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Freitag, 10. November 2023

An einem kleinen Muster können wir oft das ganze Stück beurteilen. (Cervantes)

 

Zu mir kommt ein Mann in die Beratung. Sein erster Satz: "Das war wieder einmal einfach nur unmöglich." Er erzählt mir ausführlich von dieser Unmöglichkeit. Es war wirklich unmöglich! Dann steigert sich seine Empörung, weil es nicht das erste Mal war. Es wiederholte sich. Nicht nur jetzt, sondern überhaupt. Es passiert ihm immer wieder, dass da etwas unmöglich ist. 

Du interessierst dich, was denn da so unmöglich war? Ich erinnere mich nicht mehr daran. Nur an das Unmögliche, das ständig möglich wird. Aufgrund des Schicksals, der Umstände, des Karmas, der Persönlichkeit des Ratsuchenden. An einem kleinen Muster können wir oft das ganze Stück beurteilen. Im Kleinen findet sich das Ganze wieder. Die erste Geste in der Beratung. Der erste Satz. Der erste Blick. In der Ouvertüre einer Oper findet sich das ganze Stück wieder. 

Manchmal stelle ich mir bewusst die Frage: "Ist ein Muster erkennbar?" Muster gibt es in Stoffen, an Gebäuden, bei Tieren, im Verhalten von Menschen. Ein Muster macht für mich etwas verstehbar. Ich habe für den Umgang mit Mustern Strategien. Ich bekomme Sicherheit. Eine Kirche hat einen hohen Turm und steht mitten in der Stadt. Wenn ich die Mitte suche, orientiere ich mich an den Kirchturm. Auch Dörfer und Städte haben ein Muster. 

Dann gibt es Wohnviertel ohne Kirchturm. Manchmal haben sie trotzdem ein Zentrum. Manchmal kommen Menschen zu mir in die Beratung und die ersten Minuten lassen kein Muster erkennen oder führen mich in die Irre. Neben den Mustern gibt es auch das Chaos und die Abweichungen. Cervantes spricht zum Glück auch davon, dass wir anhand eines kleinen Musters oft das ganze Stück beurteilen können. Aber nicht immer. 

Im Corona Muster suchen wir auch nach den Konstanten für das große Ganze. Impfen und testen ist ein Muster, welches das Chaos bändigen soll. Wird es das? Wird es funktionieren? Was geschieht mit uns, wenn die chaotischen Elemente größer werden. Wenn es unberechenbar bleibt. Wenn wir uns permanent in Gefahr begeben. Zurück in die Steinzeit. Töten wir den Tiger oder werden wir getötet. Es steht 50 zu 50. Heute habe ich in einem Podcast gehört, dass Corona eine zivilisatorische Kränkung ist. Wir haben doch alles im Griff. Seit vielen Jahren. Das Leben ist sicher geworden. Wir haben die wissenschaftlichen Muster erkannt. Wir wissen, was wir tun müssen. Ein Virus kann das nicht durcheinanderbringen.

Macht er doch und kränkt uns damit. Macht uns deutlich, wo wir als Menschen unsere Grenzen haben. Wir denken, dass wir bis zum Zeitpunkt des Todes alles gestalten können nach unseren Vorstellungen. Linear. Aus A folgt B. Cervantes erinnert uns daran, dass wir oft das Stück beurteilen können an einem kleinen Muster. Eben nur oft und nicht immer. Immer wieder gibt es die Überraschung. Das Unvorherehbare. Das nicht Geplante. 

Grund genug für Angst, Ohnmacht und Resignation? Die Erfahrung zeigt, dass im Chaos etwas neues entsteht. Wir neugierig darauf ist, bekommt jetzt sein Abenteuer nach langen Jahren von bekannten Mustern und vertrauter Sicherheit. Wir schreiben gerade alle mit an einem neuen Muster. Es entsteht ein neuer Roman und wir wissen noch nicht, zu welchem Genre er gehört. Krimi, Drama, Komödie, Oper? Oder werden wir Zeug*innen eines neuen Genres? Ich wäre gerne dabei und ehrlich gesagt schon jetzt lieber am Ziel. Der Raum zwischen vertrauten Mustern ist nicht immer leicht zu ertragen. Da braucht es die Qualität des Aushaltens. Und die Fähigkeit, hinzuspüren, was gefragt ist. Aushalten, verändern, mitmachen, anpassen, rebellieren? Jede und jeder macht es auf die Weise, wie es der eigenen Persönlichkeit entspricht. Ich lasse geschehen und gestalte zugleich mit.

www.matthias-koenning.de

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