Du lebst in
einer Welt in der alles voneinander getrennt ist. Zumindest kann ein solcher
Eindruck entstehen. Du trennst Arbeit von Freizeit und hast für jeden Bereich
unterschiedliche Ansprüche. Du möchtest in deiner Freizeit nicht gestört werden
und in deiner Arbeit achtet dein Arbeitgeber darauf, dass du nichts Privates
machst. Kinder werden von Erwachsenen getrennt. Die Welt von Kita und Schule für
die Kinder, die Arbeitswelt für die Erwachsenen. Wir trennen die Grundstücke
und errichten Grenzen. Hier wohne ich und dort wohnst du.
Deine
Freundin macht dir einen Vorwurf, dass du ihr nicht zuhörst und du fühlst dich
abgetrennt. Manche trennen sich von ihren Gefühlen und bleiben lieber im Kopf.
Mit dem Kopf kannst du planen und kontrollieren. Deine Gefühle machen, was sie
wollen. Sogar in deinem Verstand gibt es Trennung. Ein Teil von dir möchte sich
ausruhen und ein anderer Teil möchte etwas erleben. Wieder ein anderer Teil
möchte anerkannt werden und fühlt sich dennoch verurteilt.
Neben dir
im Zug sitzt ein Mensch aus einem fremden Kulturkreis und du findest nichts,
was dich mit ihm verbindet. Du kannst eine Brille aufsetzen mit der du alles
was du siehst, trennst. Sogar bei einer Tasse mit Blumenmuster siehst du die
Farben und Formen und denkst, dass rot ganz anders wirkt als blau. Beim
Betrachten von blau bekommst du andere Gefühle als beim Betrachten von Rot. Die
Tasse gefällt dir nicht und schon bist du von der Tasse getrennt. Außerdem
besteht ihr Material aus Steingut und du bist aus Fleisch und Blut.
Du sitzt
mit anderen Menschen zusammen und denkst, wie verschieden sie von dir sind.
Deinen Nachbarn findest du zu leise, den nächsten zu laut, wieder jemand ist
vom anderen Geschlecht, das du sowieso nie richtig verstehst. Einer hat die
Macht und andere sind ohnmächtig.
Wenn du die
Brille der Trennung aufsetzt kannst du dich in Trennungsgedanken
hineinsteigern. Der Abstand zwischen dir und den Anderen wird immer größer und
größer und plötzlich fühlst du dich allein. Du bist wie unter einer Glasglocke
und du hast mit allem, was du siehst, nichts mehr zu tun. Wenn du es aushältst
gibt es nichts zu tun. Es ist ja ein Teil der Wirklichkeit. Oder? Da bist du
und da ist das Fremde gegenüber und du bist nicht das Fremde und das Fremde ist
nicht du. Wahrscheinlich kannst du dich nicht mehr daran erinnern, wie du als
Baby geschrien hast und niemand gekommen ist. Du warst allein mit deinem
Bedürfnis und mit deinem Schmerz. Dabei lebte in dir noch die glasklare
Gewissheit, dass du tief mit der Mutter verbunden bist. Du kamst doch aus ihrem
Bauch. Du warst ein Teil von ihr. Nichts deutete darauf hin, dass du allein
bist in dieser Welt. Du lagst dort in deinem Bettchen und konntest dir nicht
helfen. Du konntest ja noch nicht aufstehen und deine Mutter suchen. Du
musstest es aushalten und schreien und warten. Diese Erfahrung hat sich in dir
eingebrannt. Die Mutter ist nicht zuverlässig da. Sie mutet dir den Schmerz der
Trennung zu.
Wie mag
sich das auf dich ausgewirkt haben. Hast du alles dafür getan, dass das nie
wieder passierte? Hast du so lange geschrien, bis deine Mutter verstand, dass
du immer bei ihr sein wolltest? Und heute klammerst du immer noch? An Menschen
oder Dingen? Dein Klammern diente ja nur dem Ziel, bloß nicht getrennt zu
werden. Aber eigentlich warst du da gefühlt schon getrennt. Verbunden mit der
Mutter, aber in tiefer Angst vor Trennung.
Oder du
hast schicksalsergeben geschwiegen und resigniert. Du schreist und niemand
kommt und du musst das Schicksal annehmen. Ja, du bist getrennt und niemals
wieder wird jemand kommen und dir etwas vormachen können. Wenn deine Mutter
jetzt kommt wirst du denken, dass sie sowieso gleich wieder geht. Freude und Wohlbefinden
lohnen sich nicht. Halte dich zurück, damit du nicht gleich wieder enttäuscht
wirst. Und so wächst du auf mit der Idee, dass eigentlich alles von dir
getrennt ist. Die andere Wirklichkeit möchtest du nicht mehr sehen und
wahrnehmen.
Die andere
Wirklichkeit darfst du wieder entdecken. Die Wirklichkeit, dass du mit allem
was ist, verbunden bist. Im Bettchen als kleines Baby musstest du das
Unerträgliche ertragen. Aber jetzt als Erwachsener kannst du laufen. Du kannst
dich bewegen. Mit deinem Körper, mit deinen Gedanken und mit deinem Herzen. Du
kannst dich zu jedem Zeitpunkt deines Lebens dafür entscheiden, dich wieder zu
verbinden. Der Verbindungsfaden ist vorhanden. Du kannst im Kreis deiner
Menschen sitzen und das Verbindende sehen. Da sitzen lauter Menschen so wie du.
Da schaut dich jemand an und du schaust zurück und im Augenblick gibt es eine
Verbindung über den Blick. Ist dir schon einmal bewusst geworden, welche
Energie im gegenseitigen Anschauen liegt.
Du schaust
jemanden an und dieser Mensch schaut zurück und ihr trefft euch mit den Augen.
In diesem „Augenblick“ steht die Welt still und es gibt keine belastete
Vergangenheit und keine beängstigende Zukunft. Nur du bist da und dein
Gegenüber. Du kannst mit vielen Menschen zusammensitzen und lauter
überflüssiges Zeug sprechen. Allein dieser „Augenblick“ löscht alles Widrige
aus. Du lebst im Geschenk. Und davon gibt es unendlich viele. Jemand berührt
dich mit der Hand. Ganz sanft und nur so eben und scheinbar so nebenbei. Spürst
du die Elektrizität, die durch deinen Körper geht? Du bist gemeint! Da nimmt
dich jemand wahr. Über diesen Hautkontakt gibt es eine Verbindung. Ganz kurz
flammt im Unterbewusstsein die Erinnerung auf, dass es eine Nabelschnur gab.
Darüber wurdest du versorgt. Neun Monate und ohne Unterbrechung. Dann berührt
dich jemand und das ganze Programm der Versorgung wird wieder aktiv. Wow, du
bist verbunden!
Im
Mutterleib gab es zwar eine Verbindung ohne Unterbrechung. Aber es hatte auch
ein „aber“. Aber du konntest nicht unabhängig dein Eigenes machen. Um dein
Eigenes machen zu können, was ja sehr befriedigend ist, musst du dich
kurzfristig trennen. Du trennst dich und verbindest dich mit etwas anderem. So
ist das Spiel: sich trennen und verbinden. Um sich wieder zu trennen und wieder
zu verbinden. Du wanderst quasi von Verbindung zu Verbindung und bist
eigentlich nie wirklich getrennt. Es sei denn, du nimmst es so wahr. Trennung
über Trennung! Niemand mag mich und bei niemandem halte ich es aus.
In deinem
Geist und in deiner Seele kannst du eine bewusste Entscheidung treffen. Du
spielst mit allen Menschen ein schöpferisches Spiel. Die ständig sich
wiederholende Freude, in immer wieder neue Verbindungen zu gehen. Oder du
bewegst dich in der ständigen Angst, alles zu verlieren. Dann lebst du in
dieser Angst wie in einem Dauerzustand. Mal gefühlt, oft aber auch verdrängt.
Im Bewusstsein der Trennung bist du auch abgeschnitten von allen Quellen, die
dich speisen können. Umgekehrt leidest du keinen Mangel, wenn du Teil eines
wundererfüllten Netzwerkes bist. Du empfängst und du gibst weiter.
Stell dir
die Beziehung zu einem guten Freund oder einer guten Freundin vor. Es beglückt
dich, dass jemand für dich da ist und auch umgekehrt. Jetzt sagt dieser Mensch
etwas zu dir, das dich kränkt. Für einen Moment fühlst du dich verraten und
zurückgestoßen. Wie kann dieser Mensch diese
Freundschaft so verraten und mit Füßen treten. Du steigerst dich herein
und deine Phantasie geht mit dir durch. Dein Freund war immer schon unehrlich
und du hast dich ausnutzen lassen. Du wurdest belogen und betrogen und dieser
Mensch hat deine Freundschaft nicht
verdient. Du selbst merkst nicht, wie du immer mehr in einen abgetrennten
Zustand gerätst. Du kannst gar nicht mehr überprüfen, ob deine Gedanken
wirklich wahr sind oder nur Produkte deiner Phantasie. In dieser Abtrennung
fühlst du dich verraten und zugleich immer trauriger wütender und ängstlicher.
Du bestrafst dich damit selbst, indem du dich in diesen schrecklichen Zustand
hineinversetzt. Du erlebst den Kern dessen, was die christliche
Höllenvorstellung ausmacht. Scheinbar angestoßen durch den Verrat des Freundes
katapultierst du dich in deinen inneren Höllenzustand. Je öfter du das erlebst,
desto schneller funktioniert dieser Mechanismus.
Was setzt
du dieser zerstörerischen Energie entgegen? Wir Menschen haben einen starken
Geist. Du kannst diese Gedanken stoppen und dich daran erinnern, dass es diese
wunderbare Freundschaft gab. Du kannst die Frage in dir zulassen, ob es möglich
ist, dass diese Freundschaft auch jetzt noch besteht. Eher im Pausenmodus, aber
latent vorhanden. Du kannst dich an alle freundschaftlichen Begegnungen und
Ereignisse erinnern und diesen Bedeutung und Kraft geben. Du kannst die Augen
schließen, dich in dein Herz hineinbewegen und das Gefühl der Trennung fühlen
und zugleich zulassen, dass dieser Zustand gefüllt wird mit Erinnerungen an
diese Liebe. Je mehr dieses Bewusstsein von Liebe in dein Herz strömt, desto
mehr besänftigt sich der innere Aufruhr. Ja, du spürst die Kränkung und ja, du
spürst auch die Liebe. Indem du dich dafür entscheidest, die
Verbundenheitsgefühle und Gedanken zuzulassen verändert sich deine innere
Landschaft. Und du kannst dich dafür entscheiden, das fortlaufend zu
trainieren. Die Welt mit all den Trennungsmöglichkeiten ist dein
Sparringspartner deiner persönlichen Entwicklung. Jedes Auto, das dir
entgegenkommt, jeder Regentropfen und jede Begegnung mit einem Menschen können
in dir Höllenzustände oder himmlische Gefühle auslösen. Du selbst sitzt in
deinem Herzen an der Weichenstellung und entscheidest, wohin es geht.
Ohne
Zweifel magst du denken, dass es Menschen gibt, die es leichter haben. Sie
haben mehr Verbundenheitsanteile geschenkt bekommen als Trennungsmöglichkeiten.
Sie sind scheinbar vom Glück geküsst worden. Das ist bestimmt so. Aber du hast
dein eigenes Leben und deine eigenen Herausforderungen. Und wenn du dich mit
anderen Menschen vergleichst, bist du gleich wieder in der Hölle. „Die anderen
haben Glück und ich? Ich muss im Elend aushalten.“ Nicht das Glück der anderen
macht dich elendig, sondern der Vergleich, den du anstellst und bewertest.
Bleibe
lieber bei deiner inneren Herzensweiche und entscheide dich für dein eigenes
Leben. Du kannst die Hölle verstärken oder den Himmel. Es gibt keinen Tag, wo
du nicht diese Herausforderung hast. Darin liegt zugleich das Geschenk. Du hast
jeden Tag die Möglichkeiten zu wählen. Verbindest du dich oder trennst du?
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