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Samstag, 14. September 2019

Kreative Lösungen finden!


In einer Seitenkapelle der Kathedrale von Santiago sieht man den Heiligen Jakobus mit erhobenem Schwert, das gleich auf eine Schar von Männern mit Turban niedersaust, um ihnen martialisch den Kopf abzusäbeln. Santiago, der Maurentöter. Ein beliebtes Motiv in der jahrhunderte dauernden kämpferischen Kirche gegen den islamischen Feind.
Vor ein paar Jahren nun beschloss das Domkapitel, diese Figur zu entfernen, weil sie nicht mehr zeitgemäß ist. Diese Entscheidung stieß auf den erbitterten Widerstand der Traditionalisten. Die Figur muss bleiben, sonst gibt es Ärger. Kein Wunder, dass ein schwertschwingender Jakobus den Ärger auch nach Jahrhunderten gut anstacheln kann.
So haben wir nun zwei Gruppen, die sich unversöhnlich gegenüberstehen. Die Verfechter eines sich mit dem Islam versöhnenden Klerus und die Gruppe der Traditionalisten, die um ihre schwindende Identität fürchten. Figur rein oder raus? Das Domkapitel hat zwar die Macht, aber den Proteststurm muss man erst einmal überstehen. Es kann doch nur einen Gewinner und einen Verlierer geben, oder?
Die Lösung, von der ich hörte, klingt schildbürgermäßig oder wie ein fauler Kompromiss. Doch manchmal liegt die Lösung eben auf einer höheren Ebene. Und wie machten das die einfallsreichen Spanier? Nun, die "Mauren" bilden den Sockel der Figur und befinden sich folglich unten. Jetzt wird diese Figur über und über ordentlich mit Blumen geschmückt. So ist nicht mehr erkennbar, was Jakobus dort mit dem Schwert macht. Er könnte jetzt also auch Blumen köpfen. Die Traditionalisten haben sich durchgesetzt: Die Figur bleibt. Der Domklerus hat sich auch durchgesetzt: Die Anstößigkeit verschwindet - zwar nicht aus der Kathedrale, aber hinter einem Berg von Blumen. Der nicht wissende Betrachter wird entzückt sein von der spanischen Frömmigkeit, die jederzeit ihren Heiligen in einem Blumenmeer versinken lässt.

Manchmal scheint es im Leben nur ein entweder/oder zu geben. Einer gewinnt und Einer verliert. Für eine Gemeinschaft ist das aber keine wirkliche Lösung, weil der Verlierer den Verlust auf die Dauer nicht so widerstandslos hinnimmt. Besser ist es, eine Lösung zu finden, wo beide Parteien gewinnen. Die Blumen des Heiligen Jakobus erweisen sich als klugen dritten Weg. Solltest du demnächst in eine Situation hineingeraten, in der es zu einer Entscheidung kommt mit möglichen Gewinnern und Verlierern erzähle doch die Geschichte von Santiago de Compostela und dem geschmückten Jakobus. Dann lade deine Gruppe dazu ein, nach einer Lösung auf ähnlicher Ebene zu suchen. Deine Kinder wollen auf den Abenteuerspielplatz und Vater möchte Ruhe haben. Aber die ganze Familie möchte auf jeden Fall den Tag gemeinsam verbringen. Entweder verlieren die Kinder und verzichten auf das Abenteuer oder der Vater verzichtet auf seine Ruhe. Na, fällt dir eine Lösung ein, wie man den Vater oder die Kinder "mit Blumen" schmücken kann?
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Mittwoch, 11. September 2019

Wo liegt dein Venedig?


Vor ein paar Tagen las ich von Lippstadt als dem Venedig Westfalens. Kannte ich noch nicht! Dann begann ich zu recherchieren und fand heraus, dass es die Venedig des Nordens gibt mit Giethoorn in Holland. Dazu kommen noch Amsterdam, Brügge, Kopenhagen und Friedrichstadt. Im Osten tummeln sich als Venedig Städte wie Dresden, Breslau und St. Petersburg. Im Westen gibt es auch Orte mit dem gleichen Beinamen wie Westport in Irland und Nantes in Frankreich. Um die Venedigs zu komplettieren wandern wir in den Süden nach Recife, Puerto de Mogan auf Gran Canaria und nach Bangkok.
Ergänzen wir dann noch die Vendigs für die Städte, die sich ein wenig zurücknehmen, dann gelangen wir zu den "Kleinvenedigs" nach Berlin, Colmar und Bamberg. Und mitten drin: Lippstadt, das Venedig in Westfalen! Herrlich!
Ein paar Venedigs habe ich bestimmt noch vergessen. Mir geht es jedoch um das Thema, das sich dahinter verbirgt. Wir möchten alle im Paradies leben. Ein paar Kanäle, schöne Häuser, Orte des Verweilens, ein Straßencafé. Einfach im Sein sein! Manchmal entscheiden wir uns für diesen Ort und fahren nach Venedig im Original. Wir haben die Hoffnung, dass sich da unsere Träume und Sehnsüchte erfüllen.
Die Sehnsucht treibt uns voran und zieht uns an sich. Das lässt sich auch gut vermarkten. Sobald eine Stadt ein wenig Venedig ausstrahlt, lässt sich das mit der Sehnsucht der Menschen verknüpfen nach dem Motto: "Komm nach Lippstadt und deine Seele findet, was sie sich wünscht!" Und so nebenbei lässt du den einen oder anderen Euro im dahinsiechenden emotionalen Sehnsuchtszustand fallen.
Das erinnert stark an die ersten Geschichten im Buch Genesis. Die Menschen verlieren ihr Paradies, weil sie von der verbotenen Frucht essen. Sie werden vertrieben, aber die Erinnerung bleibt und die Sehnsucht auch, wieder dahin zu finden.
Im psychologischen Sinn war unser erstes Paradies der Mutterleib. Den mussten wir verlassen bei der Geburt. Jeder Mensch trägt also eine Geschichte der Verlassenheit in sich. Und zugleich eine Geschichte der Sehnsucht. Ich will zurück! Zurück an dem Ort des Glückes.
"Venedig" wird zu einem modernen Bild unserer Sehnsucht. An das Paradies glaubt ja keiner mehr. Mit dem lässt sich auch kein Geld verdienen.
Wo liegt dein Venedig, wenn wir schon einmal bei dem Thema sind? Wann kannst du entspannen. Wo und was brauchst du dafür, wenn du etwas brauchst? Siechst du noch dahin in deiner Sehnsucht? Bist du also "süchtig" oder bist du schon angekommen? Bist du vielleicht noch verführbar? Wenn ja, wie stark? Welches "Venedig" steht dir zur Verfügung und nach welchem "Venedig" schmachtest du?
Wenn du magst, dann öffne doch mal dein Herz und schau da rein. Vielleicht entdeckst du, dass ein Stück Venedig dort verortet ist und du aufhören kannst mit dem Suchen. Frohes Entdecken!
www.matthias-koenning.de