Ich hatte einen eigenartigen Tagtraum. Ich stellte mir vor, dass ich sterbe. Im Augenblick des Sterbens war ich jedoch nicht tot, sondern äußerst wach. Es kam mir so vor, dass ich nie zuvor wacher war. Eine intensive Form von Bewusstheit, wie ich sie nie kannte. Ich blickte zurück auf mein körperliches und irdisches Leben und staunte über mich. Ich staunte darüber, dass ich den ganzen Weg wie in Trance gegangen sein musste. So im nach hinein merkwürdige und überflüssige Dinge habe ich gemacht! Eigenartige Gedanken hatte ich. Das hattee ich gefühlt? Das war mir wichtig? Dann schüttelte ich den Kopf und lachte bis mir schwindelig wurde. Ich war froh über mein Aufwachen nach dem Tod und diesen neuen und zugleich vertrauten Zustand von körperloser Lebendigkeit.
Jetzt kehre ich
mit diesem Gedanken zurück in das Hier und Jetzt. Zurück zu mir und verbunden
mit dir. Und ich stelle mir die Frage, wie wach bin ich denn wirklich in diesem
Augenblick? Oder wie stark stehe ich unter Hypnose ohne dass ich es merke.
In den ersten
Monaten meines Lebens habe ich als Baby geschlafen. Ich bekam nichts mit von
der Außenwelt. Ich hatte Hunger und das Bedürfnis nach Nähe wenn ich wach war.
Aber den größten Teil des Tages und der Nacht schlief ich. Ein quasi dauerhypnotischer
Zustand. Irgendwann bekam ich mehr mit. Ich erkannte das Gesicht meiner Mutter
wieder. Ich habe geschrien und gemerkt, dass jemand da drauf reagierte. Von
Monat zu Monat und von Jahr zu Jahr wurde ich wacher und bekam mehr mit. Ich
entwickelte eigene Fähigkeiten und
beschränkte meinen Schlaf auf ein paar Stunden in der Nacht und einige
Momente des Tagträumens. Auch bei automatisierten Arbeitsabläufen konnte ich
parallel dösen. Aber ich fühlte mich jenseits hypnotischer Zustände.
Ich werde also
immer wacher, je erwachsener ich werde, oder? Aber auch da gibt es
Unterschiede. Ich erinnere mich noch daran, wie ich das erste Buch von Eugen
Drewermann las. Nach drei Jahren Theologiestudium das erste Fachbuch, in das
ich völlig abtauchen konnte. Dann las ich C.G Jung und hatte den Eindruck von
Tiefseetauchen in Erkenntnis. Ich bekam Heißhunger darauf, die Welt, das Leben,
mich selbst intensiver zu erleben und zu verstehen. Da gab es sehr wache
Phasen. Und dazwischen natürlich die Routinen des Alltags.
Ich wünsche mir
mehr von diesen wachen Zuständen. Sich selbst spüren. Das Leben erkennen und
verstehen. Verbunden sein. Schöpferisch tätig werden. Ein intensives Ja zu
allen Gedanken und Gefühlen. Den Eindruck von Weiterentwicklung.
Das ist mein erster
Blick auf das eine Ende eines mir vorgestellten Pendels. Ein erweiterter
Zustand von Bewusstheit und wachem Zustand. Daneben erlebe ich auch das andere
Ende des Pendels. Da gibt es den natürlichen Tiefschlaf, die Tagträumereien in
einer Art Trance. Entspanntes dösen und alle damit verbundenen Phasen, die der
Erholung dienen.
Ich möchte mit
dir aber den Blick richten auf die hypnotischen Zustände. Sie befinden sich
eigentlich nicht mehr im gesunden Wechsel von Wachen und Schlafen. Ich spreche
von Zuständen, die mich mit Besorgnis erfüllen.
Ich gehe durch
die Stadt und sehe draußen im Café eine Familie mit zwei Kindern. Alle sind in
ihr Smartphone vertieft und bekommen im Außen nichts mehr mit. Sie sind
abgetaucht in eine virtuelle Welt und kommunizieren nicht mehr miteinander.
Wenn es nur das Café wäre. Im Auto setzt sich die gespenstische Szene fort und
im Haus wird nur noch das Nötigste gesprochen. Niemand leidet unter dem Verlust
von Beziehung. Die Aufmerksamkeit auf das Smartphone absorbiert alles. Alle
Gedanken und Gefühle. Alle Aufmerksamkeit. Wenn es sprechen könnte, was würde
es sagen? „Ich bin dein neuer Gott! Ohne mich kannst du nicht leben! Du
brauchst mich. Zu jeder Sekunde deines Lebens. Weißt du, wie oft du mich
öffnest? Ich habe unendlich viele Möglichkeiten für dich bereit. Ich bin dein
Gott!“
Ich sehe ein
Ehepaar vor einem Restaurant stehen. Der Mann schaut in sein Smartphone und
liest dort etwas. „Ich schaue mal eben, ob ich was über das Restaurant finde.“
Es dauert und die Frau setzt sich auf die nächste Bank. Ich schaue auf die Uhr
und nach fünf Minuten beschäftigt sich der Mann immer noch mit dem, was er dort
liest. Manchmal tippt er. Dann runzelt er die Stirn. Dann lächelt er wieder.
Und er blickt nicht mehr auf. Seine Frau hat er vergessen.
Je länger wir mit
dem Smartphone leben, desto mehr geraten wir in eine Art Hypnose. Wir merken
den unglaublichen Sog gar nicht mehr. Ich erinnere mich noch an die Anfangszeit
dieses Gerätes. Ich saß mit zwei Kollegen in einem Restaurant und ein Kollege
schaute alle fünf Minuten auf sein Smartphone. Er war irgendwie nicht da. Er
konnte sich nicht wirklich an unserem Gespräch beteiligen. Damals ärgerte ich
mich noch riesig darüber. Heute resigniere ich. Bin dem sogar selbst erlegen
wenn ich nicht aufpasse. Ich gehe zurück zu meinem Traumbild am Anfang und
schüttle den Kopf nach meinem Tod. „In der ersten Hälfte meines Lebens war ich
noch lebendig. In der zweiten war ich hypnotisiert vom Smartphone. Da habe ich
nichts mehr mitbekommen.“
Es wird Zeit,
dass wir aufhören, Onlinesklaven zu sein. Es gilt, wieder aufzuwachen und sich
die Frage zu stellen. „Was möchte ich jetzt wirklich mit mir und von diesem
Leben.“
Wenn ich
aufmerksam durch das Leben gehe, dann stelle ich fest, wie stark wir
hypnotisiert werden ohne dass wir es so richtig merken.
Ich gehe in den
Supermarkt und schiebe wie in Trance meinen Einkaufswagen zu den vertrauten
Produkten. Die Musik, die Farben, die Gerüche erzeugen in mir einen Nebel. Ich
passe nicht mehr so richtig auf, was ich kaufe. Die Fülle erschlägt mich und
versetzt mich zugleich in einen gedämpften Zustand. Sonst wäre ich völlig
überfordert.
Ich gehe durch
die Fußgängerzone einer Stadt und denke, die kenne ich doch. In jeder Stadt
finde ich die gleichen Geschäfte. Und täglich grüßt das Murmeltier! Nach
wenigen Augenblicken schalte ich ab und fühle mich wie ein Schlafwandler.
Ich habe vor
sieben Jahren mit dem Fernsehen radikal aufgehört. Da gab es die ewig gleichen
Nachrichten mit Skandalen, Unfällen und Wetterprognosen. Ich hätte um 20.20 Uhr
schon nicht mehr sagen können, was heute in der Welt passiert ist. Ich muss
während der Nachrichten lebendig geschlafen haben. Die Werbung zwingt mich
dazu, dass ich mich mit ihr beschäftige, wenn ich ihren Spot sehe. Ich sehe die
Bilder und höre den lauten Klang. Und wieder fühle ich mich überfordert und
schalte ab. Ständig muss ich abschalten und mich selbst hypnotisieren um mich
zusammenhalten zu können. Werde ich vielleicht fremdgesteuert?
Wir werden
ständig unterhalten und beschäftigt. Hier eine Nachricht. Da eine Information.
Nie eine Pause! Was ist von all dem wirklich wichtig und von Bedeutung für
mich? Wenn ich alles Überflüssige streichen würde, was bliebe noch übrig und wie
würde es mir gehen?
Wenn ich mein
Leben radikal vereinfache, könnte das Wunder geschehen, dass ich aus den hypnotischen
Zuständen aufwache. Ich würde das Überflüssige einfach abschütteln und mich
fragen: „Wer ist das, der sich da gerade schüttelt?“
Es geht mir nicht
darum, sich gegen die Moderne zu stellen. Ich bin voll und ganz ein Teil davon.
Mir geht es um das, was es manchmal bewirkt. Zugleich brauche ich für hypnotische
Zustände kein Internet. Ich erlebe Paare in ihren Beziehungen, Menschen am Arbeitsplatz,
und letztlich mich selber im Alltagsablauf mit all den scheinbaren Verpflichtungen
nicht immer ganz bei mir selbst.
Mir erzählt ein
Paar, wie so ein typischer Konflikt abläuft. Die ersten Sätze haben mit einer
realen Situation zu tun. Aber nach ein paar Sätzen wiederholen sich bestimmte
Gesprächsmuster. Am Anfang scheint es noch ein waches Gespräch zu geben und
irgendwann ergibt sich eine Art Automatisierung von immer gleichen Sätzen. Da
wäre es doch gut, wenn so ein Paar für einen Moment innehält und einer sagt:
„Will ich das jetzt? Will ich so weitermachen? Kann ich da aussteigen?“ Wenn
ein Paar lernt, an einer bestimmten Stelle auszusteigen, wird es wach.
Wenn ich durch
die Fußgängerzone gehe dann kann ich das im hypnotischen Trott machen oder mit
einer kleinen inneren Distanz in der Beobachterposition. Ich lenke meine
Aufmerksamkeit gezielt irgendwohin. Ich beschließe, jetzt nichts im Außen an
mich dringen zu lassen. Ich beobachte gezielt eine ganz bestimmte Situation.
Ich wähle aus. Und es gibt ein ICH, das auswählt. Die Werbung, das Internet,
das Smartphone und ähnliche Aufdringlichkeiten möchten, dass wir damit
verschmelzen. So geben wir uns auf und werden den Dingen gefügig.
Für das Fernsehen
bin ich nicht mehr verführbar. Für einen
Buchladen schon. Da könnte ich mich hingeben und würde nicht wieder auftauchen.
Weißt du, wo du verführbar bist und ab wann du in einen hypnotischen Zustand
gerätst? Beobachte dich einmal und staune, wie oft am Tag und bei welchen
Anlässen das geschieht.
Beim Anblick
eines Blumenmeeres. In einer Bäckerei. Beim Liebe machen. Beim Joggen. Beim
Erzählen. Da gibt es auch einen Punkt der wunderbar ist. Das Erleben in der
absoluten Hingabe. Da finde ich dann den Punkt der eigenen Weiterentwicklung.
Sich hingeben und es zugleich wach und bewusst erleben.
Das berührt auch
eine zutiefst spirituelle Frage. Es gibt ein Ich, das sich seiner selbst immer
mehr bewusst werden kann. Es wacht auf aus der kindlichen Hypnose und stellt
fest, dass es in Gott ist. Da gibt es ein Erstaunen. „Ach, ich bin ja
grenzenlos. Ich bin ewig. Ich bin in Gott. Gott ist in mir. Das um mich herum
kann ich nutzen, aber ich brauche es nicht.“ Und? Bist du schon wach oder noch
in einer Hypnose?
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