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Donnerstag, 31. August 2023

Die Kunst, die Spielregeln selber zu gestalten

Du hast im Spiel mit dem Würfel deines Lebens eine Sechs gewürfelt und kommst optimal heraus. Es läuft rund. Alles, was du anpackst, wird etwas. Du bist vollkommen auf dein Ziel ausgerichtet und gehst unbeirrt deine Bahn. Zugleich bist du allerdings innerlich angespannt. Je näher du deinem Ziel kommst, desto mehr Sorgen breiten sich in deinem Inneren aus. Wird dein Glück reichen? Kommst du an? Hoffentlich wird beim Schlussspurt nichts schlimmes geschehen! Deine innere Anspannung steigt.
Und - in dir verändern sich unbermerkt und nach und nach deine Einstellungen zum Leben, deine Leichtigkeit und Gelassenheit. Du erinnerst dich kaum noch an die Anfangsfreude, als alles so glatt lief. Längst hat die Anspannung, die Sorge und die Ahnung einer sich nähernden Katastrophe alle Energie geraubt.
Dann geschieht, was du schon vorausgeahnt oder vielleicht selber kreiert hast. Da kommt plötzlich jemand von hinten und fegt dich aus dem Weg. Es reicht ihm nicht aus, dich zu überholen und einen hämischen Blick zurückzuwerfen. Er muss dich in die Knie zwingen und dich dazu bringen, wieder von vorne zu beginnen. Und das so kurz vor dem Ziel! Der vernichtende Blick im Vorbeiziehen wäre allein schon genug gewesen. Aber das reichte dem Gegner nicht aus. Er musste dich in den Staub stoßen, hinunter in den Abgrund.
Du stehst wieder am Nullpunkt und fängst von vorne an. Dabei schaut dich die ganze Zeit über der Schriftzug auf dem Spielebrett an: "Mensch ärgere dich nicht!" Du ärgerst dich und zwar mehrfach! Über dein Pech, über das Glück des anderen, über deine scheinbar falsche Strategie, über deinen eigenen Ärger, darüber, dass du wieder von vorne beginnen musst usw.
Irgendwann wird dir jedoch bewusst: Hey, es ist ein Spiel! Es ist nur ein Spiel! Und, wenn du diese Erfahrung auf das Leben überträgst? Im Leben ist es nicht so?! Doch, wenn du ehrlich bist - im Leben ist es durchaus manchmal so. Nicht immer so krass, aber in den Grundzügen wird es dir immer wieder geschehen, dass du gut unterwegs bist und dann fällst. Dass du wieder aufstehen musst und weitergehst.
Im Vorgang des Spielens wächst deine Erfahrung und deine Kraft, das Leben besser annehmen zu können. Wenn du im Spiel öfter gefallen und wieder aufgestanden bist, hast du alle Gefahren und Hindernisse mit den damit verbundenen Gefühle schon mehrfach durchlebt. Vor allem die traurigen und ärgerlichen Gefühle konnten sich einmal richtig austoben und verloren ihre Schrecken.
Im "Mensch-ärger-dich-nicht-Spiel" wird dir bewusst, dass du spielst. Jetzt denke noch einmal einen Schritt weiter. Und wenn dein Leben auch nur ein Spiel ist? Ein großes Spiel? Ein heiliges Spiel? Zwar ein ernsthaftes Lebensspiel, aber eben doch nur ein Spiel?
Wenn ich Kinder beobachte, dann stelle ich fest, dass sie im Erleben keinen Unterschied machen. Ihr "ernstes" Leben ist ein fortwährendes Spiel. Ob mit Bauklötzen oder mit dem Essen oder miteinander reden - alles im Kind spielt.
Zurück zum "Mensch ärgere dich nicht". Ist dir folgendes klar? Du kannst jederzeit aus dem Spiel aussteigen und es beenden. Das Spiel spielt nicht mit dir, DU spielst es! Du kannst jederzeit ein anderes Spiel beginnen. Du hast die Freiheit! Werde dir dieser Freiheit bewusst! Wenn du dir dieser Freiheit bewusst bist, wirst du anders spielen als bislang. Nicht mehr so verbissen, nicht mehr so auf Sieg.
An jedem Tag kannst du dich neu entscheiden. Heute ist dein Entscheidungstag. Und dein Spiel!  Ein Wendepunkt! Heute bietet sich dir die Möglichkeit zum Ausstieg aus dem Spiel, aus den vielen Lebensspielen! Mach eine Pause von den vielen "Lebensspielen"! Ich sehe was, was du nicht siehst? und das... heißt Himmel! 

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Mittwoch, 30. August 2023

Keine Panik! Und wenn doch?


Vor ein paar Tagen hielt mein Zug planmäßig an einem kleinen Bahnhof. Dann kam die vertraute Durchsage: "Unsere Abfahrt verzögert sich leider noch um wenige Minuten. Wir müssen einen ICE vorbeifahren lassen."
Aus den wenigen Minuten wurde eine Viertelstunde. Ich richtete mich auf eine längere Verzögerung ein und packte meinen Laptop aus. Statt zu warten wollte ich die Zeit gut nutzen. Dann kam eine erneute Durchsage: "Auf dem Steckenabschnitt vor uns ist ein ICE in einen auf den Gleisen liegenden Baum hineingefahren. Unsere Abfahrt verzögert sich auf unbestimmte Zeit." Was war meine erste Reaktion? Kein Problem! Bis zu meinem Haus sind es zwanzig Minuten. Ich kann abgeholt werden. Ein kurzer Anruf genügt.
Die meisten Fahrgäste sprangen unmittelbar nach der Durchsage wie von der Tarantel gestochen auf und verließen fluchtartig den Zug mit dem Handy in der Hand. In wenigen Augenblicken waren Zug und Bahnsteig wie leergefegt. Ich brauchte noch ein paar Augenblicke, den Laptop wieder herunterzufahren.
Dann kam plötzlich die Zugbegleiterin in das Abteil: "Bleiben Sie sitzen! Es geht gleich weiter!" Unmittelbar auch die zentrale Durchsage: "Wir haben wieder freie Fahrt!" Für die flüchtenden Fahrgäste war es zu spät. Für mich nicht! Was lerne ich daraus?
Wenn es zu einer plötzlichen Überraschung kommt neigen wir Menschen zu Panikreaktionen. Unmittelbar und direkt möchten wir uns retten. Da kommen die tierischen Instinkte durch und wir haben das Gefühl, wir müssen sofort handeln. Aber müssen wir das wirklich? Es steht kein Löwe vor uns, der uns auffrisst. Es überfährt und gerade in diesem Augenblick kein Auto. Es besteht keine unmittelbare Todesgefahr. Aber unser Körper gibt diese Signale ab. Was tun stattdessen?
Einen Augenblick innehalten. Einen Atemzug nehmen und das ganz bewusst! Eine Verzögerung einbauen. Es geht darum, diesem Panikmoment für einen Augenblick zu widerstehen. Nach dem Atemzug öffnet sich quasi ein neues Tor. Es ist das Lösungstor! Nach dem Innehalten und dem bewussten Atemzug wirst du dir deiner Ressourcen und Möglichkeiten bewusst. Die waren nämlich für einen Moment ausgeschaltet.
Wenn du diesen Text jetzt liest, wirst du dich bei der nächsten Panik daran erinnern. Du gibst deinem Geist hier und jetzt den Impuls: Beim nächsten Mal innehalten und tief durchatmen. Zugleich fängst du schon jetzt an zu üben. Bei jeder Kleinigkeit wo du merkst, dass dein Puls hochgeht, hältst du inne und atmest. Du machst dir dein eigenes Angst- und Paniktrainingsprogramm. Dieses Programm beinhaltet nur einen Satz: "Innehalten und bewusst atmen!"
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Dienstag, 29. August 2023

Du, meine Königin!


Die Königin von England - für mich unerreichbar!
Die Königin aus dem Märchen - weit weg!
Die Königinnen aus vergangenen Zeiten - längst gestorben!
Echten Königinnen kann ich mir nur virtuell nähern oder auf dem Papier.
Im Märchenbuch, in einer Zeitschrift, im Traum und im Internet!

Was nützt mir eine solche Königin?
Eine, die nur die Sehnsucht entfacht und mich hungrig stehen lässt!
Eine, die mir das Gefühl vermittelt, dass ich nur ein Bettler bin!
Eine, die in ihren Kreisen verkehrt ohne Kontaktmöglichkeiten zu den meinen!
Wozu brauche ich eine solche Königin?

Wenn ich mich von den Traumwelten verabschiede und aufwache...
Wenn ich den Alltag wirklich wahrnehmen mag...
Wenn ich mein Herz öffne für das, was ist...
Wenn ich nicht mehr die Taube auf dem Dach ganz besonders hoch einschätze...
Wenn ich die Wärme des Spatzes in meiner Hand voller Freude spüre...

Dann bin ich bereit für die Königin des Alltags!
Die Königin für jeden Tag!
Die Königin für die Stunde, wo ich sie brauche!
Die Königin in ihrem inneren Reichtum und in ihrer Armut zugleich!
Die Königin für das Teilen einer Tasse Kaffee!
Und die Königin für einen Spaziergang Hand in Hand...

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Montag, 28. August 2023

Verwaltest du noch den Untergang oder gestaltest du schon den Übergang?

Vor ein paar Tagen kam zu mir eine Frau in die Beratung mit dem Kommentar: „Ich wünsche mir, dass endlich alles wieder normal wird!“ Meine Rückfrage: „Wie meinen Sie das mit dem Normalen.“ „Na, einfach normal. So wie früher.“ Damit meinte sie einen Zustand, der berechenbar, vertraut und zuverlässig war.

Bei meinem letzten Webinar fragte ich die Teilnehmenden angesichts der Corona Krise: „Wer von Ihnen möchte das alte Leben wiederhaben?“ Alle ohne Ausnahme bejahten diese Frage.

Vor mehr als zwanzig Jahren hielt der Pastoraltheologe Professor Paul M. Zulehner Vorträge zum Thema: „Übergang gestalten statt Untergang verwalten.“ Damals ging es um die Kirche, und wie sie den Weg in eine neue Zeit finden kann.

Die Überschrift gefällt mir immer noch und fiel mir in diesen Tagen wieder ein. Im November wird uns deutlich, dass die Natur in den Winterschlaf und in einen Sterbeprozess geht. Die vielen Totengedenktage erinnern uns an die Vergänglichkeit. Der „Untergang“ von etwas gehört zum Leben dazu.

Nur im Alltag wollen wir es nicht unbedingt wahrhaben und uns damit abfinden. Ich wollte damals als Pfarrer keine Gemeindefusionen und fand die Selbständigkeit von überschaubaren Pfarreien richtig.

Nachdem sich die Kirche schon seit vielen Jahren eher in einer Untergangsstimmung befindet, werden solche Zeichen auch in der zivilen Gesellschaft deutlich. Die Corona Pandemie zeigt uns, dass wir das Leben nicht so festhalten können, wie wir es gewohnt sind. Ein Teil in mir sagt zwar, dass alles wieder wie früher wird, wenn wir erst mal die Impfungen haben. Ein anderer Teil in mir sagt, dass das nur eine Illusion ist.

Die Wirklichkeit stellt mir andere Fragen, die so neu gar nicht sind. Konsumieren wir zu viel und stellen den Konsum an erster Stelle? Müssen wir so viel reisen und klimaschädlich fliegen? Können Produkte nicht langlebiger sein? Wie gestalte ich ein sinnvolles und zufriedenes Leben? Wohin möchte ich, dass sich die Menschheit und die Erde entwickelt? Was war bislang gut und wichtig und möchte ich erhalten und was kann ich auch loslassen, weil es nicht mehr passt?

Veränderungen fühlen sich in der Regel unangenehm an. Sie schaffen Unsicherheit und ich spüre deutlicher meine vielen Ängste. Da werden Qualitäten gefragt wie Widerstandskraft, Veränderungsbereitschaft, Vertrauen, Umgang mit Verlusten, Aushalten von Leere und Depressionen und nicht zuletzt auch eine große Portion Mut, die Schritte zu setzen, die notwendig sind.

Mir gefallen die Bilder von Zulehner. Ich kann den Untergang verwalten. Das fühlt sich passiv an. Ich richte mich darauf ein, dass alles zu Ende geht und sorge für einen geordneten Abgang. Versicherungen kündigen, Prozesse abschließen, nichts Neues beginnen. In Würde altern und sterben. Verluste beklagen und im Kreis der Jammerer sich das alte Leben wieder wünschen.

Oder ich fange an, den Übergang zu gestalten. Da werde ich aktiv. Ich verlasse die Komfortzone und probiere neue Dinge aus. Ich nehme wahr, dass die Krise nicht von ungefähr kommt und dass vieles sich schon lange nicht mehr richtig angefühlt hat. Ich lasse los und so entstehen Freiräume und neue Möglichkeiten. Der Übergang fühlt sich nicht immer angenehm an, aber das gehört zum Prozess dazu. Wenn du einmal dein Leben der vergangenen Monate betrachtest vor der Corona Zeit: In welchen Bereichen hast du Dinge gemacht, die bei näherer Betrachtung weder besonders sinnvoll waren noch von dir gewollt. Da gestalten alle Vereine Weihnachtsfeiern und du kommst aus dieser Nummer nicht mehr heraus, obwohl dir nach Keksen und Glühwein gar nicht zumute ist. Aber du denkst, dass du teilnehmen musst, weil du dazu gehörst. Du hältst Beziehungen aufrecht, die dich mehr stressen als erfüllen. Du führst ein Leben in eine Art Trott von Unbewusstheit ohne ein inneres Ja und ohne innere Freude und Sinnhaftigkeit.

Vor ein paar Tagen kam eine Frau zu mir, die seit mehr als dreißig Jahren verheiratet ist. Seit zwanzig Jahren will sie sich von ihrem Mann trennen. Sie sprechen nicht mehr miteinander. Haben kein Interesse und keine Aufmerksamkeit füreinander und halten es einfach aus. Ihr Leben hat sich angefühlt wie Grab und Stillstand. Sie wollte lieber die Grabesruhe aushalten als den Weg in die unsichere Trennung wagen. Dann traf sie einen Bekannten von früher. Der gab ihr ein Feedback: „Du hast dich so verändert. Früher hast du gelacht und fröhlich ausgesehen. Jetzt siehst du so traurig aus.“ Als sie diese Worte hörte, brach ihr ganzes System zusammen und sie wachte plötzlich auf. Sie wurde sehr traurig, dass sie zwanzig Jahre ein Leben gelebt hat, was ihr nicht mehr entsprach. Was hat sie gemacht? Einfach die Konsequenzen gezogen. Sie hat alles noch einmal überprüft und sich getrennt, nachdem sie erkannt hatte, dass es für eine Rettung schon lange zu spät war. Viele Jahre hat sie eine Art Untergang verwaltet. Die katholische Erziehung hat sie daran gehindert, in ihre Lebendigkeit zu gehen. Sie hörte immer die Gebots- und Verbotsworte in sich: „…bis dass der Tod euch scheidet.“ 

Es macht durchaus Sinn, nicht einfach so etwas zu verändern nur weil es im Moment sich nicht mehr gut anfühlt. Da gibt es sehr verständliche Einwände und Einsichten. Ich habe mich irgendwann einmal für die Mitgliedschaft in einer Gruppe entschieden. Ich unterstütze das Anliegen, mag die Mitglieder und kann allem voll zustimmen. Dann engagiere ich mich mit Leib und Seele. Zwischendurch gibt es auch den einen oder anderen Hänger, aber ich erinnere mich an erfolgreiche und gute Zeiten und mit der entsprechenden Selbstmotivation mache ich dann gerne weiter. Vielleicht gelingt mir auf diese Weise ein gutes Weitergehen in dieser Gruppe. Es kann aber auch sein, dass ich irgendwann in der Tiefe meines Herzens erkenne, dass das nicht mehr mein Weg ist. Die Gruppe hat sich verändert. Die Umstände oder ich habe mich verändert. Andere Dinge sind mir wichtiger geworden… Dann stelle ich irgendwann fest, dass es Klärung und Handlungsbedarf gibt. Bevor ich die Mitgliedschaft in meiner Gruppe nur noch erdulde und verwalte könnte ich ja auch die Entscheidung treffen, das Ganze loszulassen und in etwas Neues zu gehen, was besser zu mir und meinem jetzigen Leben passt.

Ich habe jetzt das Beispiel einer unbestimmten Gruppe gewählt. Überprüfe einmal, in welchen Lebensbereichen bei dir etwas nicht mehr stimmig ist. Gegenstände, die du besitzt. Freundschaften, die dich längst nicht mehr erfüllen. Mitgliedschaften in Vereinen, Versicherungen, religiösen Gruppierungen… Du musst nichts ändern! Alles darf so bleiben! Es geht nur um die Überprüfung der Stimmigkeit angesichts eines Untergang-Gefühls. Drei Bausteine sind mir eingefallen, die ich in solchen Prozessen als hilfreich empfinde. 

Sich klären und Klarheit gewinnen

In Krisenphasen und bei Untergansszenarien trübt sich der Blick und ich verliere den Blick für die unterschiedlichen Wirklichkeiten, die man wahrnehmen kann. Da gibt es dann fanatische Maskenverweigerer und denunzierende Maskenträger. Meinungen polarisieren sich. Eine feindschaftliche und aggressive Stimmung breitet sich mehr und mehr aus. Ich verliere den Blick für das Menschliche. Das beobachte ich in der augenblicklichen Corona Krise und auch beim kirchlichen Prozess des synodalen Weges. Jede und jeder fängt an, die eigene Position zu verteidigen, dafür zu kämpfen und im anderen Menschen entweder Freund oder Feind zu sehen. Das vernebelt das Herz! Klärung heißt: Ich trete innerlich einen Schritt zurück und betrachte das Ganze von außen. Welche Bedürfnisse hat mein Gegenüber? Wo deckt es sich mit meinen Bedürfnissen und wo sind wir unterschiedlich? Kann ich die Wahrheit des anderen noch wahrnehmen und für einen Moment dabeibleiben, ohne sofort zu widersprechen? Wo gibt es eine gemeinsame Schnittmenge? An welchen Stellen bin selber ein wenig blind geworden? Wo vielleicht sogar fanatisch aus Angst und Unsicherheit? Welche Gefühle bestimmen gerade mein Leben und meinen Alltag?

Wenn ich mich kläre, dann kommt Klarheit in die Situation. Das erfordert ein wenig Abstand und die Fähigkeit, den inneren Beobachter zu aktivieren. Auf drei Ebenen kann dieser Prozess stattfinden. Ich kläre meine Gedanken und wäge die unterschiedlichen Positionen wertneutral ab. Ich befrage meine Gefühle und sorge gut für mich, wenn Angst und Ärger auftauchen. Ich kläre meine Handlungsimpulse. Was möchte in dieser Phase konkret tun und was könnte ich besser lassen. Wovon mehr und wovon weniger!

 

Wiederentdecken der Veränderungsfähigkeit

In meinen Beratungen komme ich oft zu einem Punkt, der die Wende bringt oder auch nicht. Menschen tun sich relativ leicht mit einer neuen Erkenntnis und eher schwer, in eine Veränderung zu gehen. Sie halten lieber fest an dem unbefriedigenden Status quo, weil sich das vertraut und sicher anfühlt. Lieber unglücklich und sicher sein als nur möglicherweise glücklicher und eher unsicherer. Beim Alten weiß ich was ich habe und das Neue ist noch nicht erschaffen. Wer zwanzig Jahre mit dem gleichen Menschen verheiratet ist kann sich nicht so gut vorstellen, wie man unverheiratet als Single sein Leben bestehen kann. Eine Kirche kann sich nach Jahrhunderten nicht vorstellen, wie sie vielleicht ohne Sakramente und sonntäglichen Gottesdiensten und bewährten Gemeindestrukturen völlig neu und jesuanisch ausrichten könnte. Mit zunehmendem Alter tun wir uns schwer mit Veränderungen. Es braucht dazu eine Bereitschaft und eine Entscheidung. Ich bin bereit für Veränderungen, ich entscheide mich und ich gehe den ersten Schritt. Mit/trotz Angst und Unsicherheit. Viele denken, dass sie erst einen Plan brauchen bevor sie sich verändern. Pläne gibt es im Übergang oft nur als Idee, rudimentär oder in ersten vagen Andeutungen. Eine Veränderungsfähigkeit besteht darin, einfach einen Schritt zu machen. Auch auf die Gefahr hin, dass dieser fehlerhaft, nutzlos, unreflektiert und riskant ist. Nicht der Inhalt des Schrittes ist dabei wichtig, sondern der Mut an sich, einen Schritt in eine unbekannte Zukunft zu machen.

Wie schätzt du deine eigene Veränderungsfähigkeit ein? Bist du eher neugierig und abenteuerlich veranlagt? Prima! Dann hast du gute Voraussetzungen. Hältst du gerne am Bewährten fest und das auch noch zu fest und ängstlich? Wann hast du die letzte kleine oder große Veränderung erfolgreich bewältigt? Vielleicht bist du veränderungsfähiger als du dachtest.

 

Ja zur unbeständigen Vorläufigkeit

Wenn ich den Übergang gestalte und dabei das Alte verlasse gibt es noch keine endgültige Lösung. Das ist eine große Herausforderung für uns. Wer kauft schon eine Waschmaschine, die unbeständig und vorläufig funktioniert. Markenmaschinen werben mit einer Lebensdauer von zwanzig Jahren. Ich entscheide mich auch nicht für eine vorläufige Beziehung, sondern glaube an die ewige Liebe. Wer mag schon unbeständiges Wetter, wenn ich nie weiß, ob es heute noch kälter wird und zusätzlich regnet. Wir mögen die Beständigkeit und unsere automatisierten Hirnprozesse. Das erleichtert unseren Alltag und verschafft Sicherheit.

Diese Übergangsphase, in der wir uns gerade gesellschaftlich und auch spirituell befinden, kann ich nicht mehr länger leugnen und verdrängen. Krisen entstehen dann, wenn es nicht mehr stimmig ist. Wenn es nach Veränderungen förmlich schreit. Wir wissen nur, dass sich etwas verändert, aber nicht wohin der Weg führen wird. Ich mache es mir leichter, wenn ich mit der Vorläufigkeit einverstanden bin. Wenn ich aufhöre, etwas bestimmtes Festes zu wollen. Ich kann doch so eine neutrale und selbstfreundliche Haltung einnehmen. Mal schauen, wohin uns der Weg heute führt. Ich muss es nicht sofort bewerten. Ich kann alles stehen lassen und allem Zeit geben. Im Moment mache ich viele Videoberatungen. Da gibt es eine Stimme, die das ständig bewertet. „Das ist nicht persönlich genug.“ „Da fehlt die Nähe.“ „Das darf nur eine vorläufige Lösung sein.“ „Besser als nichts!“ Wenn ich diese Haltung einnehme, mache ich mir Stress. Ich kann auch sagen: Ich probiere es eine Weile, ein paar Wochen und schaue, wohin es mich führt. Ich muss ja nicht völlig passiv bleiben. Ich kann an der einen oder anderen Stelle etwas korrigieren, so dass es sich angenehmer anfühlt.

Ich bin in diesen Tagen und Wochen in meiner Grundeinstellung gefragt, ob ich den Untergang verwalte oder den Übergang gestalten möchte. Lieber festhalten oder loslassen? Ich höre die Worte der Menschen, die sagen: „Aber das hat sich doch bewährt, das kann man doch nicht über Bord werfen!“ Und ich höre die Worte der Menschen: „Wir leben doch nicht im Gestern! Wir leben im Heute und wir müssen auch morgen noch leben!“ Mir scheint, dass diese zwei polaren Unterschiedlichkeiten vor ein paar Jahren noch von Bedeutung waren. Entweder das Alte bewahren oder das Neue wagen. Heute nehme ich wahr, dass wir schon jenseits dieser Polarität sind. Das Alte zerstört sich, löst sich auf und verschwindet einfach. Es ist nicht mehr zu halten, weil es einfach nicht mehr da ist. Es gestaltet sich eine neue Wirklichkeit und ich muss mich dazu verhalten.

Ich selber finde es spannend und freue mich, in diese Zeit hineingeboren zu sein. Das Alte kenne ich schon zur Genüge. Ich muss es nicht festhalten bis zu meinem Tod. Das Neue, das noch gar nicht da ist, reizt mich. Es muss nicht ärmer oder schlechter sein. Der spirituelle Aspekt sagt mir, dass Gottes Schöpfung sich weiterentwickeln wird. In der Erdgeschichte gab es nie einen Stillstand. Wir leben nicht mehr auf Bäumen, glauben nicht mehr an eine flache Erde, haben die Prinzipien der Physik verstanden und entwickeln moderne Techniken. War es das schon? Oder gibt es eine neue Entwicklung? Etwas, das sich aus der Krise herausschält? Ich bin dabei und ich darf daran mitwirken.


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Samstag, 26. August 2023

Ich bin ein Teil der Ewigkeit



„Du sprichst: Versetze dich aus Zeit in Ewigkeit.
Ist denn an Ewigkeit und Zeit ein Unterscheid?“
(Angelus Silesius)

Ist da ein Unterschied zwischen Zeit und Ewigkeit? Hier in meinem Körper, in dieser Dimension mit dem Blick auf den Kalender und auf die Uhr erlebe ich eine deutliche Zeitlichkeit meines Lebens. Zugleich kann ich in meiner Phantasie mir vorstellen, dass es einen Zustand gibt, der diese Begrenzung nicht kennt. Ewigkeit ist dabei nicht eine bis ins unendliche ausgedehnte und unbegrenzte Zeit, sondern eher die erfüllte Zeitlosigkeit.
Ich gehe aus den Kopf und spüre in mein Herz. Alles ist gut! In einem bestimmten Bewusstseinszustand gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Zeit und Ewigkeit. Die Zeit steht gleichsam still und ist außer Kraft gesetzt.

Freitag, 25. August 2023

Warum immer ich?


Mir kommen Menschen in den Sinn, die sich scheinbar in einer lebenslangen Pechschleife befinden. Wenn sich sonst niemand ansteckt mit einer Grippe, dieser eine Mensch schafft das ganz bestimmt. Wenn alle das Ziel finden, diese Person wird sich verlaufen. Allen im Restaurant schmeckt das Essen und dieser „Pechvogel“ bekommt nicht, was er bestellt hat. Hat vielleicht auch noch die Geldbörse vergessen. Den Bus verpasst. Auf der Autobahn mit einer Panne liegengeblieben usw.
„Warum immer ich...“ höre ich dann als Kommentar. Damit schwingt so eine gewisse Hilflosigkeit und Resignation. Da gibt es zwar so ein Bemühen, ja auch alles richtig zu machen. Diese Menschen sind oft sehr sorgfältig und umsichtig in ihren Planungen. Aber zugleich wirken sie so, als hätten sie einen Aufkleber auf dem steht: „Schicksal, schlage mich! Etwas geht noch!“ Diese Menschen legen schon bei der Planung ihrer Aktionen einen Keim von Misslingen und Unglück mit hinein. Fast automatisch kommt das herbeigefürchtete Pech und sagt wie selbstverständlich: „Da bin ich! Du hast mich gerufen!“
Warum immer ich? Weil du es auf der unbewussten Ebene bestellt hast? Vielleicht nicht auf dem Bestellzettel, aber auf dem heimlichen Wunschzettel. Nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit bekommt jeder Mensch mal einen Schlag ab. Irgendwann und irgendwo. Es ist einfach wahrscheinlich, mehr aber nicht!
Geh doch mal zurück, wann dieser Glaubenssatz entstanden ist in deiner Biografie. Denn ich halte diesen Satz „Warum immer ich...“ eher für einen Glaubenssatz als für eine Erfahrung. Du bekommst lediglich die Bestätigung für deinen Glauben. Und der scheint sehr stark zu sein.
„Warum immer ich...“ – Fragst du wirklich nach dem „Warum“? Gehst du dem „Warum“ wirklich nach, mit aller Konsequenz? Welche „Weil“ - Antworten würdest du bekommen? Weil du es verdient hast? Weil du schlecht bist? Weil du zu dumm bist? Wenn du solche „Weil“ – Antworten in deinem Inneren wahrnimmst, dann hörst du die Stimme deiner Eltern. Sie haben dich vielleicht nicht wachsen lassen.  Und sie haben dir wenig zugetraut. „Warum immer ich...?“
Weil es Zeit wird, diese Frage einfach über Bord zu werfen. Keines dieser drei Wörter stimmt! Weder „warum“ noch „immer“ noch „ich“. Es wird Zeit, diese alten Klebezettel von der Stirn zu entfernen.
Wie könnte ein Umkehrgedanke heißen? Du beginnst mit dem Weichspülen. Du hast sehr viel Glück im Leben gehabt. Sonst wärest du in deiner Pechsträhne bestimmt schon gestorben. Du hattest total viele glückliche und gelungene Situationen. Wenn du eine Liste machst mit zwei Rubriken von Glück und Pech und du ganz ehrlich mit dir bist. Wo wirst du mehr hin schreiben? Du wirst dich an dein Pech besser erinnern, darum wirst du da mehr finden. Es liegt aber nur an dein Erinnerungsvermögen. Die Tatsache, dass du lebst, ist ein Hinweis dafür, dass es genug gab, damit du dich am Leben halten konntest. Das nenne ich doch mal echtes Glück!
Vielleicht magst du diesen Satz mal erweitern: „Warum nur komme ich aus jeder Krise wieder hervor?!“ „Wie schaffe ich es nur, in dieser „Charly Chaplin Qualität“ zu leben! Immer zu fallen ist nicht die Kunst, sondern dieses Aufstehen! Wie habe ich das nur hinbekommen? Jeder andere wäre längst am Boden liegengeblieben. Aber ich nicht! Ich bin ein „wieder Aufsteher!“

Donnerstag, 24. August 2023

Die Kunst, aus der Pflicht eine Kür zu machen


Beim Eislaufen und beim Tanzen gibt es zwei Programme. Es gibt die Pflicht und es gibt die Kür. Dein Leben teilst du manchmal auch so ein. Die verfplichtende Arbeit und die Freizeitkür. Beide kämpfen häufig miteinander. Die Pflicht hat die Angst, nicht erfüllt zu werden und die Kür hat die Sorge, dass die Freude zu kurz kommt.
Am Morgen schaust du in der Regel auf den Tag und überlegst, was du alles erledigen musst. Unter erledigen verstehe ich die Vorstellung, dass wir bestimmte Pflichtaufgaben haben. Von diesen so genannten Pflichten kommen einige zusammen. Essen zubereiten, einkaufen, putzen, aufräumen, waschen usw. Manchmal arbeitest du dich durch diese Aufgaben und hakst in Gedanken ab, was du geschafft hast. Das Wort "erledigen" drückt dabei eine Menge aus. Am Ende bist du erledigt und erschöpft von deinen Pflichten. Du freust dich auf deine freie Zeit und lebst in der Dualität, im Gegensatz von Arbeit und Vergnügen.
Wenn du das Wort "erledigen" nun ersetzt durch "gestalten" betonst du deine Freiheit und deine Kreativität. Du entscheidest, was du machst und wann du es machst. Du entscheidest auch, ob du es mit Liebe tust oder mit Widerwillen. Du kannst die Aufgaben so gestalten wie Kinder ihre Spiele spielen. Der Tag ist ein Geschenk und darfst ihn für dein Vergnügen mit Inhalt und Freude füllen.
In der Bibel wird die Geschichte von Adam und Eva im Paradies erzählt. Vor dem "Sündenfall" mussten sie auch im Garten arbeiten, aber sie vergnügten sich. Nach dem "Sündenfall" verwandelte sich der Tag in Mühsal und Plage. Ob es Mühsal und Plage ist oder Freude, Siel und Vergnügen - diese Entscheidung findet in deinem Kopf und in deinem Herzen statt.
Je bewusster du den Beginn des Tages beginnst und in den Tag hineinmeditierst, desto eher hast du die Chance, die lebensfrohe Seite in den Blick zu nehmen. Vielleicht geht das nicht zu hundert Prozent, aber vom Grundsatz her ist eine Veränderung immer möglich.
Letztlich geht es wirklich um die Kunst, Pflichten in Küren zu verwandeln und am Ende die Dualität aufzuheben. Mark Twain erzählt von Tom Sawyer, der aus Strafe einen Zaun streichen "muss". Da müssen verwandelt er in ein Privileg und lässt alle Freunde und Bekannte dafür bezahlen, dass sie auch ein Stück Zaun streichen dürfen. Wer über den Dingen oder sich außerhalb stellt kann das Leben neue erfinden.
Vom Ende des Lebens her betrachtet hören ja mit dem Tod alle Pflichten auf und es beginnt die Kür des Himmels. Wenn du in diese Kür nicht eingeübt bist und nur die Pflichten kennst, wie wirst du den Himmel genießen können? Stell dir vor, dass Petrus dich an der Himmelspforte begrüßt und dich gerne an diesen Ort willkommen heißt. Du gehst dort auf und ab und brauchst nichts zu tun. Du darfst da sein und genießen. Innerlich jedoch treibt dich eine gewisse Unruhe voran und dir wird bewusst: Du suchst die Pflichten. Du kannst nicht ohne sie auskommen! Dann gehst du zu Petrus und erzählst ihm von deinem Leiden. Dieser antwortet dann: "Ah, alles klar. Du hast dich nur vertan! Du wolltest eigentlich in die Hölle! Die befindet sich ein Stockwerk tiefer!"

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Mittwoch, 23. August 2023

Wie ein Kamel durch das Nadelöhr kommt

Jesus meinte einmal, dass eher ein Kamel durch ein Nadelöhr kommt, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt. Das Kamel ist viel zu groß für das winzig kleine Loch in der Nadel. Das ist unmöglich.
So gibt es im Leben Probleme, für die es keine Lösung gibt. Manchmal kommen Menschen zu mir in die Beratung nach dem Motto: "Ich habe schon alles ausprobiert. Es gibt für mich keine Lösung. Jetzt lasse ich mir dieses noch durch einen Experten bestätigen damit ich endlich aufhören kann mit meiner aussichtslosen Suche." Wenn ich dann frage ob sie schon dieses oder jenes probiert haben dann sehe ich manchmal den Triumph in den Augen. "Habe ich auch schon probiert. Hat nicht funktioniert."
Wenn etwas nicht funktioniert dann würde es auf jeden Fall Sinn machen, es nicht ständig neu zu probieren. Ich kann ein Nadelöhr nehmen und ein Kamel einladen, durch das Loch zu kriechen. Das Kamel wird es nicht schaffen. Auf keinen Fall! Oder?
Wenn etwas nicht geht, dann macht es Sinn, die Augen und das Herz zu öffnen für Lösungen jenseits aller üblichen Lösungen. Suchen wir doch mal nach ungewöhnlichen Lösungen und verstören das Kamelsystem.

- Das Kamel wendet sich von der Nadel ab und entscheidet sich für sinnvollere Wege.

- Das Kamel zupft sich ein Haar aus und führt es vorsichtig durch das Öhr. Das eine Haar steht symbolisch für das ganze Kamel. Wenn es das eine Haar schafft, wird es irgendwann auch das ganze Kamel schaffen. Es ist nur eine Frage der Zeit.

- Gedanklich ist es ganz leicht. Ich schrumpfe das Kamel oder dehne das Loch und schon passt es.

- Das Kamel verschenkt die Nadel an jemanden, der diese Aufgabe leichter bewältigen kann.

- Das Kamel beschäftigt sich mit Quantenphysik und kommt zur Erkenntnis, dass zwischen den festen Materieteilchen so viel Platz ist, dass man locker hindurchspazieren kann.

- Das Kamel fragt: Wer will eigentlich, dass ich durch das Nadelöhr gehen soll. Wollen das andere oder will ich das selbst.

- Das Kamel fragt: Wozu ist es gut, durch das Nadelöhr zu gehen? Erreiche ich mein Ziel auch auf einem anderen Weg?

- Das Kamel beschäftigt sich beim Anblick des Nadelöhrs mit der grundsätzlichen Frage von Türen und Öffnungen und freut sich an der Erkenntnis von neuen Einsichten.

- Das Kamel könnte den Entschluss fassen, abzunehmen und zu hoffen, dass es durchpasst, bevor es stirbt.

- Das Kamel könnte sich entschließen einfach um das Nadelöhr herumzugehen.

- Das Kamel könnte auch so tun als ob. Es könnte einfach die Geschichte erzählen, wie es Anlauf genommen hat und voller Freude da durchgeritten ist.

Du siehst, jenseits der Unmöglichkeit durch ein Nadelöhr zu kommen gibt es noch andere unmögliche Möglichkeiten. Und? In welchen Situationen bist du selbst manchmal das Kamel und was ist dein Nadelöhr?
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Dienstag, 22. August 2023

Von Fusseln und Flusen


Stören dich auch diese Fusseln, die deinen Pullover unansehnlich machen? Diese Knötchen und Verfilzungen? Pickst du sie mit deinen Fingern ab? Drehst oder ziehst du? Besitzt du so ein elektrisches Gerät, dass alle Fusseln abrasiert?
Manche Pullover sind völlig resistent gegen Fusseln und bei anderen fängt es ein paar Tage nach dem ersten Tragen schon an. Fusseln sind lästig und überflüssig. Niemand braucht sie. Neben den Fusseln, die von innen nach außen wachsen gibt es ja auch noch die Flusen, die auf dich herabschweben. Du gehst deinen Weg und schon haftet sich da was an dich dran. Staub, Federchen, Mehl, Puderzucker. Schwebeteilchen sind nicht wählerisch. Sie lassen sich nieder, wo es gerade niedergeht.
Fusseln und Flusen suche ich mir nicht aus. Ich kann sie auch nicht aus meinem Leben aussperren. Wenn ich ihnen sage: "Hört auf mich zu belästigen!" reagieren sie nicht einmal. Sie machen mir deutlich, dass ich ständig im Leben mit Dingen konfrontiert werde, die ich nicht beeinflussen kann. Im Frühjahr kommen die Fliegen und Mücken wieder. Ein paar Monate im Winter hatten wir eine Pause. Doch bald kommen sie wieder. Ich öffne das Fenster und schon sind sie da. Ob am Tag oder in der Nacht. Sie schwirren um meinen Kopf und surren mich fertig.
Und dann sind da noch diese Menschen, lästig wie Fliegen und Fusseln zusammen. Menschen, die mich nerven. Menschen, die mir die Ohren volljammern. Fusseln kann ich ignorieren. Bei Fliegen wird es schon schwieriger. Bei Menschen, die jammern? Wenn ich mich auf das Jammern so richtig einlasse, dann ist es zu spät. Dann hocke ich mit im Jammertal.
Wenn ich konsequent bin, dann nehme ich einfach meinen elektrischen Fusselentferner und rasiere den Pullover ab. Wenn ich konsequent bin schnappe ich mir die Fliegenklatsche, ziele und schlage zu. Nach ein paar Minuten ist der Spuk vorbei und ich habe ein wenig Zeit bis der nächste Fliegenschwarm kommt. Gewinnen kann ich nur für einen Moment. Wenn ich konsequent bin dann sage ich zum Jammerer: "Halt die Klappe, ich will es nicht hören." Das mache ich aber nicht, weil ich mich ja nicht unbeliebt machen möchte und weil dieser Jammerer ja auch irgendwie mein Mitmensch ist.
Aber mir bleibt eine Alternative: Ich sage Ja zu allen Fusseln und Flusen. Zu allen Fliegen und Mücken. Und Ja zu allen Jammerinen und Jammerern. Es ist besser für mein Seelenheil und außerdem kann ich ja mal den Gedanken zulassen, dass.... ich für bestimmte Menschen selber eine Fluse, eine Fliege, eine Mücke, ein Jammerer bin. Wen gehe ich auf die Nerven und bin bisweilen äußerst lästig? Na gut! Ich bin dann mal ganz still und akzeptiere. Es ist, was ist.
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Montag, 21. August 2023

Tu die kleinen Dinge jetzt, dann werden die großen allmählich zu dir kommen und bitten, getan zu werden. (persische Weisheit)

Ich will einmal Arzt werden! Ich möchte eine große Schauspielerin werden! Eines Tages baue ich mir eine große Villa mit einem wunderschönen Garten! Erinnerst du dich an die "großen Dinge", die du vorhattest im Leben? Ist was daraus geworden? Konntest du sie umsetzen? Mir kommen ein paar Studenten in den Sinn, die große Pläne haben. Da braucht es Mut, Weitblick, Zeit und Geduld. Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir förmlich an unseren großen Plänen kleben. Eines Tages.... Irgendwann...
"Tu die kleinen Dinge jetzt,..." Während die Phantasie gerne in die Zukunft abschweift, fordert die Gegenwart die Aufmerksamkeit für das "Jetzt". Jetzt deckst du sorgfältig den Tisch. Jetzt setzt du dich hin und isst. Jetzt bist du aufmerksam im Straßenverkehr und achtest als Autofahrer auf die Fußgänger. Jetzt hörst du deinem Gegenüber aufmerksam zu.
Du wendest dich also den kleinen Dingen zu und erledigst sie gewissenhaft und voller Liebe. Damit übst du dich ein für die "großen Dinge" des Lebens. Du trainierst für die fernen Ziele.
Das persische Wort spricht im Rätsel: die großen Dinge kommen und bitten, getan zu werden. Siehst du den Unterschied? Du kannst sagen: "Ich studiere eifrig und fleißig, um Arzt zu werden". Die Alternative heißt: "Der Arztberuf kommt auf mich zu!" Wenn du unter der ersten Prämisse fleißig studierst hüpfst du von Prüfung zu Prüfung, emsig wie eine Ameise. Du siehst das, was gerade vor deiner Nase liegt. Irgendwann einmal hast du es dann geschafft. Wenn der Arztberuf jedoch auf dich zukommt, dann begegnest du vielleicht einem großen Heiler, der in dir die Sehnsucht nach Heilung weckt. Da kommt vielleicht eine Vision auf dich zu, in welcher Art und Weise du Arzt sein wirst. Im ersten Fall arbeitest du mit deinen einschränkenden Vorstellungen, im zweiten Fall arbeitest du mit der unendlichen Energie des Universums.
Im ersten Fall ergreifst du einen Beruf, im zweiten Fall ist es eine Berufung. Und jetzt kommt die Zusammenführung: Deine Berufung entdeckst du dann, wenn du treu die kleinen "beruflichen" Aufgaben erfüllst. Die großen Dinge des Leben machst du nicht selbst, sondern sie bitten, von dir getan zu werden.
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Freitag, 18. August 2023

Schätze in meinem Abstellraum


Es gibt Räume, da stelle ich etwas ab. Ich kann es nicht wegwerfen. Aber jetzt brauche ich es nicht. Dort stelle ich ab, was ich zeitweise benötige. Saisonartikel! Dort stelle ich auch Dinge ab, die nicht schön sind für den Wohnbereich wie Putzeimer und Leiter.
Wir hatten in meiner Kindheit einen ganzen Keller als Abstellraum. Der war sehr beliebt für Strafen! „Ab auf die Kellertreppe!“ Dort saßen wir dann und blickten auf Eimer, Kartoffelkiste, Besen und Schubkarre. Wir waren dort für eine Zeit abgestellt. Nicht tauglich für das Familienleben! Nicht richtig! Es war unbestimmt, wann wir zurückkehren durften. Wir wurden eins mit Eimer und Putzlumpen. Nicht beliebt und nicht erwünscht. Aus den Augen, aus dem Sinn.
Heute als Erwachsener liebe ich Abstellräume! Dort kann ich Schätze entdecken, die ich vor Jahren selber dort weggelegt habe. Dort finde ich, was ich vermisst habe. Dort entdecke ich Dinge, von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie besitze. Da kann ich Hobbys wiederbeleben, Geschenke finden, Kinder beglücken, Ersatzteile entdecken, ausrangierte Geräte wiederbeleben. Dort finde ich wichtige Teile meiner eigenen Lebensgeschichte wieder. Die Geschichte der abgelegten Dinge.
In meinem Inneren gibt es auch einen Abstellraum. Dort parke ich die Begegnungen, die mir gut taten und auch die Kränkungen, die mich nicht loslassen. Da sind alle Erinnerungen in Regalen abgelegt, mal offen und mal versteckt. Das ist so eine total bunte Mischung von Willkommen und Ablehnung. Von nützlich und  kitschig.  Kein Raum erzählt so viel von mir wie mein innerer Abstellraum.
Ich könnte diesen Raum mal wieder im Advent besuchen. Welche Schätze verbergen sich dort, die ich mal wieder reaktivieren könnte. Was dürfte mal wieder ans Tageslicht? Was sollte gereinigt und repariert werden? Wem könnte ich etwas davon schenken?
War der Stall von Bethlehem vielleicht auch so etwas wie ein Abstellraum? Dort trafen sich ja Menschen, die nicht wichtig waren für die große Politik. Hirten, Ochs und Esel und Schafe.
Schau doch einmal in deine inneren und äußeren Abstellräume nach. Nimm dir Zeit. Hole die Dinge ans Licht. Stell sie aus! Verschenke etwas davon! Mach Platz für das Neue!

Donnerstag, 17. August 2023

Verabrede dich mit dem Leben!

Du sitzt auf deinem Sofa und hast nichts zu tun. Das ist eigentlich ja auch in Ordnung. Einfach mal herumsitzen und nichts tun. Das machen wir eh viel zu wenig. Wenn du aber öfter auf deinem Sofa sitzt und lieber etwas anderes tätest sieht das schon anders aus.
Es könnte ja sein, dass du auf deinem Sofa sitzt und denkst, dass das Leben an dir vorüberzieht und du nicht dabei bist. Dein Freundeskreis trifft sich ohne dich. Deine Familie ignoriert dich. Über deinem Haus regnet es, während deine Nachbarn im Sonnenlicht eintauchen. Überall brummt das Leben. Nur nicht auf deinem Sofa. Dann fragst du dich, wie das sein kann! Hat man dich übersehen? Hast du dich versteckt?
Du könntest jetzt Ursachenforschung betreiben. Dich verurteilen. In die Depression abrutschen. Oder? Du könntest dich einfach mit dem Leben verabreden! "Hallo Leben. Ich bin hier und sitze gerade auf dem Sofa. Magst du dich mit mir verabreden? Ich würde dich gerne treffen und etwas mit dir unternehmen." Was würde das Leben dann sagen? "Herzlich willkommen! Ich bin hier draußen! Komm zu mir. Auf die Straße. Auf den Berg. In die Volkshochschule. Ich bin überall!" Du müsstest auf jeden Fall dein Sofa verlassen. Als ersten Schritt! Egal, wohin du gehst. Auch, wenn du noch kein Ziel hast. Du stehst auf und verlässt dein Sofa. Du machst dich auf den Weg und musst das Ziel noch gar nicht wissen. Das Leben findet ja überall statt. Du stehst also auf und triffst eine Verabredung. Du sagst zum Beispiel: "Hallo Leben. Ich gehe jetzt in die Sauna. Kann ich dich da treffen?""Komm vorbei! Ich bin schon da!" Wenn du dich mit dem Leben verabredest kannst du dich darauf verlassen, dass es auch da ist!
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Mittwoch, 16. August 2023

Über die Kunst, eine Ablehnung zu vermeiden...

Ein Freund sagte vor Kurzem zu mir: Ich traue mich gar nicht, dich zu fragen, ob du einmal Zeit für mich hast. Für einen Augenblick stutzte ich. Moment mal! Wie raffiniert ist das denn? Er traut sich nicht zu fragen und fragt dann doch! Sehr geschickt, auf diese Weise seine Schüchternheit zu überwinden und das zu erhalten, was man sich wünscht. Du fragst einfach, indem du nicht fragst. Das ist eine wunderbare Art, die Hindernisse und Hürden zu überwinden oder geschickt zu umgehen.
Probier es doch einmal aus!
"Ich traue mich nicht, dir zu sagen, dass ich dich liebe, weil ich nicht weiß, wie du darauf reagieren wirst. Ich könnte es nicht ertragen, wenn du einfach Nein zu mir sagst!" statt: "Ich liebe dich."
"Ich traue mich nicht, Ihrer geschickten Verkaufsstrategie jetzt am Telefon zu widerstehen. Sie könnten mir böse sein und mich beim nächsten Anruf über den Tisch ziehen." statt. "Ich möchte nichts!"
"Ich traue mich nicht, von Ihnen eine kostenloses Angebot für eine Heizung machen zu lassen, weil ich mein schlechtes Gewissen fürchte, wenn ich das Angebot nicht annehme und Sie umsonst gekommen sind." statt "Machen Sie mir ein kostenloses Angebot!"
Manche Dinge lassen sich nicht einfach direkt sagen, aber indirekt geht es leichter. Es ist wie mit den dicken Pillen. Schluckst du sie pur hinunter, könnten sie dir im Hals steckenbleiben. Legst du sie auf einen Löffel mit Joghurt rutscht es wie von selbst.
Überlege einmal, wie oft du am Tag indirekte Fragen stellst oder Wünsche äußerst und hoffst, der andere versteht dich. Direkte Fragen und Wünsche vermeidest du, damit du dir keine Abfuhr holst. Du sagst: "Kommt morgen nicht die Müllabfuhr?" statt: "Stell doch bitte den Müll raus!" "Ist noch Tee im Schrank?" statt: "Kochst du mir einen Tee?" "Bis zum Fußballplatz ist es ziemlich weit!" statt: "Könntest du mich dahinfahren?"
Niemand mag so gerne eine Zurückweisung im Nein. Oftmals hören wir im "Nein" zu einer ganz bestimmten einzelnen Frage gleich eine grundsätzliche Ablehnung. Indirektes Fragen verkompliziert leider das Leben ein wenig es sei denn, du machst das so geschickt wie mein Freund.

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Dienstag, 15. August 2023

Wenn wir keinen Feind in uns tragen, dann kann uns der Feind draußen nichts anhaben.

Wenn wir keinen Feind in uns tragen, dann kann uns der Feind draußen nichts anhaben. (aus Afrika)
Ein interessanter Gedanke und eine weise Erfahrung. Die Gedanken und Gefühle von Feindschaft entstehen in unseren Herzen.
Du bist gekränkt, weil dir jemand weh getan hat. Du bist enttäuscht, weil dich jemand übersehen hat. Deine Bedürfnisse wurden übersehen und nicht ernst genommen. Du sammelst im Inneren deines Herzens alle Enttäschungen, Kränkungen, die Wut und den Ärger an. Da entsteht eine brodelnde Masse, die Energie eines Vulkanes. Eine Zeitbombe, die irgendwann ausbricht.
Da begegnest du mit der Energie deines Grolles einen Menschen, der ähnlich ist wie du. Du schaust wie in in einen Spiegel und erkennst es doch nicht. Du siehst den Feind in deinem Spiegel und merkst nicht, dass du dich nur selber siehst in einer Art Verkleidung. Aber du bist es selbst. Ohne den Groll in deinem Herzen wäre dein Gegenüber ein harmloser Vorübergehender, der dir nichts getan hat.
Was ist daraus zu schließen? Geh den Weg nach innen und lerne deine Abgründe kennen, die Dämonen, die in dir wohnen, die Ärgergeister und Kränkungsgespenster. Da ist eine ganze Gemeinschaft versammelt, die gefüttert werden will. Begegne deinen inneren Feinden mit Wohlwollen und Verständnis und du erlebst das Wunder, dass die Feinde im Außen plötzlich nicht mehr da sind.
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Montag, 14. August 2023

Über die Kunst, eine Treppe anzuheben


Wir wohnen in einem Haus mit einer alten Holztreppe. Zwischen den Stufen gibt es Ritzen und es zieht vom Keller her in die ganze Wohnung. Im Laufe der Jahre hat sich die ganze Konstruktion wohl abgesenkt. Um ein paar Zentimeter.
Ich dachte immer, dass ich damit wohl leben muss. Mit den Ritzen und dem Knarren und dem Luftzug. Jetzt hat uns ein Handwerker gesagt, dass man eine Treppe anheben kann. So, dass sie wieder in ihre alte Position kommt. Die Vorstellung finde ich genial und zugleich will sie nicht in meinen Kopf.
Treppen sind starr und fest. Die kann man nicht bewegen. Die muss man abreißen und neu konstruieren. Einfach mal so anheben - das ganze Element? Wirklich verwegen! Mir kommen die Menschen in den Sinn, die mich aufsuchen mit ihrem dicken Paket von Problemen. "Da kann man nichts machen! Das ist ein unlösbares, dickes und fettes Problem." Sie wollen an einer Stelle etwas machen und stoßen auf Widerstand. Egal, was sie tun, es ist aussichtslos. Wo ist die Idee jenseits der üblichen Ideen und Vorstellungen. Wie komme ich an eine Lösung, an die mein Verstand nicht denken kann, weil er nur das Bekannte denkt? Dass ich eine ganze Treppe bewegen kann verblüfft mich. Ich weiß nicht, ob es einfach ist, aber man hat mir gesagt dass es möglich ist.
Wenn du mal ein Problem hast, das du nicht lösen kannst, dann könntest du daran denken, dass es an deinem Verstand liegt, der keine Lösung weiß. Er denkt nur in bekannte Bahnen. Er kann nicht das "ganz Andere" denken. Die Lösung liegt nicht auf der Ebene, auf der dein Verstand denkt und zu Hause ist. Manchmal hilft ein Anstoß von außen. Manchmal hilft es, einen Schritt zurückzutreten. Und manchmal hilft es auch, nicht das Problem zu lösen, sondern sich von dem Gedanken zu lösen, dass man ein Problem hätte.Vielleicht ist es leichter, einfach nur den problematischen Gedanken loszulassen.
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Samstag, 12. August 2023

Aufwachen. Kaffee. Job rocken.

Manchmal braucht es knackige Bilder. Wenn das leben sich zäh dahinzieht. Die Energie ist am Nullpunkt. Die Lust ist verschwunden. Und täglich grüßt das Murmeltier. Müdigkeit macht sich breit in den Knochen und das Gesamtbefinden wird langsamer und zäher.
Dann gibst du dir selber einen Ruck und wachst aus deiner Lethargie auf. Aufwachen. Kaffee. Job rocken. Drei Dinge gehen immer! Auffachen und der Sonne am Morgen zuwinken. Einen wunderbaren Kaffee trinken und sich beleben lassen und dann einfach anpacken. Drei knackige Bilder, drei Worte, drei Anweisungen. Was fehlt? Die Grübelgedanken, die normalerweise dazwischen liegen. Aufwachen. (Muss das sein? Ich bin noch so müde! Ich kann eigentlich noch gar nicht. Nur noch eine kleine Minute. Einmal noch den Wecker verlängern...? Kaffee. (Muss ich schon aufstehen und etwas machen? Kaffee bedeutet ja anschließend arbeiten. Ohne Kaffee keine Arbeit. Also besser keinen Kaffee trinken. Noch ein wenig verschlafen durch die Wohnung laufen dürfen.) Job rocken. (Oh Gott, diese dynamischen Weltverbesserer! Wie kann man am Morgen nur schon so drauf sein! Wo der Job so langweilig ist!)
Wenn die Sätze in den Klammern fehlen, bekommt der Tag Schwung. Aufwachen. Kaffee. Job rocken. Mehr gibt es nicht zu sagen!
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Freitag, 11. August 2023

Bist du verrückt?


 

Manchmal sage ich es so leicht dahin: „Ich werde verrückt!“ Mir fällt auf einmal meine PIN-Nummer nicht mehr ein und ich weiß nicht einmal mehr, wo ich sie hinterlegt habe. Ich habe sie so sicher versteckt, dass ich sie nach ein paar Monaten selbst nicht mehr finde. Auch die Banken sichern alles immer mehr hab. Manchmal habe ich die Befürchtung, ich könnte nie wieder an mein Konto gelangen. Da könnte ich verrückt werden!

Am Ende des Jahres bekomme ich eine Mail von meinem Arbeitgeber, dass ich die Arbeitssicherheitsprüfung wiederholen muss bis zu einem bestimmten Datum. Ab dann bekomme ich wöchentlich eine Erinnerungsmail, die nahezu bedrohlich wirkt. „Erfülle endlich deine Pflicht, sonst…!“ Ich spüre den Druck und könnte darüber fast verrückt werden.

Bei einem Kundenseminar für Führungskräfte erzählen die Beteiligten auf einmal von den Phasen, wo sie dem Burn-out nahe waren. Schlaflose Nächte, ständiges Grübeln, ausweglose Situationen am Arbeitsplatz. Fast zum verrückt werden.

Eine Frau erzählte mir, wie sie von ihrer Familie in die geschlossene Abteilung einer Psychiatrie gesteckt wurde. Sie wusste nicht warum. Sie war dagegen und fühlte sich vergewaltigt. Die Ärzte fand sie auch nicht gerade hilfreich, weil niemand sie aufklärte über die Gründe ihrer Einweisung. Alle hielten sie für zu verrückt. Nicht mehr bei Verstand. Dabei hatte sie den Zugang zu ihren Gedanken nicht verloren. Wenn sie vorher noch nicht verrückt war, dann war es ihr Bestreben, jetzt nicht noch verrückter zu werden.

Du wirst sicher auch Gründe haben, manchmal kurz vor dem Verrücktwerden zu stehen. Wie gut, wenn du dich noch immer hast. Wenn es in dir noch eine Instanz gibt, die sich klar anfühlt. Wenn du verrückt geworden bist, hast du die Regie über dein Leben erst einmal verloren.

Woran könntest du merken, dass du dich mehr und mehr verlässt und dich im Feld des Verrücktseins wiederfindest? Wie würde sich dein Denken verändern? Woran würden es deine Lieblingsmenschen merken? Was würdest du anders machen als normal?

Ich vermute, du bräuchtest dafür eine gute Portion Druck und eine immer mehr sich verstärkende Angst. „Ich könnte vor Angst verrückt werden.“ „Dieser Druck macht mich verrückt.“ Und die Angst, verrückt werden zu können steigert die Angst und den Druck. Verrückt werden ist dann zugleich eine Lösung. Du musst nicht mehr aufpassen und kontrollieren. Wenn du nicht mehr bei dir bist und dich verlassen hast, kannst du das Geschehene besser aushalten und ertragen.

Ich kenne niemanden, der gerne in der Psychiatrie landen möchte. Wer gefährdet ist, strengt sich an, das Leben selbst zu steuern, solange es geht. Wir Menschen mögen unsere Autonomie. Selbst ist der Mann und selbst ist die Frau. Die Stichworte dafür heißen: Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen, Selbstkontrolle.

Die Corona Krise beschäftigt uns seit zwei Jahren und jetzt kommt noch der Krieg in der Ukraine dazu. Vor ein paar Tagen bekam ich einen Anruf von einer Frau, die in Deutschland lebt, aber deren Eltern gerade im Bunker um ihr Leben bangen. Bislang konnte ich die Gefahren auf Abstand halten. Ich konnte mich schützen durch Masken und Hygieneregeln. Am Telefon im Kontakt mit der Frau fuhr mir der Schrecken in die Glieder. Es wurde richtig körperlich. Gedachte Angst fühlt sich anders an als körperliche Panik. Die Vorstellungen im Kopf der Frau führten dahin, dass sie kaum wusste, wohin mit ihrer Angst. Diese kluge Frau verlor fast den Verstand. Um nicht verrückt zu werden, musste ich mit ihr etwas finden, das sie erdete.

Ich war präsent, an ihrer Seite. Ich habe mit ausgehalten für einen Moment. Diese Ohnmacht und Ratlosigkeit. Die Panik und dann wieder um Atem ringen. Sie wollte konkret etwas machen. Hinreisen, die Eltern aus dem Bunker holen. Sie versorgen und sich kümmern. Aber all das ging nicht. Was konnte sie noch tun? Mit den Eltern im Kontakt bleiben. Ihnen Mut zusprechen und Hoffnung machen. Präsent sein und mit aushalten. Sprechen und die Verbindung fühlen.

Während des Gespräches hatte ich den Eindruck, dass es wirklich darum ging, etwas dafür zu tun, dass diese Frau nicht verrückt wird und ihre Handlungsfähigkeit zurückbekommt. Zugleich fühlte ich die Dankbarkeit, jetzt und im Augenblick hier sicher zu sein.

Was also hilft dabei, in diesen Zeiten nicht verrückt zu werden? Mir helfen vor allem die Menschen an meiner Seite. Alle sind meine Schwestern und Brüder. Meine Familie. Menschen, die sich freuen und leiden, so wie ich. Menschen, die mich mögen und die ich mag. Das Wissen, dass ich allein nicht existieren kann und muss und soziale Kontakte habe.

Was mir auch hilft ist das Wissen um meine Ressourcen und Fähigkeiten. Ich habe inzwischen schon viele Krisen überstanden und es wird auch dieses Mal so sein. Ich schließe meine Augen und verbinde mich mit mir selbst. Mit meinen Angstgefühlen, mit meinem Zorn, meinem Wunsch nach Liebe und mit meinen Fähigkeiten, für mehr den Frieden zu arbeiten.

So oft es geht, zünde ich jeden Tag um 18.00 Uhr ein Licht an und verbinde mich mit allen und allem, was ist. Es gibt einen Raum jenseits der Unterschiede und Polaritäten, wo eine tiefe Verbindung möglich ist. Dort gibt es keine Feinde und keine Verschwörungen. Dort gibt es Licht, Wahrheit, Liebe und Frieden. Nur für einen Augenblick. Das ist für mich heilsam und hilfreich, bei sich zu bleiben und den Verstand nicht zu verlieren.

Zugleich spüre ich die Brüchigkeit und Fragilität. Jetzt in diesem Augenblick bin ich klar, aber ich weiß nicht, wie es morgen sein wird. Der christliche Kalender beginnt die Fastenzeit mit dem Aschermittwoch. Die Erinnerung an die eigene Vergänglichkeit lässt sich gedanklich gut bewältigen. Ein wenig Asche aufs Haupt und mit der Sterblichkeit einverstanden sein. Was aber, wenn die konkrete Gefahr die eigene Sicherheitszone durchbricht. Wenn der Tod mir auf den Leib rückt. Wenn der Verstand zwar scheinbar einverstanden ist, aber der Körper die drohende Zerstörung wahrnimmt.

Darin liegt für mich der Unterschied. Der Verstand mag kluge Strategien gegen die Angst, aber dem Körper nützt das nicht so viel. Der Körper braucht Nähe, Trost, Fürsorge und die Präsenz eines anderen Menschen.

Ich vermute, wir werden als Menschen bis zum letzten Atemzug alles dafür tun, bei uns zu bleiben mit Körper, Geist und Seele. Wenn wir verrückt werden, hören wir auf zu existieren in unserer Persönlichkeit.

Und wenn es wirklich passiert, dass das Unvorstellbare geschieht? Wir würden so richtig verrückt werden? Immerhin wurde Jesus einmal auf einem Berg vor den Augen seiner Freunde „entrückt“. Darin liegt der Unterschied. Wer Angst hat, wird verrückt. Wer vertraut, wird entrückt. Vielleicht liegt darin ein interessanter Gedanke. Jesus hat sich völlig in Gott verankert und die Angst hatte bei ihm keine Chance. Darum konnte er auch seinen Körper verlassen und verlor dennoch nicht sein „Selbst“. Wenn wir vor Angst vergehen, dann vergeht der Teil, der sowieso im Tod vergehen wird. So ist das auf dieser Erde. Aber es gibt einen Teil in mir, der nicht vergeht. Der Teil, der mich zu dem macht, der ich eigentlich bin. Mein Höheres Selbst. Der göttliche Anteil. Der Bereich, der nicht zu Raum und Zeit gehört.

Ich möchte dich damit nicht einladen zu einer „Egal-Haltung“. Und ich bin auch nicht so spirituell erleuchtet, dass die Angst mir nichts anhaben könnte. Das merke ich in diesen Tagen besonders deutlich, dass diese Angst tief im Körper vorhanden ist und wirkt. Aber ich möchte die Herausforderung annehmen, beide Dimensionen zu leben. Die menschliche Präsenz in meinem Körper und die Zugehörigkeit zu einem höheren Bewusstsein. Es mag dann alles geben: Etwas Verrücktes, etwas Entrücktes, etwas Vertrautes und etwas Fremdes.

Mir kommt das Bild von einem Diamanten, der noch nicht sichtbar ist in all seinen Facetten. Dazu braucht es einen Schliff. Der Schliff selbst ist unangenehm und schmerzhaft. Ich kann mich nicht einmal verweigern, weil das Leben genau das bietet. Ich kann aber vertrauen, dass etwas dabei herauskommt, das ich mag und zu dem ich Ja sagen kann.

Und vielleicht ist ein wenig Verrücktheit im Alltag auch nicht schlecht. Sich außerhalb der Ordnung stellen und das Leben nicht so wichtig zu nehmen. Die Position des Clowns einzunehmen. Jenseits der Feuerzone und aus der Perspektive des Clowns heraus sind die „Normalos“ vielleicht die eigentlich Verrückten. Verrückt, weil du das Leben so mit aller Macht verteidigst, obwohl das dumm ist. Der Clown Johannes Galli schreibt in seinem Buch über Clowns: „Für den Clown markiert das Scheitern nicht das Ende des Spiels, sondern den Anfang eines neuen. Im Moment seiner tiefen Niederlage entdeckt er eine neue Möglichkeit zu einer noch tieferen Niederlage.“

Ich wünsche dir und mir die Fähigkeit, ein wenig mehr Heiterkeit und Leichtigkeit wahrzunehmen jenseits der Angst, verrückt zu werden.

 

Donnerstag, 10. August 2023

Flausen im Kopf


 

Vor ein paar Tagen ploppte plötzlich der Satz in meinem Verstand auf: „Flausen im Kopf“. Es gab keinen erkennbaren Grund für mich. Aber die Flausen haben sich festgesetzt und ich dachte mir, wenn so etwas auftaucht, dann wird da wohl was dran wichtig sein. Vielleicht hast du auch mal Lust auf Flausen im Kopf.

Manchmal komme ich in meinen Beratungen auf dem „vernünftigen“ Weg nicht weiter. Die meisten Menschen, die zu mir kommen, sind mindestens ebenso klug wie ich und haben ihr Problem schon von vielen Seiten her beleuchtet. In der Beratung kann sich schnell ein Zustand von Schwere und Lähmung ausbreiten. Das mag ich überhaupt nicht. Fatal auch für den berechtigten Wunsch, endlich eine Lösung für das Problem zu finden. Damit das gar nicht erst passiert kommt bei mir oft ein Gedanke wie: „Das ist es nicht. Und das geht auch nicht. Fühlt sich an wie eine Sackgasse. Da zeigt sich also etwas, wo ich mit meiner Vernunft nicht drankomme.“

Ohne, dass ich den Ausspruch benenne, spüre ich die Auswirkung des Gedankens: „Flausen im Kopf!“ Wenn ich Flausen im Kopf hätte, wie sähe dann das Problem aus und welche Lösungen würden sich dann auftun? Mir kommt Hans im Glück in den Sinn, der den Lohn von sieben Jahren Arbeit so oft tauscht, dass er am Ende mit leeren Händen dasteht und glücklich ist. Ich möchte gerne mit dir schauen, ob es sich lohnt, diesem Gedanken zu folgen und mögliche verborgene Schätze zu heben. 

Beim Googeln finde ich erste Sprüche: „Flausen im Kopf ist der perfekte Airbag für die Seele.“ Oder: „Die besten Menschen sind die, mit den Flausen im Kopf, dem Arsch in der Hose und dem Herz am richtigen Ort.“ Und: „Egal wie voll dein Kopf ist, Flausen haben immer Platz.“

Ein Krankenhaus verkauft ein Bild mit dem Titel: „Flausen im Kopf“ – Zu sehen ist ein Frauenkopf mit einer Art Hut oder vergrößertem Gehirn gestaltet aus zerschnittenen und bedruckten Papierschnipseln.

Ein Weinhaus bietet sogar einen Perlwein an mit dem Namen „Flausen im Kopf“. Auch eine Möglichkeit. Wenn ich Sekt trinke, wird das Leben leichter und beschwingter.

Was kommt dir in den Sinn, wenn du diesen Spruch hörst? Hast du selbst manchmal Flausen im Kopf? Wie sehen sie aus und wo sitzen sie? Wenn sie kommen, unterdrückst du sie oder gibst du ihnen Raum? Gibt es im Anschluss Auswirkungen in deinem Handeln? Oder nutzt du es vielleicht als Ventil?

In der Begegnung mit Kindern höre ich manchmal Mütter, wenn sie sagen: „Mein Kind ist schon so vernünftig.“ Oder: „Mein Kind hat immer Flausen im Kopf.“ Ich nehme Kinder wahr, die brav bei ihren Eltern bleiben, nicht quengeln, so essen, dass die Kleidung sauber bleibt und einfach unauffällig sind. Dann sehe ich Kinder, die fremde Leute ansprechen, auf dem Gehsteig turnen und einfach Sachen anstellen. Erwachsene würden so etwas nicht machen oder sich dafür schämen. Eltern sorgen also dafür, dass die Flausen aus dem Kopf verschwinden und dass die Kinder sich so verhalten, dass sie sich gut in die Erwachsenenwelt einfügen. Flausen im Kopf sind hinderlich.

Schade, denn manchmal braucht es Flausen im Kopf, um den Weg aus einer Sackgasse zu finden. Ein Beispiel dafür? Ich war in jüngeren Jahren in meinem ersten Beruf zum Essen geladen bei einer Baronin. Sie mochte es, hin und wieder Menschen an ihrem Tisch zusammenzuführen, für sie zu kochen und einen unterhaltsamen Abend zu haben mit interessanten Gesprächen. In ihrer Villa gab es eine Art barockes Speisezimmer mit einem großen ovalen Tisch. Die Gäste untereinander kannten sich nicht. Darin lag der Reiz des Abends. Aber die Baronin hatte mit allen schon einmal Kontakt. Es saßen lauter sich fremde Menschen an einem unbekannten Ort an einem festlich gedeckten Tisch mit gestärkter weißer Tischdecke. Ich sah auf ein Arsenal von Besteck und hoffte, mich einigermaßen anständig benehmen zu können. Die Baronin begrüßte uns freundlich und nahm dann einen ihrer Löffel in die Hand. Sie tauchte den Löffel in die Salatsauce und klatschte die Sauce demonstrativ auf die wunderbar weiße Decke mit den Worten: „So, jetzt müssen wir alle nicht mehr aufpassen!“ Dabei sah ich den Schalk in ihren Augen und die Freude über unsere überraschten Gesichter. Der Saucenfleck auf dem Tisch zerstörte alle Steifheit und Ordnung. Die Baronin wollte einen heiteren und entspannten Abend und auf diese unkonventionelle Art sorgte sie dafür im Bruchteil eines Augenblickes. Sie hatte es mit und trotz ihrer adeligen Herkunft geschafft, sich die Flausen im Kopf zu bewahren.

Ein weiteres Erlebnis? Zu Beginn meiner Beratertätigkeit kam ein Ehepaar zu mir, das sich ständig darum stritt, wer denn recht hatte. Beide waren Weltmeister in der Rechthaberei. Leider führte es dazu, dass sie keine Nähe mehr zueinander hatten. Sie hatten schon alles ausprobiert hatten aber keine Lösung gefunden. Meine Intervention war, etwas Ordnung zu schaffen in der Rechthaberei. Montag und Mittwoch hat die Ehefrau recht, Dienstag und Donnerstag der Ehemann, Freitag und Samstag beide recht und Sonntag machen sie eine Pause. Sollte es vor allem am Sonntag trotzdem zum Streit kommen, ist es in Ordnung, aber mit einer Regel. Nur im Schlafzimmer und einem Seil, an dem beide während des Streites ziehen müssen, damit sie besser spüren können, wann es genug ist. Nach fünf Minuten dürfen sie nur noch weiterstreiten, wenn sie dabei auf einem Bein stehen. Ich fand meine Idee waghalsig, aber so ähnliche Dinge zu tun habe ich halt in meiner systemischen Weiterbildung gelernt. Als ich diesen Vorschlag aussprach, hatte ich starke Herzklopfen: „Das ist doch bescheuert, was du da sagst. Die halten dich für komplett durchgedreht. So kommt man doch nicht aus der Nummer heraus.“

Als das Paar wiederkam erzählten sie mir, dass sie nichts von dem umsetzen wollten, was ich vorgeschlagen hatte. Aber jedes Mal, wenn es wieder ums recht haben ging, tauchte ein Wochentag auf oder das Bild vom Seil im Schlafzimmer und sorgte für eine Musterunterbrechung.

Mit Flausen im Kopf gehen manche Dinge einfach besser. Ich sitze gerade im Zug nach Bonn im Ruhebereich des ICE seit ungefähr einer halben Stunde. Mit mir ist eine Gruppe von vier Frauen eingestiegen. Im Ruhebereich beginnen sie ein heiteres und lautes Gespräch. Ich habe den Ruhebereich gewählt, um diesen Newsletter zu schreiben. Ich spüre den Ärger und zugleich die Angst, diesen Frauen zu sagen, dass das hier der Ruhbereich ist. Wie kann ich mit Flausen im Kopf jetzt in die Handlung kommen? Ich bin aufgestanden, zu den Frauen hingegangen und habe sie angesprochen: „Entschuldigung, wenn ich Sie anspreche, obwohl das hier der Ruhebereich ist. Ich finde Sie ganz schön mutig. Überall steht hier in vielen Sprachen Ruhebereich, Stille, Silentio und sie trauen sich, das einfach zu ignorieren. Ich würde mich aber freuen, wenn Sie diese Übung beenden könnten.“ Die Frauen schauten mich erst sprachlos an und dann meinte eine: „Oh, wir sind gerade erst eingestiegen und haben uns noch gar nicht orientiert. Die Schilder haben wir noch gar nicht gelesen.“ Ich antwortete: „Ach, dann haben Sie vielleicht das falsche Abteil gebucht. Sie wollten nette Gespräche führen und haben sich irrtümlich in das Ruheabteil eingebucht. Dann müssen Sie jetzt das Beste draus machen.“

Nach ein paar Minuten sind sie aufgestanden und haben sich geselligere Plätze gesucht. Ohne meine Flausen im Kopf hätte ich es vermutlich in Stille ertragen und meine Angst nicht überwunden.

Letztlich sorgen die Flausen im Kopf für Kreativität, Fantasie und für unmögliche Möglichkeiten jenseits der Möglichkeiten. „Flausen im Kopf“ als Ausdruck sind eigentlich die Bewertungen der Erwachsenen für kindliches Verhalten, das nicht in Ordnung ist. Welche Eltern sagen schon über ihre Kinder: „Schau mal, wie kreativ meine Tochter ist. Großartig, wie unkonventionell mein Sohn für sich sorgen kann, wenn es in der Erwachsenenwelt langweilig wird.“

Wenn es ein Pendel gäbe mit zwei Polen und ein Pol hieße Vernunft, wie hieße dann das andere Ende? „Flausen im Kopf?“ Es hieße eher Impulsivität oder Lebendigkeit. Der eine Pol arbeitet mit dem Verstand, der andere mit dem Bauchraum. Wenn jedoch die Impulsivität einen Negativstempel bekommt, hat sie es schwer und bekommt nicht genug Raum. Dann nehme ich mir einfach viele Lebensmöglichkeiten.

Wie sähe das Leben mit einem einseitigen Vernunftpol aus? Ständig grübeln, Gedanken hin und her wälzen. Wenn ich eine kluge Lösung finde, prima, aber wenn ich keine Lösungen finde und die Schwere mehr und mehr zunimmt? Wenn es immer körperlicher wird und mein ganzes Dasein blockiert und lähmt? Wenn also das Gehirn aufgeladen durch Sorgen ständig an Gewicht zunimmt? Dann braucht es etwas jenseits der Gedanken. Mit der Vernunft komme ich manchmal nicht weiter.

Wenn ich Flausen oder Flusen im Kopf habe, kann es leicht werden. Ich kann sie wegpusten. Sie haben kaum Gewicht, keinen Bestand. Die Flausen im Kopf geben mir den Hinweis, dass ich das Leben zu schwer nehme aufgrund meiner schweren Gedanken. Dabei sind die Gedanken selbst nicht schwer, sondern die Auswirkungen. Wenn ich das jetzt so mache, werde ich ausgeschlossen! Ich muss mich schämen! Ich bin nicht richtig! Das hat heftige Konsequenzen, mit denen ich nicht leben kann. Ich lande also in einem Bereich von lähmenden Gefühlen wie Angst, Schuld, Scham und Ärger. Die Flausen im Kopf helfen mir dabei, wieder in den kraftvollen Bereich zu kommen. Mutig die Angst und Scham zu überwinden und einfach was zu machen, was mich aus der Lähmung führt. Flausen im Kopf sorgen also für eine Musterunterbrechung, für eine Ablenkung und für den Anfang eines Aussteigens aus dem Grübeln.

Und wenn ich bei der Impulsivität bleibe und der Fantasie, dann gibt es auf einmal ein Kribbeln im Bauch. Die pure Freude, das Leben zu genießen und ein kleines Abenteuer zu wagen. Sich nicht zu scheren um das, was andere denken, wenn ich etwas Schambehaftetes mache. Ganz bei mir zu bleiben in einer tiefen Selbstverbundenheit und in dem Bewusstsein, ein Gotteskind zu sein.

In diesem Sinne käme es also darauf an, nicht die Flausen auszutreiben, sondern deren Qualität weiterzuentwickeln. Flausen, die zum Wohle aller sind. Flausen, die in die Freude führen. Flausen, die die Gemeinschaft stärken. Flausen, die ins Lachen führen. Flausen, die im Gehirn auf und ab schweben, wenn es im Bauch vor Freude bebt.

Ich lade dich ein, hin und wieder innezuhalten, wenn es im Kopf anstrengend wird und dich zu fragen: Was würdest du jetzt tun, wenn du Flausen im Kopf hättest? Wie würdest du dich fühlen, wenn du Flausen im Kopf hättest? Was würdest du dann sagen und wie würdest du dann auf andere Menschen wirken? Mögen die Flausen dein Leben bereichern.

 


Mittwoch, 9. August 2023

Die demokratische Art zu gehen!

Aus Südafrika kommt folgender Vers:
Gehe ich vor dir, dann weiß ich nicht, ob ich dich auf den richtigen Weg bringe.
Gehst du vor mir, dann weiß ich nicht, ob du mich auf den richtigen Weg bringst.
Gehe ich neben dir, werden wir gemeinsam den richtigen Weg finden.


"Können Sie mir sagen, wo ich hin will?" fragte Karl Valentin in einem Sketch. Manchmal suchen wir im Leben einen "Meister", der uns sagt, wohin es geht. Für eine Zeit mag das auch gehen, wenn wir innerlich sehr unsicher sind. Aber du wirst dir nie sicher sein, ob der "Meister" wirklich den Weg kennt. Vielleicht führt er dich ungewollt oder unbewusst in die Irre. Der indische Philosoph und Gelehrte Krishnamurti pflegte in seinen Vorträgen immer zu sagen: "Glauben Sie nicht, was ich sage. Überprüfen Sie es selbst!"
Wenn du vorangehst und die Rolle des Meisters übernimmst, dann sei vorsichtig. Auf einmal vertrauen sich dir Menschen an und geben ihre Verantwortung bei dir ab. "Du weißt das doch besser als ich! Du bist doch so erfahren!" Das mag zwar schmeicheln, so auf den Podest gehoben zu werden. Aber weißt du wirklich, wohin der Weg geht für einen anderen Menschen? Weißt du um deinen eigenen Weg?
Nebeneinander zu gehen gefällt mir. Auf gleicher Augenhöhe. Mit der eigenen Weisheit und der Weisheit deines neben dir Gehenden. Das fühlt sich eigenverantwortlich und selbstbestimmt an. Als Kind bist du an die Hand deiner Mutter oder deines Vaters gegangen. Er oder sie vorweg und du mit kleinen Schritten ein wenig hinterher.
So bist du ins Leben gekommen. Daran hast du dich gewöhnt. Es ist nicht immer leicht, in die erwachsene Art des Gehens zu wechseln. "Ich bin so erschöpft!" "Das ist so anstrengend!" Vielleicht gibt es da noch eine weitere Lektion zu lernen. Geh in das erwachsene und selbstbestimmte Nebeneinander, und gehe zugleich in die Leichtigkeit wie ein Kind.
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