Du kannst es nicht leugnen. Du bist da auf dieser Welt. Du kannst es befühlen und du kannst dich im Spiegel anschauen. Du existierst! Und du bist dir dessen bewusst. Doch wie bist du dir deiner selbst bewusst?
Du warst
einmal ein wunderbar süßes kleines Baby. Deine Mutter und dein Vater haben dich
angestrahlt und ihr Herz für dich geöffnet. Und wenn der Vater fehlte und die
Mutter nicht so herzlich war, dann gab es einen anderen Menschen. Am Anfang
stand ein großes Willkommen über deinem Leben. Du hast als ein äußerst
liebenswertes Wesen das Licht der Welt erblickt. Niemand hat etwas von dir
erwartet. Du musstest nichts dafür leisten und du konntest es nicht bezahlen.
„Sei bitte freundlich zu mir Mama, dann bekommst du einen Euro von mir.“ Allein
eine solche Vorstellung wäre völlig absurd. Ohne dein Zutun wurdest du geliebt.
Irgendwann
gab es den Augenblick, wo du nicht mehr ganz so hilflos warst. Du konntest
etwas. Greifen, dich umdrehen, krabbeln, lächeln. Deine Eltern sahen, dass du
dich entwickelst und freuten sich mit dir. Und sie freuten sich, dass sie nicht
mehr alles für dich tun mussten. Dass wieder etwas Energie und Zeit für sie
selber blieb. Nur ein paar Minuten zwar, aber immerhin. Etwas später, als du
sprechen konntest, und deine Eltern etwas für dich tun wollten, hast du so
einen Wiederstand entwickelt. Mit allem Zorn hast du deutlich gemacht: „Alleine!“
Ah, du wolltest es alleine machen. Ohne fremde Hilfe! Da wurde in dir das
Bedürfnis nach Freiheit und Autonomie wach. Die befriedigende Erfahrung, nicht
abhängig zu sein. Nicht warten zu müssen. Nicht mehr diese entwürdigende und
hilflose Erfahrung machen zu müssen, auf jemanden angewiesen zu sein.
Und deine
Eltern? Sie erlebten vielleicht so eine ambivalente Mischung von Stolz und
Furcht. „Ich werde nicht mehr gebraucht? Ich bin überflüssig? Ich werde
zurückgestoßen?“ Die erste echte Kränkung deiner Eltern. Und diese Geschichte
wird sich fortsetzen. „Kind, können wir etwas für dich tun?“ „Nein, vielen
Dank, das schaffe ich selbst.“ Auch deine Reaktion war ambivalent. „Darf ich
das alleine? Kränke ich nicht jetzt meine Eltern?“ Und schon sehr früh in der
Interaktion zwischen dir und deinen Eltern taucht irgendwann der Gedanke auf,
dass du nicht in Ordnung bist. Du kannst immer noch nicht laufen, nicht richtig
sprechen, haust andere Kinder, quengelst, willst Sachen, die aus der Sicht des
Erwachsenen völlig daneben sind, und, und, und...
Diese
Erfahrungen kannst du sammeln und zu einem erschreckenden Ergebnis kommen. Du
bist überhaupt nicht in Ordnung. Du bist ein Monster! Du machst viel falsch und
nur wenig richtig und du nimmst es sehr persönlich. Du kommst zu dem Ergebnis,
nicht, dass du etwas falsch machst, sondern dass du völlig falsch bist.
Du wirst
älter und älter und vergisst den Anfang deiner Lebensgeschichte: Dass du ein
äußerst liebenswerter Mensch bist. Du triffst andere Menschen und wirst
vorsichtig. Werden sie dich mögen? Wenn ja, unter welchen Bedingungen und
Voraussetzungen? Wird sich das Drama im Elternhaus fortsetzen? Der Kampf um
Anerkennung und Liebe?
Bitte
keinen Vorwurf an deine Eltern! Sie sind wie sie sind und sie tragen nur einen
kleinen Teil zu deiner Misere bei. Selbst, wenn sie dir alle ihre Liebe
schenken, wirst du dahin kommen, wo alle Menschen heute sind. Im Zweifel,
wirklich liebenswert zu sein. Einfacher ist es natürlich, wenn du einen
Schuldigen findest. Weil meine Mutter mich nicht genug gestreichelt hat, bin
ich jetzt so kühl. Weil mein Vater mir
nichts zugetraut hat, habe ich jetzt kein Selbstvertrauen. Ich kenne solche
Schuldzuweisungen und sie stimmen auch. Aber es nutzt dir nichts. Du bist jetzt
auf dieser Welt und darfst mit dem Erbe deiner Eltern leben. Ich kenne keinen
Menschen, bei dem nicht ab und zu die Frage auftaucht, ob er liebenswert genug
ist. Vielleicht war Jesus davon befreit oder der Dalai Lama. Aber sicher bin
ich mir da nicht.
Fühlst du
dich als ohnmächtiges Produkt deiner Lebensgeschichte? Nicht genug geliebt und
unfähig zu lieben? Du bist äußerst liebenswert, weißt du das? Du bist so was
von wunderbar und es ist toll, dass du mit mir auf dieser Welt bist. Ich meine
das so und ich fühle das mit allen Fasern meines Körpers. Selbst, wenn ich dich
gar nicht persönlich kenne. Ich schließe meine Augen und stelle mir vor, dass
du da bist. Mein Herz geht auf und ich spüre die Liebe zu dir. Wow, welch ein
wunderbares Wesen du bist!
Jetzt
könnte ich von dir schwärmen und viele Worte für meine Freude finden. Aber was
ist, wenn du mir nicht glaubst? Wenn du mich abweist. Wenn meine Worte dein
Herz nicht erreichen können.
Viel
entscheidender wäre es, wenn du selbst auf diese Idee kämest. Wenn du die Augen
schließt und in dein Herz gehst und anfängst, über dich zu staunen. Wenn du
sagen könntest: „Ja, ich bin total liebenswert! Wie wunderbar, dass ich da bin.
Und dass ich da bin, genauso wie ich da bin!“ Dass du das zu dir selber sagst.
Du könntest gedanklich zurückgehen zu deiner Geburt und noch weiter zurück zu
deinem Dasein in der Höhle deiner Mutter, noch weiter zurückgehen zu dem
Zeitpunkt, wo du gezeugt wurdest und noch weiter zurück, wo die Bausteine von Same
und Zelle entstanden und noch weiter zurück zum Ursprung deines Bewusstseins.
So weit zurück, bis du dich deiner göttlichen Quelle erinnerst und sie wieder
verinnerlichst. Werde dir deines göttlichen Ursprunges bewusst. Trage es wie
ein Siegel auf deinem Herzen. „Ich bin äußerst liebenswert.“
Dieses
Bewusstsein will gepflegt werden, weil die Gefahr besteht, dass du es schnell
wieder verlierst. Da nimmt dir jemand die Vorfahrt. Da übersieht dich jemand
bei einer Begrüßung. Da bricht jemand den Kontakt zu dir ab. Mehrmals am Tag
kannst du die Erfahrung machen, die dich abrutschen lässt in eine tiefe
Verlorenheit. Erinnerst du dich daran? „Du bist äußerst liebenswert!“ Mach doch
mal die Übung und zähle auf, was genau du an dir liebenswert findest. Insgesamt
bist du liebenswert. Ja? Aber du kannst auch ins Detail gehen. Du bist ja eine
Komposition aus vielen Elementen, ein buntes Mosaik von Liebenswertigkeit.
Niemand kennt diese Zusammensetzung so wie du.
Ist dir
schon einmal aufgefallen, dass Menschen von außen dich ganz anders wahrnehmen
als du dich selbst. Ich bin manchmal total erstaunt, was Menschen an mir
liebenswert finden. So genau habe ich für mich noch gar nicht hingeschaut. Ich
schaue, was andere Menschen als liebenswerte Wesen ausmacht und kann das
schnell herausfinden. Warum gelingt mir das nicht mit mir selbst?
Fühlt sich
das dann sofort an wie Eigenlob? Eigenlob stinkt? Bin ich ein Narzisst, wenn
ich so denke und verführe ich dich zu einer sehr unchristlichen Haltung? Im
Laufe des Lebens haben wir ja das Bewusstsein dafür verloren, wie kostbar und
wertvoll wir sind. Wir haben uns daran gewöhnt, wie mangelhafte Wesen
herumzulaufen. Ständig bewertet und kritisiert. Wir sind unser größter Feind
und Kritiker. Wir erkennen unsere Fehler und Schwächen und schämen uns dafür
und sind damit beschäftigt, sie zu vermeiden, unsichtbar zu machen,
auszumerzen. Immer mit der Absicht, dadurch liebenswerter zu sein. Dabei wächst
der Schmerz, weil es uns eigentlich gar nicht gelingt. Jedes Scheitern
bestätigt unser chronisches Versagen.
Wie würde
sich dein Leben anfühlen, wenn du diesen ablehnenden Teil deines Lebens einmal
ruhen lassen würdest. Und stattdessen dich so anschaust, wie andere liebevolle
Menschen dich anschauen. Sieh dich an mit dem Blick deiner Eltern und wenn du
gläubig bist mit dem Blick Gottes. Erinnerst du dich daran? Du bist äußerst
liebenswert! Ich erinnere dich und mich ständig daran. Sobald ich dich frage,
was dich in deiner Kindheit traumatisiert, dich eingeschränkt oder gekränkt
hat, werden die entsprechenden Bilder, Gefühle und Bewertungen wach. Schon hast
du wieder vergessen, dass du äußerst liebenswert bist. Kränkungsbilder sind
unglaublich mächtig. Du glaubst ihnen lieber als der anderen Wirklichkeit. Das
geht sehr schnell: „Ach, ich bin ja doch nicht liebenswert. Ich habe es immer
schon gewusst. Mein Gefühl täuscht mich nicht.“ Du musst um diese
Wirkmechanismen wissen. Die Wirkmächtigkeit deiner lebenslangen Glaubenssätze.
Als kluger
Mensch wirst du vielleicht denken, dass es stimmt, dass du äußerst liebenswert
bist. Aber dieser Gedanke ist oft nicht stark genug. Da sagt dir ein Mensch:
„Du hast mich total enttäuscht!“ Und schon fällt deine Selbstliebe wie ein
Kartenhaus zusammen. Kannst du dir vorstellen, dass die Vorstellung, dass du äußerst
liebenswert bist, zu einem neuen Leitwert in deinem Leben wird. Du kannst dich
dafür entscheiden. Du gibst immer wieder dein Ja dort hinein. Wenn dieser
Mensch dir sagt, wie sehr er enttäuscht ist, wirst du vielleicht für einen
kurzen Moment diese Trauer oder den Ärger spüren und zugleich den Lichtschalter
anmachen: „Auch wenn ich jetzt diesen Kloß im Hals habe, bin ich total
liebenswert.“ Du trainierst es und die „böse Welt“ und die „ablehnenden
Menschen“ werden zu deinen effektivsten Sparringspartnern. Übe an deinen
„Feinden“, dass du ein äußerst liebenswerter Mensch bist. Jetzt schließ die
Augen und lass in dir das Bild entstehen wie du selber als Baby in der Wiege
lagst. Was für ein liebenswertes Wesen!
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