Virginia Satir war eine wichtige systemische Familientherapeutin und
lebte von 1916 - 1988. Sie hat wertvolle Impulse gesetzt für familäre
Strukturen und sehr wertschätzend und ressourcenorientiert gedacht und
gehandelt. Sehr bekannt geworden sind ihre "fünf Freiheiten", die ich
gerne nach und nach erschließen möchte.
Die erste Freiheit:
Die Freiheit zu sehen und zu hören was im Moment
wirklich da ist, anstatt was sein sollte, gewesen ist oder erst sein
wird.
Mein Mann sollte mir besser zuhören können. Dann wäre das Leben viel
schöner. Mein Kind sollte mehr aufräumen, dann wäre ich viel entspannter. Mein
Arbeitgeber sollte sehen, was ich alles leiste, dann würde ich viel lieber
arbeiten.
Oder: Früher war doch alles besser. Die Bahn war pünktlicher. Die Brötchen
schmeckten frischer und waren günstiger. Die Milch kam noch von der Kuh. Ich
war körperlich fit. Die Welt war einfach schöner. Die Leute hatten alle mehr
Zeit.
Oder: Wenn ich in Rente gehe, dann werde ich mehr Zeit haben. Wenn meine
Kinder groß sind, dann werde ich endlich tun können was ich immer schon tun
wollte.
Du denkst oft mit den Worten: "sollte" du gehst in die "gute
Vergangenheit" oder phantasierst dich in eine "bessere" Zukunft.
Du machst das schon automatisch, ständig oder mehrmals am Tag. Du verlässt die
Gegenwart und den Augenblick und merkst nicht, wie unfrei du dadurch wirst. Du
wirst wie ein Sklave, der sich die Freiheit wünscht: Wenn ich erst einmal diese
Fesseln los werde, dann wird alles anders! Pustekuchen!
Virginia Satir lädt dich ein zu einem ganz bestimmten Aspekt der Freiheit.
Du entscheidest dich für das "sollte" "die tolle
Vergangenheit", die "bessere Zukunft". Du trägst die
Verantwortung dafür, wohin deine Phantasie, Sichtweise, dein Ohr und deine
Gedanken gehen.
Und du hast die Freiheit, dich jetzt neu zu entscheiden! Du kannst dich
dafür entscheiden und hast die Freiheit das zu sehen und zu hören, was im
Moment wirklich da ist. Du musst dir nichts vormachen. Du brauchst nichts
beschönigen. Du musst dir die Zukunft nicht toll vordenken. Bekommt das, was
ist, jetzt von dir die Erlaubnis da zu sein?
Mein Mann kann nicht zuhören. Das ist so. Aber ich kann ihn immer wieder
darauf hinweisen, dass er das jetzt in diesem Augenblick tun kann. Mein Kind
ist kein Aufräumer. Das ist einfach so. Und mein Kind ist trotzdem in Ordnung.
Die Welt wird nicht untergehen, wenn es nicht aufräumt und es bleibt mein Kind.
Mein Arbeitgeber ist blind für die Leistungen der Angestellten. Das ist einfach
so! Aber ich kann für mich würdigen, was ich leiste. Und ich leiste was! Und
das fühlt sich stark an! Egal, ob es der Chef sieht oder nicht.
Ich warte nicht bis zur Rente, damit ich mehr Zeit habe. Jetzt in diesem
Augenblick nehme ich mir die Zeit. Es ist meine Zeit, meine Lebenszeit. Heute
schmecken mir die Brötchen und außerdem bin ich ein toller Bäcker. Und heute
noch werde ich tun, was ich immer schon gerne tun wollte.
Spürst du wie es ist, wenn du ein Gespür für deine Freiheit wieder findest
und entwickelst? Wenn du unerfüllten Sehnsüchten hinterherträumst kann es dich
viel Kraft und Energie kosten und irgendwann bist du weg! Du bist nicht mehr
da. Gedankenverloren schlürfst du deinen Kaffee und weißt gar nicht, was du
getrunken hast. Was kannst du jetzt in diesem Moment hören und sehen?
Die zweite Freiheit:
Die Freiheit das auszusprechen, was ich wirklich
fühle und denke, und nicht das, was von mir erwartet wird.
Was wird von dir erwartet? Von einer Mutter wird erwartet dass sie empört
ist, wenn das eigene Kind ungerecht behandelt wird. Von einem Kind wird
erwartet, dass es auf seine Eltern hört.
Was wird von dir in einer Beziehung erwartet? "Wenn du mich wirklich
liebst, dann wüsstest du jetzt wie es mir geht!" "Wenn ich wirklich
wichtig für dich wäre, dann würdest du dich heute nicht mit deinen Freunden
treffen sondern bei mir bleiben!"
Ich kenne solche Merkwürdigkeiten zur Genüge aus meiner Kindheit. Häufig
hatte ich so Fragen und