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Sonntag, 8. Juni 2014

Geh in die Selbstermächtigung




Wenn du das Wort „Pfingsten“ hörst, welche Bilder oder Gedanken kommen dir da in den Sinn? Magst du dieses Fest?
Das Weihnachtsfest scheint noch von der Mehrheit der Bevölkerung gemeinsam getragen zu werden. Vielleicht feiern nicht mehr alle Menschen die Geburt von Jesus, aber das Fest scheint noch tief im Bewusstsein verankert zu sein. An Ostern lichten sich schon deutlich die Bänke bei den Gottesdiensten. Die Bedeutung der christlichen Feste verschwindet nach und nach aus unserem Leben und hier und da bleibt ein Rest von Ritualen und Bräuchen übrig.
Wie war das noch mal mit Pfingsten? Ein zusätzlicher Feiertag, ein verlängertes Wochenende? Die erste kurze Urlaubsreise an hoffentlich warmen Tagen? Manche Christen haben noch in Erinnerung, dass es etwas mit der Gründung der Kirche und der Aussendung des Heiligen Geistes zu tun hat. Die Gottesdienste an dem Festtag sind eher schwach besucht, die Freude nicht übermäßig und der Charakter des Ganzen nicht unbedingt einladend.
Ich möchte mit meinem Newsletter ein kleines Pfingstrevival starten.
In der Woche vor der Feier meines ersten Gottesdienstes in den Räumen der Freikirchlichen Gemeinde fragte mich eine Frau im Bäckerladen: „Sie sind doch nicht mehr in der Kirche! Dürfen Sie denn dann noch Gottesdienste halten?“
Als wir in St. Bartholomäus die neuen Glocken einweihten bekam ich einige Wochen später vom Weihbischof einen deutlichen Rüffel: „Das durften Sie gar nicht! Glockenweihen sind dem Bischof vorbehalten!“ Immer wieder tauchen im kirchlichen Leben Fragen danach auf, ob wir etwas dürfen oder nicht. Dürfen die wiederverheiratet Geschiedenen zur Kommunion oder nicht? Müssen unsere Kinder beichten? Muss man sonntags zur Kirche? Woher kommt eigentlich diese Idee, um Erlaubnis zu bitten?
Kinder fragen ja in der Regel ihre Eltern: „Mama, darf ich noch ein Eis?“ „Mama, darf ich draußen spielen?“ „Ja Kind,“ lautet dann die Antwort, „du darfst!“ Kinder bitten um Erlaubnis und Eltern gewähren sie oder auch nicht. Das gehört zur Elternaufgabe, zu wissen, was für das Kind gut ist und was nicht. Ein Kind kann die Folgen einer Handlung noch nicht überblicken. Zu viel Eis könnte Bauchschmerzen verursachen und bei zu langem Draußen spielen könnte das Kind einen wichtigen Termin verpassen. Eltern bringen ihren Kindern ja auch bestimmte Grundlagen bei wie: „Bevor du das oder das machst, musst du fragen!“ Zwischen Kindern und Erwachsenen macht das durchaus Sinn.
Doch wenn du erwachsen geworden bist, bittest du dann auch um Erlaubnis? Klar, wirst du sagen. In bestimmten Situationen schon. „Darf ich Ihr Grundstück betreten?“ „Darf ich hereinkommen in Ihr Haus?“ Ich bitte um Erlaubnis und frage, wenn es sich nicht in meinem Besitz befindet oder zu meinem Kompetenzbereich gehört.
In vielen Situationen bitte ich aber nicht mehr um Erlaubnis. „Darf ich diesen Pullover anziehen?“ „Darf ich heute ein Eis essen?“ „Darf ich heute länger aufbleiben?“ Wen sollte ich fragen, wem gebe ich die Kompetenz des Erlaubens oder Verbietens? In der Regel weiß ich für viele Lebensbereiche: Ich bin erwachsen und ich muss es entscheiden. Ich darf es auch entscheiden und ich kann es auch entscheiden, weil ich als Erwachsener kompetent bin oder weil ich schlicht und einfach die Verantwortung für mein eigenes Leben trage.
Gott sei Dank fällt es uns oft relativ leicht, bei vielen Aufgaben in die Erwachsenenidentität  zu gehen. Und jetzt kommt mein Aber! In so manchen Lebensbereichen sind wir innerlich unmündig und Kind geblieben. Beim Arzt geben wir unsere Gesundheitskompetenz ab, beim Lehrer unsere Wissenskompetenz, beim Priester unsere spirituelle Kompetenz. An diesen Orten erwacht das unmündige Kind in uns und fragt wie früher: „Darf ich?“
Und jetzt komme ich zu Pfingsten. Da geht es aus meiner Sicht vor allem um die die spirituelle Kompetenz. Pfingsten heißt unter anderem für mich: „Hör auf zu fragen, ob du darfst! Wer kann dir etwas erlauben oder verbieten? Geh in die Selbstermächtigung! Dein Herz ist weiser als du ahnst und deine Seele ist wissender als du glaubst.“
Mit diesem Gedanken lese ich noch einmal die Geschichte vom Pfingstereignis. Die Jünger hatten nach dem Verrat vom Karfreitag und den merkwürdigen Jesuserscheinungen die Hosen voll. Sie hatten sich vor Angst verkrochen. Früher konnten sie Jesus fragen, diesen kompetenten und allwissenden Weisen. Sie konnten sich an ihn dranhängen und Jesus nahm sie wie Kinder an die Hand. Im Johannesevangelium sagt Jesus auch noch: „Meine Kinder...“ Und dann ist Jesus gestorben, sie hören seinen O-Ton nicht mehr und berühren ist unmöglich. Von den „wundervollen“ gemeinsamen Tagen bleiben „nur“ noch die vergangenen Erlebnisse und die erinnerten Worte. Hilfe! „Was sollen wir sagen, wenn man uns fragt? Wer steht uns bei, wenn Probleme auftauchen? Was sollen wir nur tun?“ Im geschlossenen Pfingstsaal sitzen tatsächlich verängstigte Kinder, die von der Bildfläche verschwunden sind. Auf einmal braust und windet es durchs Haus. Feuerfunken setzen sich auf sie und alle springen auf. Die Angst ist wie weggeblasen und sie fangen an zu predigen. Sie warten nicht mehr auf die Erteilung einer Erlaubnis! Da geht ein Ruck durch sie hindurch. Sie haben das Gefühl, als ob in ihnen ein Schalter umgelegt wurde. „Halt Stopp! Worauf warten wir noch? Wir sind doch lebendig! Wir haben doch in den vergangenen Monaten neue Erkenntnisse gewonnen! Das war doch nicht umsonst! Wir sind kompetente Prediger!“ Aus spirituellen Kindern werden selbstbewusste Erwachsene, die sich nichts einreden oder vorsprechen lassen.
Als ich damals die Glocken weihte kam mir gar nicht in den Sinn, den Bischof dafür zu fragen. Schließlich hatte er mit der Beschaffung doch nichts zu tun. Die Leute in der Stadt haben gespendet und ich habe koordiniert. Logische Folge: Wir alle feiern zusammen ein Fest und danken für das gute Gelingen. Warum sollte ich jemanden fragen, ob ich das darf?
Sicherlich ist es in bestimmten Situationen wichtig, immer wieder die Frage zu stellen: „Muss ich hier jemanden fragen? Braucht es eine Erlaubnis?“ Ich wehre mich gegen den Automatismus von „Darf ich...“
Ich wünsche mir, dass die Energie des Windes und die Kraft des Feuers von damals uns auch noch heute erfasst und in Bewegung bringt. Wir sind erwachsen geworden im Glauben. Jeder von uns ist voll des Geistes, voller Bewusstheit und Liebe. Ich glaube, wir brauchen mehr denn je etwas von diesem Pfingsten der Eigenständigkeit in uns. Irgendwann schubsen wir ja auch unsere Kinder, wenn sie alt genug geworden sind und sagen ihnen: „Jetzt mach, du bist erwachsen! Ich kann auch nicht sagen was du machen musst!“
In diesem Sinne gilt der Satz auch und besonders für das religiöse und spirituelle Leben: „Geh in die Selbstermächtigung!“ Übernimm die Verantwortung für dein Innenleben, für deine Seele und spüre die „Macht des Selbstes“.

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