... und was das mit dir und deinem Leben zu tun hat!
Viele Filme, Romane und Legenden folgen einem Schema, das vielen Menschen
unbekannt und verborgen ist. So folgt "Krieg der Sterne" oder
"Harry Potter" auch einem solchen Schema. Der Mythenforscher Josef
Campbell hat sogenannte "Heldenreisen" untersucht und herausgefunden,
warum und wieso ein Heldenepos funktioniert und uns als Leser oder Hörer
fasziniert.
Wenn wir Helden- oder auch Heiligengeschichten lesen kann es geschehen, dass
wir uns damit identifizieren. Möchtest du dich nicht auch manchmal herausheben
aus der Masse der vielen Milliarden Menschen. Möchtest du nicht in einer verborgenen
Ecke deines Herzens etwas Besonderes sein? Ein wenig Harry Potter oder Pippi
Langstrumpf? Oder eher Winnetou oder Luke Skywalker?
Ich möchte dich einladen, mit mir die zwölf Stationen dieser Reise zu
durchwandern und zugleich fruchtbar zu machen für deinen eigenen Lebensweg. Die
heutige erste Station heißt:
1. Station: Der Ruf
Der Held lebt in einer oft eher langweiligen Umgebung. Er weiß nicht, dass
in ihm schon ein Held angelegt ist. Er wohnt vielleicht bei Stiefeltern oder in
einem Heim und die Laufbahn ist schon vorgezeichnet. Dann flattert plötzlich
ein Brief ins Haus. Da steht drin, dass er eigentlich jemand ganz anders ist.
Dass er eine Lebensaufgabe zu bewältigen hat oder dass irgendwo für ihn ein
Schatz vergraben ist. Dieser "Ruf" weckt ihn auf aus dem
Dornröschenschlaft. "Ah! Ich habe eine Bestimmung!" Der Held wird
wach!
Der Impuls für dich:
Du hast auch einen Ruf! Du bist für etwas bestimmt. Es gibt so etwas wie
einen "göttlichen" Plan. Du bist nicht zufällig da. Du bist keine
graue Maus, die irgendwann kommt und irgendwann geht. Vielleicht wirst du keine
tolle Erfindung machen oder Bundeskanzlerin. Dennoch existiert in dir eine
Stimme, die dich ruft. Diese Stimme sagt dir: "Du! Du! Du bist gemeint!
Niemand sonst!"
Und? Bist du schon einmal gerufen worden? Wartest du auf die große
"literaturwürdige" Reise? Oder bist du auch bereit für dein ganz persönliches
Abenteuer, das in keinem Buch aufgeschrieben wird und wo dich kein
Fernsehsender begleitet.
Dieser Ruf kann auf sehr verschiedene Art und Weise erfolgen. Dir fällt
etwas ins Auge! Du bekommst einen Brief. Du triffst einen Menschen, mit dem du
nicht gerechnet hast. Du spürst im Herzen ein unglaubliches "Ja". Es
geschieht etwas und du bist auf einmal ein "Wissender". Du weißt es.
Punkt. Das ist der Ruf. Wenn du keinen Ruf hast eierst du so lange eben herum.
Dann bist du noch nicht so weit oder die Aufgabe ist noch nicht dran oder
vorbereitet. Vielleicht hast du ihn auch schon verpasst, sogar mehrfach?! Spür
dem einmal nach. So lange du lebst bekommst du die Chance, deinen Ruf zu hören
und ihm zu folgen. ...so lange du lebst!
2. Station: Die Weigerung
Der Held geht nicht sofort los und stürzt sich ins Abenteuer. Bin ich
wirklich gemeint? Ich kann das doch gar nicht. Das war nur ein Spuk! Ich bin
doch ganz normal! Ich habe gar nicht die Fähigkeiten und die Ausrüstung für
mein Unternehmen.
Der Held spürt also einen Widerstand. Den Widerstand zu spüren ist
unglaublich wichtig. An der Reibung mit dem Widerstand geschieht die innere
Reifung und das Wachsen der Bereitschaft. Bei dem Begriff der Resilienz
sprechen wir auch vom Wachsen trotz der Widersprüche. Da werden z.B. Kinder
überlebensfähig und erwachsen obwohl sie keine behütete Kindheit hatten.
Nach dem Anruf kommt also die Weigerung. Ich nicht! Warum? In der Bibel gibt
es auch solche Berufungsgeschichten mit Weigerung. Ich muss mich noch
verabschieden. Ich muss noch meinen Vater begraben. Ich bin noch zu jung.
Da möchte ich noch einen Unterschied machen zwischen Ausrede und Weigerung.
Bei einer Ausrede ist eigentlich schon die Entscheidung gefallen, dem Ruf nicht
zu folgen. Der Mensch traut sich nur nicht, die Wahrheit zu sagen. Bei der
Weigerung geht es um den Prozess der inneren Auseinandersetzung. Das Ergebnis
steht also noch nicht wirklich fest. Alles ist im Prozess.
Der Impuls für dich:
Wie gehst du mit Widerständen um? Du hast eine Anfrage. Jemand richtet einen
Wunsch an dich. Wie findest du heraus, ob du gar nicht willst und nur nach
einer Ausrede suchst. Oder wo spürst du, dass du diese Herausforderung
eigentlich annehmen möchtest. Manchmal geht es um bestimmte Ängste. Bin ich
richtig? Kann ich das? Habe ich genug Zeit? Ist das nicht eine Nummer zu
schwer? Wie stehe ich da wenn ich versage? Muss ich mich dann schämen?
Wenn du umgekehrt jemanden "rufst" ist es hilfreich, nicht sofort
eine Antwort zu erwarten. Lass Zeit zum Nachdenken und Reifen. Spüre den
Widerstand und ringe ruhig ein paar Tage mit dir. Lass die Fragen und Ängste
hochkommen damit sie verarbeitet werden. Am Ende wird in dir eine Entscheidung
reifen zu der du stehst und die du nicht ständig hinterfragst. Am Ende steht
als Ziel der Weigerung und des Ringens eine kräftige Entscheidung.
3. Station: Der Aufbruch
Nach dem Ruf und der Weigerung erfolgt der Aufbruch zur Reise, natürlich mit
der entsprechenden Vorbereitung und den notwendigen Instruktionen. Erinnerst du
dich noch an Harry Potter und seine erste Zugfahrt? Irgendwann beginnt jede
Reise und wir fiebern mit, ob der Held gut ausgerüstet ist. Alles ist neu.
Aufregend und spannend! Das Abenteuer beginnt endlich. Je länger die Weigerung
dauerte und je intensiver der Prozess der Weigerung und des Widerstandes war,
desto spannender gestaltet sich die Aufbruchsituation. Manchmal wird der Held
auch in sein Abenteuer gestürzt, obwohl er es gar nicht wollte. Er muss einfach
dem Schicksal folgen, das für ihn vorgesehen ist. "Fremde Mächte"
sorgen dafür, dass er seine Bestimmung erfüllt.
Der Impuls für dich:
Stell dir vor, dass du dich auf eine Reise begibst. Du fährst in den Urlaub
und packst deinen Koffer. Was für ein Kofferpackertyp bist du? Sorgst du für
alle Fälle vor? Für Kälte und Hitze? Für Trockenheit und Regen? Für die
Bequemlichkeit mit möglichst vielen "elektrischen Erleichterungen"?
Schreibst du einen Zettel und packst sorgfältig ein? Oder machst du alles
spontan: Klamotten rein in den Koffer und zu. Maximal eine viertel Stunde!
Wenn du darüber nachdenkst, hast du einen guten Anhaltspunkt wie du mit den
Aufbrüchen ins Unbekannte umgehst. Bist du ein Sicherheitstyp oder ein Abenteurer,
den mögliche gefährliche Situationen nicht scheren. Oder gehörst du zu den
Menschen, die eh lieber auf der Couch bleiben und keine Veränderungen zulassen.
Du vermeidest Aufbrüche jeder Art, weil sie von dir etwas verlangen, was du gar
nicht möchtest: Eine ungewisse Zukunft! Vielleicht musst du ja auch in dein
Abenteuer geschubst werden von "fremden Mächten", die es gut mit dir
meinen. Oder wäre heute gerade der richtige Tag, endlich mit etwas zu beginnen,
was du dir schon lange vorgenommen hast. Du hast etwas verschoben auf den
Nimmerleinstag und heute ist es dran.
Manchmal geht es bei der Heldenreise nicht darum den Drachen zu bezwingen,
sondern den Kühlschrank auszuputzen oder die Garage aufzuräumen. Welche
Heldenreise möchtest du jetzt beginnen?
4. Station: Die ersten Probleme
Nach dem Aufbruch tauchen die ersten Probleme auf. Die Gegner bringen sich
in Position. Die Reise erweist sich von Anfang an nicht als ein lockerer
Spaziergang. Der Held kommt an eine Weggabelung und muss sich entscheiden. Ein
Dieb stiehlt wichtige Hilfswerkzeuge. Ein Brief wird gestohlen und der Feind
macht deutlich, dass er Hindernisse aufbaut wo er nur kann. Für den Helden gibt
es eine Neuauflage der Widerstände und Weigerungen. Soll er wirklich weitergehen?
Noch ist es Zeit zur Umkehr. Noch ist nichts verloren und das alte Leben
wartet.
Als sich das Volk Israel auf die Heldenreise in das gelobte Land machte
tauchte schon bald der Hunger auf. Viele wollten zurück zu den Fleischtöpfen
Ägyptens. Was nützt die Freiheit wenn der Magen leer ist.
Der Impuls für dich:
Du hattest also eine Anfrage, hast hin und her überlegt, dich durchgerungen
und dich positiv entschieden. Du bist froh und hoffnungsvoll aufgebrochen. Das
kann ein großes Lebensabenteuer sein oder ein simpler Wochenendeinkauf. Wie
gehst du mit den ersten Problemen um?
Nehmen wir doch einfach den Einkauf. Du stellst fest, dass dein Portemonnaie
leer ist. Dir steht kein Auto zur Verfügung. Außerdem fängt es noch an zu
regnen. Und? Was machst du? Abwarten? Aufgeben? Wenn ja - wann?
Jetzt hast du ein Auto zur Verfügung aber du findest am Supermarkt keinen
Parkplatz. Jemand schnappt dir den letzten Einkaufswagen weg. Das Gemüse ist
nicht mehr ganz frisch und der Ahornsirup wird nicht mehr geführt. Fährst du
entnervt nach Hause? Entfaltet sich in dir ein gewisser Widerstand nach dem
Motto: Jetzt erst recht!
Wenn du das Einkaufen vergleichst mit deinen übrigen Lebenssituationen.
Machst du es da ähnlich? Überwindest du die ersten Probleme mit Leichtigkeit oder
gibst du eher früh auf! Wenn du ein Held, eine Heldin sein möchtest dann
würdest du einfach weiterreisen. Denk an das Ende, an die Belohnung! Es wartet
die Hochzeit oder der Schatz oder ... einfach nur ein leckeres Abendessen auf
dich!
5. Station: Übernatürliche Hilfe -
das unerwartete Auftauchen der Mentoren
Zu Beginn glaubt der Held, dass er auf sich allein gestellt ist. Es ist
niemand da, der ihm hilft. Doch plötzlich taucht eine weise Gestalt auf. Dieser
Mentor begleitet den Helden. Er hilft in auswegloser Situation. Er kennt die
Gegner, er kann die Fähigkeiten des Helden einschätzen und zeigt neue Wege auf.
Er achtet darauf, dass es für den Helden nicht zu viel wird und das Abenteuer
weitergeht, wo eine Sackgasse erreicht wurde. Für Harry Potter heißt der Mentor
Dumbledore. Für die zwölf Apostel im Neuen Testament hieß der Mentor Jesus. Und
für Annika und Tommy war es Pippi Langstrumpf.
Der Impuls für dich:
Wer waren deine Mentorinnen und Mentoren in der Vergangenheit. Welche sind
es in der Gegenwart? Hast du Mentoren in deiner eigenen Familie? Im
Freundeskreis? Oder gehst du zu einem Profi?
Du kannst immer wieder einmal bei deinem Abenteuer "Leben" in
Sackgassen geraten. Du kommst nicht weiter mit deinen eigenen Ideen und Gedanken.
Du bist blockiert oder du willst mit dem Kopf durch die Wand. Immer wieder
scheiterst du mit bestimmten Fragen. Du drehst immer wieder die gleichen
Schleifen und trittst in die gleichen Fettnäpfe. Du ärgerst dich über die
Fehler, die du immer wiederholst.
Ein "Mentor" kann dich dabei unterstützen, mal etwas anders zu
machen als gewohnt. Einen Gedanken anders zu denken! Eine andere Brille
aufzusetzen! Mal eine Pause zu machen!
Manche Mentoren hast du vielleicht bislang übersehen! Kennst du schon deinen
inneren Mentoren? In dir gibt es jemanden, der schon weiß! Dein Höheres-Selbst!
6. Station: Die erste Schwelle
Machen wir uns weiter auf unsere Heldenreise. Der Aufbruch ist gewagt, ein
Helfer hat sich eingestellt. Da tauchen die ersten Hürden und Hindernisse auf.
Prüfungen müssen bestanden werden. Rätsel müssen gelöst werden. Der Held kommt
zu einem Schloss und die Tür wird von einem Löwen bewacht. Erst, wenn der Held
ihn füttert mit Brot öffnet sich das Tor. Im Grunde dienen diese Prüfungen der
Vorbereitung auf die eigentliche Aufgabe. Ist der Held stressresistent genug?
Scheitert er schon bei den Anfangsschwierigkeiten. Hat er auch auf den Mentor
gehört und die Aufgabenstellung gut verstanden?
Der Impuls für dich:
Wenn du deine Tagesaufgabe oder deine Lebensaufgabe anpackst machst du ja
auch ganz unterschiedliche Erfahrungen. Du wünschst dir, dass es leicht wird.
Glatt dadurch, nicht wahr? Leider funktioniert das nicht immer so. Auch da
musst du kleinere und größere Schwellen überwinden. Du willst deinen
Kühlschrank ausputzen und ein undefinierbares Etwas lässt sich nicht mit dem
Spülwasser entfernen. Da ist dein Wissen gefragt oder deine Fähigkeit, dich
irgendwie schlau zu machen. Die Gefahr besteht wieder wie am Anfang, dass du
aufgibst. "Jetzt habe ich es schon versucht. Ich habe mich doch so
angestrengt. Und das ist jetzt die Strafe. Womit habe ich das nur
verdient!"
Die Reaktion ist verständlich, aber führt dich nicht dem Ziel entgegen. Du
kannst damit rechnen, dass Hürden in der Regel auftauchen. Früher oder später!
Du kannst dann resignieren oder dir einen Ruck geben nach dem Motto: Jetzt will
ich es wissen! Ich gebe nicht auf!
Du darfst darauf vertrauen, dass es in dir noch ein paar Fähigkeiten und
Talente gibt, die du bislang nur noch nicht eingesetzt hast.
7. Station: Fortschreitende Probleme mit übernatürlicher Hilfe
Es gibt eine Vorstufe zum Höhepunkt. Bei einer Heldenreise müssen die
Probleme steigen und größer werden. Die Helfershelfer des großen Feindes zeigen
ihre Krallen. Sie zeigen, wie mächtig der Feind ist. Sie jagen dem Helden Angst
ein und sagen ihm: Noch kannst du umkehren! Der Held erleidet seine ersten
Blessuren. Amulette gehen verloren und wichtige magische Hilfsgeräte verlieren
ihre Kraft. Der Held selbst gerät in eine Situation, die immer auswegloser
erscheint. Trotz und in der Bedrohung jedoch bleibt der "Mentor"
präsent oder eine andere übernatürliche Hilfsquelle taucht auf. Eine Fee, die
weiterweiß. Ein Engel, der den Weg zeigt. Es gibt ein neues Tor, das sich
plötzlich auftut, aber in der Logik der Geschichte liegt.
Der Impuls für dich:
Wenn du deine Reise antrittst im Großen wie im Kleinen kannst du in eine
solche Situation geraten. Du hast dir das alles so gut ausgedacht. Du hast so
erfolgreiche erste Schritte bewältigt und dann? Du hast den Koffer gepackt und
der Flieger streikt! Du hast eine neue Stelle bekommen und musst ins
Krankenhaus. Da kann etwas auftauchen, dass dir den Boden unter den Füßen
entzieht.
Das machst du nicht mal eben so. Da ist dein ganzes Können gefragt! Da bist
du wirklich gefordert. Da weißt du, dass es kein Spiel mehr ist.
Interessanterweise wirst du feststellen, dass da auf einmal eine ganz besondere
"Krisenenergie" in dir wach wird. Zur rechten Zeit am rechten Ort
geht ein Ruck durch deinen Körper und durch deinen Geist und du machst dein
Ding! In dieser Situation kannst du darauf vertrauen, dass es einen inneren
Schalter gibt, der fast wie automatisch umklickt. Höre dann auf die innere
Stimme, die dir sagt: "Hey, du schaffst das!"
8. Station: Der finale Kampf und der
gerechte Lohn
Wenn du Filme siehst nach dem Muster der Heldenreise weißt du, dass alles
zusteuert auf das große Finale. Bisher war alles nur Vorspiel, Geplänkel, üben
und sich stärken. Jetzt kommt es darauf an. Reichen seine Fähigkeiten? Reichen
die Gaben aus, die der er erhalten hat. Es kommt zum großen Zusammenspiel von
Kenntnissen, Mut und Entschlossenheit, und die Mithilfe der himmlischen Kräfte.
Und auch da gibt es wieder einen neuen Höhepunkt. Die Frequenz steigt. Die
Bilder werden dramatischer und schneller. Der Erzfeind hat noch einen Trumpf im
Ärmel. Es taucht wieder etwas Unberechenbares auf. Aber die Heldenreise folgt
unbarmherzig dem eigenen Muster. Der Feind wird besiegt! Der Lohn zeigt sich
endlich! Die Prinzessin, der Schatz, die Erkenntnis oder etwas anders mit hohem
Wert.
Der Impuls für dich:
Nicht immer gestaltet sich deine eigene Heldenreise so dramatisch wie im
Roman oder im Film. Dennoch wirst du auch so etwas erleben wie ein Finale. Du
kommst zum Flughafen und bist gut vorbereitet. Koffer gepackt und Flugticket in
der Hand. Du bist bestens gerüstet.
Dann kommst du zur Sicherheitskontrolle und ein Warnsignal ertönt. Das
Wachpersonal schaut dich kritisch an. Du fühlst dich schon wie ein Verbrecher.
Du wirst beobachtet. Du bestehst und kannst am Gate noch einmal ausruhen. Dann
kommt die Einladung, in den Flieger einzusteigen und du wirst konfrontiert mit
deiner Flugangst. Wie eine mächtige Welle kommt es über dich. Du warst doch so
gut vorbereitet. War alles vergeblich? Du bewegst dich in der Reisegruppe und
wie in Trance erreichst du deinen Sitzplatz. Jetzt nicht aufgeben! Nicht
aussteigen! Die Angst spüren und annehmen. Tief durchatmen! Ins Vertrauen
gehen! Irgendwann weißt du, du hast es geschafft. Überleg einmal, wie viele
"Abenteuer" du schon im Leben bestanden hast. Prüfungen! Reisen!
Liebeskummer, Krankheiten und Operationen... Dein Leben gleicht ständig einer
solchen Heldenreise. Bist du aufmerksam für das Wunder das da heißt: Du hast es
jedes Mal geschafft!
9. Station: Die Verweigerung der
Rückkehr
Mit dem Sieg scheint die Heldenreise zu Ende zu sein. Es gibt doch nicht
mehr zu erzählen. Aber - der Held ist erschöpft. Er darf sich jedoch nur kurz
ausruhen. Er möchte am Ort seiner Entlohnung bleiben. Er möchte nicht zurück in
den tristen Alltag. Es gibt viele Gründe, warum der Held nicht zurückkehren
möchte. Vielleicht hat er zu viel verloren auf dem Hinweg oder er verliert zu
viel auf dem Rückweg. Es kann aber auch sein, dass der wirkliche und
eigentliche Einsatz noch kommt. Der Einsatz, vor dem er sich drückt. Es geht um
die Bewältigung des Alltags. Dort wartet ja die eigentlich Aufgabe. In den
Märchen geht es ja auch immer darum, dass der Held sich einer Lebensaufgabe
stellen muss. Die Prinzessin muss erwachsen werden. Der Jüngling muss seine
Königsqualität finden. Die Helden machen sich also auf eine Traumreise und
bewältigen dort ihre Konflikte. Sie erwachen am nächsten Morgen und erinnern
sich an die Impulse, die aus dem Traum kommen.
Am Ende zeigt sich die Heldenreise wie ein Traum, der darauf hinweist, dass
das eigentliche Leben noch wartet.
Der Impuls für dich:
Denke noch einmal an deine eigenen "Lebensabenteuer!" Wo wolltest
du auch gerne die Ergebnisse festhalten und dich darin einrichten? Es ist nicht
so leicht, nach dem Höhepunkt wieder in den Alltag zurückzukehren. Da gibt es
am letzten Urlaubstag den Impuls: "Ich will hierbleiben und nicht
zurück!" Da möchtest du, dass ein Fest nicht zu Ende geht, weil es so
schön ist.
Und da gibt es auch die Ebenen in deinem Leben von Traum und Wirklichkeit.
Wann hört der Traum auf und wann fängt die Wirklichkeit an. In deinen
Tagträumen bist du eine Heldin und ein Held und im wirklichen Leben läufst du
vor den Problemen davon. Du löst die Aufgaben nur im Tagtraum statt dich dem
Leben zu stellen. Der Tagtraum will dir helfen, dass du deine Ressourcen und
Fähigkeiten sammelst. Der zweite Schritt der Umsetzung wäre schon hilfreich.
Aber wer möchte schon gerne vom bestandenen Heldentraum erwachen und sich dann
dem echten Leben stellen? Die Verweigerung der Rückkehr ist verständlich, nicht
wahr? Ruh also noch ein wenig aus. Aber dann...?!
10. Station: Das Verlassen der
Unterwelt
Der Held hat sein Ziel erreicht. Er möchte in der Anderswelt bleiben. Die
Schatzhöhle ist doch so verlockend! Das Reich der Feen verspricht doch ewiges
Glück! Aber nein! Er muss zurück in seine eigene Welt. Wenn er einen bestimmten
Zeitpunkt verpasst, kann er nicht mehr in seine Ursprungswelt zurück. Aber dort
hat er noch eine Aufgabe zu erfüllen. Er würde quasi zwischen den Welten kleben
bleiben. Mit dem Körper und Geist im Feenreich, aber mit dem Herzen in der
Ursprungswelt. Als muss der Held die Anderswelt verlassen. Das geschieht in der
Regel sehr schnell. Ein magischer Flug. Ein kurzer Aufstieg. Das Ende eines
Traumes und das plötzliche Aufwachen.
Der Impuls für dich:
Vielleicht möchtest du auch manchmal die Ergebnisse deiner Arbeit auskosten.
Wie schön, was du da erreicht hast. Du als Heldin, als Held hast etwas Tolles
vollendet. Vielleicht hast du die Erziehung deiner Kinder auch als Heldenreise
erlebt. Als lange und intensive Heldenreise. Jetzt sind die Kinder erwachsen
und du möchtest stolz sein auf das Ergebnis. Du möchtest es betrachten und
festhalten. Da kann es sein, dass das Leben auf allen Ebenen weitergeht, aber
du bist gefangen in deiner "erfolgreichen Elternfantasie". Du
möchtest, dass es nahtlos wechselt in die "Großelternrealität". Vater
und Mutter sein auf ewig.
Das ist gefährlich. Irgendwann hast du deine Aufgabe erfüllt und das Leben
erwartet von dir, dass du dich verabschiedest und loslässt. Das Verlassen der
Unterwelt bei der Heldenreise gleicht dem Prozess des Loslassens. So toll deine
Ergebnisse auch sind. So groß auch der Schatz, den du gesammelt hast - all das
Zeug in deiner Hand hindert dich an der Weiterreise. Du hast eine Heldenreise
beendet und irgendwann wartete die nächste auf dich. Wenn du zu spät
aufbrichst, dann kann es dich etwas kosten. In einem Märchen verlässt der
Schatzsucher gerade noch rechtzeitig den Raum. Er rennt heraus, die Tür fällt
ins Schloss und schneidet ihm ein Stück von der Ferse ab. Manche Eltern, die
ich kenne, wirken auf mich auch wie Menschen, denen man die Ferse abgeschnitten
hat, weil sich nicht freiwillig loslassen wollten.
Wo bist du im Augenblick? Welche Heldenreise hast du eigentlich
abgeschlossen und wo verweigerst du die Rückkehr? Manchmal kommt ein magischer
Augenblick und der katapultiert dich zurück ins Leben. Vielleicht wartet gerade
ein "Gefährt" auf dich und du musst dich nur noch draufsetzen!
11. Station: Die Rückkehr
Der Held kehrt von seiner Reise zurück. Er erzählt von seinen Abenteuern und
muss seinen Platz wieder in der Ursprungswelt finden. Da kann inzwischen der
ungeliebte Bruder seinen Platz eingenommen haben. Manche werden ihm nicht
glauben. Von manchen wird er als Held empfangen. Der Held selbst hat damit zu
kämpfen, wieder gut anzukommen, auch innerpsychisch. Vielleicht sehnt er sich
an sein Abenteuerziel zurück. Vielleicht findet er den Alltag zunächst
unerträglich. Den "Schatz" muss er in den Alltag integrieren. Die
Braut, die er mitgebracht hat, muss auf der Burg eingeführt werden. Seine neuen
Kompetenzen muss er unter Beweis stellen.
Mein Impuls für dich:
Wenn du als Heldin oder Held ein Abenteuer bestanden hast und zurückkehrst,
hast du dich verändert. Schraube und Mutter passen nicht mehr so richtig
zusammen. Wenn du von einer längeren Kur nach Hause kommst, müssen sich die
Familienmitglieder wieder aneinander gewöhnen. Wenn die Kinder zum Studium aus
dem Haus gehen und wiederkommen, sind das keine Kinder mehr. Sie haben gelernt,
selbständig zu leben und finden es unerträglich, weiterhin die tollen
elterlichen Ratschläge zu hören.
Wenn du von deiner Abenteuerreise Einkauf zurückkehrst hat sich der Inhalt
deines Kühlschranks verändert. Du kannst damit jetzt etwas Frisches kochen. Das
"Neue" sorgt für Veränderung. Manchmal wird sie positiv aufgenommen -
wie frische Nahrung. Manchmal kann es aber auch für den Rest der Familie
bedrohlich sein. Stell dir vor, dass du dich innerlich weiterentwickelt hast.
Du bist nicht mehr die Gleiche wie vor dem Prozess. Aus einem verängstigten Wesen
ist ein selbstbewusster Mensch geworden. Eben ein Held, eine Heldin. Das
verlangt vom ganzen Umfeld eine Anpassung oder Mitveränderung. Welche Prozesse
ob klein oder groß hast du gerade abgeschlossen. Fühlt es sich gut an? Was sagt
dein Umfeld dazu? Musst du es noch gut kommunizieren und braucht es noch Zeit
für die Integration?
12. Station: Herr der zwei Welten
Wenn
der Held von seiner Reise zurückgekehrt ist und sich wieder eingewöhnt hat,
integriert er die neuen Erfahrungen in sein altes Leben. Er kann das Neue nicht
einfach abstreifen. Er ist gewachsen und gereift. Ein Entwicklungsschritt geht
zu Ende. Der Prinz, der unreif war und den Drachen bezwungen hat, kann nun mit
den Erkenntnissen seine Prinzessin heiraten und König werden. Ohne diese
Heldenreise würde er ewiger Prinz bleiben. So zeigt jede Heldenreise eine
innere Weiterentwicklung hin zu einer reiferen Persönlichkeit.
Der
Impuls für dich:
Blick
doch einmal zurück auf deine eigenen "Heldenreisen". Wie viele davon
hast du schon bestanden? Welche Reisen haben dich besonders geprägt? Deine
Heldenreisen durch Kindergarten, Grundschule, weiterführende Schule, Kindheit,
Pubertät, Verliebtheitsphase, Lehre, Studium, Berufserfahrungen,
Familiengründung, Krisen und Freundschaften. Dein Leben könntest du betrachten
als ein Ineinander, Miteinander und Nacheinander von vielen Heldenreisen.
Durften alle Erfahrungen Teil deiner jetzigen Persönlichkeit werden? Gibt es
eine Integration? Woran würdest du das merken? Aus meiner Sicht merkst du es
daran, dass du dich hinsetzt, in dich hineinschaust, hineinfühlst und ein
dickes und fettes "JA" hörst zu deinem Weg.
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