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Sonntag, 7. September 2014

Liebeskummer lohnt sich doch...


Liebeskummer würde sich nicht lohnen meint ein alter Schlager, weil ja eh dein Herz am nächsten Tag darüber lacht. Leider sind meine Erfahrungen andere. In den letzten Wochen hatte ich verstärkt in meinen Begegnungen mit dem Thema Liebeskummer zu tun.
Bislang dachte ich, dass Liebeskummer das Spezialthema von Jugendlichen sei. Diese Einstellung muss ich doch sehr revidieren. Eine Berliner Kollegin hat sich als Therapeutin sogar darauf spezialisiert, Menschen mit Liebeskummer zu begleiten. Sie meinte, dass vor allem Männer sich schwer damit tun, den Kummer auszuhalten und den Kummer nur schwer bewältigen können. Menschen jeden Alters werden davon betroffen und es gibt eine große Hilflosigkeit im Umgang damit.
Ich möchte den Themenbogen wie schon häufig ein wenig weiter spannen. Dabei macht es Sinn, auf das Wort selbst zu schauen. Laut Duden kommt das Wort „Kummer“ aus dem Mittelhochdeutschen und heißt: „Schutt, Müll, Mühsam, Gram“. Auch „Leid“ ist damit verknüpft. Ein Mensch mit Liebeskummer leidet sozusagen an der Liebe. Die Liebe kommt nicht zu Erfüllung. Da ist innen etwas zugeschüttet wie mit Müll und Schutt. Die Gedanken kreisen und der Kopf ist angefüllt mit immer wiederkehrender Grübelmasse. Da gibt es eine starke und bisweilen sehr schmerzhafte Sehnsucht nach Nähe, die sich nicht so erfüllt wie gewünscht. Wenn die Anfangsliebe absolut ist, duldet sie keine Trennung, auch keine körperliche oder zeitlich befristete.
Wenn die Liebe dich erwischt ist sie maßlos, grenzenlos, absolut und allumfassend. Was ich hier ein wenig philosophisch ausdrücke fühlt sich für den Beteiligten oft nur schrecklich an in der Nichterfüllung. Gerade wenn das Gegenüber sich verschließt, zurückzieht, alles offen hält, sich nicht ausdrückt oder im schlimmsten Fall sogar „Nein“ sagt, ist alles aus. Das sind Momente, Stunden und Tage, wo es nicht möglich scheint, den  „Liebeskranken“  hilfreich zu unterstützen. Wer von euch als Mutter oder Vater stand da nicht schon hilflos neben seinem „Liebeskummerkind“. Zunächst einmal geht es wirklich darum, dieses Gefühl auszuhalten nicht nicht davonzulaufen oder auf bessere Zeiten zu vertrauen.
Der Liebeskummer ist viel umfassender als du auf den ersten Blick hin glaubst. Da stellt ein Ehepaar nach 26 gemeinsamen Jahren fest, dass die Gefühle füreinander gestorben sind. Sie wenden sich an den Anwalt und reichen die Scheidung ein. Beim Anwalt kommt dann eher das Rechtliche auf den Tisch. In meiner Interpretation leidet das Paar unter erheblichem Liebeskummer. Es ist ein Kummer, dass die Liebe gestorben ist. Trauern die Paare in der Regel um diese verlorene und gestorbene Liebe? Ist es für ein sich trennende Paar dennoch möglich, etwas für die Liebe zu tun in der Trennung? Sie können zum Beispiel in Liebe gut voneinander denken und einander neues Glück wünschen. Wenn sie den Scheidungsweg im Blick haben wird das schwer. Aber wenn sie sich als liebeskummerkrank begreifen werden sie vielleicht auch andere Wege suchen.
Wenn Kinder groß werden und aus dem Haus gehen, welches Gefühl haben dann wohl die Eltern? Ist doch klar, sie leiden total unter Liebeskummer. Die lieben Kinder sind nicht mehr so präsent und da. Es kommt zu einer schmerzhaften Trennung. Und ob es zu einer neuen erwachsenen Verbindung kommt ist noch ganz offen. Sehen Eltern sich selber als liebeskummerkrank? In der Regel bleiben sie bei den Sorgen um ihre Kinder stehen. „Kind, können wir dir noch helfen? Brauchst du etwas? Sollen wir dich besuchen kommen? Komm doch zu uns! Wir sind immer für dich da!“ Nein, die Kinder brauchen dich im Augenblick nicht mehr! Sie brauchen die Freiheit! Aber du brauchst etwas! Wenn du deine Kinder ziehen lässt und das Gefühl benennst, was du spürst, bist du konfrontiert mit deinem „Liebenskummer“. Das ist ein Schmerz, den du annehmen könntest. Mach dir diesen Schmerz bewusst. Es ist deiner! Er gehört zu dir! Er ist sogar großartig, weil du daran erkennen kannst, dass du überhaupt liebesfähig bist. Ohne die gespürte Liebe gibt es auch keinen Kummer. Leider ist „erwachsener Liebeskummer“ nach meinen Erfahrungen oft mit Scham behaftet. Nur als Jugendlicher darfst du mit deiner engsten Freundin den Liebeskummer eingestehen.
 Jetzt gehe ich noch in einen dritten Bereich. Als Kind warst du vielleicht in einer liebevollen Verbindung mit Gott. Er war immer für dich da und wenn du gute Lehrer und Seelsorger hattest, haben sie dir erzählt, dass Gott dich liebt und sogar die Liebe selbst ist. Dann wirst du erwachsen und merkst, dass andere Menschen einen anderen Gott haben oder auch ohne einen auskommen. Du machst vielleicht leidvolle Erfahrungen von Verlust und Krankheit in deinem Leben, die nicht mit deinem Gottesbild übereinstimmen. Du fühlst dich fremd gegenüber Gott je erwachsener du wirst. Der Kopf sagt dir vielleicht: „Na, ob das mit diesem Gott so stimmt? Existiert der überhaupt?“ Dein Herz sagt dir dabei möglicherweise etwas völlig anderes. Du leidest unter spirituellem „Liebeskummer“. Gott hat sich dir entzogen, er ist dir fremd geworden. Und wenn du ein leidenschaftlicher Gottlieber warst, dann magst du wirklich großen Kummer spüren, der dein ganzes Erwachsenenleben anhält, wenn du dich nicht darum „kümmerst“.
Ich habe den Verdacht, dass wir den Liebeskummer überhaupt nicht mögen und wollen. Aber er erwischt jeden von uns irgendwann. Das, was wir lieben, können wir leider nicht festhalten. Es befindet sich in unserem Gewahrsam aber nicht in unserem Besitz. Wir müssen immer wieder loslassen, alles. Menschen, Dinge, Gott... Wenn wir von uns aus freiwillig verlassen mag es weniger schmerzhaft sein. Zu mir kommen in die Beratung auch eher die Menschen, die verlassen werden als die, die verlassen.
Also, der Liebeskummer gehört in bestimmten Phasen deines Lebens einfach dazu. Mach dich mit dieser Erkenntnis und dem damit verbundenen Gefühl vertraut. Geh da hinein! Beobachte einmal was geschieht, wenn du den Schmerz spürst und einfach dabei bleibst, es aushältst. Wenn du denen Kummer bejahst und willkommen heißt. Ein ungewöhnlicher Gedanke?
Da gibt es noch die andere Seite des „Kummers“. Die finde ich auch wichtig. Im vergangenen Jahr war ich auf einer Tagung mit der Überschrift: „Coaching für Kümmerer.“ Angesprochen waren damit Ehrenamtliche, die sich in sozialen Feldern engagieren. Das sind eben „Kümmerer“. Der „Kümmerer“ ist sozusagen der Fachmann, die Fachfrau für den Kummer. Menschen mit Liebeskummer lege ich nicht einfach nur nahe, dass sie den Schmerz aushalten müssen, ich versuche sie auch zu trösten. Der beste Kümmerer ist für mich ein guter Tröster. Wenn ich Trennung erlebe fühlt sich das an wie eine schmerzhafte Wunde. Und so, wie ich eine körperliche Wunde verbinde, brauche in der Situation seelischen Trost, einen „Spezialverband“. Wenn du also Liebeskummer hast nach vielen Ehejahren und dich mit Trennungsgedanken plagst; oder du befindest dich in dem Augenblick, wo du die Kinder ins Leben entlässt; oder du erlebst gerade die Schwelle wo dein kindlicher Glaube an Gott dich verlässt: Du hast Liebeskummer und suche dir ohne Scham (von mir aus auch mit) einfach wenigsten einen tröstenden Menschen.
Lohnt sich der Liebeskummer? Die Frage ist für mich falsch gestellt. Sie lässt sich auf diese Weise nicht beantworten. Der Kummer gehört zur Grunderfahrung der Liebe dazu. Genauso wie die „Liebesfreude“. Denn gerade um die geht es ja letztlich. Von der Liebesfreude lebst du! Sie ist deine emotionale und spirituelle Tankstelle. Aus dieser Quelle schöpfst du. Um sie zu erfahren gehst du immer wieder neu das Risiko ein, dass die Freude zum Kummer werden kann.
Die Bibel erzählt übrigens fortwährend vom Liebeskummer Gottes. Alle Geschichten der Schrift wurden nur deswegen aufgeschrieben. Die Geschichten erzählen vom Liebeskummer Gottes und seinem Bemühen, mit und für den Menschen den Weg in die Liebesfreude zu finden.  Möge dir ganz viel davon in deinem Leben beschieden sein. 

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