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Dienstag, 2. Mai 2017

Stapelst du noch hoch oder bist du schon du!

Würdest du dich für einen Hochstapler halten?
Da gibt es Menschen, die kommen aus einfachen Verhältnissen und haben keinen Abschluss an einer Uni. Sie schaffen es aber, sich für einen Arzt oder Psychologen auszugeben und finden auch eine Anstellung. Sie sind in der der Lage, immer spontan zu reagieren. Sie können ihre erfundene Lebensgeschichte aufrecht erhalten und die Fragen ihres Gegenübers wunderbar nutzen zum Ausschmücken ihrer Biografie. Ich habe mal einen jungen Mann kennengelernt, der erzählte mir, dass er bei Daimler arbeiten würde. Seine Tätigkeit sei aber äußerst geheim. Alle Firmen hätten so genannte Geheimabteilungen. Darüber dürfe niemand etwas wissen. Dort würden Dinge ausgebrütet, die für die ferne Zukunft lebenswichtig wären. Dort würde auch die Konkurrenz ausgespäht und es liefen Dinge ab wie bei den staatlichen Geheimdiensten. Mir würde er das nur erzählen, weil ich eine Schweigepflicht hätte.
Meine Fragen bewirkten, dass seine Geschichte immer mehr Stoff und Fülle bekam. Ich sollte immer mehr den Eindruck bekommen, dass er ein total wichtiger Mann bei Daimler wäre. Viel später stellte sich heraus, dass er schon länger psychisch erkrankt war aber das gut verheimlichen konnte.
Manche Menschen, die hochstapeln sind sicher nicht psychisch krank sondern verbinden damit die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg. Dennoch kam mir der Gedanke, ob wir nicht alle ein wenig hochstapeln.
Das Bild spricht ja schon für sich. Du denkst, du seist nicht groß genug. Darum steigst du auf einen Stapel, damit du größer wirst. Natürlich eine Illusion. Du musst den Stapel verstecken und dir selber etwas vormachen. Du erscheinst nur größer, aber bist es nicht.
Wir stapeln nur nicht so auffällig wie die Meisterhochstapler. Wir kleiden uns so, dass der Pullover geschmeidig über den Bauch fällt. Wir überdecken unsere Schwächen mit einem Lächeln. Wir reden uns bestimmte Dinge etwas schöner als sie sind, damit wir es leichter ertragen können. Wir arbeiten vielleicht nur am Fließband, sind dort aber fleißiger als alle anderen. Wir haben Kinder, die ein Studium absolviert haben und wenn nicht, sind sie wenigstens sehr höflich.
Immer geht es darum, dem Mangel in oder um uns etwas hinzuzufügen. Wie bei des Kaisers neuen Kleidern. Wir wollen in den Augen unseres Gegenübers anerkannt werden. Das dient unserem Ego. Vielleicht denkst du jetzt: "Ich nicht!" "Bei mir ist das nicht so!" Darum also meine Frage: "Stapelst du noch hoch oder bist du schon du?" Ich glaube, dass das eine Lebensaufgabe ist und ich kenne nur wenige Menschen, die einigermaßen am Ziel angekommen sind.
Ich erwische mich manchmal dabei, dass ich glaube, schon angekommen zu sein. Ich sei schon ganz ich selbst. In der totalen Tiefe. Dann halte ich inne und sage mir: "Matthias, Matthias. Es gibt keinen intelligenteren Hochstapler als dich. Du merkst es nicht einmal. Du erfindest zwar keine Arztdiplome, aber dein Stapeln ist viel subtiler und raffinierter."
Zugleich bin ich aber wirklich auf der Suche danach, wer ich bin, wenn ich nicht mehr hochstaple. Ich schaue in den Spiegel und sehe mich mit Wohlwollen an. Und ich freue mich, wenn es ein wenig warm wird ums Herz und wenn all diese überflüssigen Aufblähungen für einen Augenblick abfallen.
www.matthias-koenning.de 

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