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Montag, 11. Mai 2015

Die 15 Schwächen der römischen Kurie oder der eigene Blick in den Spiegel!



Die Impulse des Papstes für seine Kurie im Advent 2014 möchte ich zum Anlass nehmen, mit ihm innerlich ein wenig in den Dialog zu treten. 15 Schwächen, Krankheiten und Fehler hat er ausgemacht und offen benannt. Es geht dabei nicht in erster Linie um diese kirchliche Behörde und darum dem Klatsch und Tratsch zu folgen. Überall wo Menschen sind gibt es Konflikte und die Möglichkeiten zur persönlichen Weiterentwicklung. Die Fastenzeit lädt ja ein in sich zu gehen und Lebenserforschung zu betreiben. Was prägt mich? Was sind meine Stärken und Schwächen und wie gehe ich damit um. 15 Aspekte sind schon eine ganze Menge Stoff zum Bedenken.

Schwäche Nr. 1 – sich unsterblich fühlen

Die erste Schwäche benennt er folgendermaßen: Sich unsterblich, immun oder unersetzbar zu fühlen: "Eine Kurie, die sich nicht selbst kritisiert, die sich nicht selbst erneuert, die nicht versucht, sich selbst zu verbessern, ist ein kranker Körper".
Es gibt eine Ebene, da kann ich dem Papst nur beipflichten. An seinem Stuhl und Posten festkleben, Verantwortung nicht abgeben können, immer alles wissen wollen, veränderungsresistent sein, dem Glaubenssatz zu folgen, dass das noch nie oder immer schon so war. Eine solche Mentalität findet sich bestimmt nicht nur bei kirchlichen Beamten sondern überall auf der Welt in jedem Unternehmen. Dennoch möchte ich gerne einen Schritt weitergehen und einmal spielerisch das Gegenteil des Papstgedankens in den Raum stellen.
Meine Gegenaussage: "Es ist eine Stärke, sich unsterblich, immun und unersetzbar zu fühlen." Ich finde, dieser gegenteilige Satz stimmt auch. Wir sind als Menschen unsterblich, das sagt uns unser christlicher Glaube. Wir sind unendlich geliebt. Wir leben hier in der Welt und nach diesem irdischen Leben weiter in der ewigen Liebe Gottes. Wir sind einmalig und niemand wird unser Dasein so erfüllen, wie wir es machen. Andere Menschen mögen eine Aufgabe auch gut erfüllen, sie werden es aber anders machen. Auch eine gewisse Form von Immunität ist sehr förderlich für die eigene Persönlichkeit. Kennst du Menschen, die bei der leisesten Kritik umfallen? Sie sind wie Fähnchen im Wind! Also, das Bewusstsein für die eigene Unsterblichkeit, Immunität und Unersetzbarkeit im Sinne der Einmaligkeit zeugt zunächst einmal nur von einem gesunden Selbstvertrauen, das jedes "Kind Gottes" auf dieser Welt haben oder entwickeln sollte.
Papst Franziskus erwartet ja von seiner Kurie, dass sie sich selbst kritisiert. Da verlangt er doch eine ganze Menge. Kritisierst du dich selbst? Kannst du das in einer heilsamen und nicht selbstzerstörerischen Weise? Selbstkritik zu üben setzt ja voraus, dass ich genügend Selbststand habe. Wenn ich mich aber klein und minderwertig vorkomme, dann werde ich es zu verhindern wissen, mich selbst zu kritisieren. Sich selbst verbessern, was der Papst sich wünscht, geht davon aus, das etwas "gut" ist. Das Gute kann ich noch besser machen. Oder anders ausgedrückt: Wo Güte ist, kann ich noch mehr Güte hinzufügen. Wo nichts ist, ist auch nichts zu verbessern!
Ich formuliere mal den Satz des Papstes für mich ein wenig um als Impuls für meine eigene Fastenzeit: "Ein Mensch mit einem guten Selbstwertgefühl voller Wärme und Anteilnahme wird wie selbstverständlich Sorge tragen, dass Körper, Geist und Seele bei sich und im ganzen Umfeld Gesundheit und Freude ausstrahlen. Er wird ein kritisches Wort mit Dankbarkeit entgegen nehmen, weil er dahinter nur wohlwollende Weiterentwicklung sieht."
Ob es denkbar ist, dass die Kurie sich auf eine solche Fährte begeben könnte wie die, die ich gerade beschrieben habe? Vielleicht leiden die Menschen in der Kurie ja an einem guten Selbstwertgefühl?! Im Zusammenleben machen wir häufig dem anderen Vorwürfe, wenn wir unzufrieden sind. Das kann ich verstehen. Aber leider sind diese oft nicht hilfreich. Auch ein Vorwurf ist ein "Wurf", bei dem der andere nur in Deckung oder Abwehr geht.
Drücke einmal deine Vorwürfe aus in Wünsche oder Bitten. Und vertraue zugleich auf deine eigene Veränderungsbereitschaft und die der anderen. 

Schwäche Nr. 2 – zu hart arbeiten

Die zweite Schwäche in der Kurie, die Papst Franziskus bei der Kurie diagnostiziert hat lautet folgendermaßen: Zu hart arbeiten. "Eine Rast ist für diejenigen, die ihre Arbeit getan haben, notwendig, gut und sollte ernst genommen werden".
Das hätte ich jetzt nicht gedacht, dass in der Kurie hart gearbeitet wird. Da muss ich meine Vorurteile gründlich revidieren. Ich stelle mir in meiner Phantasie den kirchlichen Beamten in Rom vor mit einem kleinen Gehalt auf einer sonnigen Piazza. Er sucht Erholung bei einem Espresso und freut sich, dass er sich ein so kleines Tässchen einmal in der Woche leisten kann. Angesichts des geringen Gehaltes und der wenig attraktiven Arbeit in einem muffigen Büro wird er eher Akten schieben als bearbeiten. Danke Franziskus, dass du mich von diesem Bild befreist. In Rom wird also hart gearbeitet, zu hart gearbeitet.
Der Papst empfiehlt bei harter Arbeit eine Rast. Und diese Rast sollte man ernst nehmen. Franziskus spricht damit ein urchristliches Thema an. Es geht um „ora et labora“, um „Kampf und Kontemplation“, um „Arbeit und Freizeit“. Es geht um den Ausgleich und ein Leben in Balance. Angesichts von zunehmendem Burnout in unserer Gesellschaft haben wir Christen durchaus etwas anzubieten. Wenn du in einem guten Wechsel von Arbeit und Freizeit dich befindest, schaffst du dir eine ausgewogene Lebensgrundlage. Die Vorstellung gefällt mir und sie gefällt mir zugleich nicht.
Ich habe da eine Alternative im Sinn, die ich dir jetzt gerne vorstellen möchte. Es hängt von der Qualität der Arbeit und der Qualität der Freizeit ab, ob das System funktioniert. Stell dir doch einmal einen hart arbeitenden Menschen vor. Er quält sich ins Büro oder in die Fabrik und schaut schon nach zehn Minuten auf die Uhr. „Wie lange muss ich noch? Hilfe? So viel zu tun! Wie kann ich das nur schaffen! Ich brauche eine Pause! Wie kann ich meine Pause dehnen, ohne dass es jemand merkt!“ Die Arbeit wird zu Qual und die freie Zeit wird benötigt, sich von dieser Qual einigermaßen körperlich und geistig zu erholen. Ein Leben nach Zuckerbrot und Peitsche. Zuckerbrot die Freizeit, wenn sie denn erholsam ist und Peitsche die Arbeit, es sei denn man ist gut darin, sich unsichtbar zu machen. In diesem Denkmodell benötigt der hart Arbeitende wirklich Erholung, sonst würde er das Rentenalter gar nicht erst erreichen.
Jetzt stell dir noch einmal einen wirklich hart arbeitenden Menschen vor. Er kommt händereibend ins Büro oder in die Fabrik mit dem Bewusstsein: „Heute gestalte ich die Welt mit! Ich bin eine Schöpfer, eine Schöpferin!“ Er gibt sich der Arbeit hin voller Leidenschaft und Aufmerksamkeit. Er versinkt darin förmlich und blickt erstaunt auf, wenn die Glocke zum Feierabend bimmelt. Er geht nach Hause und fühlt sich vielleicht ein wenig körperlich erschöpft, aber geistig frisch. Er kann seine Freizeit einfach genießen aber ohne den Anspruch, dass diese Zeit sein muss. Sie darf mal kürzer oder auch länger dauern. Ein solcher Mensch befindet sich im „Sein“. Die Bibel bezeichnet diesen Zustand als Paradies. Wer sich in einem paradiesischen Seins-Zustand befindet, kann beginnen, die Kategorien von Arbeit und Freizeit aufzulösen. Er spielt damit, so wie die ersten Menschen im Paradies spielend gearbeitet und arbeitend gespielt haben.
Es wäre doch schön, wenn die Kurie mit einer solchen spirituellen Grundhaltung zum Vorbild für die Welt werden könnte! Eine heilige Allianz von Arbeit und Freizeit!
Wenn ich den heutigen Satz von Papst Franziskus an die Kurie und an uns alle umformulieren möchte, würde er so heißen. „Gestalte dein Leben so, dass du im Bewusstsein der Einheit und Verbindung mit Gott lebst. Arbeite nicht „hart“ und mache auch keine „Zwangspausen“. Arbeite mit der Kraft der göttlichen Quelle und genieße deine freie Zeit mit der Zusage Gottes, du bist geliebt, du darfst Sein und musst nichts tun.“


Schwäche Nr. 3 – spirituelles abstumpfen

In der Botschaft an die Kurie in der Adventszeit 2014 zeigte Papst Franziskus 15 Schwächen auf, die zum Impuls für die Fastenzeit einladen. Den Satz heute kann ich nur voll unterstreichen und mir kommen keine „Quergedanken“. Franziskus sieht die Gefahr, spirituell und geistig abzustumpfen."Es ist gefährlich, diese menschliche Empfindsamkeit zu verlieren, die einen mit denen weinen lässt, die weinen, und mit denen feiern lässt, die fröhlich sind".
Franziskus spricht hier von dem Wert, dass wir mit den Menschen mitschwingen. Wenn ich traurig bin dann wünsche ich mir, dass jemand diese Trauer spürt und mich tröstet. Es geht zunächst einmal nur darum, darin gesehen und wahrgenommen zu werden. Da merkt das jemand tatsächlich, dass ich gerade traurig bin. Er sieht mich vielleicht kurz an und nickt mir zu. „Ich habe dich gesehen und fühle mit dir.“ Es gibt eine Fülle von Möglichkeiten in der Trauer und auch in der Freude mitzuschwingen. Ein Blick, eine Geste, ein Wort, ein Zeichen. Mal einen starken körperlichen Ausdruck der Solidarität und mal zurückhaltend. Das Wort „Empfindsamkeit“ gefällt mir in diesem Zusammenhang gut. Du bist offen und verletzlich. Du lässt Gefühle an dich herankommen. Du spürst deine eigene Bedürfnisse und die Wünsche der anderen. Du bist wach!
Wie bewahrst du dir die Empfindsamkeit? Wie entdeckst du sie überhaupt? Wo liegt die Quelle? Der Papst sieht da einen sehr bedeutsamen Zusammenhang: „Du darfst nicht spirituell oder geistig abstumpfen.“ Im Umkehrschluss würde es bedeuten, dass Menschen ohne „Geistigkeit“ oder „Spiritualität“ sich da in einer großen Gefahr befinden. Es geht wohlgemerkt nicht um „Gläubigkeit“, „Religion“ oder „Christlichkeit“, es geht eher um einen Zugang zum eigenen Innenleben. Auch wenn du keine Worte dafür hast: Kannst du deinen Blick nach innen richten? Weißt du wie das geht?
Wir haben die ganze Welt entdeckt und den Weltraum erforscht. Wir sind in der Regel sehr nach außen gerichtet und mir scheint, dass unser Innenleben einem unbekannten Land gleicht. Verbanne mal für einen Augenblick alle dir bekannten Wörter wie „Relgion“, „Werte“, „Normen“, „Erziehung“. Das sind alles Begriffe! Schließe mal deine Augen und setze dich auf einen Platz in der Nähe deines Herzens. Werde still und beobachte, was geschieht. Kommen da Bilder? Gedanken? Körpersensationen? Spannungen? Ein Ziehen? Ein Grummeln? Wohlig oder unangenehm? Was erzählt dir dein Körper da? Was spricht deine Seele? Hast du sie schon kennengelernt? Ist sie dir vertraut?
Stell dir vor, dass du ein Pfadfinder bist und noch einmal ganz neu auf die Reise nach innen gehst. Nur du kannst diesen Weg gehen. Niemand sonst! Keine Kanzlerin, kein Papst, nicht deine Lehrer und auch nicht deine Eltern. Dein inneres Land ist nur für dich reserviert!
Wenn du keinen Zugang zu diesem inneren Land hast dann kann es geschehen, dass du gar nicht weißt wie „traurig sein“ sich anfühlen könnte und was es bräuchte. Du könntest gar keine Freude teilen, weil du gar nicht weißt aus eigener Erfahrung worum es geht. Du stumpfst eben ab.
Nun könnte man doch davon ausgehen, dass Mitarbeiter der Kurie Meister sind auf dem spirituellen Weg, oder? Von da kommen ja die Dogmen, die Glaubenssätze, die moralischen Leitplanken, der Umgang mit Geschiedenen, die Richtlinien zur Sexualität. All diese Wegweisungen brauchen doch eine Quelle, einen Ursprung. Wenn der Papst die Kurie in Gefahr sieht, dann macht er da von hinten her ein Minenfeld auf. Sollte die Kurie wirklich abgestumpft sein, also abgeschnitten vom inneren Weg – wie können sie dann Weisungen für die Menschen herausgeben? Wir dürfen gespannt sein, was sich in Rom verändert, wenn auf einmal alle Kirchenbeamten aus dem Ursprung der Quelle leben. Franziskus: „Du zettelst hier vielleicht eine heilsame Palastrevolution an!“

Schwäche Nr. 4 – zu viel planen

Die vierte Schwäche, die der Papst in seiner Ansprache vor der Kurie im Advent 2014 offenlegte heißt - zu viel planen. "Es ist nötig, gute Pläne zu machen. Aber verfallt nicht der Versuchung, die Freiheit des Heiligen Geistes einzuschließen oder zu dirigieren, denn er ist größer und großzügiger als jeder menschliche Plan".
Das Papstwort erinnert mich an den Witz, dass Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist einen Betriebsausflug planen und der Heilige Geist den Vorschlag macht: „Lasst uns nach Rom gehen, da sind wir noch nie gewesen.“ Immerhin existiert dieser Witz. Aus welchen Kreisen kommt er? Kirchenfernen? Kircheninternen? Ich kenne ihn aus kircheninternen Pfarrerskreisen.
Wer zu viel plant, so meint Franziskus, könnte das Wirken des Heiligen Geistes verpassen. Gilt das nur für die Kurie? Auf keinen Fall! Seit Jahren gibt es die vielen Pastoralpläne. Strukturfragen und Veränderungen stehen ganz oben auf der Agenda. Wenn wir die Fusionen abgeschlossen haben, können wir uns wieder den Menschen zuwenden? Sind die dann noch da? Wird das funktionieren? Ich erinnere mich an viele Konferenzen, diözesane Prozesse, Foren, Thesenpapiere, Visionsentwürfe, die sich wie ein roter Faden durch meine kirchliche Laufbahn gezogen haben. Ja, es ist nötig, gute Pläne zu machen! Aus meiner Sicht sind Pläne aber absolut nachgeordnet!
Eine geplante Konferenz läuft ja in der Regel so ab: Es gibt eine klare Tagesordnung mit Begrüßung, Themenliste, Zeitvorgabe, Ergebnisabsprachen usw. Jetzt stell dir mal in deiner Phantasie eine Konferenz vor die der Vorsitzende folgendermaßen beginnt: 

„Da der Heilige Geist die wichtigste Kraft in unserer Konferenz ist, möchte ich euch jetzt einladen, in die Stille zu gehen. Spürt doch einmal nach, was er dir jetzt in diesem Augenblick sagen möchte. Und dann möchte ich dich bitten, das Bild, den Impuls oder was immer der Geist eingibt, mit uns allen zu teilen.“ 

Dann breitet sich eine tiefe Stille aus. Und wenn der Geist in seiner Freiheit wirkt, wird er etwas sagen und die Anwesenden werden teilen oder es bestünde auch die Möglichkeit, dass dann nach ein oder zwei Stunden andächtiger aber inhaltsfreier Stille alle wieder nach Hause gehen. Und das wäre völlig in Ordnung so. Mal spricht der Geist und manchmal eben auch nicht. Vielleicht wirkt er wortlos ja auch viel mächtiger!
Man stelle sich einmal vor, wenn der Heilige Geist wirklich wirken dürfte wie er wollte? Würde die Kirche so aussehen wie jetzt? Franziskus stellt fest: Die „Pläne“ des Geistes wären größer und großzügiger als jeder menschliche Plan. An der Großzügigkeit würden wir das Ergebnis messen können. Der Papst entwickelt - mal eben hier so - in einem versteckten Nebensatz eine unglaubliche Vision von „Großzügigkeit“. Diese Theologie liebe ich! Gott ist verschwenderisch! Es ist alles da! Alles bekommt eine Erlaubnis, da zu sein!
Pläne zeigen sich oft kleinkariert, genormt und festgezurrt nach dem Motto: "Wir haben alles bedacht und für alle Eventualitäten ist gesorgt."  Kann es sein, dass wir den Heiligen Geist dirigieren? Wie wäre es, wenn er uns dirigieren dürfte? Wenn er dirigiert dann kommt es zu einem Konzert. Wenn wir dirigieren kommt es zu Bevormundung und Rechthaberei.
Ein gewisses Maß an Plänen macht sicherlich Sinn. Ich plane auch meinen nächsten Urlaub und die Zutaten für das Mittagessen. Aber ich plane nicht die Liebe, ich plane nicht die Zeit meiner Rente. Ich plane auch nicht das nächste Jahr. Und die Pläne für morgen werde ich umschmeißen, wenn die Stimme in mir ruft: „Jetzt ist was andres dran!“
Meine Umformulierung heute: „Öffne dich der Kraft des Heiligen Geistes! Du wirst wie auf einer Welle surfen und jeden deiner eigenen Pläne hinter dich lassen.“ 

Schwäche Nr. 5 – Mangel an Koordination

Die Ansprache an die Kurie im Advent 2014 zeigte fünfzehn Schwächen auf. Papst Franziskus bemängelt in der fünften Schwäche dass sie ohne Koordination arbeiten wie ein lärmendes Orchester. "Wenn der Fuß der Hand sagt: 'Ich brauche dich nicht' oder die Hand dem Kopf sagt: 'Ich habe das Sagen'".

Ich erkenne in diesem Papstgedanken sofort den ersten Korintherbrief wieder. Paulus spricht von dem einen Leib und den vielen Gliedern. Am Leib wird jedes einzelne Körperteil benötigt und besitzt eine spezielle Fähigkeit. Die Hände können nicht denken und der Kopf kann nichts begreifen (im wortwörtlichen Sinne). Es zählen dabei nicht nur die Fähigkeiten der einzelnen Glieder sondern auch die Zusammenarbeit und die Koordination. Man stelle sich eine Hand vor, die nie stille hält und ständig greift. Dann müsste der Kopf immer aufpassen, dass sie nichts anstellt und kann nicht mehr über den Sinn des Lebens nachdenken. Wie bekommen die Teile unseres Körpers inklusive Gedanken und Herz bloß diese unglaubliche Koordination hin?! Ich staune! Na gut, da gibt es schon mal Ausrutscher! Wir fallen hin, wir kommen ins Straucheln, wir lassen was fallen, wir irren uns, wir trauen uns etwas nicht zu... Hin und wieder hapert es mit unseren inneren Absprachen. Aber grundsätzlich klappt es mit uns doch sehr gut, oder? Was mich an diesem Kooperationsgeschehen am meisten beeindruckt ist: Es läuft wie von selbst! Quasi automatisch! Ohne Anstrengung! Meine Finger tippen diese Zeilen während mir die Gedanken kommen. Zugleich sehen meine Augen diese Zeilen und geben Korrekturhinweise an das Gehirn. Im Hintergrund höre ich den Verkehr und die Haut fühlt die Wärme der Heizung. Das Herz freut sich über das Wachsen des Textumfanges und alles ist im Fluss. Etwas in mir ruft nach Pause und sofort schweigen die Finger. ... Ich habe jetzt meinen ganzen Körper gestreckt und ohne weitere Anstrengung knüpfe ich an dem an, was ich vor zwei Minuten gemacht habe.
Im Grunde läuft so mein ganzer Tag ab. 24 Stunden am Tag läuft diese wundervolle Koordination. Alle Zellen wirken mit! Alle Kreislaufsysteme! Alle Muskel, Nerven und Organe! Damit will ich jetzt das Schwärmen für meine Körper-Geist-Seele Einheit beenden. Im Blick auf die Kurie nun stellt der Papst fest: Die Koordination dort stimmt nicht! Da macht wohl jeder was er will oder was er nicht kann oder nicht darf – ein großes kakophonisches Orchester! Gut, das ich das jetzt weiß! Dann darf ich also Briefe von Rom auf keinen Fall Ernst nehmen.
Stell dir einmal geschiedenes und wiederverheiratetes Ehepaar vor, welches nach Rom schreibt und um die völlige Teilnahme an allen Sakramenten bittet. Wenn sich Rom in solchen Koordinationsschwierigkeiten befindet, woher wüsste dann das Ehepaar, ob das Antwortschreiben autorisiert ist? Vielleicht stimmt nicht einmal der theologische Inhalt. Vielleicht kommen sogar unterschiedlich lautende Anweisungen. Der Papst will den Gläubigen mit dieser Schwäche seiner Kurie also sagen: „Überprüft jedes Schreiben von Rom und glaubt nicht sofort was da drin steht“.
Eigentlich jedoch lädt der Papst zu einem weiterführenden Impuls ein. Was ein einzelner Mensch für sich scheinbar mühelos und automatisch hinbekommt, also eine fast fehlerfreie Koordination, scheint in Gruppen umso schwieriger zu sein. Die Kurie bildet da keine Ausnahme. Kirchenvorstände und Pfarreiräte, Firmenabteilungen und Vorstandsgremien, Familien und Nachbarschaftsgruppen sehen sich häufig in einer ähnlichen Lage. Immer wieder knirscht es im Getriebe.
Wie machen das eigentlich die Familien, wo das Zusammenleben fast reibungslos klappt? Wie bekommen das manche Firmenabteilungen so hin, dass sie miteinander agieren, als befänden sie sich im Paradies?  Wie machen die das? Gibt es da ein Geheimnis?
Ich habe festgestellt dass sich knirschendes Getriebe verschlimmert, wenn man ständig auf das Knirschen hinweist. Schnell prägt sich im Bewusstsein ein: „Wir sind eine Problemfamilie! Wir sind eine Problemabteilung! Wir waren das immer schon! Wir werden es auch bleiben!“ Hatte die Kurie in Rom jemals in der Geschichte einen guten Ruf? Weiß das jemand? Könnte mir da ein Geschichtskundiger weiterhelfen?
Zwei vielleicht hilfreiche Gedanken kommen mir in den Sinn.
1. Die Kurie, jede Familie und jede Firmenabteilung hat auch ihre guten Seiten. Irgendetwas machen die auf jeden Fall richtig! Es gilt, diese Seiten zu entdecken und zu fördern. Mehr von diesen guten Seiten!
2. Die Kehrseite der Koordination ist das Chaos. Das Chaos ist die Basis für eine Neugestaltung. Eine ideale Koordination birgt die Gefahr einer Erstarrung in sich. Das Chaos birgt den Keim zum neuen Leben.
Dein Körper koordiniert ständig und befindet sich zugleich in einem ständigen Chaos. Du stehst z.B. fest mit beiden Füßen auf der Erde. Dann hebst du einen Fuß um weiterzulaufen. In diesem Augenblick befindet sich dein Körper im Chaos. Die Ruhehaltung löst sich auf und nach ein paar chaotischen Augenblicken kommst du zurück in eine koordinierte Haltung.
Vielleicht braucht es in Rom ein kakophonisches Orchester. Noch ist nicht raus wofür das gut ist!
Mein umgewandeltes Papstwort für den heutigen Tag: „Genieße das Geschenk der Koordination. Die Teile in dir sind ausgezeichnet verbunden! Bejahe zugleich die Kakophonie in dir. Mit ihr wagst du den Anfang zu neuen Ufern!“

Schwäche Nr. 6 – spirituelles Alzheimer

In seiner Ansprache vor der Kurie im Advent 2014 benennt Papst Franziskus als sechste Schwäche "Spirituelles Alzheimer": "Wir sehen es in den Leuten, die ihr Zusammentreffen mit dem Herrn vergessen haben ... in jenen, die völlig auf ihr Hier und Jetzt, ihre Leidenschaften, Launen und Manien angewiesen sind; in jenen, die Mauern um sich bauen und sich von Götzen versklaven lassen, die sie mit ihren eigenen Händen erschaffen haben".

Der Papst als Worterfinder! „Spirituelles Alzheimer!“ Gehen wir doch diesem Phänomen einmal auf die Spur, bei der Kurie und auch bei uns selbst. In kirchlichen Kreisen spricht man ja davon, dass der Glaube in der Gesellschaft „verdunstet“. Er schleicht sich nach und nach aus. Sinkende Zahlen bei den Kirchenmitgliedern, sinkende Gottesdienstbesucher, immer weniger Menschen teilen die Glaubensinhalte. Es gibt kaum einen Bereich wo etwas steigt, alles verdunstet nach und nach, Menschen, Glaube, Kirchengebäude, Sakramente usw. Wie verdunsten denn diese Dinge? Menschen haben keine Lust mehr auf die Kirche. Sie können sich nicht mehr mit den Inhalten und Zielen identifizieren. Sie haben schlechte Erfahrungen gemacht. Sie mögen nicht die autoritären Strukturen. Sie stoßen sich an die großen kirchlichen Fehler und Schwächen. Der Dunst findet reichen Nährboden.
Jetzt könnte man ja meinen, dass es solche Phänomene auch bei der Kurie gibt. Aber der Papst spricht nicht vom Verdunsten, sondern vom Alzheimer, vom „spirituellen Alzheimer“. Die Menschen in der Welt treffen irgendwann eine Entscheidung gegen die Kirche und die Kurie im Gegenzug „vergisst“, nicht schuldhaft sondern krankheitsbedingt.
Kann es sein, dass die vielen kirchlichen Beamten zwar gerne mit dem „Herrn“ zusammentreffen würden, wenn sie es denn könnten. Sie haben also Gott vergessen. Er existiert nicht mehr in deren Gedächtnis. Die Kurie entlarvt als „Krankheitsatheisten?“ Kann das sein? Worin zeigt sich diese Gottvergessenheit im Konkreten? Abhängigkeiten von Leidenschaften, Launen und Manien! Sich einschließen in Mauern! Versklavung von selbsterschaffenen Götzen!
Ich höre da keine Sünde sondern eine Fülle von Krankheitssymptomen die auf Diagnosen schließen lassen wie Manie, Kontrollverlust, Depression, Persönlichkeitsstörungen, Besessenheit, Verfolgungswahn, Schizophrenie. Auf dem ersten Blick erscheint die Kurie als ein Haufen spiritueller Sünder, die den Herrn vergessen haben. Auf den zweiten Blick geht es eher um eine Gruppe von Menschen, die dringend auf einen Therapieplatz warten.
Der Papst spricht dennoch in Bildern. Was meint er da eigentlich konkret? Welche Leidenschaften werden denn da ausgelebt? Welche Götzen existieren da in Hülle und Fülle neben dem einzigen Christlichen? Benötigt nach dem Erkennen die Kurie eine spirituelle Umkehr oder eher eine Systemtherapie?  
Ich sehe Papst Franziskus schon zustimmend nicken wenn er Martin Luthers Worten folgt: „Der Mensch ist ein stinkender Madensack!“
Genug Gedanken für Rom. Der nächste Impuls gilt dir und mir. Was ist, wenn wir alle auch so etwas entdecken würden in uns wie „spirituelles Alzheimer“? Wir wären abgeschnitten von der Quelle des Lebens. Wenn du innerlich nicht mit der göttlichen Quelle verbunden bist musst du eine Quelle im Außen suchen. Welche Leidenschaften lassen dich leiden? Welchen Manien gibst du dich hin und pflegst sie als Teil deiner Identität? Wo verkriechst du dich in deiner Angst hinter Mauern weil du dich schämst für das was du bist? Welche Wesen sitzen auf deinem Götterthron?
Wenn die vielen Götter, Manien und Leidenschaften von uns Besitz ergriffen haben ist auch niemand mehr da, der sie kontrolliert. Je weniger Manien und Leidenschaften, desto mehr die Chance für den Geist, wieder klar zu denken uns aus der Wüste ins Bewusstsein zurückzukehren. Mein päpstlicher Umkehrsatz für die sechste Schwäche: „Mit einem Halleluja in deiner Seele werden Manien und Launen ein Fremdwort bleiben.“

Schwäche Nr. 7 - Rivalisierungen

Nach der Beschäftigung mit den ersten 6 Schwächen der Kurie geht mir langsam der Atem aus. Eigentlich bräuchte ich eine Pause. Einmal in Gedanken vor die Tore Roms treten und durchschnaufen. Wer sich der Hölle stellt braucht ein dickes Fell und den Wunsch, den Weg zur Erleuchtung zu gehen. Der Weg ins Licht führt aber gerade über unsere inneren Dämonen. Schauen wir auf die siebte Schwäche, die Papst Franziskus bei der Kurie ausgemacht hat. Er sieht die Gefahr, sich in Rivalitäten zu verlieren und zu prahlen: "Wenn das eigene Aussehen, die Farbe der Gewänder oder Ehrentitel zu den wichtigsten Zielen im Leben werden".

Ich habe Verständnis dafür, dass man mit über 80 Jahren nicht mehr so sehr auf sein Aussehen achtet. Der Papst benötigt ja keine Kleiderwahl mehr. Jeden Tag in Weiß! Ich würde gerne einmal mit seiner Haushälterin sprechen. Wie viele weiße Gewänder besitzt er wohl? Wie oft werden die gereinigt? Neigt er zum schlabbern? Diese Frage stellt man keinem Papst oder? Praktisch sind die weißen Gewänder auf jeden Fall nicht. Frère Roger von Taizé trug übrigens auch weiße Gewänder. Gibt es da einen Unterschied in Richtung lässig und gefällig fallend französisch und streng geschnitten und durchgeknöpft römisch katholisch? Mir würde Franziskus mit Jeans und Sweatshirt gut gefallen.
Also, der Papst sieht die Gefahr eines sich Verlierens in Rivalität durch Achten auf das eigene Aussehen, Farbe der Gewänder und Ehrentitel. Wie ist er selbst eigentlich Papst geworden? War er frei von Rivalität? Immer? Welche Fülle von Ehrentitel sind auf seinem Thron versammelt? Der  „Pontifex Maximus“, „Seine Heiligkeit“...
Ich erinnere mich an meine Seminarzeit. Es gab keine Rivalität. Wir waren alle Brüder. Da gab es aber auch schon früh manche Brüder, die schon im ersten Semester den Kleiderschrank auf Kleriker umstellten. Da gab es die Brüder, die gerne neben dem Bischof saßen, wenn er denn mal zu Besuch kam. Da gab es die Brüder in späteren Zeiten, die es hinbekamen auch als Kleriker eine Art „Priesterschick“ zu entwickeln. Einen schwarzen Anzug bekommt man für unter hundert Euro im Kaufhaus oder von Armani im Wert eines gebrauchten Kleinwagens.
Ich habe als Seminarist stolz meine Jeans und meinen Parka getragen. Ich war überzeugter Antiklerikaler. Merkst du es, lieber Leser, liebe Leserin? Jesus spricht vom Balken im eigenen Auge. Die Gefahr von Rivalität und klerikaler Kleidung reicht tiefer. Jeans und Antiklerikalismus auf der einen und schwarzer Anzug auf der anderen Seite liegen näher beieinander als du denkst. Beide speisen sich aus der gleichen Quelle: „Wie sehe ich aus?“ „Wie wirke ich?“ „Bin ich wer?“
Man könnte ja denken, dass das klerikale Rom die Kleiderfrage ja praktisch gelöst hat: Einheitsfarbe schwarz, Thema erledigt. Aber dem ist wohl nicht so! Warum sollte es auch, wo doch die ganze Welt sich mit diesen Fragen beschäftigt. Jeder Jugendliche auf der Suche nach der Liebe, jedes Mädchen in der Boutique, jeder Mann auf der Karriereleiter und jede Frau, die sich zum Ausgehen schick macht: Alle möchten „gut angesehen sein“. Die Welt der Schönen vergleicht sich und wird kräftig in den Medien verglichen. Warum sollte da die Kurie eine Ausnahme sein.
Ich glaube, man darf diese Frage nicht so Ernst nehmen. Als Kinder haben wir mit Leidenschaft verkleiden gespielt. Wir schlüpften in die Identitäten von Mutter und Vater und stolzierten mit unseren Kleidern durchs Haus. „Hast du mich gesehen?“ „Bin ich nicht schick?“ Es steckt ein tiefes Bedürfnis dahinter und das wollte ich eigentlich sagen. Wir Menschen wünschen uns alle, gesehen und beachtet zu werden.  Wir wollen gemocht werden. Wir wünschen uns Sympathie und Zuwendung und leben von dem wohlwollenden Blick der Anderen. Aus dieser Überzeugung mein umwandelndes Wort des Papstes: „Du brauchst nicht zu rivalisieren. Du bist schön, so wie du bist! Gott sieht dich! Ich dich auch. Sieh du dich auch. So wie du bist. Du musst nichts mehr daran verbessern.“

Schwäche Nr. 8 – existentielle Schizophrenie

Papst Franziskus hat ein wachsames Auge auf seine Kurie gerichtet. 15 Schwächen macht er fest. Unter Punkt 8 erkennt er das Leiden an "existenzieller Schizophrenie": "Es ist die Krankheit jener, die ein Doppelleben führen. Ein Resultat der Scheinheiligkeit, die typisch ist für mittelmäßige und fortgeschrittene spirituelle Leere, die auch akademische Titel nicht füllen können. Es ist eine Krankheit, an der oft die leiden, die den Priesterdienst aufgegeben haben und sich auf bürokratische Aufgaben beschränken und dadurch den Kontakt mit der Realität und echten Menschen verlieren".

Ich vermute einmal, dass Franziskus nicht von der psychiatrischen Diagnose der Schizophrenie spricht sondern als Kenner des Griechischen eine philosophische und theologische Sicht entwickelt. Vielleicht denkt er dass bei einer „existentiellen Schizophrenie“,  „Geist, Seele und Gemüt“ abgespalten sind vom Rest der Persönlichkeit, und das nicht vorübergehendend sondern dauerhaft und tiefgreifend. Wenn also Geist und Seele aus einem Menschen ausziehen dann bleibt nur noch eine leere Hülle übrig. Wenn ein Mensch seine Seele verliert, aber das nicht zeigen möchte, umgibt er sich mit einem Ersatz. Wenn schon nicht fromm, dann wenigstens einen akademischen Titel. Wenn schon keine pastorale Arbeit, dann wenigstens einen gewichtigen Schreibtisch.
Wenn also in der Kurie ein akademischer Schreibtischbeamter sitzt, der sein Herz nicht mehr bei den Sorgen der Menschen hat, führt das zwangsläufig zu einem scheinheiligen Doppelleben.  Über kurz oder lang erstickt eine Behörde in Bürokratismus, Wichtigtuerei und Menschenverachtung. Den Kerngedanken und die Wurzel dieser Krankheit sieht Franziskus in der „spirituellen Leere“.
Blicken wir doch einmal auf das eigene Leben. Im weltlichen Leben übertragen geht es bei der „existentiellen Schizophrenie“ um das Phänomen von „Burnout“. Am Beginn steht ein übergroßes Engagement für eine Sache. Du setzt dich voll ein für deine Firma und vernachlässigst nach und nach andere wichtige Lebensbereiche wie Familie, Freunde und die eigene Erholung. Das Hamsterrad setzt sich in Bewegung und kommt nicht mehr zum Halten. Am Ende bist du ausgebrannt. Dabei handelt es sich um eine „gefühlte Leere“.
Jeder, der sich mit großem Eifer und intensiver Leidenschaft engagiert ist potentiell gefährdet innerhalb und außerhalb der Kirche! Nach und nach zieht sich sozusagen die Freude, die seelische Mitte, der Sinn zurück.
Es kann also gut sein, dass es in der Kurie ganz viele sehr überzeugte und engagierte Mitarbeiter gibt, die aber im Laufe ihrer Dienstjahre den Sinn und die Freude verloren haben. Was tun? Wäre es möglich, alle Büros dort für ein paar Monate zu schließen und ein Praktikum zu machen irgendwo in einer Pfarrgemeinde, einer sozialen Einrichtung oder einem der weltweiten Slums nach dem Motto: „Wir suchen erneut den Sinn unseres Lebens!“ Dann ginge es nicht um eine moralische Verurteilung von Scheinheiligkeit, sondern um das Angebot für einen therapeutischen Weg.
Meine Papstwortalternative für heute: „Wenn du immer gut mit deiner Mitte verbunden bist und auf ein Leben in Balance achtest verhinderst du Burnout und existentielle Schizophrenie.“

Schwäche Nr. 9 - Geschwätzigkeit

Am 22.12. 2014 hielt Papst Franziskus seine bekannte Rede vor der Kurie und benannte 15 Schwächen in Rom. Dazu zählt unter Punkt 9: "Der Terror des Geschwätzes". "Das ist die Krankheit von Feiglingen, die nicht den Mut haben, direkt zu sprechen, sondern nur hinter dem Rücken von Leuten".
Kanonenfeuer von Gehässigkeit und übelster Rede. Gerüchte auf allen Fluren und in allen Räumen des Vatikan. Heimlich und unheimlich! Zerstörerisch und zersetzend! Es muss sich nach den Erlebnissen des Papstes nicht um die eine oder andere Nickeligkeit handeln sondern um Abgründe, die sich auftun. Die Hölle befindet sich direkt unter dem Petersdom! Also machen wir uns mit Franziskus auf dem Weg und kommen einmal dem Geschwätz auf die Schliche. 
"Hast du schon gehört?" Wenn dich jemand mit diesem Satz anspricht, dann werde aufmerksam. Mit diesem Satz beginnt der Klatsch und Tratsch und Gerüchte werden in die Welt gesetzt. Klatsch und Tratsch sind der Name für zwei Personen, die fortlaufend miteinander im Gespräch sind.
Klatsch und Tratsch existieren unabhängig von dir. Sie gleichen Geistern, die sich ständig neue Opfer suchen. Sie haften sich Personen an, die empfänglich dafür sind. Klatsch und Tratsch können ihre Opfer riechen.
Bist du Klatsch und Tratsch gefährdet? Spürst du manmal, wie sich diese Energien dir nähern und versuchen, von dir Besitz zu ergreifen? Hier findest du einige Hinweise für dein persönliches Gefährdungspotential. Der Einfachheit halber taufe ich dieses Phänomen "Klatra". Empfindest du dein Leben als langweilig und eintönig? Gibt es wenig Abwechslung und deine Bedürfnisse nach neuen Erfahrungen werden nicht erfüllt? "Klatra" liebt dein inneres Brachland und pflanzt sich mitten in deinem Herzen ein.
Fühlst du dich vernachlässigt oder so gar nicht beachtet von deiner Familie? Wirst du zu wenig angesprochen und mit einbezogen in wichtige familiären Angelegenheiten? "Klatra" gibt dir die Bedeutung, die du dir wünschst. "Klatra" setzt dich an die erste Stelle und macht dich zu einem König und einer Königin!
Verdienst du zu wenig Geld? Hättest du gerne eine besser bezahlte Stellung? Vergleichst du dein Bankkonto mit dem anderer Menschen? Ist dir das Gefühl von Neid vertraut? "Klatra" liebt den Neid und kennt genau die Einfallstore für dieses Gefühl in deinem Kopf und in deiner Seele. "Klatra" macht sich bemerkbar mit Flüstersätzen genau mitten ins Ohr wie: "Du hast besseres verdient!" "Die oder der ist ein Betrüger!" "Der gehört ins Gefängnis!"
Bist du unzufrieden mit deinem Körper? Zu dick oder zu dünn und die zu vielen Kilo auch noch an der falschen Stelle? "Klatra" mag es besonders, wenn in einer Zeitschrift ein Promi abgeschmiert wird. Da säuselt wieder die Stimme in deinem Ohr: "Schau an, so gehts, wenn man die Nase so hoch hält! Ich habe das schon lange geahnt oder vorhergesehen..."
Kennst du das Gefühl von innerer Leere? Du befindest dich in einer seelischen Wüste? Zugleich möchtest du gerne ein Teil einer Gemeinschaft sein? Auch mit diesem Zustand ist "Klatra" sehr vertraut. Immer, wenn du folgenden Satz hörst, sei wachsam. "Das muss ich gleich ... erzählen!" Der Wunsch der Weitergabe ist die Energiequelle von "Klatra". Wenn du nichts weitergibst bedeutet das den der Tod von "Klatra".
Du bemerkst an dieser Stelle vielleicht eine gewisse Scheu und Zurückhaltung in meinen Gedanken. Ich habe "Klatra" bislang keinem Geschlecht zugeordnet. "Klatra" ist ja eigentlich die Zusammensetzung von "der Klatsch" und "der Tratsch".  Du könntest eine geballte Verdoppelung von Männlichkeit darin vermuten. Ich denke, "Klatra" ist sowohl männlich als auch weiblich oder weder/noch und sowohl/als auch. "Klatra" tarnt sich. Das ist wieder so eine Spezialität. "Klatra" passt sich dem Geschlecht wie ein Chamäleon an.
Wie hältsst du dir "Klatra" vom Leib? Entwickel ein gutes Verhältnis zu deiner Persönlichkeit. Pflege freundliche Kontakte zu dir selbst, zu deinen Freunden und zu allen Geschöpfen. Sei zufrieden mit deinem Leben und vertraue in einer Krise auf eine positive Wendung.
Hat "Klatra" einmal Besitz von dir ergriffen wirst du diese Energie nur schwer los. Wie bei einer Sucht braucht es da eine klare Strategie. Meide jede Situation, in der Klatsch und Tratsch auftreten könnten. Und wenn du hörst, dass schlecht über jemanden gesprochen wird, dann lobe ihn in den höchsten Tönen. Du schaffst dadurch ein gutes Gegengewicht zu den negativen Energien im Raum. Vor allem sei wachsam wenn du hörst: Hast du schon gehört ...

Schwäche Nr. 10 – Verehrung von Vorgesetzten

Bei der 10. Schwäche,  die Papst Franziskus bei der Kurie sieht handelt es sich um die Verehrung der Vorgesetzten. "Das ist die Krankheit jener, die ihre Vorgesetzten
hofieren und dafür auf deren Wohlwollen hoffen. Sie sind Opfer des Karrierismus und des
Opportunismus. Sie verehren Menschen, die nicht Gott sind".
Früh übt es sich auf der Karriereleiter! Ich erinnere mich an meine Seminarzeit. Da gab es Studenten, die oft und gerne beim Mittagessen am Tisch des Direktors saßen. Die bekamen es auch mit, wann einmal der Bischof zu Besuch da war und wurden prompt zu seinem Tischnachbarn. Diese Studenten gingen in den bischöflichen Gottesdienst, wurden bischöfliche Messdiener und kannten nach und nach alle wichtigen Persönlichkeiten an der Bistumsspitze.
Wenn der Bischof dann später einen zuverlässigen und ihm bekannten Menschen suchte für eine verantwortungsvolle und karrierefördernde Aufgabe dann hatte er natürlich jemanden im Blick, der schon mal bei ihm Messdiener war oder mit dem er schon einmal an einem Tisch gesessen hatte.
Wann fängt die Verehrung von Vorgesetzten an? Sage ich Herr Bischof? Oder sage ich Hochwürdigster Herr? Darf ich womöglich Herr Papst sagen oder Herr Franziskus? Da gibt es viele Möglichkeiten mit den Verehrungen anzufangen. Darfst du in der Kirche widersprechen oder ungehorsam sein? Wie viele Freiheiten erlaubst du dir?
Im sonstigen Wirtschaftsleben tauchen diese Fragen auch auf. Mir ist schon häufig aufgefallen, dass Menschen sich verändern sobald der Chef im Raum auftaucht. Wenn der Vorgesetzte erscheint wird der Angestellte zum Kind. „Hoffentlich habe ich nichts falsch gemacht!“ „Lass dich nicht erwischen!“ „Bloß nicht auffallen!“ Oder auch umgekehrt: „Jawohl Chef!“ „Sie haben Recht Chef!“ „Das mache ich gerne für Sie Chef!“ „Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“
Vielleicht möchte ein Vorgesetzter gar nicht „verehrt“ werden aber es entsteht oft ein Automatismus. Den „Sklaven“ sitzt die Unterwürfigkeit in den Genen. Schon als Kinder haben wir von unseren Eltern gehört: „Solange du die Füße unter meinem Tisch stellst...“ Kinder, die eine solche Erziehung verinnerlicht haben sind geradezu prädestiniert für ein Leben in der Verehrung von Vorgesetzen. Sei lieb zum Chef, dann geht es dir gut.
Doch auch hier gibt es wieder die Möglichkeit einer völlig anderen Sichtweise. Eine Stufe unter der Verehrung liegt die Achtung! Einen Menschen zu ehren, nicht zu verehren, sondern zu achten ist doch ein sehr hohes menschliches Gut. Der Angestellte muss also nur von seiner Verehrung zu einer Achtung kommen und diese Achtung auf alle Menschen ausweiten.
So könnten wir den heutigen Satz von Papst Franziskus umschreiben: „Bringe jedem Menschen Ehre, Achtung und Respekt entgegen und schau nicht, auf welcher Stufe der Karriereleiter dieser Mensch steht. Ein Bettler sei für dich wie ein König und ein König wie ein Bettler. Im Kern ist jeder ein von Gott geliebter Mensch.“

11. Schwäche - Gleichgültigkeit

Papst Franziskus spricht in seiner elften Schwäche von der Gleichgültigkeit gegenüber anderen: "Wenn man aus Neid oder Heimtücke Freude daran findet, andere fallen zu sehen, statt ihnen aufzuhelfen und sie zu ermutigen".

Gleichgültigkeit hört sich ja irgendwie normal an. Viele Menschen sind heute gleichgültig. Es kümmert sie nicht, wenn es mit der Wirtschaft bergab geht, wenn die Arbeitslosenzahlen nicht sinken, wenn Nachbarn im Streit miteinander liegen. Ein echter Gleichgültiger kümmert sich einfach dann nur um sich und nicht um das Elend ringsum.
Jetzt spricht der Papst ja eigentlich gar nicht über die Gleichgültigkeit sondern über Niedertracht. Die vatikanischen Jünger finden Freude daran, wenn andere fallen. Er sieht in deren Herzen Neid und Heimtücke. Demnach wäre ein Besuch im Vatikan nahezu lebensgefährlich. Ich sollte meine älteste Hose anziehen, die teure Kamera in die Tiefen meines ärmlichen Rucksackes verstecken und höchstens mit einem trockenen Stück Brot das Gelände betreten. Wenn ich als Bettler erscheine erwecke ich keinen Neid.

Der Papst spricht hier aber eine sehr traurige Wirklichkeit an. Der Umgang mit dem Neid. Nicht nur in Rom, überall vergleichen die Menschen. Ich wuchs mit vier Geschwistern auf. Alle die gleiche Portion Quark in der Schüssel! Und wehe, die Schwester bekam einen Löffel mehr! Der „Neid“ lauerte an allen Ecken und Enden. Wer hat mehr Geld, wer bekommt mehr Zuwendung, wer hat mehr Freiheiten, wer muss früher und wer darf später ins Bett. Der Neid bekam jeden Tag seine Chance. Die Taufe allein verhindert keinen Neid. Auch Christen sind durchzogen von diesem zerstörerischen Lebensgefühl. Auch Jesus erlebte das häufig! So erzählte er von den Arbeiten im Weinberg, die am Abend alle den gleichen Lohn bekamen für unterschiedliche Leistungen.
Mit Kindern ins Ferienlager fahren könnte auch die Überschrift tragen: „Wie verhindere ich zwei Wochen Neid!“ Wir Menschen scheinen so gestrickt zu sein! Immer die Angst zu kurz zu kommen. Immer die Befürchtung übersehen zu werden. Immer aufpassen, dass die Zuwendungen auch bei mir Halt machen! Wenn die anderen fallen bleibt für mich mehr übrig. Als Christ und vatikanischer Jünger darf ich das aber nicht offen zeigen.
Was tun? Einübung in das radikale Vertrauen und einen veränderten Glaubenssatz. Nicht das Prinzip: „Jedem das Gleiche“ sondern „jedem nach seinem Bedürfnis“ und das auf der Grundlage: „Es ist genug für alle da!“
Mein Papstwort lautet darum ganz einfach: „Vertrau! Es ist mehr als genug für alle da! Gott ist Fülle!“

12. Schwäche – die Trauermiene

In der langen Liste des Papstes der Kurie gegenüber taucht unter Punkt zwölf der Vorwurf auf, eine Trauermiene aufzusetzen: "Tatsächlich sind theatralischer Ernst und steriler
Pessimismus oft Symptome von Angst und Unsicherheit. Der Jünger muss höflich,
enthusiastisch und glücklich sein und Freude weitergeben, wo auch immer er hingeht".

Jemand mit einer Trauermiene macht einen bekümmerten Gesichtsausdruck. Das wäre wirklich nicht schön für Besucher und Gäste aus der weiten Welt, wenn sie ständig Trauermienen in den vatikanischen Fluren begegnen müssten.
Es sei denn! Es gäbe viele Gründe zur Trauer! Man denke an all diejenigen, die aus der Kirche ausgetreten sind, die wiederverheiratet Geschiedenen, die vielen anderen Konfessionen, Sekten und Religionen, Sünden der Kirchenmitglieder und die vergangenen Sünden der Kirche von Hexenverbrennung, Verfolgungen und Machtmissbrauch. Vielleicht lesen die vatikanischen Jünger ja die ausufernden Kirchenkritikbücher und trauen sich nicht mehr mit einem strahlenden Lächeln in die Öffentlichkeit zu gehen. Der Sünder glaubt, dass man ihm die Sünde ansieht. Das habe ich zumindest als Kind geglaubt wenn ich Süßigkeiten aus der Schublade stibitzt habe. „Gott sieht dem Sünder ins Herz. Der Kopf läuft rot an und der Blick neigt sich zu Boden.“
Der Papst versucht sich mit einem ersten Ansatz. Er erkennt Angst und Unsicherheit im theatralischen Ausdruck von Pessimismus. So fordert er Freude und Höflichkeit bis zum Enthusiasmus ein. Wenn das mal so einfach wäre! Einmal pusten und die Trauer verschwindet! Einmal tief Luft holen und die Freude einziehen lassen! Per Dekret und Verordnung!
Wenn ich einen solchen Satz in meinen Beratungen äußern würde hätte ich ein paar Tage später meine Entlassungspapiere in der Hand. Wenn die Trauer tief sitzt, dann braucht sie Raum und Zeit. Jesus mag das zwar gedacht haben, dass seine Jünger überall die Freude des Evangeliums hinbringen. Dazu muss der Jünger aber innerlich erlöst und befreit sein.
In der Regel ist ein Christ ja getauft, also befreit! Aber fühlt er sich auch so? Kann man die Gießkanne der Gnade einfach so über die Menschen ausschütten nach dem Motto: Der Liebe Gottes kannst du dich gar nicht widersetzen. Freude ist ansteckend! Sei mal locker! Du bist doch erlöst!
Wenn die Trauer tief sitzt, dann sitzt sie tief! Der Trauernde muss irgendwie aus seinem Loch. Wenn wir die vatikanischen Jünger einmal befragen dürften nach dem Grund ihrer Trauer - was würden sie wohl antworten?
Zugegeben: In meiner Zeit als Pfarrer hatte ich für sie kein Verständnis. Heute tut mir das Leid. Das sind auch Menschen! Ich habe mich nicht für sie interessiert! Ich hatte ja auch Angst, dass genau die mich im Visier hatten. Heute stelle ich fest: Ich habe sie dämonisiert. Ich! Niemand sonst! Es sind meine Bilder und meine Vorstellungen. Mein Papstwort für den heutigen Tag umgewandelt heißt: „Habe Verständnis für jeden Menschen in einer Trauersituation. Schenke ihm deine Aufmerksamkeit und Anteilnahme und begleite ihn aus seiner Grube so gut es geht.“

13. Schwäche – immer mehr wollen

Bei den Schwächen, die Papst Franziskus der Kurie vorhält, spricht er im Punkt 13 von dem Aspekt immer mehr zu wollen: "Wenn ein Jünger versucht, eine existenzielle Leere in seinem
Herz mit der Ansammlung materieller Güter zu füllen, nicht weil er sie braucht, sondern
weil er sich dadurch sicherer fühlt".

Von welchen materiellen Gütern können Kleriker denn immer mehr wollen? Mir fallen da spontan ein: Bücher, Ikonen, Weinflaschen, technischer Schnickschnack.
Bücher an sich wären also nicht verwerflich nach der Meinung des Papstes. Wenn ich ein Buch benötige um mehr zu wissen, oder mich weiterzuentwickeln ist das in Ordnung. Wenn es darum geht, es lediglich zu besitzen wird das schon fraglich. Technischer Schnickschnack erfüllt durchaus wichtige Aufgaben. Handys zur Kontaktpflege und Terminvereinbarungen, PC zum arbeiten usw. Ich kenne aber auch das Leuchten in den Augen der Menschen, ein Iphone zu besitzen, bzw. immer die neueste Generation. Besitzen wird wichtiger als die Funktionen und wirklichen Aufgaben. Ikonen und Weinflaschen würde ich zu den Luxusgütern zählen. Kann man, muss man aber  nicht haben. Wein und Ikonen führen uns aber vielleicht zum Kernthema in der Schwäche, „immer mehr zu wollen.“ 
Es geht letztlich um die Erfahrung und den Umgang mit der „existentielle Leere im Herzen“. Der Hintergedanke könnte so aussehen: Ich habe keine Freude mehr an der Vorstellung, dass Gott mein Herz erfüllt. Er ist ausgezogen. Ich spüre ihn nicht mehr, ich denke nicht mehr an ihn, ich suche ihn auch nicht mehr. Ich bin enttäuscht, frustriert und kann dennoch nicht damit abschließen denn als „Jünger“ ist „Gott“ ja zugleich mein Broterwerb. Jeder sonstige Christ ist „Hobby-Gott-Sucher.“ Sein Brot verdient er mit anderen Dingen.
Der Kleriker oder „Jünger“ muss also äußerlich die Fassade aufrechterhalten, „Gott“ ist ja sein Broterwerb. Wie geht er aber mit sich in einer solchen Lebensphase um? Wenn Gott nicht mehr da ist aber das Herz „Treibstoff“ benötigt, dann muss ein Ersatz her. Die Ehefrau kann es nicht sein. (Das wäre übrigens Missbrauch! Eine Partnerin als Ersatz für Sinnleere. Gleichwohl kommt das durchaus bei Paaren häufiger vor.) Ein Idealer Ersatz für den kultivierten „Jünger“ sind antike Bücher und kostbare Weine. Man verzichtet zwar auf „Gott“ aber nicht auf etwas „Wertvolles“. „Wertvolle Bücher“ und „wertvoller Gott“ zeigen doch eine gewisse Verwandtschaft auf.
Wertvolle Bücher im Herzen, Reisen zu antiken Stätten der Welt mit „Exklusivführung“, Freundschaft mit Doktoren und Professoren, auf den Gästelisten der Industriellen stehen und Eintrittskarten ergattern zu seltenen Opernaufführungen – der Möglichkeiten gibt es viele, zu „göttlichen“ Erlebnissen zu kommen.
Das betrifft nicht nur die Mitglieder der Kurie, sondern jeden, der „existentielle Leere“ im Herzen erlebt. Eine päpstliche Lösung sähe ja ganz einfach aus. Lade Gott wieder in dein Herz ein, dann brauchst du nicht mehr den ganzen Schnickschnack. Wenn das mal so einfach wäre. Ich höre so manchen Kleriker und Normalmenschen sagen: „Habe ich doch schon versucht! Immer wieder!“
Was muss ich mir eigentlich unter „existentielle Leere im Herzen“ vorstellen? Vielleicht kann ich mich dem Bild ja einmal ohne Wertung und Vorwurf nähern. Mein Wort dafür heißt „Einsamkeit“. Das klingt dann nicht mehr so philosophisch und abstrakt. Kennst du diesen Zustand? Kannst du dir diesen Satz einmal sagen: „Ich bin einsam!“ Lass diesen Satz tief in dich einwirken. Was geschieht jetzt? „Das will ich nicht?“ – „Hilfe, das fühlt sich aber erschreckend an?“ – „Ja ich fühle es und es macht mich traurig?“ Vielleicht entsteht auch ein Gefühl von Leere. Kannst du zu dem, was da jetzt kommt, Ja sagen? Ein Ja zur Einsamkeit? Wenn du das kannst hast du einen großen Schritt gemacht in deiner Weiterentwicklung.
Ich glaube, dass wir Menschen zwischen zwei Polen leben. Wir sind „Viele“ und wir sind „Einsame“! Beide Vorstellungen sind manchmal erträglich, manchmal schrecklich und oft auch heilsam und friedvoll.
Wandeln wir das päpstliche Wort noch einmal um: „Geh mitten hinein in die existentielle Leere. Sie gehört zu dir wie auch die Fülle. Halte die Einsamkeit aus und heiße sie Willkommen. Vielleicht wartet an diesem Ort der fast unhörbare Hauch Gottes auf dich.“

14. Schwäche – die Bildung von geschlossenen Kreisen

In seiner Ansprache vor der Kurie in Rom kritisiert Papst Franziskus unter Punkt 14 die Bildung von „geschlossenen Kreisen“, die stärker sein wollen als die Gemeinschaft:
"Diese Krankheit beginnt immer mit guten Absichten, aber mit der Zeit versklavt sie
ihre Mitglieder, indem sie zu einem Krebsgeschwür wird, das die Harmonie des Körpers
bedroht und so viel Schaden verursacht – Skandale – besonders gegenüber unseren
jüngeren Brüdern".

Gehen wir doch einmal diesem Rätsel von „geschlossenen Kreisen“ auf den Grund. Man könnte ja meinen, dass die Kirche eine offene Gruppe wäre. Die Kirchentüren stehen offen, alle sind zu den Gottesdiensten eingeladen. Die Termine werden öffentlich bekanntgegeben. Jeder und jede darf sich im Ehrenamt engagieren und von Zeit zu Zeit geben die Pfarreien Briefe heraus und informieren über alle Aktivitäten. Die Zeitung berichtet über das Leben der Gemeindemitglieder, der Haushaltsplan liegt für alle zur Einsicht aus und der Pfarrer lädt manchmal ein zu öffentlichen Sprechstunden.
Von welchen „geschlossenen Kreisen“ spricht Papst Franziskus? Da kann ich nur Vermutungen anstellen. Während meines Studiums wohnte ich im Priesterseminar. Nach einigen Wochen stellte ich fest, dass es im Keller eine Bar gab, wo eine Gruppe von Studenten sich regelmäßig zum geselligen Beisammensein traf. Dort wurde ordentlich gebechert, Zigarre geraucht, zu fortgeschrittener Uhrzeit gegrölt, Skandale ausgetauscht und gelästert. Zum Frust abladen und für die zölibatäre Kompensation ging man also in den Keller. Ich war einmal dort  für einen kurzen Moment und dann nie wieder. Ich wurde mit Blicken und Gesten hinauskomplimentiert. Ich fühlte mich nicht Willkommen, ich gehörte nicht dazu. Und – ich wollte den Platz auch gar nicht!
Aber das ist ja klar, wo gelästert wird sind bestimmte Ohren nicht erwünscht. Im Laufe der Jahre entdeckte ich mehrere „verborgene“ und „geschlossene“ Kreise in einer Kirche, die den Anspruch auf „Offenheit“ hat. Das Phänomen, dass Kreise sich schließen gibt es nicht nur in der Kurie, in Seminaren und in Pfarrgemeinden sondern und überall dort, wo Menschen regelmäßig zusammenkommen. „Wir kennen uns doch so gut! Wir sind so vertraut miteinander! Wir mögen uns! Fremde gefährden unsere Gruppe! Die wollen doch was!“ Ein Gruppe tut gut daran sich immer wieder einmal von Zeit zu Zeit zu überprüfen. Wollen wir geschlossen sein oder uns öffnen. Darf jeder mitbekommen, was wir hier tun und worüber wir sprechen?
Es existieren leider auch Gruppen im Untergrund, „Kellergruppen“, die das Licht der Öffentlichkeit scheuen. Der Papst spricht hier vom Skandal und vom Schaden gegenüber den jüngeren Brüdern. Was meint er damit? Hier auch wieder nur eine Vermutung. Nach meinem Wissen existieren in allen „allein männlichen“ Lebensfeldern homosexuelle Zirkel. Befürchtet Franziskus die Verführung der jungen Priester durch die älteren? Gerade ein zölibatär ausgerichtetes Umfeld lädt dazu ein, die Sexualität im Verborgenen zu leben. Wäre es nicht schön, wenn die Kirche ein „offenes“ Herz hätte für alle Menschen mit inneren Nöten? Mehr Freiheit, mehr Verständnis, mehr Möglichkeiten? Ein „Mehr“ an Barmherzigkeit mit sich selbst würde auch zu einem „Mehr“ an Barmherzigkeit im öffentlichen Leben führen. Letztlich geht es um die Integration des Schattens und nicht um die Verbannung in den Keller.
Mein Papstwort für heut: „Nimm deine inneren geschlossenen und verschlossenen Kreise wahr und wage es, sie zu öffnen, damit Liebe und Licht einziehen können.“


15. Schwäche – Streben nach weltlichen Profiten und die Prahlerei

Die letzte Schwäche der römischen Kurie nennt Papst Franziskus das Streben nach weltlichen Profiten und die Prahlerei: "Das ist die Krankheit jener, die unersättlich sind in ihren Versuchen, ihre Macht zu vervielfachen, und dabei des Rufmords, der Diffamierung und der Diskreditierung anderer fähig sind – auch in Zeitungen und Magazinen – , natürlich um sich selbst als kompetenter als andere darzustellen.

„In aller Bescheidenheit, nur so ganz nebenbei. Ich bin der Vorsitzende in meiner Selbsthilfegruppe. Ich glaube, dass ich das gut kann und die Vorstellung, der Franz würde diese Aufgabe übernehmen wäre für mich unerträglich. Der Franz ist schlicht und einfach unehrlich. Er kann nicht zuhören und er macht, was er will. Ich sorge dafür, dass alles in unserer Gruppe seinen geregelten Gang geht. Bezirkssprecher bin ich übrigens auch. Seitdem ich das mache läuft der Laden. Ich muss aber immer schauen ob dieser Posten noch mit meiner Führungsaufgabe bei meiner Firma vereinbar ist. Mein Leben ist nicht immer so ganz leicht. Ich bin Schriftführer im Tennisclub und soll demnächst den zweiten Vorsitzenden machen. Ich bin Elternsprecher in der Klasse meines Sohnes und Präsident des örtlichen Karnevalsvereins. Ich mache diese Dinge alle gerne. Es kommen halt im Laufe der Jahre so einige Dinge zusammen. Und auch Geschichten, die ich so höre. Wissen Sie, warum der Hermann nicht Karnevaltspräsident wurde? Der war doch verheiratet und so ganz nebenbei hatte er was am Laufen mit der ... (Das flüstere ich dir nur ins Ohr!)“
Spricht der Papst von solchen Typen? Kennst du selber welche? Gibt es die wirklich in der Kirche auch? Unter den Kurienmitgliedern? Da soll es doch Menschen geben, die rufen heimlich bei der Zeitung an und stecken dem Redakteur so eine kleine Geschichte zu. Wenn die Öffentlichkeit mitbekommt, wie eine Person wirklich ist, dann... So mancher Bürgermeisterkandidat und Ministeranwärter ist auf diesem Weg gestolpert. Aber Kirchenleute? Die machen das doch nicht, oder?
Gehen wir einmal davon aus, dass in der Kirche jede menschliche Schwäch möglich ist. Was steckt wohl dahinter? Welche Not hat ein Mensch, dass er sich selber für so wichtig hält! Für so wichtig, dass er überall Konkurrenten und Neider sieht, die er ausmerzen muss?
Vielleicht gibt es ja wirklich die Vorstellung: „Nur ich kann die Welt retten!“ „Ich habe wirklich die Kompetenz und der andere ist völlig unfähig!“ „Das muss doch jeder sehen!“ „Das erkennt man doch auf den ersten Blick!“ Die Absicht ist durchaus edel! Ich möchte die Welt positiv verändern und gestalten und der Bruder ist dabei im Weg. Der hat je keine Ahnung! Der ist unfähig! So verbessere ich die Welt und gehe dabei über Leichen.
Jeder, der einen verantwortlichen Posten in einer Firma hat, in der Kirche, in einem Verein oder sonst wo – ist da durchaus gefährdet! Am Ende bleibt ein Trümmerhaufen und die Erkenntis: „Ich habe es doch nur gut gemeint!“
Mein Papstwort am heutigen Tag: „Übernimm Verantwortung für dich und dein Leben. Sag Ja zu deinen Aufgaben und halte keine fest. Verabschiede dich jeden Abend von deinen Zuständigkeiten und sei dir bewusst: du lebst mit einer Leihgabe.“

Zum Schluss

Fünfzehn Schwächen hat Papst Franziskus bei der Kurie entdeckt. Vielleicht gibt es noch mehr davon! Für die Fastenzeit reichen diese Punkte aus. Genug Stoff zum Nachdenken. Genug Material für die innere Einkehr.
Ich stelle mir vor, wie der Papst vor seinen Mitarbeitern steht und alle diese Punkte öffentlich macht. Er spricht sie aus! Ich stelle mir all diese Mitarbeiter vor und schaue in deren Köpfe und Herzen. „Ich bin nicht gemeint! Von wem spricht er da! Oh je, voll erwischt! Wo kann ich mich jetzt verstecken! Die anderen sind viel schlimmer! Und du, Papst Franziskus! Welcher von diesen Punkten trifft auf dich zu!“
Wenn es nur darum geht, einen Menschen bloßzustellen, die Schwächen öffentlich zu machen, wem hilft es? Die 15 Schwächen zeigen auch die Schwächen der Gesellschaft. Die Medien freuen sich, wenn es der Kurie an den Kragen geht. Darüber kann man schreiben. Darüber kann man sich aufregen. Und mir gibt es Stoff zum Schreiben von fast 17 Schreibmaschinenseiten.
Jetzt ist es genug! In der Bibel spricht Jesus eine Einladung aus, die da heißt: „Seid barmherzig, wie es auch euer Vater im Himmel ist.“ (Lukas 6,36) So schaue ich die Kurie an und blicke wie in einen Spiegel. Ich schaue hinein und sage mir: „Das bin ich!“ „Das bin ich auch!“ „Das bin ich manchmal!“ „Und da bin ich gefährdet!“ Ich freue mich, dass mich jemand mit all dem so mag und mit mir barmherzig ist. So will ich es auch mit mir und meinem Spiegelbild sein. Liebe Kurie in Rom: Als Spiegel meiner Seele habt ihr einen guten Job gemacht. Danke! Und alles Gute für jeden von euch.

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