Liebeskummer
würde sich nicht lohnen meint ein alter Schlager, weil ja eh dein Herz am
nächsten Tag darüber lacht. Leider sind meine Erfahrungen andere. In den
letzten Wochen hatte ich verstärkt in meinen Begegnungen mit dem Thema
Liebeskummer zu tun.
Bislang dachte
ich, dass Liebeskummer das Spezialthema von Jugendlichen sei. Diese Einstellung
muss ich doch sehr revidieren. Eine Berliner Kollegin hat sich als Therapeutin
sogar darauf spezialisiert, Menschen mit Liebeskummer zu begleiten. Sie meinte,
dass vor allem Männer sich schwer damit tun, den Kummer auszuhalten und den
Kummer nur schwer bewältigen können. Menschen jeden Alters werden davon
betroffen und es gibt eine große Hilflosigkeit im Umgang damit.
Ich möchte den
Themenbogen wie schon häufig ein wenig weiter spannen. Dabei macht es Sinn, auf
das Wort selbst zu schauen. Laut Duden kommt das Wort „Kummer“ aus dem
Mittelhochdeutschen und heißt: „Schutt, Müll, Mühsam, Gram“. Auch „Leid“ ist
damit verknüpft. Ein Mensch mit Liebeskummer leidet sozusagen an der Liebe. Die
Liebe kommt nicht zu Erfüllung. Da ist innen etwas zugeschüttet wie mit Müll
und Schutt. Die Gedanken kreisen und der Kopf ist angefüllt mit immer
wiederkehrender Grübelmasse. Da gibt es eine starke und bisweilen sehr
schmerzhafte Sehnsucht nach Nähe, die sich nicht so erfüllt wie gewünscht. Wenn
die Anfangsliebe absolut ist, duldet sie keine Trennung, auch keine körperliche
oder zeitlich befristete.
Wenn die Liebe
dich erwischt ist sie maßlos, grenzenlos, absolut und allumfassend. Was ich
hier ein wenig philosophisch ausdrücke fühlt sich für den Beteiligten oft nur
schrecklich an in der Nichterfüllung. Gerade wenn das Gegenüber sich
verschließt, zurückzieht, alles offen hält, sich nicht ausdrückt oder im
schlimmsten Fall sogar „Nein“ sagt, ist alles aus. Das sind Momente, Stunden
und Tage, wo es nicht möglich scheint, den
„Liebeskranken“ hilfreich zu unterstützen.
Wer von euch als Mutter oder Vater stand da nicht schon hilflos neben seinem
„Liebeskummerkind“. Zunächst einmal geht es wirklich darum, dieses Gefühl
auszuhalten nicht nicht davonzulaufen oder auf bessere Zeiten zu vertrauen.
Der Liebeskummer
ist viel umfassender als du auf den ersten Blick hin glaubst. Da stellt ein
Ehepaar nach 26 gemeinsamen Jahren fest, dass die Gefühle füreinander gestorben
sind. Sie wenden sich an den Anwalt und reichen die Scheidung ein. Beim Anwalt
kommt dann eher das Rechtliche auf den Tisch. In meiner Interpretation leidet
das Paar unter erheblichem Liebeskummer. Es ist ein Kummer, dass die Liebe
gestorben ist. Trauern die Paare in der Regel um diese verlorene und gestorbene
Liebe? Ist es für ein sich trennende Paar dennoch möglich, etwas für die Liebe
zu tun in der Trennung? Sie können zum Beispiel in Liebe gut voneinander denken
und einander neues Glück wünschen. Wenn sie den Scheidungsweg im Blick haben
wird das schwer. Aber wenn sie sich als liebeskummerkrank begreifen werden sie
vielleicht auch andere Wege suchen.
Wenn Kinder groß
werden und aus dem Haus gehen, welches Gefühl haben dann wohl die Eltern? Ist
doch klar, sie leiden total unter Liebeskummer. Die lieben Kinder sind nicht
mehr so präsent und da. Es kommt zu einer schmerzhaften Trennung. Und ob es zu
einer neuen erwachsenen Verbindung kommt ist noch ganz offen. Sehen Eltern sich
selber als liebeskummerkrank? In der Regel bleiben sie bei den Sorgen um ihre
Kinder stehen. „Kind, können wir dir noch helfen? Brauchst du etwas? Sollen wir
dich besuchen kommen? Komm doch zu uns! Wir sind immer für dich da!“ Nein, die
Kinder brauchen dich im Augenblick nicht mehr! Sie brauchen die Freiheit! Aber
du brauchst etwas! Wenn du deine Kinder ziehen lässt und das Gefühl benennst,
was du spürst, bist du konfrontiert mit deinem „Liebenskummer“. Das ist ein
Schmerz, den du annehmen könntest. Mach dir diesen Schmerz bewusst. Es ist
deiner! Er gehört zu dir! Er ist sogar großartig, weil du daran erkennen
kannst, dass du überhaupt liebesfähig bist. Ohne die gespürte Liebe gibt es
auch keinen Kummer. Leider ist „erwachsener Liebeskummer“ nach meinen Erfahrungen
oft mit Scham behaftet. Nur als Jugendlicher darfst du mit deiner engsten
Freundin den Liebeskummer eingestehen.
Jetzt gehe ich
noch in einen dritten Bereich. Als Kind warst du vielleicht in einer
liebevollen Verbindung mit Gott. Er war immer für dich da und wenn du gute
Lehrer und Seelsorger hattest, haben sie dir erzählt, dass Gott dich liebt und
sogar die Liebe selbst ist. Dann wirst du erwachsen und merkst, dass andere
Menschen einen anderen Gott haben oder auch ohne einen auskommen. Du machst vielleicht
leidvolle Erfahrungen von Verlust und Krankheit in deinem Leben, die nicht mit
deinem Gottesbild übereinstimmen. Du fühlst dich fremd gegenüber Gott je
erwachsener du wirst. Der Kopf sagt dir vielleicht: „Na, ob das mit diesem Gott
so stimmt? Existiert der überhaupt?“ Dein Herz sagt dir dabei möglicherweise
etwas völlig anderes. Du leidest unter spirituellem „Liebeskummer“. Gott hat
sich dir entzogen, er ist dir fremd geworden. Und wenn du ein leidenschaftlicher
Gottlieber warst, dann magst du wirklich großen Kummer spüren, der dein ganzes
Erwachsenenleben anhält, wenn du dich nicht darum „kümmerst“.
Ich habe den
Verdacht, dass wir den Liebeskummer überhaupt nicht mögen und wollen. Aber er
erwischt jeden von uns irgendwann. Das, was wir lieben, können wir leider nicht
festhalten. Es befindet sich in unserem Gewahrsam aber nicht in unserem Besitz.
Wir müssen immer wieder loslassen, alles. Menschen, Dinge, Gott... Wenn wir von
uns aus freiwillig verlassen mag es weniger schmerzhaft sein. Zu mir kommen in
die Beratung auch eher die Menschen, die verlassen werden als die, die
verlassen.
Also, der
Liebeskummer gehört in bestimmten Phasen deines Lebens einfach dazu. Mach dich
mit dieser Erkenntnis und dem damit verbundenen Gefühl vertraut. Geh da hinein!
Beobachte einmal was geschieht, wenn du den Schmerz spürst und einfach dabei
bleibst, es aushältst. Wenn du denen Kummer bejahst und willkommen heißt. Ein
ungewöhnlicher Gedanke?
Da gibt es noch
die andere Seite des „Kummers“. Die finde ich auch wichtig. Im vergangenen Jahr
war ich auf einer Tagung mit der Überschrift: „Coaching für Kümmerer.“
Angesprochen waren damit Ehrenamtliche, die sich in sozialen Feldern
engagieren. Das sind eben „Kümmerer“. Der „Kümmerer“ ist sozusagen der
Fachmann, die Fachfrau für den Kummer. Menschen mit Liebeskummer lege ich nicht
einfach nur nahe, dass sie den Schmerz aushalten müssen, ich versuche sie auch
zu trösten. Der beste Kümmerer ist für mich ein guter Tröster. Wenn ich
Trennung erlebe fühlt sich das an wie eine schmerzhafte Wunde. Und so, wie ich
eine körperliche Wunde verbinde, brauche in der Situation seelischen Trost,
einen „Spezialverband“. Wenn du also Liebeskummer hast nach vielen Ehejahren
und dich mit Trennungsgedanken plagst; oder du befindest dich in dem Augenblick,
wo du die Kinder ins Leben entlässt; oder du erlebst gerade die Schwelle wo
dein kindlicher Glaube an Gott dich verlässt: Du hast Liebeskummer und suche
dir ohne Scham (von mir aus auch mit) einfach wenigsten einen tröstenden Menschen.
Lohnt sich der
Liebeskummer? Die Frage ist für mich falsch gestellt. Sie lässt sich auf diese
Weise nicht beantworten. Der Kummer gehört zur Grunderfahrung der Liebe dazu.
Genauso wie die „Liebesfreude“. Denn gerade um die geht es ja letztlich. Von
der Liebesfreude lebst du! Sie ist deine emotionale und spirituelle Tankstelle.
Aus dieser Quelle schöpfst du. Um sie zu erfahren gehst du immer wieder neu das
Risiko ein, dass die Freude zum Kummer werden kann.
Die Bibel
erzählt übrigens fortwährend vom Liebeskummer Gottes. Alle Geschichten der
Schrift wurden nur deswegen aufgeschrieben. Die Geschichten erzählen vom
Liebeskummer Gottes und seinem Bemühen, mit und für den Menschen den Weg in die
Liebesfreude zu finden. Möge dir ganz
viel davon in deinem Leben beschieden sein.
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