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Montag, 21. Oktober 2024

Gefühle klopfen nicht an die Tür und fragen, ob es gerade passt.

Wieso können Gefühle nicht einfach anklopfen und fragen? Sie kommen einfach so! Ich möchte frühstücken am Samstag und mein Lieblingsbrötchen steht nicht auf dem Tisch. Es könnte mir egal sein und ich nähme halt irgend ein anderes. Aber nein! Ich spüre, wie sich etwas in mir zusammenbraut. Ich bin enttäuscht, fühle mich gekränkt, nicht gesehen, übergangen. Da will mir ein Familienmitglied den Tag verderben am frühen Morgen. Jeder hier weiß, dass das mein Lieblingsbrötchen ist. Darauf freue ich mich schon die ganze Woche. Alle anderen bekommen das, was sie sich wünschen und ich nicht. Das Gefühlspaket wird größer und größer, je länger ich darüber nachdenke. Ich werde traurig und ärgerlich zugleich. Ich stelle die Mitgliedschaft in dieser Familie in Frage. Wenn ich jetzt schon am frühen Morgen nicht gesehen werde mit meinen Wünschen, wie wird dann der Rest des Tages aussehen?
Gefühle klopfen nicht an die Tür und fragen, ob es gerade passt. Sie kommen dann, wenn sie kommen. Unmittelbar und direkt. Und sie kommen als Interpretation auf das, was ich gerade erlebe. Und sie kommen, damit ich die Energie habe, etwas zu machen. Wenn ich mich ärgere, dass mein Lieblingsbrötchen nicht bekomme, habe ich jetzt die "Ärgerenergie" selber zum Bäcker zu laufen. Ich würde es dort kaufen und mein Morgen wäre gerettet.
Die Gefühle kommen wie der Sprit für einen Verbrennungsmotor. Mir fällt etwas auf. Ich möchte darauf reagieren und bekomme dafür die entsprechenden Gefühle! Die Gefühle klopfen zwar nicht an, aber eigentlich bestelle ich sie mir teils bewusst und teils unbewusst. Ich hätte das fehlende Brötchen ja auch völlig anders deuten können. Es war nicht mehr genug Platz im Körbchen und mein Brötchen liegt noch in der Küche. Das Brötchen war beim Bäcker leider schon ausverkauft oder noch im Ofen. Oder jemand hat mal eine Anmerkung von mir falsch gedeutet. Wenn ich diese anderen Gedanken gedacht hätte, wäre ich vielleicht nicht wütend geworden. Ich wäre gleichgültig geblieben und hätte meine Familienmitgliedschaft nicht gleich infrage gestellt.
Meine Gedanken kann ich beeinflussen. Ich kann sie stoppen oder umlenken. Ich kann andere Gedanken denken. Und ich kann meine Gefühle willkommen heißen. Jetzt ist es da. Ist hereingekommen ohne anzuklopfen. Einfach so! Einverstanden. Jetzt ist es da. Es ist gekommen und wird auch wieder gehen. In mein  Wohnzimmer kommt auch jedes Familienmitglied ohne anzuklopfen. Das ist unser gemeinsames Refugium. Jeder hat dort Wohnrecht. Meine Gefühle auch! Sie müssen nicht anklopfen. Sie haben ein Wohnrecht bei mir. Sie müssen nicht fragen. Sie fänden eine solche Vorstellung völlig absurd. Sie kommen auch nicht. Sie sind verborgen und auf Abruf immer schon da. Sie sind wie die Leitstelle der Feuerwehr. Allzeit bereit!
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Samstag, 19. Oktober 2024

Ebend!

Ich höre im Radio den Vortrag von einem Professor. Ich muss genau hinhören. Er redet sehr wissenschaftlich. Seine Sätze sind lang. Und verschraubt. Manche Wörter kann ich nicht verstehen. Sie kommen aus dem Lateinischen. Das Zuhören fällt mir schwer.
Plötzlich höre ich aus dem Mund des Professors das Wort ebend. Hat er statt "eben" gerade "ebend" gesagt? In einem wissenschaftlichen Vortrag? Es lag bestimmt am Mikrophon und an der Akustik. Doch nach ein paar Sätzen kommt es wieder: "Ebend." Der kopflastige verschraubte Professor sagt tatsächlich "ebend". Die nachfolgenden Sätze rauschen an mir vorbei. Ich weiß nicht einmal, worüber er spricht. Ich wache auf denn da war es wieder - "ebend".
Es fühlt sich an wie ein Fleck auf einem weißen Hemd. Dann ist das ebend so! Auch ein kluger Professor hat das Recht auf Dialektwörter. Ich lese beim googlen, dass die Menschen in Berlin und Brandenburg so sprechen: "Ebend". Der Professor kommt also aus dieser Gegend. Mit dem "ebend" hat er sich seine Herkunft bewahrt. Also kein aalglatter Wissenschaftler ohne Geschichte. Einer, der sich "ebend" was traut.
Ich habe vom Vortrag nichts behalten. Nicht einmal die Überschrift. So ist das jetzt mal "ebend". Ebend macht Spass. Ich könnte das Wort adoptieren. Ich mag Berlin und die Berliner. So ist das ebend. Ich könnte so nebendbei mal einfach Dinge akzeptieren. Professoren sprechen Dialekt. Zebrastreifen dürfen krumm sein. Türen dürfen knarzen. Bäcker dürfen altes Brot verkaufen. So ist das ebend. Ich bin auch nur ein Mensch!
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Freitag, 18. Oktober 2024

Absolut!


Ich habe an einer Weiterbildung teilgenommen. Der Referent hatte ein Lieblingswort: "Absolut!"
"Ist es in Ordnung, dass ich einem Klienten etwas so sagen kann?" - "Absolut!"
Jegliches "Ja" wurde zu einem "Absolut". Schade! Ich mag die Unterschiede. Auch bei einer Zustimmung.
Da gibt es doch die vielen "Ja" - Möglichkeiten wie vielleicht, ein wenig, richtig, genau, ich stimme zu, ganz gut, ja mit einer kleinen Einschränkung, jein, nein mit einer Ausnahme...
Wenn es nur ein "Absolut" gibt, gibt es auch keine Steigerung mehr. Alles und jedes ist "Absolut!"
"Liebst du mich?" - "Absolut!"
"Gefällt dir mein neuer Pullover?" - "Absolut!"
Das Absolute in der Philosophie meint die Loslösung von allen Einschränkungen. Ein völliges Ja ohne jeden Funken von Nein. Manche sehen darin eine göttliche Qualität. Nur Gott ist der "Absolute!" Alles Menschliche hat immer eine Einschränkung, wenigstens eine kleine!
Meine Freundin sitzt gerade neben mir und findet das "absolut" von dem Referenten ganz toll! Sie sieht es als wunderbare Wertschätzung und setzt ein breites Strahlen auf. Sie mag schon jetzt den Referenten - ohne dass sie ihn kennt. Er muss "absolut" nett sein. Die Westwestfalen und übrigens auch die Ostwestfalen sind eher sparsam mit "absoluten" Wertschätzungen. "War nicht schlecht!" ist die westfälische Art von "absolut toll."
Ich finde es übrigens absolut in Ordnung, wenn du meinen Gedanken nicht teilst! ;-)

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Donnerstag, 17. Oktober 2024

Wow, du bist ein Einzelstück!


Immer wieder finde ich sie: Die Einzelstücke! Dieser Pullover ist ein Einzelstück. Er wurde nur einmal hergestellt. Diese Skulptur ist auch ein Einzelstück!
Auf Weihnachts- oder Handwerksmärkten finde ich Stände mit lauter Einzelstücken. Jeder Kuchen, den ich backe, ist ein Einzelstück. Einzelstücke heben sich aus der Masse des Gewöhnlichen hervor. Da steckt ein unglaublicher Reichtum drin! Eine kreative Idee. Sorgfalt. Zeit. Geduld. Kompetenz. Inspiration. Handwerkliches Geschick. Gedanken. Ideen. Schweiß. Ärger. Widrigkeiten. Freude. Liebe. Ganz viel von der Persönlichkeit des Schöpfenden.
Im Einzelstück offenbart sich der Schöpfer, die Schöpferin! Jedes Einzelstück ist ein Hinweis darauf, dass die Massenwaren uns noch nicht völlig überflutet haben. Jedes Einzelstück gibt ein Zeugnis von Einmaligkeit, Unverwechselbarkeit und Originalität.
Mehr noch als jeder Schrank, jede Skulptur, jeder Kuchen und jedes Bastelstück. Mehr noch als jedes Haus und jedes Kleidungsstück oder sonst von Menschen geschaffenes Objekt bist du ein Einzelstück. Du bist ein Einzelstück in hoher Potenz. In einer anderen Dimension. Nicht von Menschenhand gestrickt, aber dennoch mit Idee und unglaublicher Präzision. Du bist ein unglaubliches Einzelstück.
Wenn nicht schon Eines an meiner Seite wäre, das mein Leben ausfüllt, würde ich dich wählen. Weil auch du ein so kostbares Einzelstück bist. Für dich ließe ich alle meine "materiellen Einzelstücke" liegen und stehen. Sie kommen mir bedeutungslos vor, wenn ich dich anschaue. Du Einzelstück! Du geheimnisvolles Etwas! Du Unbegreifliches! Du Wunder! Du Wundervolles!
Und? empfindest du dich aus so? Oder liebst du deinen "einmaligen Strickpullover" mehr als dich selbst! Du und ich, wir sind beide unglaubliche Einzelstücke! Happy day!
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Mittwoch, 16. Oktober 2024

Innerhalb und/oder außerhalb des Rahmens!

 


Bei einer Wanderung am Rhein oberhalb von Boppard stehe ich vor einem leeren Rahmen aus großen Holbalken. Eine Installation eines Naturschutzverbands. Ich sehe von dort aus durch den Rahmen auf den Rhein unter mir und die Berghänge links und rechts davon. Der Rahmen zeigt mir einen Ausschnitt der Landschaft, die vor mir liegt. Links und rechts vom Rahmen setzt sich die Landschaft fort. Aber der Rahmen gibt vor, wohin mein Blick fallen soll. Auf das Rheintal.

Ich stehe vor diesem Rahmen und werde mit zwei Wirklichkeiten konfrontiert. Der Welt im Rahmen und der Welt außerhalb davon. Das Ergebnis meines Nachdenkens möchte ich in diesem Brief gerne mit dir teilen.

Unser eigenes Leben bewegt sich oft wie in einem Rahmen. Therapeuten nennen es gerne „Toleranzfenster“ der Sicherheit. Diese Fenster sind je nach Persönlichkeit und Vorerfahrungen mal größer oder auch kleiner. Eine Mutter mit einem kleinen Toleranzfenster kann sich ständig Sorgen um ihre Kinder machen und möchte in jedem Moment wissen, wo sie sich befinden. Eine andere Mutter mit großem Rahmen schenkt ihren Kindern einen maximalen Raum an Freiheit und verzichtet auf die Kontrolle.

Wie nimmst du dein eigenes Toleranzfenster wahr? Bist du schnell ängstlich und besorgt oder eher vertrauensvoll und raumgebend? Vielleicht kennst du die Situation, wenn du deine Ferienwohnung nach dem Urlaub verlässt. Du packst routiniert deine Sachen und fährst ohne weitere Gedanken los. Oder du durchsuchst mehrfach alle Schubladen und Räume, dass du ja nichts vergisst und fährst trotzdem mit einem mulmigen Gefühl.

Viele werden schon früh dahingehend erzogen, nicht aus dem Rahmen zu fallen. Beruflich und von deinen Fähigkeiten aus gesehen bewegst du dich im Rahmen deiner Möglichkeiten. Meine Grundschullehrerein legte zum Beispiel damals fest, dass das Gymnasium außerhalb meiner Fähigkeiten liegt und die Realschule das Richtige für mich sei. Nicht superschlau, aber auch nicht ohne Talente. Mein Selbstbild von mir fühlt sich darum oft wie Durchschnitt an. Ein Supervisor kommentierte einmal unsere beruflichen Fähigkeiten so: „So gut, wie die Kunden sagen, dass du bist, bist du nicht. Aber so schlecht, wie die Kunden sagen, dass du bist, bist du auch nicht.“  Auch er dachte in eine Art von Rahmen.

Wir leben in einem zeitlich begrenzten Rahmen von Geburt bis zum Tod. Wir bewegen uns in einem gesundheitlichen Rahmen von fragil bis robust und hoffentlich immer im Rahmen unserer finanziellen Möglichkeiten.

Der Rahmen gibt den Raum an, in dem wir uns bewegen dürfen und der uns ein Mindestmaß an Sicherheit verspricht. Keinesfalls darf etwas den Rahmen sprengen. Eine betriebliche Weihnachtsfeier sollte besser in einer lokalen Gaststätte stattfinden und bestimmt nicht auf Mallorca.

Ich stehe vor dem großen Holzrahmen am Wanderweg oberhalb von Boppard und betrachte den Ausschnitt mit dem Rhein. Ich könnte doch zufrieden sein mit dem, was ich sehe. Auch zufrieden mit meinem persönlichen Rahmen. Er ist nicht zu klein und auch nicht zu groß. Ganz passend. Ich kann mich noch gut bewegen. Wenn da nicht…

Ja, wenn da nicht der Blick jenseits des Rahmens wäre. Ich sehe ja, dass das Leben auch jenseits des Rahmens stattfindet. Alles innerhalb des Rahmens ist mir sehr vertraut. Ich sehe mich allerdings irgendwann satt und möchte frische Anregungen. Mehr Veränderungen und Weiterentwicklung. Der Rahmen suggeriert aber eine Grenze. Eine Grenze, die sich nicht so leicht überschreiten lässt. Ich kann den Rahmen zersägen oder sprengen. Dann verliere ich aber meinen Halt und die Sicherheit. Zugleich gibt es die Verlockungen außerhalb meines Toleranzfensters und die Hürden und Hindernisse, die mir Angst machen. Schön wäre es ja, aber das liegt jenseits meiner Möglichkeiten. Da könnte ich nur mit großer Anstrengung und Kraftaufwand hin.

Mein Blick bewegt sich trotzdem jenseits des Rahmens. Ich sehe, dass die Welt nicht aufhört und mich verlockt. Da wartet etwas Unbekanntes auf mich und möchte entdeckt werden. Ich möchte mich nicht beschränken auf die vorgegebenen Möglichkeiten. Auch wenn meine Durchschnittsnote in der Schule befriedigend war, so gab es immer wieder ein Gut oder sogar ein Sehr gut!  Im Leistungskurs Deutsch bekamen wir unsere Aufsätze zurück und der Lehrer las mehrere davon vor. Unter anderem auch meinen. In den ersten Minuten habe ich mich selbst nicht erkannt. Erst als er meinen Namen nannte. Ich habe diesen Aufsatz geschrieben? Nicht möglich! Außerhalb des Rahmens meiner Möglichkeiten.

Ich möchte dich einladen zu einer kleinen Reise außerhalb deines Rahmens. Du darfst gerne in deinem Rahmen bleiben. Dafür habe ich großes Verständnis. Vielleicht magst du aber mit mir reisen und kehrst eigenverantwortlich zurück, wenn es dir unheimlich wird.

Was war zuerst? Der Rahmen oder die Wirklichkeit außerhalb davon? Was hat darum mehr Bedeutung und ein größeres Gewicht? Die Theologie lehrt uns, dass Gott die Welt erschaffen hat. Aus dem Ewigen schuf er das Begrenzte. Er setzte also den begrenzten Rahmen in dem endlosen Raum. Er schuf Raum und Zeit und die Materialität. Die Welt ohne Rahmen existierte von Ewigkeit her und das Begrenzte ist nachgeordnet. Gott machte damit ein schöpferisches Experiment. Dazu gehörte auch, dass er den Menschen erschuf aus seiner eigenen Grenzenlosigkeit heraus. Weil der Mensch sein Ebenbild ist, kommt der Mensch aus der Ewigkeit, aus der Dimension jenseits von Raum und Zeit. Unser eigener Ursprung ist also eigentlich rahmenlos. Erst mit dem Eintritt in diese Welt und in unsere menschliche Zeit wurde der Rahmen gesetzt. Nach diesem Leben wird also auch der Rahmen wieder verschwinden.

Wenn ich in diese Welt hineingeboren werde, füllt dieser Rahmen mich vollkommen aus. Ich verliere den Zugang zu der Vorstellung, dass meine Wurzeln rahmenlos sind. Ich kann mich darauf festlegen, dass der Rahmen meine ausschließliche Wirklichkeit ist und dass nichts jenseits davon existiert. Das ist grundsätzlich möglich und sehr verständlich. Der Rahmen kann so mächtig werden, dass er alles jenseits davon ausschließt. Du kennst bestimmt Menschen, die so denken und ticken. Sie finden in der Regel ein spirituelles Leben abwegig.

Vielleicht gehörst du aber zu den Menschen wie ich, die sich verlocken und einladen lassen für den Bereich jenseits des Rahmens. Im Grenzbereich von innerhalb und außerhalb wird das Leben erst spannend. Dort zeigt sich der Raum der Weiterentwicklung. Worin liegt die Qualität dieses Grenzbereiches? Was können wir dort erfahren?

Der erste Aspekt heißt: Ausnahmen erleben! In der Regel bewegen sich meine Fähigkeiten in einem mehr oder weniger festgelegten Rahmen. In der Regel! Aber es gibt Ausnahmen. In der Schule hatte ich manchmal Werte außerhalb meiner Möglichkeiten. Mal ein Ausreichend und mal ein Sehr gut. Immer wieder erlebe ich glückliche Momente in einem vielleicht tristen Alltag. In der Langeweile des beruflichen Lebens gibt es immer wieder Momente des Glückes und der Erfüllung. Die Ausnahmen machen den Unterschied zum „Normalen“. Die Ausnahmen, die es immer wieder gibt, sprengen leise mein Rahmendenken. Ich könnte also bei einer Ansammlung von vielen Ausnahmeerfahrungen mir vorstellen, dass der Rahmen nur ein gedachter Rahmen ist. Ein Rahmen meiner Vorstellungen. Jede Ausnahme bestätigt, dass etwas in mir darüber hinausgehen kann.

Der zweite Aspekt heißt: Wunder erfahren! Stärker noch als Ausnahmen können Wunder wirken. Dabei geht es um den Moment der Überraschung. Etwas jenseits der Regel und somit außerhalb des Rahmens. Da verliebt sich jemand in mich und findet mich ganz wunderbar. Das kann ich nicht planen oder berechnen. Es fliegt mir zu wie ein Geschenk. Oder ich wache am Morgen auf und fühle mich ohne Grund glücklich. Oder ich bin ein wenig einsam und bekomme Besuch. Immer wieder ereignen sich außerhalb meines gesetzten Rahmens kleine und große Überraschungen. Wenn ich meine Aufmerksamkeit auf die kleinen und großen Wunder richte, könnte ich bemerken, dass Wunder öfter vorkommen als ich dachte.

Der dritte Aspekt heißt: Krisen bewältigen. Es kann geschehen, dass das Leben dafür sorgt, dass der Rahmen nicht mehr passt. Ich kann arbeitslos, krank oder arm werden. Ich kann durch den Tod einen Menschen verlieren. Das ganze Leben kann wie ein Kartenhaus zusammenbrechen und der Rahmen löst sich auf. In solchen Momenten wird deutlich, wie fragil der scheinbar stabile Rahmen eigentlich ist. Das, was ich als fest und beständig erlebe, zeigt sich in der Krise als brüchig und störanfällig. Ich könnte mir vorstellen, dass sich dann mein Leben auflöst und ein paar Tage später stelle ich fest, dass ich noch nicht gestorben bin, sondern beginne, mit den Veränderungen anfangshaft klarzukommen. Eine Krise gibt mir die Möglichkeit, den manchmal starren Rahmen zu erweitern.

Der vierte Aspekt heißt: Schöpferische Kreativität. Ich habe ein Problem und denke über die Lösungen nach. Oft geht das gut, weil ich im Laufe des Lebens Erfahrungen gesammelt habe. Mein Denken bewegt sich allerdings immer im Bereich des Bekannten. Mein Verstand gleicht einer Bibliothek. Alles Wissen ist dort abgespeichert. Manchmal brauche ich für eine Lösung allerdings etwas außerhalb meiner Bibliothek. Durch angestrengtes Nachdenken komme ich keinen Schritt weiter. Wenn ich mich aber entspanne und zurücklehne und ganz aus der Anstrengung herausgehe, kommt da plötzlich eine Idee auf. Es fühlt sich so an, als käme etwas außerhalb meines Rahmens auf mich zu. Die schöpferische Kreativität zeigt sich also darin, mit der Welt außerhalb meines Rahmens kommunizieren zu können. Im eigenen Rahmen zeigt sich oft keine Lösung, aber außerhalb ist es möglicherweise nicht einmal ein Problem.

Wo fühlst du dich eher beheimatet? Was entspricht deiner Persönlichkeit? Stell dir ein Pendel vor. Der eine Pol heißt „leben im Rahmen“, der andere Pol heißt „grenzenloses und ewiges Sein“. Wo in diesem Pendel würdest du dich einordnen? 

Mit welchen Menschen tust du dich leicht, und wann spürst du eher Widerstände.

Menschen im Rahmen haben es mit Hürden und Hindernissen. Sie denken in Regeln und Ordnungen. Sie tragen bei Lösungen gerne ein „aber“ im Gepäck. Sie besitzen einen guten Sinn für die realistischen Möglichkeiten. Sie haben im Blick, dass das menschliche Leben begrenzt ist. Unangenehm, aber unausweichlich.

Menschen mit dem grenzenlosen und ewigen Sein finden in jeder unmöglichen Situation noch einen Ausweg. Sie mögen das Wort „und“ im Unterschied zu „aber“, weil es Räume öffnet. Sie lieben das kreative Phantasieren und lassen sich nicht gerne festlegen. Für sie muss jetzt in diesem Leben nichts sein, es gibt ja noch die Fülle nach dem Tod.

Wenn ich mich im Pendel irgendwo zu sortieren kann, kann ich besser einschätzen, was mir fehlt und wohin ich mich weiterentwickeln möchte.

In der Geschichte gab es immer wieder Menschen, die den Rahmen sprengten und dadurch neue Räume öffneten. Jesus erweiterte ein starres Gottesbild, Gandhi entdeckte die Kraft des gewaltlosen Widerstandes und Paul Watzlawick die Grundsätze des Konstruktivismus. Mich fasziniert die Vorstellung, dass wir alle im Laufe der Evolution den begrenzten Rahmen immer weiter aufspannen, bis er nicht mehr spürbar und sichtbar wird. Dann würden wir den Himmel auf Erden haben und das Tor zur Ewigkeit weit öffnen.