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Samstag, 30. Juli 2022
Bei allem, was du sagst, achte auf den rechten Augenblick. Reden zur unpassenden Zeit sind nicht beliebt. (Ägypten)
Dein Sohn hat den Tisch nicht abgeräumt und als Vater oder Mutter ärgerst du dich darüber. In deinem spontanen Ärger weist du deinen Sohn zurecht, er möge doch Absprachen und Familienregeln einhalten. Der Ärger in deiner Stimme ist deutlich spürbar. Und wie reagiert dein Sohn?
Er wird bockig, er widerspricht, er legt sich mit dir an. Er spiegelt deinen Ärger zurück und dicke Luft ist im Raum.
Immer wieder erlebe ich Paare, die mit "aller Gewalt" versuchen, ihre Konflikt zu klären, wenn sie im Gefühl des Ärgers und der Wut sind. "Ich muss jetzt mit dir reden!" "Das müssen wir hier und jetzt klären!" "So geht das nicht weiter!" "Immer machst du das, nur um mich zu ärgern!" Kennst du diese oder ähnliche Sätze? In der Regel steht am Ende kein Ergebnis wo alle zufrieden sind. Am Ende resigniert einer oder beide sind erschöpft.
Der ägyptische Spruch erinnert dich an den "rechten Augenblick". Auch bei Konflikten gibt es einen rechten Augenblick. Wenn du dich mitten im Gefühl des Ärgers und der Kränkung befindest, ist es sehr schwer, mit deinem Konfliktgegner in einer guten Verbindung zu sein. Er ist eben dein Gegner und nicht mehr dein Partner. Du hast den Eindruck, du musst kämpfen. Du willst dein Recht, du willst gesehen werden, du vermisst das Verständnis und dein Gegenüber empfindet genauso wie du.
Beruhige erst einmal deinen Geist, geh auf Abstand, schlaf eine Nacht drüber, atme ein paar tiefe Atemzüger und triff eine Vereinbarung, wann du reden möchtest, eben... Suche mit deinem "Konfliktgegner" den rechten Augenblick, damit er/sie zu einem Konfliktpartner wird.
Stell dir dabei vor, dass ihr euch nicht gegenübersteht wie Kontrahenten, sondern ihr setzt euch nebeneinander auf eine Bank und schaut in die gleiche Richtung. Ihr schaut gemeinsam auf einen Baum oder eine Blume. Dieser Baum oder diese Blume steht als Symbol da für eure Partnerschaft oder eure Freundschaft. Gemeinsam schaut ihr den Baum an und fragt: "Wie geht es gerade der Ehe, der Freundschaft, der Partnerschaft? Was braucht sie von dir und dem anderen? Was hat gefehlt und wer kann was dafür tun, dass das Fehlende ergänzt wird."
Der richtige Augenblick ist dann, wenn in deinem Herzen wieder mehr Weite als Enge zu spüren ist.
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Freitag, 29. Juli 2022
Mein toter Winkel!
Spätestens seit
der Fahrschule weiß ich es ganz praktisch. Beim Überholen in die Spiegel
schauen und einen Blick über die linke Schulter werfen. Links von mir gibt es
einen Bereich, den ich über den Seitenspiegel nicht einsehen kann. Da gibt es
einen toten Winkel. Ein für mich unsichtbares Feld.
Ich weiß um
diesen toten Winkel beim Autofahren und kann darauf achten. Es fordert meine
sorgfältige Aufmerksamkeit und ich muss regelmäßig vor dem Überholen da hinblicken.
Diese Erfahrung
kann ich leicht auf das Leben übertragen. Auch dort gibt es „tote Winkel“.
Bereiche, die existieren, aber unsichtbar sind für meine Augen. Weil ich nicht
hinschauen mag oder dafür einfach zu blind bin. Auf diese toten Winkel möchte
ich gerne mit dir meine Aufmerksamkeit richten. So, wie es inzwischen Spiegel
gibt, die den toten Winkel erhellen gibt es vielleicht auch Haltungen und
Einstellungen, die inneren toten Winkel von der Unsichtbarkeit zu befreien.
Im Film „The
bleep“ wird erzählt, dass die Ureinwohner Amerikas die Schiffe von Christoph
Kolumbus nicht sehen konnten obwohl sie in Sichtweite des Strandes waren. So große
Schiffe aus Holz mit weißen Männern kamen in ihrer Erfahrung nicht vor und das
Bewusstsein weigerte sich, da überhaupt etwas zu sehen, was nicht sein konnte.
In manchen
Internetforen wird diese Idee angezweifelt und als Mythos abgetan. Aber ein
Vater erzählte von seinem Besuch beim Friseur mit seinen Töchtern. Seine
Töchter hätten Läuse und er müsse da was machen. Der Vater selbst konnte aber
zu hause keine Läuse entdecken. Einen Tag später ging er mit den Kindern zum
Hausarzt und die Arzthelferin entdeckte sofort die ersten Nissen. Der Vater
schaute sie sich unter dem Mikroskop an und sah ab dann die Nissen auch auf dem
Kopf der Töchter. Das war für ihn der Beweis, dass es diese
„Kolumbuserlebnisse“ auch heute noch gibt. Ich sehe nicht alles, was ich sehen
könnte. Wenn mir etwas völlig unbekannt ist kann es sich vor meinen Augen scheinbar
verbergen obwohl es offensichtlich da ist.
Vielleicht hast
du es auch schon erlebt, dass du etwas gesucht hast und es lag direkt vor
deiner Nase. So, als ob du den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen könnest. Manche
Menschen kommen zu mir mit einem Problem und wir kommen sehr schnell auf eine Lösung.
Der Ratsuchende wundert sich dann, dass er nicht von selber da drauf gekommen
ist. Eigentlich hätte er es einfach wissen können.
Ich lade dich ein
zu einer kleinen Phantasiereise: Stell dir vor, dass wir beide uns gemeinsam in
einem Raum befinden und uns umschauen. Wir hätten die gleichen Gegenstände in
diesem Raum. Würden wir das Gleiche sehen? So ungefähr schon, aber nicht jedes
Detail. Und jetzt stell dir vor, wir bekämen die einmalige Möglichkeit, für ein
paar Minuten die Augen untereinander tauschen zu können, würden aber unsere Persönlichkeit
und unsere bisherige Lebensgeschichte behalten. Ich sehe mit meiner
Persönlichkeit die Welt mit deinen Augen. Wie würdest du meine Welt wahrnehmen
und wie ich deine? Was würden dann bei dir oder mir für Gedanken auftauchen? Wie
wären die Farbeindrücke und welche Gefühle würden wir bekommen? Was würde dich
oder mich dabei überraschen?
Unser Verstand
gaukelt uns ja ein gewisses Maß an Sicherheit vor. Das, was ich sehe, sehe ich
und ich sehe es umfangreich und ganz wirklich. Ich sehe alles mit meinen Augen
und mir entgeht nichts. Ich behalte den Überblick und kann auch noch die winzigen
Details erkennen. Ich kann mich auf meine Augen verlassen. Und wenn ich eine
Brille trage erst recht. Die Brille bestätigt mich, dass sich meine Kurzsichtigkeit
korrigieren lässt. Ich sehe klar!
Aber sehe ich
alles? Ich wollte mir vor ein paar Jahren einen Teppich kaufen. Ich fand im
Geschäft einen, der mir gefiel und hatte zugleich ein nicht verstehbares ablehnendes
Gefühl. Diese Ambivalenz konnte ich nicht einordnen. Erst, als ich den
dickflorigen Teppich auseinanderbog, sah ich kleine grüne Plastikfäden, die mit
eingewoben waren. Etwas in meinem Körpersystem hat mehr wahrgenommen als die
Augen. Da gibt es Anteile in meinem Körpersystem, die mehr „sehen“ als die Augen.
Wohin wird mich mein
Gedanke führen wenn ich mir vorstelle, dass ich gar nicht alles sehe, was zu
sehen möglich wäre. Meine Augen könnten sagen: Die Straße ist gut ausgebaut.
Ich habe festen Boden unter den Füßen. Dann würde ich loslaufen und plötzlich
abstürzen. Die feste Straße war nur eine Illusion. Ich könnte auf die Idee
kommen und feststellen, dass die meisten Dinge nur eine Illusion sind und wir
reden sie uns sicher, damit wir ein besseres Gefühl haben. Ohne diese Illusionen
würden wir vor Angst vergehen.
Zu mir kam mal
ein Mann in die Beratung und erzählte mir ausführlich davon, wie gut alles
läuft. Ich wartete auf das Problem und – es kam keines. Es war alles in
Ordnung. Worin lag dann der Sinn der Beratung? Er wollte es mir erzählen und im
Erzählen erschuf er sich die Sicherheit, dass wirklich alles gut war. Auch der
Berater konnte keine Gefahr wahrnehmen. Dieser Mann brauchte mich als Berater
um zu überprüfen, ob es für ihn einen toten Winkel gab.
Ich möchte mit
dir noch einen Schritt weitergehen in der Beobachtung des toten Winkels. Ich
glaube, dass wir Menschen auch im Umgang miteinander unsere toten Winkel haben.
Wenn du dich verliebst nimmst du beim Gegenüber nicht alles wahr, was zu diesem
Menschen dazu gehört. Vielleicht schlägt deine Freundin die Hände über den Kopf
zusammen und sagt zu dir: „Wie kannst dich nur in diesen Menschen verlieben.
Weißt du denn nicht...! Siehst du denn nicht, dass ...!“
Du kannst sogar
mit einem Menschen über viele Jahre zusammenleben und siehst nur das Bild, dass
du dir von ihm gemacht hast. Du siehst deine fürsorgliche wohlwollende Ehefrau
und alle anderen in deinem Umfeld denken, wie kannst du dich nur so unterdrücken
lassen.
Bis zu einem
gewissen Alter hast du die Lust, immer wieder neues kennen zu lernen. Die Welt
ist groß und das Abenteuer wartet auf dich. Vielleicht bist du eines Tages satt
und fragst dich, was du wohl übersehen haben könntest. Noch weißt du nicht was.
Aber dir ist klar, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass es da tote Winkel
gibt.
Wie wäre es, wenn
du dich diesen toten Winkeln im Leben einmal widmen würdest? Du richtest deine
Aufmerksamkeit auf diesen Wunsch: „Ich möchte die toten Winkel in meinem Leben
sehen, wahrnehmen und kennenlernen.“ Weckt das in dir Angst oder eher Neugier?
Auf den letzten
Seiten eines Detektivromans steht der Held in der Regel von dem größten Rätsel.
Er hat alles zusammengefügt und dennoch das Gefühl, etwas Wichtiges übersehen
zu haben. Dann entdeckt er das fehlende Puzzleteil und die Geschichte bekommt
plötzlich Sinn.
Wenn du die Idee
davon bekommst, dass dein Leben sich nicht so ganz richtig anfühlt, oder dass
da irgendwie etwas quer läuft, dann könntest du mal nach toten Winkeln schauen.
Legenden und Mythen erzählen davon, dass das die Lieblingsplätze von Gott sind.
Er hält sich dort total gerne auf. Weil da nicht jeder hinschaut und der Platz
nicht so arg belebt ist, kann es dort zu intimen Begegnungen kommen. Stell dir
vor, dass Gott schon immer in deiner Nähe war, nur halt im toten Winkel. Du
musst nur die Augen ein wenig verdrehen, das Herz in eine andere Richtung
wenden und schon ist der tote Winkel mit Leben erfüllt.
Genau das erzählt
eine alte Sufi Legende. Gott schuf die Erde für den Menschen, aber der Mensch
wollte lieber im Himmel bleiben. Die Engel schlugen also vor, den Himmel
abzuschließen und den Schlüssel zu verstecken. In die Tiefen des Meeres? Auf
dem höchsten Berg? Irgendwo im Weltall? Keine dieser Ideen findet bei Gott
gefallen. Dort werden die Menschen bestimmt suchen. Der Erzengel Gabriel
schlägt vor, den Schlüssel zum Himmel im Herzen der Menschen zu verstecken und
Gott gefällt diese Idee. Dort werden die Menschen bestimmt nicht suchen. In
unserem eigenen Herzen befindet sich also der tote Winkel, wo der Schlüssel zum
Himmel zu finden wäre?
Ich stelle mir vor,
wie ich ständig alles so kompliziert wahrnehme. Ich entwerfe Gedanken, wälze Pläne
und suche nach der hundertsten Lösung noch die hundert und erste. Nie bin ich
einverstanden mit dem, was ich sehe oder mir so ausdenke. Es könnte so einfach
sein, nicht wahr? Der Satz vom kleinen Prinzen bekommt vielleicht hier noch
eine kleine Färbung: „Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Das Auge
sieht nicht den Raum, der sich im toten Winkel befindet. Der tote Winkel
zirkelt ja einen bestimmten Raum ab. Einen Raum, den ich mir doch einmal
anschauen könnte.
„Warst du auch
auf der Party? Ich habe dich gar nicht gesehen!“ „Was, du bist schon seit einem
Jahr so traurig? Ich habe nichts davon bemerkt!“ „Ich hätte schon vor einem
Jahr kündigen sollen, aber ich wollte nicht hinsehen und habe mir alles
irgendwie schöngeredet.“ Warum schauen wir nicht in den toten Winkel hinein? Es
könnte mir Schmerzen bereiten! Da lauert bestimmt eine fette Krise. Noch ist es
ja nicht so schlimm!
Beim Autofahren
habe ich die Chance, im toten Winkel ein herankommendes Fahrzeug zu sehen und
mögliche Gefahren zu bannen. Wie würde mein Leben aussehen, wenn ich in alle
Räume schauen würde, die ich mit dem toten Winkel aus meinem Blickfeld verbanne?
Ich schaue über die linke Schulter in das verborgene Feld und verliere für
einen Moment die Kontrolle nach vorne. Damit gehe ich ein Risiko ein. Schnell
nach links blicken und dann wieder geradeaus. Aber für einen Moment verliere
ich die Kontrolle. Da könnte für den Augenblick etwas passieren. Beim Blick
nach links in das Feld des toten Winkels. So ist das im Leben auch. Wenn ich in
meine toten Winkel schaue gehe ich ein Risiko ein. Da könnte etwas passieren.
Ich könnte die Kontrolle verlieren. Das Risiko bleibt, egal, wie ich mich
entscheide. Der Raum im toten Winkel lädt mich ein, das Abenteuer zu wagen. Ich
lebe jetzt!
Donnerstag, 28. Juli 2022
Wir dürfen nicht zulassen, dass uns die begrenzte Wahrnehmung anderer Menschen definiert. (Virginia Satir)
Du wirst wahrgenommen von den Menschen um dich herum. Sie haben einen Eindruck von dir. Sie leben mit einem Bild, was sie sich von dir gemacht haben. Du hast mal gesagt: "Das ist mir zu teuer." Und du bekommst die Wertung: Der ist geizig. Der schaut aufs Geld. Der ist sparsam... Ständig verhältst du dich zu etwas. Sprichst oder hast einen Gesichtsausdruck. Damit lädst du die anderen Menschen ein, dass sie sich Gedanken zu dir machen und dich am Ende definieren. Das bist du! Genau so! Und nicht anders! Du bist geizig. Du bist launisch. Du bist nett. Du bist cool.
Dann kann es leicht passieren, dass du anfängst, genau nach diesem Bild zu leben. Du verhältst dich so, wie die anderen es von dir erwarten. Und wehe, du machst mal etwas völlig anders. Dann irritierst du die Menschen um die herum. Letztlich geht es beim Bewerten und Einschätzen immer um die Erfüllung des Bedürfnisses nach Sicherheit. Wenn ich einschätzen kann, wie du denkst und dich verhältst, dann kann ich mich sicher fühlen.
Virginia Satir lädt mich ein, dem etwas entgegen zu setzen. Wir dürfen nicht zulassen, durch die begrenzte Wahrnehmung anderer Menschen definiert zu werden. Jeder Mensch ist so unendlich viel mehr als das, was wir wahrnehmen. Und wichtig ist, dass ich mich selbst in meiner Freiheit wahrnehme. Ich darf ganz anders sein und ich habe viele Seiten in mir, die vielleicht noch nicht gelebt werden durften. Und da braucht es auch meine Entschiedenheit. Wenn überhaupt, dann definiere ich mich selbst und nicht mein Gegenüber. Das schafft Freiraum! Ich bin ein Meer voller Möglichkeiten und Wandlungen. Mein Leben ist ein Abenteuer und ich darf immer neues in mir entdecken, das gelebt werden will.
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Dann kann es leicht passieren, dass du anfängst, genau nach diesem Bild zu leben. Du verhältst dich so, wie die anderen es von dir erwarten. Und wehe, du machst mal etwas völlig anders. Dann irritierst du die Menschen um die herum. Letztlich geht es beim Bewerten und Einschätzen immer um die Erfüllung des Bedürfnisses nach Sicherheit. Wenn ich einschätzen kann, wie du denkst und dich verhältst, dann kann ich mich sicher fühlen.
Virginia Satir lädt mich ein, dem etwas entgegen zu setzen. Wir dürfen nicht zulassen, durch die begrenzte Wahrnehmung anderer Menschen definiert zu werden. Jeder Mensch ist so unendlich viel mehr als das, was wir wahrnehmen. Und wichtig ist, dass ich mich selbst in meiner Freiheit wahrnehme. Ich darf ganz anders sein und ich habe viele Seiten in mir, die vielleicht noch nicht gelebt werden durften. Und da braucht es auch meine Entschiedenheit. Wenn überhaupt, dann definiere ich mich selbst und nicht mein Gegenüber. Das schafft Freiraum! Ich bin ein Meer voller Möglichkeiten und Wandlungen. Mein Leben ist ein Abenteuer und ich darf immer neues in mir entdecken, das gelebt werden will.
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Mittwoch, 27. Juli 2022
Sei wie du bist. Irgendwann kommt es sowieso raus.
Manchmal strenge ich mich an und zeige mich in einer neuen Gruppe von meiner Schokoladenseite her. Ich gehe auf die Menschen zu. Ich lache oder lächle zumindest. Ich nehme Augenkontakt auf. Ich spreche Komplimente aus und versuche, mich interessant zu machen.
Und das ist anstrengend. In mir gibt es einen Teil der sagt: "Was mach ich hier eigentlich. So bin ich doch gar nicht. Ich bin eher schüchtern und zurückhaltend. Ich bin eher jemand, auf den man zugehen muss und nicht jemand, der auf andere zustürmt."
Der Schüchterne in mir bekommt also gar keine Chance. Der wird plattgebügelt und übergangen. Das mag der Schüchterne in mir überhaupt nicht. Der sagt dann zu mir: "Nie wieder! Nie wieder komme ich mit in eine mir unbekannte Gruppe von Menschen!"
"Sei wie du bist. Irgendwann kommt es sowieso raus." In dir gibt es viele verschiedene Persönlichkeitsanteile, die zu dir gehören. Manche magst du und manche nicht. Und von manchen glaubst du, dass die anderen das nicht mögen werden. Wenn du bestimmte Anteile in dir nicht magst, wie sollen die anderen dann das mögen? Wird in der Regel nicht funktionieren.
Wenn ich das nächste Mal in eine Gruppe komme, wo ich niemanden kenne, werde ich es anders machen. Ich schaue, wer denn vertrauensvoll wirkt. Auf diesen Menschen gehe ich zu und sage: "Entschuldigung wenn ich Sie anspreche. Aber ich bin sehr schüchtern und fühle mich hier gerade sehr unsicher. Darf ich einen Augenblick bei Ihnen stehen? Sie wirken auf mich so vertrauenswürdig." Wenn ich mir vorstelle, dass ich das so machen werde, dann nehme ich den Schüchternen schon mal mit, so dass es leichter wird. Allein die Vorstellung, dass ich es machen könnte, reicht aus.
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Dienstag, 26. Juli 2022
Du bist einmalig, manchmal Stellvertreter, aber kein Ersatzmann
Man
kennt das vom Fußball: auf der Ersatzbank sitzen die Spieler, die
ausgetauscht werden bei Bedarf. Sie sind Ersatzmänner. Sie sind nicht
die erst Wahl. Die erste Wahl steht auf dem Platz. Die Wahl, die der
Trainer getroffen hat, ist hoffentlich gut abgewogen im Hinblick auf die
gegnerische Mannschaft.
Der
Papst hingegen nennt sich nicht Ersatzmann sondern Stellvertreter. Er
ist der Stellvertreter Christi auf Erden. In einer Firma gibt es auch
öfter einen Stellvertreter, wenn der Chef nicht erreichbar ist. Ein
Stellvertreter erhält gewisse Vollmachten. Diese Vollmachten geben ihm
eine eigene Würde. Er bekommt Kompetenzen und Erlaubnisse zugesprochen
und hat Anteil an der Macht.
Ein
Ersatzmann wird immer das Gefühl haben, nur ein Ersatz zu sein für
jemand, der besser ist als er. Der Ersatzmann steht in einem Vergleich,
nämlich im Vergleich besser-schlechter. Für das Selbstbewusstsein ist
das nicht gerade förderlich. Der Stellvertreter weiß sich zwar im
Auftrag von jemand anderem, behält aber seine Würde, wird nicht
verglichen, zählt als eigenständige Persönlichkeit.
Wie
ist das so in unseren Betrieben und in der Familie? Wenn da jemand
ausfällt, gibt es da Ersatz oder Stellvertreter? Bist du ein Ersatzvater
oder ein Stellvertreter? Wenn du keine feste Stelle hast: Bist du in
der Firma die Ersatzfrau oder eine Stellvertreterin?
Bewusstsein schafft Veränderung!
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Montag, 25. Juli 2022
Schwarze Schafe sind auch nur Menschen.
So ist es! Du kannst einen Menschen als schwarzes Schaf betrachten. Ein Mensch, der alles anders macht. Der sich nicht einfügen möchte. Ein Mensch, der immer auffallen muss und eine Sondereinladung benötigt. Jemand, der sich nicht an gesellschaftliche Konventionen hält. Einer, der sich auf jeden Fall unterscheiden möchte.
Auch so ein schwarzes Schaf bleibt ein Mensch. Ein vielleicht komischer Mensch. Ein unerträglicher Mensch. Ein außergewöhnlicher Mensch. Ein unkonventioneller Mensch. Ein sozial unverträglicher Mensch. Ein Mensch in welcher Art und mit welchem Charakter auch immer - schwarze Schafe sind auch nur Menschen.
Ich glaube, dass es ihnen aber manchmal abgesprochen wird. Es gehört ja dazu, dass ich jedem noch so schwarzen Schaf mit Würde begegne. Ich kann mit bestimmten Handlungen überhaupt nicht einverstanden sein. Da kann jemand für mich wie in einer fremden Welt leben. Aber er verdient meine Achtung. Er ist einer von meiner Art.
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Auch so ein schwarzes Schaf bleibt ein Mensch. Ein vielleicht komischer Mensch. Ein unerträglicher Mensch. Ein außergewöhnlicher Mensch. Ein unkonventioneller Mensch. Ein sozial unverträglicher Mensch. Ein Mensch in welcher Art und mit welchem Charakter auch immer - schwarze Schafe sind auch nur Menschen.
Ich glaube, dass es ihnen aber manchmal abgesprochen wird. Es gehört ja dazu, dass ich jedem noch so schwarzen Schaf mit Würde begegne. Ich kann mit bestimmten Handlungen überhaupt nicht einverstanden sein. Da kann jemand für mich wie in einer fremden Welt leben. Aber er verdient meine Achtung. Er ist einer von meiner Art.
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Samstag, 23. Juli 2022
Die Seele hat die Farbe deiner Gedanken. Mark Aurel
Welche Farbe hat deine Seele? Wenn du von deinen Gedanken auf deine Seele schließen kannst? Welche Farben haben deine Gedanken? Liegen sie im Bereich von weiß, grau oder schwarz? Oder befindest du dich im Spektrum des Regenbogens?
Welche Farben dominieren und welche Farben tauchen nur in ganz bestimmten Situationen auf? Wann hast du zum Beispiel gelbe Gedanken und wann werden sie grün? Ich habe gerade einen orangenen Gedanken. Das fühlt sich sehr weich und warm und wohlig an. Ich kann aber auch ganz schnell einen grauen Gedanken bekommen wenn ich an bestimmte Menschen denke. Vom grauen Gedanken geht es dann schnell ins Herz und erfasst mein ganzes Wesen. Plötzlich bin ich dann grau. Meine Seele mag kein grau. Da bin ich mir ziemlich sicher. Aber weil sie mich liebt erträgt sie es klaglos. Meine Seele ist immer auf meiner Seite. Immer. Aber sie liebt die Farben. Eben auch farbige Gedanken. Meine Seele reagiert unmittelbar und kann sehr schnell wechseln. Ich stelle mir einen Menschen vor, den ich sehr mag und es wird gerade sehr orange bis rot mit vielen gelben Tupfern.
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Welche Farben dominieren und welche Farben tauchen nur in ganz bestimmten Situationen auf? Wann hast du zum Beispiel gelbe Gedanken und wann werden sie grün? Ich habe gerade einen orangenen Gedanken. Das fühlt sich sehr weich und warm und wohlig an. Ich kann aber auch ganz schnell einen grauen Gedanken bekommen wenn ich an bestimmte Menschen denke. Vom grauen Gedanken geht es dann schnell ins Herz und erfasst mein ganzes Wesen. Plötzlich bin ich dann grau. Meine Seele mag kein grau. Da bin ich mir ziemlich sicher. Aber weil sie mich liebt erträgt sie es klaglos. Meine Seele ist immer auf meiner Seite. Immer. Aber sie liebt die Farben. Eben auch farbige Gedanken. Meine Seele reagiert unmittelbar und kann sehr schnell wechseln. Ich stelle mir einen Menschen vor, den ich sehr mag und es wird gerade sehr orange bis rot mit vielen gelben Tupfern.
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Freitag, 22. Juli 2022
Einfach mal rumsitzen?
Sei nicht so passiv!
Werde doch mal aktiver!
Du sitzt da nur herum!
Ich habe dir das doch schon so oft gesagt!
Tu endlich mal etwas!
Du bringst mich zur Weißglut!
Du machst mich ganz verrückt!
Wenn ich dich schon sehe, wie du da herumsitzt!
Ist dir denn alles egal?
Muss erste die Welt untergehen, bevor du tätig wirst?
Nur ein mal!
Nur ein mal möchte ich erleben, dass du was machst!
Und nicht nur so herumsitzt!
Wenn jeder das täte!
Wenn alle nur so passiv wären!
Wie würde die Welt dann aussehen!
Ich weiß schon nicht mehr was ich sagen soll!
Ich habe alles versucht!
Ich kann nicht mehr!
Ich gebe auf!
Ich setze mich jetzt hin und komm erst mal zur Ruhe!
So stark verbal würde ich zwar nicht reagieren, aber im Kopf manchmal so oder so ähnlich denken.
Vor einigen Tagen sagte mir jemand: "Ich pflege meine Passivität." Das hat angesichts des aufgeregten Aktionismus durchaus etwas für sich. Manche Dinge erledigen sich von selbst. Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Du bleibst in einem erholsamen Entspannungszustand und sparst Adrenalin und Cortisol. Du kannst mehrmals tief durchatmen... und dann noch einmal durchatmen. Und du kannst denken: "Angesichts der Ewigkeit ist dieses Problem doch sehr gering!"
Die Person am Aktionismus-pol provoziert geradezu eine totale Passivität beim Gegenüber. Und jemand in totaler Passivität provoziert umgekehrt den Aktionismus. Interessanterweise sprechen wir aber vom Aktion -"ismus" und nicht vom Passiv-"ismus". "Ismen" haben immer etwas negatives. Sie übertreiben. "Alkoholismus" und "Individualismus" gehören z.B. dazu. Das Wort "passiv" wird nicht mit "ismus" verbunden sondern mit "Ivität". Bei "Ivität" fällt mir ein "Objektivität" oder "Konstruktivität". Vom Wortspiel scheint "Passivität" mit der innewohnenden "Ivität" eher wertschätzend zu klingen. Nun denn, ich pflege jetzt mal die Passivität und beende diesen Text.
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Donnerstag, 21. Juli 2022
Segen über die Seele (irischer Segen)
Sammler der Seelen,
bringe mir meine zerbrochene Seele zurück.
Möge kein Teil verloren gehen,
und kein Teil sich verirren.
Berge meine Seele in Frieden
im
Seelenschrein meines Körpers.
Urlaubszeiten sind Seelenzeiten. Wie fühlt sich diese Zeit bei dir an? Hast du alle Teile von dir und in dir beisammen? Auch ohne Erwerbsarbeit? Manchmal erleben wir etwas, was uns nicht gut tut. Etwas, was uns kränkt. Und manchmal fühlt es sich so an, als ob ein Teil unserer Seele dabei auf der Strecke bleibt. Es fühlt sich dann wund an und ein wenig wie verloren sein.
Wie schön ist die Vorstellung, dass es einen Sammler der Seelen gibt. Einen Sammler, der wieder einsammelt, was im Laufe des Lebens und der Jahre sich verloren hat. Möge dieser Sammler mir meine zerbrochene Seele zurückbringen oder die Teile davon, die ich jetzt gut gebrauchen könnte. Es wäre gut, innezuhalten und in Urlaubszeiten und Freiräumen allen Teilen wieder Aufmerksamkeit zu schenken. Alle Teile der Seele gehören zu mir.
In dir und in mir gibt es einen Schrein, in dem die Seele sich birgt. Der Seelenschrein! Also schließe ich meine Augen und spüre in mich hinein. Wie fühlt es sich im Herzraum an? Alles vollständig? Braucht es Zuspruch? Gute Worte? Heilende Zuwendung? Dann mache ich das einfach. Ich öffne meinen Seelenschrein und spreche mir gut zu. Den morgigen Tag mit einem versöhnten Herzen beginnen - das wünsche ich dir und mir!
Mittwoch, 20. Juli 2022
Was wirklich zählt! Teil 9: Lebe den Raum zwischen allen Polen!
Manche mögen es eindeutig. Ein klares Nein oder ein klares Ja. Entweder/oder. Schwarz oder weiß. Ich kann es oder ich kann es nicht. Ich liebe oder ich liebe nicht. Beliebt ist dann das Bild von der Schwangerschaft, dass ein bisschen schwanger sein auch nicht geht.
Stell dir
ein Pendel vor. Es schlägt nach beiden Seiten hin aus und erreicht jeweils für
einen Augenblick in voller Höhe die andere Seite bevor es wieder in die andere
Richtung geht. Den größten Teil der Zeit bewegt sich das Pendel jedoch zwischen
beiden Polen.
Es gibt
immer so etwas wie einen Höhepunkt oder einen Gipfel. Das Ziel der Reise. Das
Ja-Wort bei der Trauung. Den Höhepunkt der Show. Den Augenblick wo jemand ein
Geschenk auspackt. Der Tag, an dem das Geld auf meinem Konto landet. Ich kann
mir angewöhnen diesen Moment besonders zu schätzen. Ich kann aber auch dahin
kommen, nur noch solche Augenblicke wahrzunehmen und wertzuschätzen.
Was ist
jedoch, wenn das Geschenk mir nicht gefallen wird? Wenn das Ziel sich als
völlig unattraktiv entpuppt? Wenn das Geld auf dem Konto mich nicht so befriedigt,
wie ich es erhoffte? Es kann passieren, dass ich nur auf wenige Momente im
Leben hin lebe. Immer auf den Moment, wo das Pendel den Wendepunkt erreicht.
Ich müsste ständig jagen nach dem teuersten Auto nach der schönsten Frau oder
dem reichsten Mann. Nach dem besten Restaurant und nach dem günstigsten Supermarktangebot.
Ich käme mir vor wie ein Jäger, der nie zur Ruhe kommt.
Ich
erinnere mich an Exerzitien mit einem Jesuitenpater, der uns instruierte, mit
welcher Entscheidung wir Priester werden sollten. So ähnlich klangen seine
Worte: „Geben Sie sich ganz hin! Machen Sie keine halben Sachen. Gott spuckt
auf Menschen, die ihr Herz nicht ganz öffnen.“ Seine Sprache wurde immer
deftiger. Ich wurde innerlich immer stiller.
Wenn ich
ehrlich bin, dann sehe ich mein Leben eher als eine Ansammlung von Alltag. Ein
wenig Hingabe und viel Routine. Treue zu
den alltäglichen Dingen wie Brot essen und Zähne putzen. Jeden Tag
freundlich sein und das Wetter so annehmen wie es gerade ist. Die völlige
Hingabe an das Leben oder an die Liebe gibt es und es ist auch schön. Aber es
findet nicht 24 Stunden lang statt an jedem Tag. Das Leben ist alltäglich. Sehr
alltäglich! Und noch alltäglicher! Aber – ich kann es wertschätzen. Ich kann es
mögen. Ich kann es erforschen und ich kann darauf neugierig sind. 99 Prozent
der Menschen sind Könige und Königinnen des Alltags, bewegen sich zwischen den
Polen. Sind ein kleiner, aber wichtiger Punkt im Gitternetzwerk aller Menschen
weltweit. Wenn du den Raum zwischen den Polen lebst wird dir kein Augenblick
wertlos erscheinen. Dein Pendel bewegt sich und bewegt sich. Es verändert
ständig ein wenig die Position und du bekommst einen neuen Blickwinkel. Das
Geschenk der kleinen Dinge. Heute trägt deine Rose eine kleine Knospe, die
vorgestern noch nicht da war. Du kannst dich so sehr über diese kleine Entwicklung
freuen, dass dir die völlig entfaltete Rose gar nicht so wichtig erscheint. Du
erlebst das Wunder des Alltags. Das alltägliche Wunder! Und du kannst dich wiederum
dafür entscheiden. Du kannst dich entscheiden, die Peaks im Leben für nicht
mehr so wichtig zu nehmen, sondern dich zu konzentrieren auf die wundervollen
Zwischenräume. Stell dir vor, dass du dich ausdehnst. Langsam und beständig. So
wie das ganze Weltall. Du konzentrierst dich auf das Ausdehnen und bewohnst
mehr und mehr deinen ganzen Raum. Du lässt dich nicht davon ablenken dass du
irgendeinen Pol oder ein Ziel erreichen müsstest. Du konzentrierst dich auf den
Prozess. Auf das Wahrnehmen dessen, was jetzt gerade ist.
Von der
Position des Beobachters aus kannst du beides zugleich machen. Du bist ausgerichtet
auf den Gipfel und den Höhepunkt. Und zugleich bist du mit aller Kraft im
Erleben des Hier und Jetzt zwischen den Polen.
Vielen Dank
für das Lesen meiner Gedanken und dass du meinen Gedanken deine Zeit geschenkt
hast. Was zählt für dich? Was habe ich vergessen? Was wirklich zählt ist ja
eine sehr persönliche Frage. Wenn du dir die Frage stellst und danach handelst
kannst du dir deine Lebenszeit besser einteilen. Du verzichtest vielleicht auf
Überflüssiges und konzentrierst dich auf das Wesentliche. Manche Menschen
können es auf einen einzigen Satz zusammenfassen. Ich kann die Idee von Augustinus
gut teilen wenn er sagte: Liebe und tue, was du willst.
Dienstag, 19. Juli 2022
Was wirkliche zählt! Teil 8: Du gehörst dazu Kraft deines Willens und deiner Entscheidung.
Hattest du in deinem Leben auch die Phase, wo du das Gefühl hattest, nicht zu deiner Familie dazuzugehören? Dir war völlig klar, dass deine Eltern dich irgendwann einmal adoptiert und es dir verschwiegen hatten. Du kamst dich so verschieden vor von deinen Eltern und fühltest dich sehr fremd.
Kennst du
das heute auch noch, dass du dich in deinem Verein umschaust und eine gewisse
Distanz bemerkst? Da sind die anderen und da bist du. Alle lachen über eine
komische Situation und nur du findest es nicht witzig. Du machst dir Sorgen
über irgendein Thema und alle anderen schauen dich befremdlich an. Du bist der
einzige Mensch, der noch raucht oder nicht Vegetarier ist. Du sitzt im Zug und
denkst, dass alle Menschen sich dort fremd sind und niemand mit niemandem
verbunden ist.
Du gehörst
nicht dazu. Die Vorstellung kann sich in deinem Inneren so ausbreiten, dass es
dich völlig isoliert. Oder die Sehnsucht in dich wachruft zu der Welt
zurückzukehren, wo du eigentlich hingehörst. Denn wahrscheinlich bist du ein verlorener
Engel oder bist das Wesen von einem fremden Planeten. Du bist auf der Erde nur
zu Besuch und wirst gleich wieder verschwinden.
Dieses
Gefühl der „Nichtdazugehörigkeit“ ist für mich ein ganz natürlicher Bestandteil
des Erdendaseins. Wir sind ja alle irgendwie nur Gast auf dieser Erde. Wir sind
einmal gekommen und gehen wieder. Wir leben für ein paar Jahre in und mit
unserer Herkunftsfamilie und gehen wieder auseinander. Entweder haben wir eine
gute und erfüllte Zeit miteinander oder auch nicht. Aber wir werden uns auf
jeden Fall eines Tages wieder trennen und neue Menschen finden.
Ich gehöre
zu Tausenden von Welten nicht dazu. Ich fahre mit dem Zug von Hamm nach Berlin
und komme an viele Städte vorbei mit vielen Menschen, zu denen ich nicht
gehöre. Es ist normal, nicht dazuzugehören.
Ich gehöre nur manchmal zu etwas ein wenig dazu. Zu meiner Familie, zu den
Menschen in der Nachbarschaft, zu meinem Freundeskreis, zu meinen Arbeitskollegen.
Ein Teil in mir wird immer auch die Fremdheit spüren können.
Schwierig
wird es, wenn sich die „Nichtdazugehörigkeit“ vertieft hin zu Isolation,
Entfremdung, Depression und Abgetrennt sein. Wenn es dazu kommt dann bist du zu
weit in diesen Pol hineingerutscht. Das tut niemandem gut. Und es stimmt auch
nicht. Denn du gehörst ja dazu.
Und das ist
ganz einfach. Du bist auf dieser Welt und darum gehörst du dazu. Du musst dich
nicht extra anstrengen. So nach dem Motto: „Ach, ich gehöre nicht dazu. Was
müsste ich denn leisten, damit ich es mir verdiene? Soll ich besonders nett
sein? Besonders angepasst oder auffallend humorvoll? Soll ich ein paar Bücher
lesen und schlau werden? Oder mehr aus meinem Äußeren machen?“ Nein, das alles
musst du nicht. Du gehörst dazu, weil du existierst.
Zugleich
darfst du aber auch eine Entscheidung treffen. Auch das macht einen
Unterschied. Du kannst am Tisch sitzen mit deiner Familie und das Gefühl von
Fremdheit hochkommen lassen oder du kannst dich satt hineinsetzen. Du kannst
dich einfach entscheiden dazuzugehören. Wenigstens für diesen einen Augenblick. „Jetzt gehöre ich dazu.“ Du
schaust dich um und dir wird bewusst, dass du mit jedem in der Runde etwas
erlebt hast. Mit jedem in deiner Familie hast du eine Geschichte. Vielleicht
nicht immer eine glücklicher, aber trotzdem eine gemeinsame. Ohne dich hätte
das Ereignis nicht stattgefunden oder ganz anders. Du hast diese Begegnung
einmalig gemacht. Deine Schwester und du, ihr habt euch einmal in die Augen
geschaut und euch gegenseitig wahrgenommen. Und schon gibt es diese Zugehörigkeit.
Du kannst deine Schwester oder deinen Bruder jetzt wieder anschauen und dich erinnern,
dass ihr einen kleinen Abschnitt miteinander unterwegs wart. Ihr habt einen
kleinen Ausschnitt der Weltgeschichte miteinander geschrieben. Einen winzig kleinen,
aber dennoch einen sichtbaren. Zumindest für euch. Dann gehörst du zu dieser
Geschichte dazu.
Du kannst
dich auch in den Zug setzen und an einem ganz bestimmten Tag nach Köln fahren.
Dann gehörst du zu diesem Ereignis der Menschen dazu, die mit dir nach Köln
gefahren sind.
Je länger
du über deine „Nichtzugehörigkeiten“ nachdenkst und dir dessen bewusst wirst,
desto mehr sorgst du dafür, dass ein dazu gehöriges Gefühl sich in dir
ausbreitet. Du erschaffst dir mehr und mehr ein schweres und leeres Dasein. Je
mehr du dir deiner „Dazugehörigkeiten“ bewusst
wirst, desto mehr vergrößerst du das Feld der Daseinsberechtigung. Du entscheidest
also ob du verhungerst oder ob du satt wirst.
Montag, 18. Juli 2022
Was wirklich zählt! Teil 7: Nicht ohne deine Lieblingsmenschen!
Glücksforscher haben schon lange herausgefunden, dass ein Mensch nicht allein leben kann. Er braucht gute soziale Kontakte um sich wohlzufühlen. Du brauchst ein Gegenüber und schon Martin Buber hat gesagt. Der Mensch wird am Du zum Ich.
Denke an
deine wirklichen Lieblingsmenschen. Verbinde dich jetzt in diesem Augenblick
mit ihnen. Lächle innen und außen und winke diesen Menschen zu. Vielleicht
gehören welche dieser Lieblingsmenschen zu deiner Familie. Vielleicht auch eher
zu deinen Freunden und Freundinnen. Sind männlich und/oder weiblich. Vielleicht
hast du aber auch einen Lieblingsmenschen, der dich gar nicht kennt. Ein
verstorbener Dichter oder eine Schriftstellerin, ein Mensch aus der fernen
Vergangenheit. Oder ein Mensch in deiner Fantasie!
Stell dir
einen Kreis von Menschen vor und du bist ein Teil dieses Kreises. In diesem
Kreis stehen jetzt deine Lieblingsmenschen. Sie alle bekommen jetzt in diesem
Augenblick mit, dass sie deine Lieblingsmenschen sind. Vorher waren sie es auch
schon, aber jetzt sagst du es ihnen. „Hallo mein Lieblingsmensch! Schön, dass
du mit mir in diesem Kreis bist!“ Schau dabei nach und nach jeden einzeln an. Wenn
du diese Menschen gedanklich und gefühlt in deinen Kreis stellst, was glaubst
du, wie du dich fühlen wirst? Einsam? Auf keinen Fall! Es macht dir deutlich,
dass du zu einer Familie gehörst, blutsmäßig oder per Wahl.
Jederzeit
kannst du deine Lieblingsmenschen zu dir einladen oder sie besuchen. Du kannst
das physisch nicht immer, aber gedanklich auf jeden Fall. Du kannst dir dessen
bewusst werden, dass du Lieblingsmenschen hast. Du bist nicht allein. Wenn du
an deine Lieblingsmenschen denkst und dich mit ihnen verbindest wächst dir
Kraft und Freude zu. In der Bibel wird erzählt, dass Gott die ersten Menschen
erschuf. Auch er fühlte sich dann nicht mehr allein sondern hatte ein Gegenüber.
Er konnte so kommunizieren und musste nicht mehr Selbstgespräche führen. Wer
nur mit sich spricht wird wahrscheinlich zum Eigenbrötler. Vielleicht musste
Gott den Menschen erschaffen damit er nicht zu eigenbrötlerisch wird. Auch er
schuf sich Lieblingsmenschen. Wusstest du schon, dass du zu seinem Kreis
dazugehörst? Im Kreis deiner Lieblingsmenschen kannst du dich satt hineinsetzen
und dich ausgefüllt und wohlfühlen.
Und dann
gibt es noch die ganz große Herausforderung. Ich meine die Gruppe der Menschen,
die nicht zu deinen Lieblingsmenschen zählen. Die Gruppe, mit der du nicht
kuschelst. Die aber dennoch wichtig sind für dich. Ich spreche von den
„Entwicklungsmenschen“. Die Menschen, die dich herausfordern. Die dich ärgern.
Die du nicht magst. Die dir fremd sind. Mit denen du Konflikte hast. Um die du
einen großen Bogen machst. Die du auf keinen Fall in den Kreis der Lieblingsmenschen
holst. Alle diese Menschen sind sehr wertvoll für dich. An denen kannst du
wachsen und reifen. Sie sind dein kostbarstes Geschenk. Ohne sie würdest du
einschlafen und dahindümpeln. Du würdest in deiner Kuschelgruppe ersticken. Du
wünschst dir diese Menschen weit weg von dir. Und vielleicht hast du inzwischen
festgestellt, dass dir das nicht gelingt. In der Familie hast du ein schwarzes
Schaf, in der Nachbarschaft diesen penetranten Ordnungsfanatiker. Am Arbeitsplatz
die faule Socke, die sich um jede Arbeit drückt. Manchmal erscheint dir die
Welt voll mit „Entwicklungsmenschen“ und du freust dich auf den Himmel, weil du
dann endlich von ihnen befreit bist.
Irrtum! Du
triffst sie wieder. Alle! Sie sind einfach da. In dieser Welt und in der jenseitigen
auch. Und es wird Menschen geben für die du selbst ein „Entwicklungsmensch“
bist. Die auch hoffen, dich so selten wie möglich zu sehen. Und? Musst du
deshalb weichen? Auf keinen Fall! Du bist ja wichtig für die Weiterentwicklung
dieses dir fremden Menschen.
So wichtig
deine Lieblingsmenschen sind für deinen Kuschelfaktor so wichtig sind auch
deine „Entwicklungsmenschen“.
Falls du
feststellst, dass dir noch ein paar Lieblingsmenschen fehlen und du mehr
„Entwicklungsmenschen“ an deiner Seite hast – herzlichen Glückwunsch. Du nimmst
die Herausforderungen des Lebens ernst. Du willst dich wirklich weiterentwickeln!
Und zugleich genieße es, dass du Lieblingsmenschen haben darfst. Mindestens
einen!
Samstag, 16. Juli 2022
Was wirklich zählt! Teil 6: Rufe in den richtigen Wald hinein!
Ich traf einmal eine Frau, die sehr unglücklich war. Sie erzählte mir, dass sie zu ihren Arbeitskollegen immer nett und freundlich sei. Sie würde alle am Morgen grüßen und sich am Abend verabschieden. Aber niemand würde höflich zurückgrüßen. Und wenn diese Kollegen nicht mehr mit ihr reden, dann würde sie auch nicht mehr mit ihnen sprechen wollen. Der Satz würde nicht stimmen: „So, wie du in den Wald hineinrufst, so kommt es auch zu dir zurück.“ Sie würde sich immer bemühen, aber es würde nichts nutzen. Sie könne sich anstrengen so sehr sie wolle.
Dann fragte
ich sie, in welchen Wald sie denn hineinrufe? In den Wald der Kolleginnen und
Kollegen oder in den eigenen inneren Wald. Da stutzte sie einen Moment. Ihr
wurde klar, dass sie gar nicht nach außen rief. Die Kolleginnen nahm sie gar
nicht richtig wahr. Sie blickte in ihren eigenen einsamen, verlassenen und
unfreundlichen Wald. Wie kann ein verdorrter Wald im eigenen Inneren einen
blühenden Wald in der Außenwelt grüßen und glauben, da käme freundlich etwas zurück.
Die Frau
erzählte mir, dass sie über die Jahre hin einsam geworden sei. Sie glaubte
nicht mehr an das Glück an ihrem Arbeitsplatz und überhaupt. Irgendwann
resignierte sie und gab innerlich auf. Ihr wurde klar, dass sie erst einmal
ihren eigenen inneren Wald wiederbeleben muss. Noch war nicht alles verloren.
Wurzeln graben sich tief ein und können längere Zeiten überstehen. Was braucht
der innere Wald, damit er sich lebendig anfühlt und damit er freudig in andere
Wälder hineinrufen kann? Eine gute Portion Selbstliebe! Selbstvertrauen und
Glaube. Ein inneres Wissen, selber die Schöpferin und der Schöpfer des Waldes
zu sein. Der innere Wald lebt oder vertrocknet in der Weise, wie ich es
gestalte. Zu meinem inneren Wald hat niemand sonst einen Zutritt und niemand
trägt die Verantwortung dafür außer mir selbst.
Seitdem
beobachte ich mich verstärkt, wie es denn so ist mit meiner Außenwirkung. Wenn
ich voller Freude durch die Welt gehe rufe ich viel lebendiger und liebevoller.
Es kommt unweigerlich Liebe und Freude zurück. Und wenn mal nichts zurückkommt
macht das nichts. Ich bin ja nicht darauf angewiesen. Um meinen inneren Wald
kann ich mich immer kümmern.
Erinnerst
du dich an die Anfangsfrage im letzten Brief, ob du noch ertrinkst oder schon
surfst? Ein Ertrinkender wird zum Bettler, der schreit, ob ihn jemand rettet.
So wie es Ertrinkende tun müssen. Wenn du surfst muss dich niemand retten. Du
nimmst die Wellen wie sie kommen und gleitest durch das Auf und Ab hindurch.
Dein inneres freies Kind erwacht und lacht und jauchzt. Du brauchst ein gutes
Körpergefühl, ein gesundes Selbstvertrauen und die klare Vorstellung, dass du
das kannst.
So wie du
in deinen inneren Wald hineinrufst, so verlässt es deinen Körper und erreicht
die Welt. Was andere tun kannst du nicht steuern und beeinflussen. Du bist
davon auch nicht abhängig. Du bist nur der Hüter deines eigenen inneren Waldes.
Da kannst du flüstern und rufen. Schmeicheln und flirten. Spaß machen und trösten.
Freitag, 15. Juli 2022
Was wirklich zählt! Teil 5: Dein innerer Beobachter
Wie kannst du im Dschungel der vielen
Herausforderungen dein Leben meistern ohne die Angst vor dem Untergang. Ich
gehe davon aus, dass wir Menschen drei Energiezentren haben, die uns zur
Verfügung stehen beim Bestehen des Lebens.
Der
Verstand bildet die mentale Ebene. Wir machen dort Pläne, überlegen, grübeln
und sortieren. Im Herzen verorte ich die Gefühlsebene. Dort erleben wir das
Energiezentrum, das uns Impulse gibt von Freude, Angst, Ärger, Trauer und
Scham. Dort tanken wir auf um die Kraft zum Handeln zu bekommen. Vom
Bauchzentrum her gehen wir in die konkrete Handlung, in die Aktion und in die Umsetzung.
Nicht jeder Mensch ist im gleichen Zentrum gleich stark. Du kannst ja einmal
überlegen ob du eher verkopft bist oder stark fühlst oder immer gleich in die
Handlung gehst.
Die Gefahr
besteht nun darin, sich in einem Zentrum zu verlieren ohne sich noch selbst
steuern zu können. Du grübelst zum Beispiel ständig über ein bestimmtes Thema
und nimmst gar nicht wahr, dass dir niemand mehr zuhört. Oder du bist so
traurig über einen Verlust, dass du sehr einsam wirst und dich in dein
Schneckenhaus verkriechst. Oder du landest in eine Art Aktivismus und brichst
vor Erschöpfung zusammen.
Es fehlt
also in meinem Energiemodell noch der Teil, der alles zusammenhält. Diesen Teil
nenne ich den inneren Beobachter oder den Regisseur oder spirituell gesehen das
„Höhere Selbst.“ Wenn du mit deinem Bewusstsein dir vorstellst, dass es für den
Beobachter in dir einen eigenen Ort gibt außerhalb des Körpers kraft deiner Vorstellung
wirst du feststellen, dass er sich unterscheidet von den drei Zentren. Dort ist
es ruhig. Es gibt dort nichts zu tun. Alles ist an diesem Ort in Ordnung. Es
wird dort nicht gewertet. Alles darf, und nichts muss sein. Wenn es um die
Frage geht, was wirklich zählt, dann gehört es unbedingt dazu, dass du diese
Position des inneren Beobachters für dich entdeckst und ausfüllst. Von dieser
Position aus kannst du entscheiden ob du mit dem Grübeln aufhörst, ob es Sinn
macht, jetzt zu handeln und auch, was du mit deinen heftigen Gefühlen machst.
Von der
Position des Beobachters aus schwemmen dich die Gefühle nicht weg und du
ertrinkst nicht darin, sondern du kannst entscheiden, was du jetzt mit diesen
Gefühlen machst. Bist du die Angst oder fühlst du sie lediglich? Begleitest du
die Trauer oder identifizierst du dich damit? Durchatmest du Wut und zerplatzt
du in dem Gefühl? Du überlässt es nicht einfach den aufkommenden Gefühlen was
geschieht, sondern du wirst zum Surfer deines Lebens.
Zum Surfen
gehören ein paar hilfreiche Grundideen oder Glaubenssätze, die aus der Position
des Beobachters heraus deinem Leben mehr Profil und Tiefe geben. Du erinnerst
dich an den ersten Teil, wo es um die Selbstliebe ging, um die angstfreie
Weiterentwicklung und um die Entscheidung, sich immer wieder zu verbinden. Heute
geht es weitere Impulse, deine Beobachterposition zu stärken.
www.matthias-koenning.de
www.matthias-koenning.de
Donnerstag, 14. Juli 2022
Was wirklich zählt! Teil 4: Du darfst dich angstfrei weiterentwickeln
„Ich tue
das nie, nie wieder!“ In mir entsteht das Bild von mir als ich ein kleiner
Junge war. Ich möchte einmal diese wunderbare bunte chinesische Tasse in der
Hand halten und befühlen. Dabei werde ich erwischt und lasse vor Schreck die
Tasse fallen. Mutter steht zornig und enttäuscht vor mir. Ich bekomme ihre
ganze Wut und den Ärger ab. Die schöne chinesische Tasse von meiner Tante liegt
nun in tausend Scherben da.
Ich bin ein
Verbrecher. Man wird mich von meinen Eltern entfernen und ich lande im Heim.
Unter lauter fremden Kindern. Ich werde alles verlieren. Meine Mutter wird mich
nie wieder lieben und bei Vater werde ich auch keinen Trost finden. Ich bin
schuldig. Die Scherben liegen da. Das Bild prägt sich ein wie das Brandmal bei
einem Kalb. Die zerbrochene Tasse, die wütende und aufgelöste Mutter und ich
hilflos und voller Angst. Nichts kann mich trösten oder beruhigen.
Unauslöschlich gräbt sich das Erlebnis ein in jede Zelle meiner Haut.
Ich
übertreibe? Ja, aus der Perspektive eines Erwachsenen. Du würdest es
nivellieren. Es war schlimm und so schlimm auch wieder nicht. War ja nur ein
Tasse. Die kann man ersetzen. In der Erwachsenenhaut gibt es das Erschrecken
und das Beruhigen. Die Einsicht, dass ein Schaden entstanden ist. Ich
entschuldige mich und bezahle die Rechnung. Ich vergewissere mich, dass die
Beziehung nicht gelitten hat und dass wir uns wieder gut sind. Das Ganze dauert
zehn Minuten.
Aber aus
der Perspektive eines Kindes? Du hast keine Vorstellungen von Zeit, Kosten,
Folgen oder Bewertungen. Du erschrickst, erstarrst und fühlst dich dem Tode
nahe. Du bist nicht in der Lage, damit umzugehen. Du musst es erst noch lernen.
Wenn du als Kind so hilflos und ohnmächtig dastehst wirst du alles dafür tun,
dass dir das nie wieder geschieht.
„Ich tu das
nie, nie wieder!“ So schnell wirst du keine Porzellantasse mehr in die Hand
nehmen. Die Angst wird dich hindern. „Lass es stehen! Sonst lässt du es fallen
und du weißt genau, was passieren wird. Willst du, dass die Welt zusammenbricht
und alle geliebten Menschen sich von dir entfernen?“ Das willst du nicht, weil
du ja alleingelassen sterben müsstest. Du bist angewiesen auf deine Eltern und
auf ihr Wohlwollen!
Dabei fing
alles so verheißungsvoll an. Du kommst als Schöpfer, als Erfinder und Entdecker
auf die Welt. Voller Lust und positiver Energie drückst du dich aus. Das Wort
Angst kennst du nicht im Zusammenhang mit Menschen. Höchstens mit normalen
Abläufen des Alltags wie bei den Tieren. Da kommt plötzlich und unerwartet
etwas auf dich zu, das dich erschreckt. Die Nacht bricht herein und du siehst
nichts mehr. Geräusche dringen an dein Ohr, die du nicht deuten kannst.
Direkt bei
dir jedoch hast du Kontakt zu deinen Eltern. In ihrer Nähe fühlst du dich
sicher und geborgen. So lernst du eine gesunde Mischung aus Vertrauen und den
Umgang mit unbekannten Situationen. Die Nähe deiner Eltern verleiht dir den
Mut, deine Komfortzone zu verlassen und Neues zu wagen.
Wie jedoch
entwickelst du dich, wenn deine Eltern unsicher sind? Wenn Vater und Mutter in einer
angespannten Beziehung leben? Wenn deine Mutter Angst um dich hat und dir
nichts zutraut? Wenn sie dich permanent beschimpft und überfordert? Wenn du in
einem Umfeld von Angst aufwachsen musst? Die ersten Jahre deines Lebens prägen
dich. Und als Erwachsener musst du mit deiner Prägung das Leben bestehen.
Vielleicht
erinnerst du dich gar nicht mehr an die einzelnen Ereignisse aus deiner
Kindheit. Aber du wirst ein Grundgefühl entwickelt haben. Du wirst eher
vertrauen und dir kraftvoll das Leben erobern oder dich zögerlich zurückhalten
und dich eher verweigern.
Wenn du
angstvoll aufgewachsen bist bleibt dir nichts anderes übrig, als damit zu
leben. Du wirst in der Regel sehr vorsichtig sein. Du wirst dazu neigen, viele
Versicherungen abzuschließen, Türen und Fenster in deiner Wohnung zu verriegeln
und ständig zu überprüfen. Dir unbekannte Menschen werden erst einmal beweisen
müssen, dass sie vertrauenswürdig sind. Dein Immunsystem wird stark
herausgefordert sein und du wirst stärker zu Allergien neigen als andere. Du
wirst oft das Für und Wider abwägen und dich nicht gut entscheiden können. Du
wirst dazu neigen, die Schuld auf dich zu nehmen und lieber kein Nein zu
riskieren. Du wirst Lebensmittel nicht essen wenn sie nicht absolut sicher
sind. Du wirst das Gefühl haben als ob um dich herum eine Mauer aufgebaut ist,
die du nur angestrengt überwinden kannst. Je größer die Angst, desto höher und
dicker die Mauern und das Bemühen, dir Sicherheit zu verschaffen.
Und du
machst die Erfahrung, dass es nie genug ist. Noch eine Versicherung zusätzlich,
noch vorsichtiger sein, noch weniger wagen. Die Angst und die Angst vor der
Angst lauern dir ständig auf.
Wenn du
dich weiterentwickeln möchtest bleibt dir nichts anderes übrig, als zu lernen,
mit der Angst umzugehen. Menschen, die relativ angstfrei aufwachsen können sich
da nicht wirklich gut einfühlen. Welche Möglichkeiten hast du? Du kannst
weitermachen und alles, was Angst macht, vermeiden. Du flüchtest! Oder du
stellst dich mutig den Herausforderungen. Du durchlebst die Angst. Du lässt
dich von ihr überfluten. Du setzt dich daneben. Du lernst, trotzdem zu atmen.
Du entschließt dich dazu, der Angst nicht mehr so viel Raum zu geben, dass sie
dein Leben verhindert. Du entschließt dich zu einer neuen Lebensphilosophie:
„Ich habe Angst davor, also mache ich es.“ Mach dir keine Sorgen. Es wird noch
genug Angst übrig bleiben. Aber du wirst dich weiterentwickeln.
Stell dir
aber vor, dass es den großen Tag geben wird, wo du dich weiterentwickelst
jenseits der Angst. Einfach nur weil du Freude hast. Tiefe Freude an dir, an
den Menschen um dich herum und an den Dingen. Du kehrst zum Anfang deines
Daseins zurück. Du erinnerst dich daran, dass du mit voller Energie und
grenzenlosem Vertrauen ausprobieren und gestalten darfst. Du darfst wie ein
Baby die Welt erobern und machst das mit einer Bewusstheit von absoluter
Sicherheit.
Du kannst
es lernen, den Raum der Angst zu überwinden und zu ersetzen durch das Wissen,
dass du Teil eines göttlichen Ursprunges bist. Deine Angst verzerrt dir den
Blick auf die Wirklichkeit. Mit deiner Angst wirst du in vielen Menschen einen
Feind sehen, der dich ausbeuten, betrügen und übervorteilen wird. Jenseits der
Angst jedoch wirst du in jedem Menschen einen Bruder oder eine Schwester sehen.
Einen Spielkameraden, mit dem du die Welt erkunden darfst.
Wo
befindest du dich gerade in deiner persönlichen Entwicklung? Hast du schon alle
Urängste kennengelernt und überwunden? Lebst du schon in der Freiheit der
Kinder Gottes? Ich merke immer wieder, dass meine Vergangenheit ihren Schatten
über mich legt, aber die Macht verschwindet mehr und mehr und das fühlt sich
gut an. Stell dir vor, dass du dich angstfrei weiterentwickelst. Stell dir vor,
dass du das kannst und dass das ganz selbstverständlich ist. Lerne solche
Menschen kennen und lass dich von ihnen anstecken. Spüre den Unterschied, der
einen Unterschied macht. Du kannst lustvoll und neugierig die neuen Räume
betreten oder vorsichtig und zurückhaltend. Sterben musst du sowieso. Aber es
reicht, das am letzten Tag deines Lebens zu machen. Sonst stirbst du jeden Tag
und hast gar nicht gelebt.
Mittwoch, 13. Juli 2022
Was wirklich zählt! Teil 3: Nimm wahr, dass du äußerst liebenswert bist
Du kannst es nicht leugnen. Du bist da auf dieser Welt. Du kannst es befühlen und du kannst dich im Spiegel anschauen. Du existierst! Und du bist dir dessen bewusst. Doch wie bist du dir deiner selbst bewusst?
Du warst
einmal ein wunderbar süßes kleines Baby. Deine Mutter und dein Vater haben dich
angestrahlt und ihr Herz für dich geöffnet. Und wenn der Vater fehlte und die
Mutter nicht so herzlich war, dann gab es einen anderen Menschen. Am Anfang
stand ein großes Willkommen über deinem Leben. Du hast als ein äußerst
liebenswertes Wesen das Licht der Welt erblickt. Niemand hat etwas von dir
erwartet. Du musstest nichts dafür leisten und du konntest es nicht bezahlen.
„Sei bitte freundlich zu mir Mama, dann bekommst du einen Euro von mir.“ Allein
eine solche Vorstellung wäre völlig absurd. Ohne dein Zutun wurdest du geliebt.
Irgendwann
gab es den Augenblick, wo du nicht mehr ganz so hilflos warst. Du konntest
etwas. Greifen, dich umdrehen, krabbeln, lächeln. Deine Eltern sahen, dass du
dich entwickelst und freuten sich mit dir. Und sie freuten sich, dass sie nicht
mehr alles für dich tun mussten. Dass wieder etwas Energie und Zeit für sie
selber blieb. Nur ein paar Minuten zwar, aber immerhin. Etwas später, als du
sprechen konntest, und deine Eltern etwas für dich tun wollten, hast du so
einen Wiederstand entwickelt. Mit allem Zorn hast du deutlich gemacht: „Alleine!“
Ah, du wolltest es alleine machen. Ohne fremde Hilfe! Da wurde in dir das
Bedürfnis nach Freiheit und Autonomie wach. Die befriedigende Erfahrung, nicht
abhängig zu sein. Nicht warten zu müssen. Nicht mehr diese entwürdigende und
hilflose Erfahrung machen zu müssen, auf jemanden angewiesen zu sein.
Und deine
Eltern? Sie erlebten vielleicht so eine ambivalente Mischung von Stolz und
Furcht. „Ich werde nicht mehr gebraucht? Ich bin überflüssig? Ich werde
zurückgestoßen?“ Die erste echte Kränkung deiner Eltern. Und diese Geschichte
wird sich fortsetzen. „Kind, können wir etwas für dich tun?“ „Nein, vielen
Dank, das schaffe ich selbst.“ Auch deine Reaktion war ambivalent. „Darf ich
das alleine? Kränke ich nicht jetzt meine Eltern?“ Und schon sehr früh in der
Interaktion zwischen dir und deinen Eltern taucht irgendwann der Gedanke auf,
dass du nicht in Ordnung bist. Du kannst immer noch nicht laufen, nicht richtig
sprechen, haust andere Kinder, quengelst, willst Sachen, die aus der Sicht des
Erwachsenen völlig daneben sind, und, und, und...
Diese
Erfahrungen kannst du sammeln und zu einem erschreckenden Ergebnis kommen. Du
bist überhaupt nicht in Ordnung. Du bist ein Monster! Du machst viel falsch und
nur wenig richtig und du nimmst es sehr persönlich. Du kommst zu dem Ergebnis,
nicht, dass du etwas falsch machst, sondern dass du völlig falsch bist.
Du wirst
älter und älter und vergisst den Anfang deiner Lebensgeschichte: Dass du ein
äußerst liebenswerter Mensch bist. Du triffst andere Menschen und wirst
vorsichtig. Werden sie dich mögen? Wenn ja, unter welchen Bedingungen und
Voraussetzungen? Wird sich das Drama im Elternhaus fortsetzen? Der Kampf um
Anerkennung und Liebe?
Bitte
keinen Vorwurf an deine Eltern! Sie sind wie sie sind und sie tragen nur einen
kleinen Teil zu deiner Misere bei. Selbst, wenn sie dir alle ihre Liebe
schenken, wirst du dahin kommen, wo alle Menschen heute sind. Im Zweifel,
wirklich liebenswert zu sein. Einfacher ist es natürlich, wenn du einen
Schuldigen findest. Weil meine Mutter mich nicht genug gestreichelt hat, bin
ich jetzt so kühl. Weil mein Vater mir
nichts zugetraut hat, habe ich jetzt kein Selbstvertrauen. Ich kenne solche
Schuldzuweisungen und sie stimmen auch. Aber es nutzt dir nichts. Du bist jetzt
auf dieser Welt und darfst mit dem Erbe deiner Eltern leben. Ich kenne keinen
Menschen, bei dem nicht ab und zu die Frage auftaucht, ob er liebenswert genug
ist. Vielleicht war Jesus davon befreit oder der Dalai Lama. Aber sicher bin
ich mir da nicht.
Fühlst du
dich als ohnmächtiges Produkt deiner Lebensgeschichte? Nicht genug geliebt und
unfähig zu lieben? Du bist äußerst liebenswert, weißt du das? Du bist so was
von wunderbar und es ist toll, dass du mit mir auf dieser Welt bist. Ich meine
das so und ich fühle das mit allen Fasern meines Körpers. Selbst, wenn ich dich
gar nicht persönlich kenne. Ich schließe meine Augen und stelle mir vor, dass
du da bist. Mein Herz geht auf und ich spüre die Liebe zu dir. Wow, welch ein
wunderbares Wesen du bist!
Jetzt
könnte ich von dir schwärmen und viele Worte für meine Freude finden. Aber was
ist, wenn du mir nicht glaubst? Wenn du mich abweist. Wenn meine Worte dein
Herz nicht erreichen können.
Viel
entscheidender wäre es, wenn du selbst auf diese Idee kämest. Wenn du die Augen
schließt und in dein Herz gehst und anfängst, über dich zu staunen. Wenn du
sagen könntest: „Ja, ich bin total liebenswert! Wie wunderbar, dass ich da bin.
Und dass ich da bin, genauso wie ich da bin!“ Dass du das zu dir selber sagst.
Du könntest gedanklich zurückgehen zu deiner Geburt und noch weiter zurück zu
deinem Dasein in der Höhle deiner Mutter, noch weiter zurückgehen zu dem
Zeitpunkt, wo du gezeugt wurdest und noch weiter zurück, wo die Bausteine von Same
und Zelle entstanden und noch weiter zurück zum Ursprung deines Bewusstseins.
So weit zurück, bis du dich deiner göttlichen Quelle erinnerst und sie wieder
verinnerlichst. Werde dir deines göttlichen Ursprunges bewusst. Trage es wie
ein Siegel auf deinem Herzen. „Ich bin äußerst liebenswert.“
Dieses
Bewusstsein will gepflegt werden, weil die Gefahr besteht, dass du es schnell
wieder verlierst. Da nimmt dir jemand die Vorfahrt. Da übersieht dich jemand
bei einer Begrüßung. Da bricht jemand den Kontakt zu dir ab. Mehrmals am Tag
kannst du die Erfahrung machen, die dich abrutschen lässt in eine tiefe
Verlorenheit. Erinnerst du dich daran? „Du bist äußerst liebenswert!“ Mach doch
mal die Übung und zähle auf, was genau du an dir liebenswert findest. Insgesamt
bist du liebenswert. Ja? Aber du kannst auch ins Detail gehen. Du bist ja eine
Komposition aus vielen Elementen, ein buntes Mosaik von Liebenswertigkeit.
Niemand kennt diese Zusammensetzung so wie du.
Ist dir
schon einmal aufgefallen, dass Menschen von außen dich ganz anders wahrnehmen
als du dich selbst. Ich bin manchmal total erstaunt, was Menschen an mir
liebenswert finden. So genau habe ich für mich noch gar nicht hingeschaut. Ich
schaue, was andere Menschen als liebenswerte Wesen ausmacht und kann das
schnell herausfinden. Warum gelingt mir das nicht mit mir selbst?
Fühlt sich
das dann sofort an wie Eigenlob? Eigenlob stinkt? Bin ich ein Narzisst, wenn
ich so denke und verführe ich dich zu einer sehr unchristlichen Haltung? Im
Laufe des Lebens haben wir ja das Bewusstsein dafür verloren, wie kostbar und
wertvoll wir sind. Wir haben uns daran gewöhnt, wie mangelhafte Wesen
herumzulaufen. Ständig bewertet und kritisiert. Wir sind unser größter Feind
und Kritiker. Wir erkennen unsere Fehler und Schwächen und schämen uns dafür
und sind damit beschäftigt, sie zu vermeiden, unsichtbar zu machen,
auszumerzen. Immer mit der Absicht, dadurch liebenswerter zu sein. Dabei wächst
der Schmerz, weil es uns eigentlich gar nicht gelingt. Jedes Scheitern
bestätigt unser chronisches Versagen.
Wie würde
sich dein Leben anfühlen, wenn du diesen ablehnenden Teil deines Lebens einmal
ruhen lassen würdest. Und stattdessen dich so anschaust, wie andere liebevolle
Menschen dich anschauen. Sieh dich an mit dem Blick deiner Eltern und wenn du
gläubig bist mit dem Blick Gottes. Erinnerst du dich daran? Du bist äußerst
liebenswert! Ich erinnere dich und mich ständig daran. Sobald ich dich frage,
was dich in deiner Kindheit traumatisiert, dich eingeschränkt oder gekränkt
hat, werden die entsprechenden Bilder, Gefühle und Bewertungen wach. Schon hast
du wieder vergessen, dass du äußerst liebenswert bist. Kränkungsbilder sind
unglaublich mächtig. Du glaubst ihnen lieber als der anderen Wirklichkeit. Das
geht sehr schnell: „Ach, ich bin ja doch nicht liebenswert. Ich habe es immer
schon gewusst. Mein Gefühl täuscht mich nicht.“ Du musst um diese
Wirkmechanismen wissen. Die Wirkmächtigkeit deiner lebenslangen Glaubenssätze.
Als kluger
Mensch wirst du vielleicht denken, dass es stimmt, dass du äußerst liebenswert
bist. Aber dieser Gedanke ist oft nicht stark genug. Da sagt dir ein Mensch:
„Du hast mich total enttäuscht!“ Und schon fällt deine Selbstliebe wie ein
Kartenhaus zusammen. Kannst du dir vorstellen, dass die Vorstellung, dass du äußerst
liebenswert bist, zu einem neuen Leitwert in deinem Leben wird. Du kannst dich
dafür entscheiden. Du gibst immer wieder dein Ja dort hinein. Wenn dieser
Mensch dir sagt, wie sehr er enttäuscht ist, wirst du vielleicht für einen
kurzen Moment diese Trauer oder den Ärger spüren und zugleich den Lichtschalter
anmachen: „Auch wenn ich jetzt diesen Kloß im Hals habe, bin ich total
liebenswert.“ Du trainierst es und die „böse Welt“ und die „ablehnenden
Menschen“ werden zu deinen effektivsten Sparringspartnern. Übe an deinen
„Feinden“, dass du ein äußerst liebenswerter Mensch bist. Jetzt schließ die
Augen und lass in dir das Bild entstehen wie du selber als Baby in der Wiege
lagst. Was für ein liebenswertes Wesen!
Dienstag, 12. Juli 2022
Was wirklich zählt! Teil 2: Verbinde dich lieber anstatt dich zu trennen
Du lebst in
einer Welt in der alles voneinander getrennt ist. Zumindest kann ein solcher
Eindruck entstehen. Du trennst Arbeit von Freizeit und hast für jeden Bereich
unterschiedliche Ansprüche. Du möchtest in deiner Freizeit nicht gestört werden
und in deiner Arbeit achtet dein Arbeitgeber darauf, dass du nichts Privates
machst. Kinder werden von Erwachsenen getrennt. Die Welt von Kita und Schule für
die Kinder, die Arbeitswelt für die Erwachsenen. Wir trennen die Grundstücke
und errichten Grenzen. Hier wohne ich und dort wohnst du.
Deine
Freundin macht dir einen Vorwurf, dass du ihr nicht zuhörst und du fühlst dich
abgetrennt. Manche trennen sich von ihren Gefühlen und bleiben lieber im Kopf.
Mit dem Kopf kannst du planen und kontrollieren. Deine Gefühle machen, was sie
wollen. Sogar in deinem Verstand gibt es Trennung. Ein Teil von dir möchte sich
ausruhen und ein anderer Teil möchte etwas erleben. Wieder ein anderer Teil
möchte anerkannt werden und fühlt sich dennoch verurteilt.
Neben dir
im Zug sitzt ein Mensch aus einem fremden Kulturkreis und du findest nichts,
was dich mit ihm verbindet. Du kannst eine Brille aufsetzen mit der du alles
was du siehst, trennst. Sogar bei einer Tasse mit Blumenmuster siehst du die
Farben und Formen und denkst, dass rot ganz anders wirkt als blau. Beim
Betrachten von blau bekommst du andere Gefühle als beim Betrachten von Rot. Die
Tasse gefällt dir nicht und schon bist du von der Tasse getrennt. Außerdem
besteht ihr Material aus Steingut und du bist aus Fleisch und Blut.
Du sitzt
mit anderen Menschen zusammen und denkst, wie verschieden sie von dir sind.
Deinen Nachbarn findest du zu leise, den nächsten zu laut, wieder jemand ist
vom anderen Geschlecht, das du sowieso nie richtig verstehst. Einer hat die
Macht und andere sind ohnmächtig.
Wenn du die
Brille der Trennung aufsetzt kannst du dich in Trennungsgedanken
hineinsteigern. Der Abstand zwischen dir und den Anderen wird immer größer und
größer und plötzlich fühlst du dich allein. Du bist wie unter einer Glasglocke
und du hast mit allem, was du siehst, nichts mehr zu tun. Wenn du es aushältst
gibt es nichts zu tun. Es ist ja ein Teil der Wirklichkeit. Oder? Da bist du
und da ist das Fremde gegenüber und du bist nicht das Fremde und das Fremde ist
nicht du. Wahrscheinlich kannst du dich nicht mehr daran erinnern, wie du als
Baby geschrien hast und niemand gekommen ist. Du warst allein mit deinem
Bedürfnis und mit deinem Schmerz. Dabei lebte in dir noch die glasklare
Gewissheit, dass du tief mit der Mutter verbunden bist. Du kamst doch aus ihrem
Bauch. Du warst ein Teil von ihr. Nichts deutete darauf hin, dass du allein
bist in dieser Welt. Du lagst dort in deinem Bettchen und konntest dir nicht
helfen. Du konntest ja noch nicht aufstehen und deine Mutter suchen. Du
musstest es aushalten und schreien und warten. Diese Erfahrung hat sich in dir
eingebrannt. Die Mutter ist nicht zuverlässig da. Sie mutet dir den Schmerz der
Trennung zu.
Wie mag
sich das auf dich ausgewirkt haben. Hast du alles dafür getan, dass das nie
wieder passierte? Hast du so lange geschrien, bis deine Mutter verstand, dass
du immer bei ihr sein wolltest? Und heute klammerst du immer noch? An Menschen
oder Dingen? Dein Klammern diente ja nur dem Ziel, bloß nicht getrennt zu
werden. Aber eigentlich warst du da gefühlt schon getrennt. Verbunden mit der
Mutter, aber in tiefer Angst vor Trennung.
Oder du
hast schicksalsergeben geschwiegen und resigniert. Du schreist und niemand
kommt und du musst das Schicksal annehmen. Ja, du bist getrennt und niemals
wieder wird jemand kommen und dir etwas vormachen können. Wenn deine Mutter
jetzt kommt wirst du denken, dass sie sowieso gleich wieder geht. Freude und Wohlbefinden
lohnen sich nicht. Halte dich zurück, damit du nicht gleich wieder enttäuscht
wirst. Und so wächst du auf mit der Idee, dass eigentlich alles von dir
getrennt ist. Die andere Wirklichkeit möchtest du nicht mehr sehen und
wahrnehmen.
Die andere
Wirklichkeit darfst du wieder entdecken. Die Wirklichkeit, dass du mit allem
was ist, verbunden bist. Im Bettchen als kleines Baby musstest du das
Unerträgliche ertragen. Aber jetzt als Erwachsener kannst du laufen. Du kannst
dich bewegen. Mit deinem Körper, mit deinen Gedanken und mit deinem Herzen. Du
kannst dich zu jedem Zeitpunkt deines Lebens dafür entscheiden, dich wieder zu
verbinden. Der Verbindungsfaden ist vorhanden. Du kannst im Kreis deiner
Menschen sitzen und das Verbindende sehen. Da sitzen lauter Menschen so wie du.
Da schaut dich jemand an und du schaust zurück und im Augenblick gibt es eine
Verbindung über den Blick. Ist dir schon einmal bewusst geworden, welche
Energie im gegenseitigen Anschauen liegt.
Du schaust
jemanden an und dieser Mensch schaut zurück und ihr trefft euch mit den Augen.
In diesem „Augenblick“ steht die Welt still und es gibt keine belastete
Vergangenheit und keine beängstigende Zukunft. Nur du bist da und dein
Gegenüber. Du kannst mit vielen Menschen zusammensitzen und lauter
überflüssiges Zeug sprechen. Allein dieser „Augenblick“ löscht alles Widrige
aus. Du lebst im Geschenk. Und davon gibt es unendlich viele. Jemand berührt
dich mit der Hand. Ganz sanft und nur so eben und scheinbar so nebenbei. Spürst
du die Elektrizität, die durch deinen Körper geht? Du bist gemeint! Da nimmt
dich jemand wahr. Über diesen Hautkontakt gibt es eine Verbindung. Ganz kurz
flammt im Unterbewusstsein die Erinnerung auf, dass es eine Nabelschnur gab.
Darüber wurdest du versorgt. Neun Monate und ohne Unterbrechung. Dann berührt
dich jemand und das ganze Programm der Versorgung wird wieder aktiv. Wow, du
bist verbunden!
Im
Mutterleib gab es zwar eine Verbindung ohne Unterbrechung. Aber es hatte auch
ein „aber“. Aber du konntest nicht unabhängig dein Eigenes machen. Um dein
Eigenes machen zu können, was ja sehr befriedigend ist, musst du dich
kurzfristig trennen. Du trennst dich und verbindest dich mit etwas anderem. So
ist das Spiel: sich trennen und verbinden. Um sich wieder zu trennen und wieder
zu verbinden. Du wanderst quasi von Verbindung zu Verbindung und bist
eigentlich nie wirklich getrennt. Es sei denn, du nimmst es so wahr. Trennung
über Trennung! Niemand mag mich und bei niemandem halte ich es aus.
In deinem
Geist und in deiner Seele kannst du eine bewusste Entscheidung treffen. Du
spielst mit allen Menschen ein schöpferisches Spiel. Die ständig sich
wiederholende Freude, in immer wieder neue Verbindungen zu gehen. Oder du
bewegst dich in der ständigen Angst, alles zu verlieren. Dann lebst du in
dieser Angst wie in einem Dauerzustand. Mal gefühlt, oft aber auch verdrängt.
Im Bewusstsein der Trennung bist du auch abgeschnitten von allen Quellen, die
dich speisen können. Umgekehrt leidest du keinen Mangel, wenn du Teil eines
wundererfüllten Netzwerkes bist. Du empfängst und du gibst weiter.
Stell dir
die Beziehung zu einem guten Freund oder einer guten Freundin vor. Es beglückt
dich, dass jemand für dich da ist und auch umgekehrt. Jetzt sagt dieser Mensch
etwas zu dir, das dich kränkt. Für einen Moment fühlst du dich verraten und
zurückgestoßen. Wie kann dieser Mensch diese
Freundschaft so verraten und mit Füßen treten. Du steigerst dich herein
und deine Phantasie geht mit dir durch. Dein Freund war immer schon unehrlich
und du hast dich ausnutzen lassen. Du wurdest belogen und betrogen und dieser
Mensch hat deine Freundschaft nicht
verdient. Du selbst merkst nicht, wie du immer mehr in einen abgetrennten
Zustand gerätst. Du kannst gar nicht mehr überprüfen, ob deine Gedanken
wirklich wahr sind oder nur Produkte deiner Phantasie. In dieser Abtrennung
fühlst du dich verraten und zugleich immer trauriger wütender und ängstlicher.
Du bestrafst dich damit selbst, indem du dich in diesen schrecklichen Zustand
hineinversetzt. Du erlebst den Kern dessen, was die christliche
Höllenvorstellung ausmacht. Scheinbar angestoßen durch den Verrat des Freundes
katapultierst du dich in deinen inneren Höllenzustand. Je öfter du das erlebst,
desto schneller funktioniert dieser Mechanismus.
Was setzt
du dieser zerstörerischen Energie entgegen? Wir Menschen haben einen starken
Geist. Du kannst diese Gedanken stoppen und dich daran erinnern, dass es diese
wunderbare Freundschaft gab. Du kannst die Frage in dir zulassen, ob es möglich
ist, dass diese Freundschaft auch jetzt noch besteht. Eher im Pausenmodus, aber
latent vorhanden. Du kannst dich an alle freundschaftlichen Begegnungen und
Ereignisse erinnern und diesen Bedeutung und Kraft geben. Du kannst die Augen
schließen, dich in dein Herz hineinbewegen und das Gefühl der Trennung fühlen
und zugleich zulassen, dass dieser Zustand gefüllt wird mit Erinnerungen an
diese Liebe. Je mehr dieses Bewusstsein von Liebe in dein Herz strömt, desto
mehr besänftigt sich der innere Aufruhr. Ja, du spürst die Kränkung und ja, du
spürst auch die Liebe. Indem du dich dafür entscheidest, die
Verbundenheitsgefühle und Gedanken zuzulassen verändert sich deine innere
Landschaft. Und du kannst dich dafür entscheiden, das fortlaufend zu
trainieren. Die Welt mit all den Trennungsmöglichkeiten ist dein
Sparringspartner deiner persönlichen Entwicklung. Jedes Auto, das dir
entgegenkommt, jeder Regentropfen und jede Begegnung mit einem Menschen können
in dir Höllenzustände oder himmlische Gefühle auslösen. Du selbst sitzt in
deinem Herzen an der Weichenstellung und entscheidest, wohin es geht.
Ohne
Zweifel magst du denken, dass es Menschen gibt, die es leichter haben. Sie
haben mehr Verbundenheitsanteile geschenkt bekommen als Trennungsmöglichkeiten.
Sie sind scheinbar vom Glück geküsst worden. Das ist bestimmt so. Aber du hast
dein eigenes Leben und deine eigenen Herausforderungen. Und wenn du dich mit
anderen Menschen vergleichst, bist du gleich wieder in der Hölle. „Die anderen
haben Glück und ich? Ich muss im Elend aushalten.“ Nicht das Glück der anderen
macht dich elendig, sondern der Vergleich, den du anstellst und bewertest.
Bleibe
lieber bei deiner inneren Herzensweiche und entscheide dich für dein eigenes
Leben. Du kannst die Hölle verstärken oder den Himmel. Es gibt keinen Tag, wo
du nicht diese Herausforderung hast. Darin liegt zugleich das Geschenk. Du hast
jeden Tag die Möglichkeiten zu wählen. Verbindest du dich oder trennst du?
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