Wenn du also eine große Figur in der Weltgeschichte wärest, wärest du für mich nicht so wichtig. Aber ich finde dich interessant. So am Rande der Wichtigkeiten! Du hast eine Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte, die mich berührt. Das eigentliche Weltgeschehen wird von den Kameras nicht erfasst. Es geschieht im Verborgenen. Ich lade dich ein, mal dahin deine Aufmerksamkeit zu richten.
www.matthias-koenning.de




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