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Sonntag, 5. Juni 2016

Armer schwarzer Kater!



Kennst Du dieses Spiel aus Kindertagen? Alle Kinder sitzen im Kreis. Ein Kind in der Mitte spielt den schwarzen Kater und kriecht miauend zu einem Mitspieler. Dabei versucht es, diesen durch Grimassen zum Lachen zu bringen. Das angesprochene Kind im Kreis muss dann sagen: „Armer schwarzer Kater!“ und darf dabei keine Miene verziehen. Wenn es aber lacht, wird der Kater erlöst und die Rollen werden getauscht.
Ich denke mir, dass manche Kinderspiele einen bestimmten Zweck erfüllen. Es geht natürlich zunächst um den Spaß Spielen. Daneben geht es aber zugleich um die Bewältigung von Erlebnissen und Erfahrungen. Ich werde ausgegrenzt und bin traurig. Dann werde ich gerettet und gehöre wieder dazu. Ausgrenzung ist zwar blöd, aber ich muss lernen, mit dieser frustrierenden Erfahrung klarzukommen. 
Mit dieser kleinen Erinnerung an die Kindheit möchte ich dich jetzt gerne einladen, einen neuen Blick auf den schwarzen Kater zu werfen. Das Sprichwort weiß ja schon, dass es Unglück bedeutet, wenn eine schwarze Katze deinen Weg kreuzt. Was mag wohl eine solche Katze selber über diesen Glaubenssatz denken. „Ich will keine Quelle von Unglück sein. Das habe ich nicht verdient!“ Der schwarze Kater befindet sich ähnlich wie das schwarze Schaf in einer „schwarzen“ Rolle, die nicht sehr beliebt ist. Wer möchte schon gerne ausgegrenzt sein und nicht dazu gehören. Im Spiel stellt sich der schwarze Kater ja zusätzlich noch ziemlich dumm an. Statt sein Schicksal zu beklagen spielt er die Rolle des Clowns. Man sieht ihm nicht an, dass er traurig nach einem freien Stuhl im Kreis sucht und dazugehören möchte. Das erinnert mich an die Kinder, die es nur negatives Auffallen schaffen, Zuwendung zu bekommen. Der schwarze Kater miaut und zieht Grimassen in der Hoffnung, dass ein Kind reagiert. „Armer schwarzer Kater!“ Endlich wird er gesehen, der arme schwarze Kater. Endlich begreift jemand, dass hinter dem Feixen und Verstellen eine große Not steckt.
An dieser Stelle verlasse ich das Kinderspiel und betrete die Erwachsenenwelt. Ich möchte nicht in erster Linie dieses Kinderspiel analysieren sondern für das Leben jetzt fruchtbar machen.
So lade ich dich ein zu deinem ganz persönlichen „Armer-schwarzer-Kater-Spiel“. Stell dir doch einmal vor, dass du dich gerade mit einem Arbeitskollegen oder dem Chef gestritten hast. Da hat jemand deine Arbeit kritisiert und sich abfällig geäußert über deine mangelnden Qualitäten. „Das hättest du wirklich besser machen können! So kannst du diese Arbeit nicht abliefern! Das geht ja gar nicht!“
Jetzt bist du geknickt! Du fühlst dich traurig, bist wütend und enttäuscht. Du fängst an dich zu rechtfertigen. „Das stimmt ja gar nicht!“ – „Ich war gar nicht zuständig! Das war ja auch viel zu viel für mich!“ – „Immer hacken alle auf mir herum! Das ist ungerecht!“ Du sitzt in deinem seelischen Abgrund und möchtest dich verstecken mit einem Gefühlsgemisch von Schuld, Verzweiflung, Angst und Scham. Da hast du nun dein dickes Paket von schlechten Gefühlen. Du möchtest es loswerden, aber deine Gedanken lassen das nicht zu. Dann fangen die Grübeleien an. „Hätte dein Kollege nicht...“ – „Hättest du nicht...“ Du gehst die Szene der Auseinandersetzung immer wieder durch. „Und täglich grüßt das Murmeltier!“ Du  kannst nicht damit aufhören, dich wieder und wieder in diese Szene hineinzubegeben. Nie wieder kommst du zur Arbeit. Nie wieder wirst du mit deinem Kollegen sprechen. Du möchtest kündigen aber dann plagen dich die Existenzängste. Du bist nichts, du kannst nichts. Du wirst entlassen und du landest auf der Straße.
Wie gefällt es dir in diesem Abgrund der schlechten Gefühle? Bist du noch bei mir oder schüttelst du jetzt den Kopf! Oder denkst du: „Gott sei Dank habe ich gerade kein solch abgründiges Gefühlskonglomerat!“ Einverstanden! Schüttle mal alle deine eigenen Erinnerungen an solche Zustände ab.
Aber du gibst zu. Das kann manchmal vorkommen. Dein Leben ist gespickt mit kleineren und größeren Krisen und Katastrophen, die dich emotional in den Abgrund stürzen.
Weil du noch nicht erlöst oder erleuchtet bist, musst du klarkommen mit deinen dunklen Flecken, deinen Schattenseiten und deinen traumatischen Erinnerungen an deine Kindheit. „Armer schwarzer Kater!“
Jetzt stell dir noch einmal vor, dass du gerade sehr leidest. Du bist geknickt und du befindest dich im Abgrund. Jetzt gehst du zu einer Freundin, einem Freund, deinem Mann, deiner Frau und erzählst von diesem unglücklichen Ereignis. Vielleicht beginnst du so: „Kannst du mir helfen? Ich habe da ein Problem! Ich bin heute mit meinem Arbeitskollegen aneinandergeraten. Der hat mich so gekränkt und verletzt. Der hat doch glatt behauptet, dass meine Arbeit nicht qualifiziert ist!“
Was macht dein Gegenüber? Oft? Er fühlt natürlich mit dir mit! Und genau an dieser Stelle möchte ich den „armen schwarzen Kater“ einführen. Wenn ich das Wort „Problem“ höre, dann schwingt bei mir sofort ein anderes Wort mit und das heißt „Lösung“. Du erzählst mir von deinem Problem und ich höre: „Gib mir eine Lösung!“  Wenn du ein Problem hast dann glaube ich, dass ich dir Erleichterung verschaffe, wenn ich dir eine Lösung für dein Problem präsentiere. Ich gehe ja davon aus, dass dein Problem nicht mehr existiert, wenn ich eine gute Lösung gefunden habe. Das ist doch logisch, nicht wahr? Logisch schon! Aber nicht hilfreich! Zumindest nicht für den Augenblick.
Bei Paaren erlebe ich es oft, dass die Männer eher Lösungen präsentieren, wenn die Ehefrauen von einem Problem erzählen. Sie sind es gewohnt, in Autos oder Computer zu denken. Das muss ja nur repariert werden, dann funktioniert es doch wieder. Erledigt und gut. Das stimmt auch! Ein Problem sucht nach einer Lösung. Und wenn diese da ist, dann verschwindet automatisch das Problem. Leider funktioniert diese Logik nicht. Sie erweist sich sogar oft als völlig kontraproduktiv. Ich sehe da manchmal die Ehemänner stehen, die ratlos die Welt nicht mehr verstehen. „Da habe ich eine so gute Lösung und meine Frau weist mich ab. Was habe ich nur falsch gemacht!“ Was machen dann die Ehemänner? Sie suchen noch eine bessere Lösung! Und noch eine Lösung! Und noch eine! Das ist das, was sie können. (Wenn ich von Männern spreche, dann meine ich eher den männlich - rationalen Anteil in uns Menschen.)
Warum funktionieren Lösungen nicht? Es gibt doch so wunderbar viele davon! Eine besser als die andere! In uns Menschen sitzt leider nicht nur der rational denkende Verstand, sondern auch das überaus reiche Gefühlsleben. Wenn die Gefühle nichts bekommen, dann setzen sie sich vor jedem Lösungsansatz.
Und genau da möchte ich den „armen schwarzen Kater“ platzieren. Wenn du im emotionalen Abgrund steckst, dann brauchst du keine Lösung, sondern jemanden, der dich tröstet. So einfach ist das! „Armer schwarzer Kater!“ Es braucht ganz viel Raum zum Erzählen, zum Mitfühlen, zum Verständnis haben. Platz für den Ärger, Zeit für die Tränen, Raum für den Frust. Das will alles erst einmal da sein! Das Ausbreiten der Gefühle wünscht sich ein Gegenüber und ein Gehalten Sein, damit es sich auflösen kann. Wenn also jemand zu dir kommt um von seinem Problem zu erzählen kommt es zunächst darauf an, ganz viel Zuwendung und Raum zu schenken. Das ist die Lösung auf der ersten Ebene: „Armer schwarzer Kater!“ Nicht ins Lächerliche ziehen! Kein Spiel daraus machen! Den armen schwarzen Kater würdest du doch auch erst einmal streicheln, ihn trösten oder auf den Schoß nehmen. Wenn die Angst, die Trauer oder die Wut eine Erlaubnis bekommt wird sie satt und dann ist es irgendwann genug.
Unsere Gedanken rotieren immer und ständig. Ununterbrochen setzen wir sie Minute für Minute fort. Die Gefühle verhalten sich anders. Du fühlst die Angst, wie sie kommt. Du lässt sie zu und in dir wirken. Die Angst schwillt an, erreicht ihren Höhepunkt und löst sich wieder auf. Die Gefühle kommen in Wellen. Aber wehe, wenn der „arme schwarze Kater“ keinen Raum bekommt! Er bleibt sitzen oder wirkt im Untergrund weiter.
Für die rationalen und lösungsorientierten Menschen erfolgt hier ein wichtiger Hinweis. Deine Lösungen sind sehr gefragt. Die erste Lösung jedoch lautet: Fühle mit dem armen schwarzen Kater so lange, bis er satt ist. Vielleicht ist dann schon gar nichts mehr zu tun. Der „Kater“ war nie an einer pragmatischen Lösung interessiert. Der „Kater“ brauchte nur deinen Trost. Mehr nicht!
Jetzt möchte ich mit dir noch kurz auf den schwarzen Kater selbst schauen. Wie schafft es der Kater, dass er keinen Trost bekommt, obwohl er ihn gerne hätte?
Der Kater geht zum Tröster und sagt: „Ich habe da ein Problem. Weißt du eine Lösung?“ Der Kater inszeniert selber, dass er nicht getröstet wird. Er könnte ja auch sagen: „Ich bin traurig! Ich bin wütend! Ich bin frustriert! Kannst du mich trösten? Hältst du mich für einen Moment! Darf ich mich bei dir ausjammern?“ Wenn der „arme schwarze Kater“ das täte, wäre es für das Gegenüber viel leichter.  Das Gegenüber wüsste sofort, dass Lösungen auf der rationalen Ebene nicht gefragt sind.
In den Evangelien wird erzählt, dass Jesus die Menschen heilte. Wie hat er das gemacht? Manchmal wird beschrieben, wie er sich vor der Heilung innerlich emotional erregte. Jesus fühlte also zuerst einmal mit. Wir verstehen seine Handauflegungen heute eher wie ein Ritual. Dahinter steckt aber die Grunderfahrung einer körperlichen Zuwendung. Er hätte auch sagen können: „Komm in meine Arme!“ oder „Komm auf meinen Schoß!“ Wenn im Evangelium steht: ‚Er legte ihm die Hände auf.’ dann klingt es halt ein wenig erwachsener und wir können es leichter akzeptieren.
Und jetzt zu dir, du „armer schwarzer Kater!“ Wie geht es deinem Seelchen?  Ist bei dir alles gut? Bist du zufrieden? Oder fühlt es sich gerade bei dir leicht an? Wenn ja, ach wie schön! Und wenn nicht? Zu wem könntest du jetzt gehen? Wem magst du dich anvertrauen? Wer kann etwas dafür tun, dass es wieder ein wenig leichter wird? Nur zu!
Der arme schwarze Kater ist übrigens nicht nur „arm“. Im Grunde seines Herzens ist er ein stolzes Tier! Voller Anmut, Schönheit, Kraft und Stärke. Im Kater steckt ein König, der sich nur manchmal wie ein Bettler fühlt. So wechselt das bei uns Menschen ständig. Vom „armen schwarzen Kater“ zur „stolzen schönen Katze“ und zurück.

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