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Sonntag, 2. August 2015

Ein bisschen Dreck schadet nicht, oder?



Wie hältst du es mit der Reinheit? Bist du da entspannt, gibt es Zwänge? Thema angenehm oder unangenehm? Viele Kulturen kennen die Vorstellung, dass wir uns innerlich und/oder äußerlich beschmutzen. Um wieder versöhnt dem „reinen“ Gott gegenüberzutreten bedarf es in dieser Vorstellung eine Erneuerung und Reinigung.
Dazu kommen mir mehrere Assoziationen. Vor einigen Monaten war ich in dem Kinofilm „Der Medicus“ und sah im ärmlichen Heimatdorf des späteren Arztes lauter schmutzige Gesichter. Alles starrte nur so vor Dreck! Das erinnerte mich an andere Filme aus dem Mittelalter, in denen die Menschen eher wie Tiere hausten als wie ordentlich gewaschen, gut angezogene und zivilisierte Menschen.
Machen wir einen Sprung in die Gegenwart. Da gab oder gibt es die berühmte Werbung von „Ariel“ (hebräisch wie passend: der Feuerherd Gottes) mit Clementine, die da lautete: „Ariel wäscht nicht nur sauber sondern rein“. Ich konnte nie verstehen, was bei der Wäsche den Unterschied ausmacht zwischen „sauber“ und „rein“. Ich erwarte von einem Waschmittel, dass es die Wäsche schlicht sauber macht. Dennoch suggeriert der Satz, dass es Steigerungen der Sauberkeit gibt: Schmutzig, Sauber, Rein… Was für Vorstellungen und Ideen verbergen sich da im Hintergrund? Mit welchen Bildern wird hier gespielt?
Eine erste Idee dazu kommt mir von unserem ganz natürlichen Empfinden her. Du siehst Schmutz oder vergammeltes Essen und ekelst dich. Der Ekel, den du empfindest, warnt dich davor, mit der verdorbenen Nahrung in Berührung zu kommen. Du hast ein ganz natürliches Frühwarnsystem. Wenn du Schimmel isst, kannst du sterben. Halte dich davon fern. Der Ekel bewirkt, dass wir uns fernhalten von etwas, das uns nicht gut tut. Schmutzige Menschen wecken in uns den Gedanken nach Ungeziefer. Wir beginnen uns schon zu kratzen und rümpfen die Nase. In unseren Breiten kommt das ja nur noch selten vor, vielleicht wenn wir Menschen begegnen, die auf der Straße leben.
Wir vermeiden Situationen, in denen Ekel entstehen könnte. Ariel wird auch noch die letzten verborgenen Schimmel- und Schmutzreste beseitigen. Dreck, den man nicht sieht. Da kommen dir dann Bakterien, Mikroben und sonstige kleine Giftviecher in den Sinn, die dir nach dem Leben trachten.
Du befindest dich im ständigen Kampf gegen den Schmutz in der Welt. Du reinigst im weiteren Umfeld die Wohnung, den Garten und die Straße und im näheren Umfeld deine Haut, deine Haare und deine Kleidung. Nie hört diese Arbeit auf.
Wenn der Februar als Reinigungsmonat ursprünglich der letzte Monat im römischen Jahreskalender war, macht das auch Sinn, aufzuräumen und sich zu säubern nach dem Motto: Geh frisch und rein in das neue Jahr. 
Interessanterweise kennt auch die Kirche Zeiten der Reinigung. 40 Tage nach dem Weihnachtsfest am 2. Februar begeht sie das Fest mit den verschiedenen Namen: „Darstellung des Herrn“, „Lichtmess“ oder „Fest der Reinigung Mariens“. Maria erhält nach dem jüdischen Gesetz 40 Tage nach der Geburt ihres Sohnes wieder den Status der kultischen Reinheit. Dahinter verbergen sich sehr archaische Vorstellungen vom Leben. Wenn Tiere getötet werden, dann verlieren sie ihr Blut. Wenn eine Frau in der Menstruation blutet, verliert sie ihre Lebenskraft und muss geschont werden. Wieder geht es um die tiefergehende Auseinandersetzung mit Leben und Tod. Halte dich vom Tod und von den Toten fern, wenn du selber leben möchtest. Darum schicke „Todeskandidaten“ wie Bakterien in die Quarantäne und reinige dich selbst ordentlich. Das macht ja durchaus auch Sinn. Mir geht es nicht um das sinnvolle Reinigen, sondern um die Angst vor den „lebensfeindlichen und bedrohlichen“ Elementen.
In der Regel beginnt im Februar die Fastenzeit, die Zeit der inneren Reinigung und Umkehr. Womit wir zu einem weiteren Aspekt kommen. Neben der äußeren Reinheit, die wir durch das Waschen erreichen können, gibt es auch die Vorstellung der inneren Reinheit. Wenn ich innerlich rein bin, kann ich vor Gottes Angesicht treten. So manche Bußlieder sprechen da vom “Abwaschen der Sünde, um rein zu werden“.
Der Waschzwang von manchen Menschen treibt auf die Spitze, was viele empfinden und denken. Ich möchte rein sein, innen und außen. Sünde, Schmutz und Ekel halte ich möglichst fern von mir. Das macht mir Angst, das will ich nicht haben, davon wende ich mich ab. Mein Motto lautet in solchen Situationen: Ach, jetzt wird es erst interessant! Suchen wir doch einmal nach dem positiven „Wert“ des Schmutzes.
Eine frühere Kollegin im Altenheim desinfizierte sich ständig ihre Hände, damit sie sich keine Keime einfing. Von allen Angestellten war sie  am häufigsten krank.
Kinder, die nicht im Dreck wühlen, haben keine Möglichkeit, ihr Immunsystem sinnvoll zu stärken. Ein ordentliches Schlammbad kann durchaus gesundheitsfördernd sein. 
Jesus ist es egal, ob seine Jünger mit unreinen Händen essen. Für ihn kommt die Unreinheit von innen und nicht von außen. Er hat auch keine Berührungsängste gegenüber den sogenannten unreinen Aussätzigen.
Schmutzige Wäsche waschen im übertragenen Sinn ist deshalb so erfolgreich, weil wir unseren eigenen Schatten lieber verstecken, als ihn zu zeigen. Je mehr wir ihn jedoch verbergen, desto gewichtiger fühlt er sich an, wenn wir ihn entdecken. Beim genauen Hinsehen wird ausnahmslos jeder Politiker seine   schmutzige Wäsche haben. Wenn jeder offen damit umgeht, ist es nicht mehr bedeutsam für die Öffentlichkeit.   
Die systemischen Familientherapeuten sagen: „Wo Scheiße ist, ist auch ein Kamel.“ Das heißt: Die verachteten Dinge der einen Seite der Medaille weisen zugleich hin auf die wertvolle. Wenn „Geiz“ z.B. dein abgelehnter „Scheißehaufen“ ist bedeutet es immerhin, dass du Geld sehr hoch achtest und dir Mühe gibst, verantwortlich damit umzugehen.
Ekel ist zunächst einmal ein wertvolles und beschützendes Gefühl, das dich unterstützt gegen alle Krankheitskeime. Du musst ihm aber nicht immer nachgeben und davor weglaufen. Manchmal ist es gut, sich diesem Gefühl zu stellen.
Wenn du nur deine sonnigen Seiten liebst, liebst du dich nur halb. Wir sollen nach dem wichtigsten christlichen Gebot Gott lieben und den Nächsten wie uns selbst. Da steht nicht, dass wir nur einzelne Teile von uns lieben sollen. In dir wohnen Prinz und ein Frosch gemeinsam! Vielleicht ist es darum hilfreich, hin und wieder mit Absicht einen kleinen Flecken auf die „saubere“ Tischdecke hinzuschmieren. Ein Freund von mir machte das regelmäßig mit dem Kommentar: „Dann muss ich nicht mehr so aufpassen!“
Das wiederum finde ich einen wichtigen Hinweis. Das ständige „Rein-Sein“ ist auf die Dauer sehr anstrengend. Lehne dich zurück und entspann dich. Sei wortwörtlich mitten im Fluss und akzeptiere den Schlamm am Grund und die Klarheit im fließenden Wasser. 

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