Hast du auch manchmal das Gefühl und den Eindruck, dass du dich wie in einem Dschungel befindest? Was meine ich damit? Ständig bin ich umgeben von vielen Menschen. Ich werde konfrontiert mit tausenden von Produkten im Supermarkt und ich muss mich jeden Tag und immer wieder für irgendetwas entscheiden. Ich werde gefragt, ob ich mitmache bei Facebook, WhatsApp oder sonst einer Plattform und stündlich soll ich etwas hoch Wichtiges oder Interessantes lesen oder bewerten. Im beruflichen Alltag sprechen alle vom Wandel und von Veränderungen und von der Bedeutung der digitalen Welt und der Aufforderung, entweder dabei zu sein oder gleich in Rente zu gehen.
Es bleibt immer weniger Zeit für Muße, für das stille Nachdenken und für
die Langeweile. Ständig möchte jemand etwas von dir und darum fühlst du dich
wie in einem Dschungel. Du stehst da mit deinen „Waffen“ und bist umgeben von
einem unübersichtlichen und undurchdringlichen Wald von Einladungen,
Verführungen, Manipulationen, Aufforderungen und Appellen. Es gibt keine Nische
oder Höhle mehr, wo du dich zurückziehen kannst. Durch das ständige Beschallen
verlierst du mehr und mehr den Kontakt zu dir selbst. Wer bist du jenseits des
Dschungels? Was zählt wirklich? Was zählt vor allem für dich! Wenn du so etwas
hättest wie einen inneren Leitfaden oder Wegweiser, wie sähe dein Leben dann
aus? Was würde sich dann verändern.
Vielleicht könntest du dich im Dschungel heiter und gelassen bewegen,
weil du einen besseren Zugang hast zu deinen Ressourcen. Dass alle Einladungen und
Verführungen dich gar nicht mehr tangieren oder in Unruhe versetzen. Du bist
nicht gemeint. Oder du schaffst es sogar, wie auf einer Welle zu surfen. Der
Ozean kann dich nicht mehr verschlingen. Schleichst du angespannt und ängstlich
durch die Dschungelwelt oder bist du Tarzan oder Jane? Wenn du für dich
definieren kannst, was wirklich zählt, kannst du alles andere Überflüssige
hinter dir lassen.
Mir sind ein paar Aspekte eingefallen, dir mir selber helfen, im Meer
der Möglichkeiten nicht unterzugehen, sondern darauf zu surfen. Ich lade dich
ein, diesen Gedanken zu folgen und zu überprüfen, ob das auch für dich
hilfreich ist. Möchtest du einen Rettungsring oder lieber ein Surfbrett? Der
Rettungsring ist das Werkzeug der Angst vor dem Untergang. Das Surfbrett das
Werkzeug, sich in das Abenteuer Leben zu stürzen.
Wenn dein Leben als kleines Kind sehr bedroht war, wirst du dich eher
für Rettungsringe interessieren. Es sei denn, du hast einen Teil der Ängste
schon bewältigt. Oder du bist als Kind auf die Welt gekommen mit einem
absoluten Willkommen. Dann interessierst du dich vielleicht eher für das
Surfbrett. Für mich kommt es nicht darauf an, ob du schon ein Meister bist. Es
reicht aus, wenn du dich entscheidest, dich weiterzuentwickeln. Zu wachsen und
dein Leben zu entfalten mit allem, was in dir ist. Du bist ja nicht nur ein
sterbliches und abhängiges Geschöpf sondern zugleich göttliche Schöpferin und
Schöpfer. Verlasse für einen Moment den Dschungel oder das tosende Meer und
suche dir einen sicheren und neutralen Platz, an dem du dich zurückziehen
kannst. Wenn du deine Augen schließt bist du schon bei dir. Dann verschwindet
die Welt um dich herum und so nach und nach wird es auch still in deinem
Verstand. In der Dunkelheit hat er erst einmal nichts zu tun.
Vorher liest du die Überschrift des Kapitels und dann schließt du deine
Augen. Welche Resonanz löst die Überschrift in dir aus? Welche Gedanken tauchen
auf? Was fühlst und spürst du? Verweile eine Zeit mit dir selbst und dann
öffnest du die Augen wieder und liest.
Vielleicht wirst du überrascht sein, dass du zu ähnlichen Ergebnissen
kommst. Vielleicht entsteht aber aus deinen ursprünglichen Gedanken und meinen
Überlegungen ein innerer Dialog. Dein innerer Dialog ist die eigentliche Basis
deiner Entwicklung. Nur, das, was du
durchdenkst, durchfühlst oder durchkaust kann zur Nahrung für dich werden.
Sonst liest du nur einen Gedanken und er wirkt wie ein Duft. Ein intensiver
Moment, der sich schnell verflüchtigt und es bleibt nur eine Erinnerung ob es
angenehm oder unangenehm war.
1. Verbinde
dich lieber anstatt dich zu trennen
Du lebst in einer Welt in der alles voneinander getrennt ist. Zumindest
kann ein solcher Eindruck entstehen. Du trennst Arbeit von Freizeit und hast
für jeden Bereich unterschiedliche Ansprüche. Du möchtest in deiner Freizeit
nicht gestört werden und in deiner Arbeit achtet dein Arbeitgeber darauf, dass
du nichts Privates machst. Kinder werden von Erwachsenen getrennt. Die Welt von
Kita und Schule für die Kinder, die Arbeitswelt für die Erwachsenen. Wir
trennen die Grundstücke und errichten Grenzen. Hier wohne ich und dort wohnst
du.
Deine Freundin macht dir einen Vorwurf, dass du ihr nicht zuhörst und du
fühlst dich abgetrennt. Manche trennen sich von ihren Gefühlen und bleiben
lieber im Kopf. Mit dem Kopf kannst du planen und kontrollieren. Deine Gefühle
machen, was sie wollen. Sogar in deinem Verstand gibt es Trennung. Ein Teil von
dir möchte sich ausruhen und ein anderer Teil möchte etwas erleben. Wieder ein
anderer Teil möchte anerkannt werden und fühlt sich dennoch verurteilt.
Neben dir im Zug sitzt ein Mensch aus einem fremden Kulturkreis und du
findest nichts, was dich mit ihm verbindet. Du kannst eine Brille aufsetzen mit
der du alles was du siehst, trennst. Sogar bei einer Tasse mit Blumenmuster
siehst du die Farben und Formen und denkst, dass rot ganz anders wirkt als
blau. Beim Betrachten von blau bekommst du andere Gefühle als beim Betrachten
von Rot. Die Tasse gefällt dir nicht und schon bist du von der Tasse getrennt.
Außerdem besteht ihr Material aus Steingut und du bist aus Fleisch und Blut.
Du sitzt mit anderen Menschen zusammen und denkst, wie verschieden sie
von dir sind. Deinen Nachbarn findest du zu leise, den nächsten zu laut, wieder
jemand ist vom anderen Geschlecht, das du sowieso nie richtig verstehst. Einer
hat die Macht und andere sind ohnmächtig.
Wenn du die Brille der Trennung aufsetzt kannst du dich in
Trennungsgedanken hineinsteigern. Der Abstand zwischen dir und den Anderen wird
immer größer und größer und plötzlich fühlst du dich allein. Du bist wie unter
einer Glasglocke und du hast mit allem, was du siehst, nichts mehr zu tun. Wenn
du es aushältst gibt es nichts zu tun. Es ist ja ein Teil der Wirklichkeit.
Oder? Da bist du und da ist das Fremde gegenüber und du bist nicht das Fremde
und das Fremde ist nicht du. Wahrscheinlich kannst du dich nicht mehr daran
erinnern, wie du als Baby geschrien hast und niemand gekommen ist. Du warst
allein mit deinem Bedürfnis und mit deinem Schmerz. Dabei lebte in dir noch die
glasklare Gewissheit, dass du tief mit der Mutter verbunden bist. Du kamst doch
aus ihrem Bauch. Du warst ein Teil von ihr. Nichts deutete darauf hin, dass du
allein bist in dieser Welt. Du lagst dort in deinem Bettchen und konntest dir
nicht helfen. Du konntest ja noch nicht aufstehen und deine Mutter suchen. Du
musstest es aushalten und schreien und warten. Diese Erfahrung hat sich in dir
eingebrannt. Die Mutter ist nicht zuverlässig da. Sie mutet dir den Schmerz der
Trennung zu.
Wie mag sich das auf dich ausgewirkt haben. Hast du alles dafür getan,
dass das nie wieder passierte? Hast du so lange geschrien, bis deine Mutter
verstand, dass du immer bei ihr sein wolltest? Und heute klammerst du immer
noch? An Menschen oder Dingen? Dein Klammern diente ja nur dem Ziel, bloß nicht
getrennt zu werden. Aber eigentlich warst du da gefühlt schon getrennt.
Verbunden mit der Mutter, aber in tiefer Angst vor Trennung.
Oder du hast schicksalsergeben geschwiegen und resigniert. Du schreist
und niemand kommt und du musst das Schicksal annehmen. Ja, du bist getrennt und
niemals wieder wird jemand kommen und dir etwas vormachen können. Wenn deine
Mutter jetzt kommt wirst du denken, dass sie sowieso gleich wieder geht. Freude
und Wohlbefinden lohnen sich nicht. Halte dich zurück, damit du nicht gleich
wieder enttäuscht wirst. Und so wächst du auf mit der Idee, dass eigentlich
alles von dir getrennt ist. Die andere Wirklichkeit möchtest du nicht mehr
sehen und wahrnehmen.
Die andere Wirklichkeit darfst du wieder entdecken. Die Wirklichkeit,
dass du mit allem was ist, verbunden bist. Im Bettchen als kleines Baby
musstest du das Unerträgliche ertragen. Aber jetzt als Erwachsener kannst du
laufen. Du kannst dich bewegen. Mit deinem Körper, mit deinen Gedanken und mit
deinem Herzen. Du kannst dich zu jedem Zeitpunkt deines Lebens dafür
entscheiden, dich wieder zu verbinden. Der Verbindungsfaden ist vorhanden. Du
kannst im Kreis deiner Menschen sitzen und das Verbindende sehen. Da sitzen
lauter Menschen so wie du. Da schaut dich jemand an und du schaust zurück und
im Augenblick gibt es eine Verbindung über den Blick. Ist dir schon einmal
bewusst geworden, welche Energie im gegenseitigen Anschauen liegt.
Du schaust jemanden an und dieser Mensch schaut zurück und ihr trefft
euch mit den Augen. In diesem „Augenblick“ steht die Welt still und es gibt
keine belastete Vergangenheit und keine beängstigende Zukunft. Nur du bist da
und dein Gegenüber. Du kannst mit vielen Menschen zusammensitzen und lauter
überflüssiges Zeug sprechen. Allein dieser „Augenblick“ löscht alles Widrige
aus. Du lebst im Geschenk. Und davon gibt es unendlich viele. Jemand berührt
dich mit der Hand. Ganz sanft und nur so eben und scheinbar so nebenbei. Spürst
du die Elektrizität, die durch deinen Körper geht? Du bist gemeint! Da nimmt
dich jemand wahr. Über diesen Hautkontakt gibt es eine Verbindung. Ganz kurz
flammt im Unterbewusstsein die Erinnerung auf, dass es eine Nabelschnur gab. Darüber
wurdest du versorgt. Neun Monate und ohne Unterbrechung. Dann berührt dich
jemand und das ganze Programm der Versorgung wird wieder aktiv. Wow, du bist
verbunden!
Im Mutterleib gab es zwar eine Verbindung ohne Unterbrechung. Aber es
hatte auch ein „aber“. Aber du konntest nicht unabhängig dein Eigenes machen.
Um dein Eigenes machen zu können, was ja sehr befriedigend ist, musst du dich
kurzfristig trennen. Du trennst dich und verbindest dich mit etwas anderem. So
ist das Spiel: sich trennen und verbinden. Um sich wieder zu trennen und wieder
zu verbinden. Du wanderst quasi von Verbindung zu Verbindung und bist
eigentlich nie wirklich getrennt. Es sei denn, du nimmst es so wahr. Trennung
über Trennung! Niemand mag mich und bei niemandem halte ich es aus.
In deinem Geist und in deiner Seele kannst du eine bewusste Entscheidung
treffen. Du spielst mit allen Menschen ein schöpferisches Spiel. Die ständig
sich wiederholende Freude, in immer wieder neue Verbindungen zu gehen. Oder du
bewegst dich in der ständigen Angst, alles zu verlieren. Dann lebst du in
dieser Angst wie in einem Dauerzustand. Mal gefühlt, oft aber auch verdrängt.
Im Bewusstsein der Trennung bist du auch abgeschnitten von allen Quellen, die
dich speisen können. Umgekehrt leidest du keinen Mangel, wenn du Teil eines
wundererfüllten Netzwerkes bist. Du empfängst und du gibst weiter.
Stell dir die Beziehung zu einem guten Freund oder einer guten Freundin
vor. Es beglückt dich, dass jemand für dich da ist und auch umgekehrt. Jetzt
sagt dieser Mensch etwas zu dir, das dich kränkt. Für einen Moment fühlst du
dich verraten und zurückgestoßen. Wie kann dieser Mensch diese Freundschaft so verraten und mit Füßen
treten. Du steigerst dich herein und deine Phantasie geht mit dir durch. Dein
Freund war immer schon unehrlich und du hast dich ausnutzen lassen. Du wurdest
belogen und betrogen und dieser Mensch hat deine Freundschaft nicht verdient. Du selbst merkst
nicht, wie du immer mehr in einen abgetrennten Zustand gerätst. Du kannst gar
nicht mehr überprüfen, ob deine Gedanken wirklich wahr sind oder nur Produkte
deiner Phantasie. In dieser Abtrennung fühlst du dich verraten und zugleich
immer trauriger wütender und ängstlicher. Du bestrafst dich damit selbst, indem
du dich in diesen schrecklichen Zustand hineinversetzt. Du erlebst den Kern
dessen, was die christliche Höllenvorstellung ausmacht. Scheinbar angestoßen
durch den Verrat des Freundes katapultierst du dich in deinen inneren
Höllenzustand. Je öfter du das erlebst, desto schneller funktioniert dieser
Mechanismus.
Was setzt du dieser zerstörerischen Energie entgegen? Wir Menschen haben
einen starken Geist. Du kannst diese Gedanken stoppen und dich daran erinnern,
dass es diese wunderbare Freundschaft gab. Du kannst die Frage in dir zulassen,
ob es möglich ist, dass diese Freundschaft auch jetzt noch besteht. Eher im
Pausenmodus, aber latent vorhanden. Du kannst dich an alle freundschaftlichen
Begegnungen und Ereignisse erinnern und diesen Bedeutung und Kraft geben. Du
kannst die Augen schließen, dich in dein Herz hineinbewegen und das Gefühl der
Trennung fühlen und zugleich zulassen, dass dieser Zustand gefüllt wird mit
Erinnerungen an diese Liebe. Je mehr dieses Bewusstsein von Liebe in dein Herz
strömt, desto mehr besänftigt sich der innere Aufruhr. Ja, du spürst die
Kränkung und ja, du spürst auch die Liebe. Indem du dich dafür entscheidest,
die Verbundenheitsgefühle und Gedanken zuzulassen verändert sich deine innere
Landschaft. Und du kannst dich dafür entscheiden, das fortlaufend zu trainieren.
Die Welt mit all den Trennungsmöglichkeiten ist dein Sparringspartner deiner
persönlichen Entwicklung. Jedes Auto, das dir entgegenkommt, jeder Regentropfen
und jede Begegnung mit einem Menschen können in dir Höllenzustände oder
himmlische Gefühle auslösen. Du selbst sitzt in deinem Herzen an der
Weichenstellung und entscheidest, wohin es geht.
Ohne Zweifel magst du denken, dass es Menschen gibt, die es leichter
haben. Sie haben mehr Verbundenheitsanteile geschenkt bekommen als
Trennungsmöglichkeiten. Sie sind scheinbar vom Glück geküsst worden. Das ist
bestimmt so. Aber du hast dein eigenes Leben und deine eigenen
Herausforderungen. Und wenn du dich mit anderen Menschen vergleichst, bist du
gleich wieder in der Hölle. „Die anderen haben Glück und ich? Ich muss im Elend
aushalten.“ Nicht das Glück der anderen macht dich elendig, sondern der
Vergleich, den du anstellst und bewertest.
Bleibe lieber bei deiner inneren Herzensweiche und entscheide dich für
dein eigenes Leben. Du kannst die Hölle verstärken oder den Himmel. Es gibt
keinen Tag, wo du nicht diese Herausforderung hast. Darin liegt zugleich das
Geschenk. Du hast jeden Tag die Möglichkeiten zu wählen. Verbindest du dich
oder trennst du?
2. Nimm
wahr, dass du äußerst liebenswert bist
Du kannst es nicht leugnen. Du bist da auf dieser Welt. Du kannst es
befühlen und du kannst dich im Spiegel anschauen. Du existierst! Und du bist
dir dessen bewusst. Doch wie bist du dir deiner selbst bewusst?
Du warst einmal ein wunderbar süßes kleines Baby. Deine Mutter und dein
Vater haben dich angestrahlt und ihr Herz für dich geöffnet. Und wenn der Vater
fehlte und die Mutter nicht so herzlich war, dann gab es einen anderen
Menschen. Am Anfang stand ein großes Willkommen über deinem Leben. Du hast als
ein äußerst liebenswertes Wesen das Licht der Welt erblickt. Niemand hat etwas
von dir erwartet. Du musstest nichts dafür leisten und du konntest es nicht
bezahlen. „Sei bitte freundlich zu mir Mama, dann bekommst du einen Euro von
mir.“ Allein eine solche Vorstellung wäre völlig absurd. Ohne dein Zutun
wurdest du geliebt.
Irgendwann gab es den Augenblick, wo du nicht mehr ganz so hilflos
warst. Du konntest etwas. Greifen, dich umdrehen, krabbeln, lächeln. Deine
Eltern sahen, dass du dich entwickelst und freuten sich mit dir. Und sie
freuten sich, dass sie nicht mehr alles für dich tun mussten. Dass wieder etwas
Energie und Zeit für sie selber blieb. Nur ein paar Minuten zwar, aber
immerhin. Etwas später, als du sprechen konntest, und deine Eltern etwas für dich
tun wollten, hast du so einen Wiederstand entwickelt. Mit allem Zorn hast du deutlich
gemacht: „Alleine!“ Ah, du wolltest es alleine machen. Ohne fremde Hilfe! Da
wurde in dir das Bedürfnis nach Freiheit und Autonomie wach. Die befriedigende
Erfahrung, nicht abhängig zu sein. Nicht warten zu müssen. Nicht mehr diese
entwürdigende und hilflose Erfahrung machen zu müssen, auf jemanden angewiesen
zu sein.
Und deine Eltern? Sie erlebten vielleicht so eine ambivalente Mischung
von Stolz und Furcht. „Ich werde nicht mehr gebraucht? Ich bin überflüssig? Ich
werde zurückgestoßen?“ Die erste echte Kränkung deiner Eltern. Und diese
Geschichte wird sich fortsetzen. „Kind, können wir etwas für dich tun?“ „Nein,
vielen Dank, das schaffe ich selbst.“ Auch deine Reaktion war ambivalent. „Darf
ich das alleine? Kränke ich nicht jetzt meine Eltern?“ Und schon sehr früh in
der Interaktion zwischen dir und deinen Eltern taucht irgendwann der Gedanke
auf, dass du nicht in Ordnung bist. Du kannst immer noch nicht laufen, nicht
richtig sprechen, haust andere Kinder, quengelst, willst Sachen, die aus der
Sicht des Erwachsenen völlig daneben sind, und, und, und...
Diese Erfahrungen kannst du sammeln und zu einem erschreckenden Ergebnis
kommen. Du bist überhaupt nicht in Ordnung. Du bist ein Monster! Du machst viel
falsch und nur wenig richtig und du nimmst es sehr persönlich. Du kommst zu dem
Ergebnis, nicht, dass du etwas falsch machst, sondern dass du völlig falsch
bist.
Du wirst älter und älter und vergisst den Anfang deiner Lebensgeschichte:
Dass du ein äußerst liebenswerter Mensch bist. Du triffst andere Menschen und
wirst vorsichtig. Werden sie dich mögen? Wenn ja, unter welchen Bedingungen und
Voraussetzungen? Wird sich das Drama im Elternhaus fortsetzen? Der Kampf um
Anerkennung und Liebe?
Bitte keinen Vorwurf an deine Eltern! Sie sind wie sie sind und sie
tragen nur einen kleinen Teil zu deiner Misere bei. Selbst, wenn sie dir alle
ihre Liebe schenken, wirst du dahin kommen, wo alle Menschen heute sind. Im
Zweifel, wirklich liebenswert zu sein. Einfacher ist es natürlich, wenn du
einen Schuldigen findest. Weil meine Mutter mich nicht genug gestreichelt hat,
bin ich jetzt so kühl. Weil mein Vater
mir nichts zugetraut hat, habe ich jetzt kein Selbstvertrauen. Ich kenne solche
Schuldzuweisungen und sie stimmen auch. Aber es nutzt dir nichts. Du bist jetzt
auf dieser Welt und darfst mit dem Erbe deiner Eltern leben. Ich kenne keinen
Menschen, bei dem nicht ab und zu die Frage auftaucht, ob er liebenswert genug
ist. Vielleicht war Jesus davon befreit oder der Dalai Lama. Aber sicher bin
ich mir da nicht.
Fühlst du dich als ohnmächtiges Produkt deiner Lebensgeschichte? Nicht
genug geliebt und unfähig zu lieben? Du bist äußerst liebenswert, weißt du das?
Du bist so was von wunderbar und es ist toll, dass du mit mir auf dieser Welt
bist. Ich meine das so und ich fühle das mit allen Fasern meines Körpers.
Selbst, wenn ich dich gar nicht persönlich kenne. Ich schließe meine Augen und
stelle mir vor, dass du da bist. Mein Herz geht auf und ich spüre die Liebe zu
dir. Wow, welch ein wunderbares Wesen du bist!
Jetzt könnte ich von dir schwärmen und viele Worte für meine Freude
finden. Aber was ist, wenn du mir nicht glaubst? Wenn du mich abweist. Wenn
meine Worte dein Herz nicht erreichen können.
Viel entscheidender wäre es, wenn du selbst auf diese Idee kämest. Wenn
du die Augen schließt und in dein Herz gehst und anfängst, über dich zu
staunen. Wenn du sagen könntest: „Ja, ich bin total liebenswert! Wie wunderbar,
dass ich da bin. Und dass ich da bin, genauso wie ich da bin!“ Dass du das zu
dir selber sagst. Du könntest gedanklich zurückgehen zu deiner Geburt und noch
weiter zurück zu deinem Dasein in der Höhle deiner Mutter, noch weiter
zurückgehen zu dem Zeitpunkt, wo du gezeugt wurdest und noch weiter zurück, wo
die Bausteine von Same und Zelle entstanden und noch weiter zurück zum Ursprung
deines Bewusstseins. So weit zurück, bis du dich deiner göttlichen Quelle
erinnerst und sie wieder verinnerlichst. Werde dir deines göttlichen Ursprunges
bewusst. Trage es wie ein Siegel auf deinem Herzen. „Ich bin äußerst
liebenswert.“
Dieses Bewusstsein will gepflegt werden, weil die Gefahr besteht, dass
du es schnell wieder verlierst. Da nimmt dir jemand die Vorfahrt. Da übersieht
dich jemand bei einer Begrüßung. Da bricht jemand den Kontakt zu dir ab.
Mehrmals am Tag kannst du die Erfahrung machen, die dich abrutschen lässt in
eine tiefe Verlorenheit. Erinnerst du dich daran? „Du bist äußerst
liebenswert!“ Mach doch mal die Übung und zähle auf, was genau du an dir
liebenswert findest. Insgesamt bist du liebenswert. Ja? Aber du kannst auch ins
Detail gehen. Du bist ja eine Komposition aus vielen Elementen, ein buntes
Mosaik von Liebenswertigkeit. Niemand kennt diese Zusammensetzung so wie du.
Ist dir schon einmal aufgefallen, dass Menschen von außen dich ganz
anders wahrnehmen als du dich selbst. Ich bin manchmal total erstaunt, was
Menschen an mir liebenswert finden. So genau habe ich für mich noch gar nicht
hingeschaut. Ich schaue, was andere Menschen als liebenswerte Wesen ausmacht
und kann das schnell herausfinden. Warum gelingt mir das nicht mit mir selbst?
Fühlt sich das dann sofort an wie Eigenlob? Eigenlob stinkt? Bin ich ein
Narzisst, wenn ich so denke und verführe ich dich zu einer sehr unchristlichen
Haltung? Im Laufe des Lebens haben wir ja das Bewusstsein dafür verloren, wie
kostbar und wertvoll wir sind. Wir haben uns daran gewöhnt, wie mangelhafte
Wesen herumzulaufen. Ständig bewertet und kritisiert. Wir sind unser größter
Feind und Kritiker. Wir erkennen unsere Fehler und Schwächen und schämen uns
dafür und sind damit beschäftigt, sie zu vermeiden, unsichtbar zu machen,
auszumerzen. Immer mit der Absicht, dadurch liebenswerter zu sein. Dabei wächst
der Schmerz, weil es uns eigentlich gar nicht gelingt. Jedes Scheitern
bestätigt unser chronisches Versagen.
Wie würde sich dein Leben anfühlen, wenn du diesen ablehnenden Teil
deines Lebens einmal ruhen lassen würdest. Und stattdessen dich so anschaust,
wie andere liebevolle Menschen dich anschauen. Sieh dich an mit dem Blick
deiner Eltern und wenn du gläubig bist mit dem Blick Gottes. Erinnerst du dich
daran? Du bist äußerst liebenswert! Ich erinnere dich und mich ständig daran.
Sobald ich dich frage, was dich in deiner Kindheit traumatisiert, dich
eingeschränkt oder gekränkt hat, werden die entsprechenden Bilder, Gefühle und
Bewertungen wach. Schon hast du wieder vergessen, dass du äußerst liebenswert
bist. Kränkungsbilder sind unglaublich mächtig. Du glaubst ihnen lieber als der
anderen Wirklichkeit. Das geht sehr schnell: „Ach, ich bin ja doch nicht
liebenswert. Ich habe es immer schon gewusst. Mein Gefühl täuscht mich nicht.“
Du musst um diese Wirkmechanismen wissen. Die Wirkmächtigkeit deiner
lebenslangen Glaubenssätze.
Als kluger Mensch wirst du vielleicht denken, dass es stimmt, dass du
äußerst liebenswert bist. Aber dieser Gedanke ist oft nicht stark genug. Da
sagt dir ein Mensch: „Du hast mich total enttäuscht!“ Und schon fällt deine
Selbstliebe wie ein Kartenhaus zusammen. Kannst du dir vorstellen, dass die
Vorstellung, dass du äußerst liebenswert bist, zu einem neuen Leitwert in
deinem Leben wird. Du kannst dich dafür entscheiden. Du gibst immer wieder dein
Ja dort hinein. Wenn dieser Mensch dir sagt, wie sehr er enttäuscht ist, wirst
du vielleicht für einen kurzen Moment diese Trauer oder den Ärger spüren und
zugleich den Lichtschalter anmachen: „Auch wenn ich jetzt diesen Kloß im Hals
habe, bin ich total liebenswert.“ Du trainierst es und die „böse Welt“ und die
„ablehnenden Menschen“ werden zu deinen effektivsten Sparringspartnern. Übe an
deinen „Feinden“, dass du ein äußerst liebenswerter Mensch bist. Jetzt schließ
die Augen und lass in dir das Bild entstehen wie du selber als Baby in der
Wiege lagst. Was für ein liebenswertes Wesen!
3. Du
darfst dich angstfrei weiterentwickeln
„Ich tue das nie, nie wieder!“ In mir entsteht das Bild von mir als ich
ein kleiner Junge war. Ich möchte einmal diese wunderbare bunte chinesische
Tasse in der Hand halten und befühlen. Dabei werde ich erwischt und lasse vor
Schreck die Tasse fallen. Mutter steht zornig und enttäuscht vor mir. Ich
bekomme ihre ganze Wut und den Ärger ab. Die schöne chinesische Tasse von
meiner Tante liegt nun in tausend Scherben da.
Ich bin ein Verbrecher. Man wird mich von meinen Eltern entfernen und
ich lande im Heim. Unter lauter fremden Kindern. Ich werde alles verlieren.
Meine Mutter wird mich nie wieder lieben und bei Vater werde ich auch keinen
Trost finden. Ich bin schuldig. Die Scherben liegen da. Das Bild prägt sich ein
wie das Brandmal bei einem Kalb. Die zerbrochene Tasse, die wütende und
aufgelöste Mutter und ich hilflos und voller Angst. Nichts kann mich trösten
oder beruhigen. Unauslöschlich gräbt sich das Erlebnis ein in jede Zelle meiner
Haut.
Ich übertreibe? Ja, aus der Perspektive eines Erwachsenen. Du würdest es
nivellieren. Es war schlimm und so schlimm auch wieder nicht. War ja nur ein
Tasse. Die kann man ersetzen. In der Erwachsenenhaut gibt es das Erschrecken
und das Beruhigen. Die Einsicht, dass ein Schaden entstanden ist. Ich
entschuldige mich und bezahle die Rechnung. Ich vergewissere mich, dass die
Beziehung nicht gelitten hat und dass wir uns wieder gut sind. Das Ganze dauert
zehn Minuten.
Aber aus der Perspektive eines Kindes? Du hast keine Vorstellungen von
Zeit, Kosten, Folgen oder Bewertungen. Du erschrickst, erstarrst und fühlst
dich dem Tode nahe. Du bist nicht in der Lage, damit umzugehen. Du musst es
erst noch lernen. Wenn du als Kind so hilflos und ohnmächtig dastehst wirst du
alles dafür tun, dass dir das nie wieder geschieht.
„Ich tu das nie, nie wieder!“ So schnell wirst du keine Porzellantasse
mehr in die Hand nehmen. Die Angst wird dich hindern. „Lass es stehen! Sonst
lässt du es fallen und du weißt genau, was passieren wird. Willst du, dass die
Welt zusammenbricht und alle geliebten Menschen sich von dir entfernen?“ Das
willst du nicht, weil du ja alleingelassen sterben müsstest. Du bist angewiesen
auf deine Eltern und auf ihr Wohlwollen!
Dabei fing alles so verheißungsvoll an. Du kommst als Schöpfer, als
Erfinder und Entdecker auf die Welt. Voller Lust und positiver Energie drückst
du dich aus. Das Wort Angst kennst du nicht im Zusammenhang mit Menschen.
Höchstens mit normalen Abläufen des Alltags wie bei den Tieren. Da kommt
plötzlich und unerwartet etwas auf dich zu, das dich erschreckt. Die Nacht
bricht herein und du siehst nichts mehr. Geräusche dringen an dein Ohr, die du
nicht deuten kannst.
Direkt bei dir jedoch hast du Kontakt zu deinen Eltern. In ihrer Nähe
fühlst du dich sicher und geborgen. So lernst du eine gesunde Mischung aus
Vertrauen und den Umgang mit unbekannten Situationen. Die Nähe deiner Eltern
verleiht dir den Mut, deine Komfortzone zu verlassen und Neues zu wagen.
Wie jedoch entwickelst du dich, wenn deine Eltern unsicher sind? Wenn
Vater und Mutter in einer angespannten Beziehung leben? Wenn deine Mutter Angst
um dich hat und dir nichts zutraut? Wenn sie dich permanent beschimpft und
überfordert? Wenn du in einem Umfeld von Angst aufwachsen musst? Die ersten
Jahre deines Lebens prägen dich. Und als Erwachsener musst du mit deiner
Prägung das Leben bestehen.
Vielleicht erinnerst du dich gar nicht mehr an die einzelnen Ereignisse
aus deiner Kindheit. Aber du wirst ein Grundgefühl entwickelt haben. Du wirst
eher vertrauen und dir kraftvoll das Leben erobern oder dich zögerlich
zurückhalten und dich eher verweigern.
Wenn du angstvoll aufgewachsen bist bleibt dir nichts anderes übrig, als
damit zu leben. Du wirst in der Regel sehr vorsichtig sein. Du wirst dazu
neigen, viele Versicherungen abzuschließen, Türen und Fenster in deiner Wohnung
zu verriegeln und ständig zu überprüfen. Dir unbekannte Menschen werden erst
einmal beweisen müssen, dass sie vertrauenswürdig sind. Dein Immunsystem wird
stark herausgefordert sein und du wirst stärker zu Allergien neigen als andere.
Du wirst oft das Für und Wider abwägen und dich nicht gut entscheiden können.
Du wirst dazu neigen, die Schuld auf dich zu nehmen und lieber kein Nein zu
riskieren. Du wirst Lebensmittel nicht essen wenn sie nicht absolut sicher
sind. Du wirst das Gefühl haben als ob um dich herum eine Mauer aufgebaut ist,
die du nur angestrengt überwinden kannst. Je größer die Angst, desto höher und
dicker die Mauern und das Bemühen, dir Sicherheit zu verschaffen.
Und du machst die Erfahrung, dass es nie genug ist. Noch eine
Versicherung zusätzlich, noch vorsichtiger sein, noch weniger wagen. Die Angst
und die Angst vor der Angst lauern dir ständig auf.
Wenn du dich weiterentwickeln möchtest bleibt dir nichts anderes übrig,
als zu lernen, mit der Angst umzugehen. Menschen, die relativ angstfrei
aufwachsen können sich da nicht wirklich gut einfühlen. Welche Möglichkeiten
hast du? Du kannst weitermachen und alles, was Angst macht, vermeiden. Du
flüchtest! Oder du stellst dich mutig den Herausforderungen. Du durchlebst die
Angst. Du lässt dich von ihr überfluten. Du setzt dich daneben. Du lernst,
trotzdem zu atmen. Du entschließt dich dazu, der Angst nicht mehr so viel Raum
zu geben, dass sie dein Leben verhindert. Du entschließt dich zu einer neuen
Lebensphilosophie: „Ich habe Angst davor, also mache ich es.“ Mach dir keine
Sorgen. Es wird noch genug Angst übrig bleiben. Aber du wirst dich
weiterentwickeln.
Stell dir aber vor, dass es den großen Tag geben wird, wo du dich
weiterentwickelst jenseits der Angst. Einfach nur weil du Freude hast. Tiefe
Freude an dir, an den Menschen um dich herum und an den Dingen. Du kehrst zum
Anfang deines Daseins zurück. Du erinnerst dich daran, dass du mit voller
Energie und grenzenlosem Vertrauen ausprobieren und gestalten darfst. Du darfst
wie ein Baby die Welt erobern und machst das mit einer Bewusstheit von
absoluter Sicherheit.
Du kannst es lernen, den Raum der Angst zu überwinden und zu ersetzen
durch das Wissen, dass du Teil eines göttlichen Ursprunges bist. Deine Angst
verzerrt dir den Blick auf die Wirklichkeit. Mit deiner Angst wirst du in
vielen Menschen einen Feind sehen, der dich ausbeuten, betrügen und
übervorteilen wird. Jenseits der Angst jedoch wirst du in jedem Menschen einen
Bruder oder eine Schwester sehen. Einen Spielkameraden, mit dem du die Welt
erkunden darfst.
Wo befindest du dich gerade in deiner persönlichen Entwicklung? Hast du
schon alle Urängste kennengelernt und überwunden? Lebst du schon in der
Freiheit der Kinder Gottes? Ich merke immer wieder, dass meine Vergangenheit
ihren Schatten über mich legt, aber die Macht verschwindet mehr und mehr und
das fühlt sich gut an. Stell dir vor, dass du dich angstfrei weiterentwickelst.
Stell dir vor, dass du das kannst und dass das ganz selbstverständlich ist.
Lerne solche Menschen kennen und lass dich von ihnen anstecken. Spüre den
Unterschied, der einen Unterschied macht. Du kannst lustvoll und neugierig die
neuen Räume betreten oder vorsichtig und zurückhaltend. Sterben musst du
sowieso. Aber es reicht, dass am letzten Tag deines Lebens zu machen. Sonst
stirbst du jeden Tag und hast gar nicht gelebt.
Und hier der Text zum downloaden!
Und hier der Text zum downloaden!
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