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Dienstag, 11. November 2014

Martins Mantel und das Trauma der Teilung

Während meiner langjährlgen Tätigkeit als Seelsorger hörte ich immer wieder den Kern der christlichen Botschaft in folgender Weise. "Das Wesen des Christentums liegt im Teilen!" Regelmäßig brachte diese "Glaubensansicht" mein Gemüt in Wallung. Eltern bringen es ihren Kindern bei, Lehrerinnen ihren Klassen, Priester ihren Gemeinden.
Wenn wir als Kind Besuch bekam von einer Tante und sie brachte eine Tafel Schokolade mit, dann hieß das erste Wort meiner Eltern: "Teilen!" nach dem üblichen "Na, was sagt man denn?!" Schon sehr früh wurde mir deutlich, wer schuldig an dieser Erziehung war. Der Heilige Martin mit seinem sagenhaften roten Mantel. Den Nikolaus gab es zwar auch noch, aber der war eher zuständig für die Frage, ob ich gut oder böse war, und ob ich eine Belohnung verdiente oder eher eine Strafe. Fürs Teilen war der Martin zuständig.
Erst, wenn du teilst, bist du ein wirklicher Christ! Das "Teilen" als Wesen des Christentums ist für mich heute mindestens haarscharf am Kern vorbei! Das Wesen des Christentums besteht geradezu darin, dass du zunächst einmal absolut gar nichts tun musst um richtig zu sein. Du musst weder teilen noch sonst eine gute Tat verrichten. Die erste Botschaft heißt: "Herzlich willkommen! Schön, dass du da bist!" Dann "genießen", "auskosten" und innehalten und bewusstwerden.
Übertragen auf die Tafel Schokolade heißt es: "Schön, dass es dich gibt! Ich mag dich so, dass ich dir gerne diese Schokolade schenken möchte!" Und ich als Beschenkter empfinde einfach nur die Freude darüber, gesehen zu werden und geliebt zu sein. Der Blick, die Worte und das Zeichen drücken die gegenseitige Zuneigung aus.
Das Teilen kommt auch, aber erst viel später. Ich hätte mir damals als Kind gewünscht, den Augenblick der Freude genießen zu dürfen. Für einen Moment bei den Augen der Tante verweilen! Das Papier der Schokolade ein wenig streicheln! Wenn dieser Augenblick vorbei ist, geschieht das Teilen wie selbstverständlich. Mein Herz klebt ja nicht an der Schokolade. Es genießt die Freude der Beachtung!
Ich deute die Martinsgeschichte heilsam für mich um. Der Martin hat den Bettler gesehen und zwischen den beiden kam es zu einer sehr herzlichen und wärmenden Verbundenheit. Der Rest geht niemanden etwas an! Und du? Geh einfach in die Verbindung!
www.matthias-koenning.de


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