Translate

Montag, 28. Oktober 2024

Was wirklich zählt!



Hast du auch manchmal das Gefühl und den Eindruck, dass du dich wie in einem Dschungel befindest? Was meine ich damit? Ständig bin ich umgeben von vielen Menschen. Ich werde konfrontiert mit tausenden von Produkten im Supermarkt und ich muss mich jeden Tag und immer wieder für irgendetwas entscheiden. Ich werde gefragt, ob ich mitmache bei Facebook, WhatsApp oder sonst einer Plattform und stündlich soll ich etwas hoch Wichtiges oder Interessantes lesen oder bewerten. Im beruflichen Alltag sprechen alle vom Wandel und von Veränderungen und von der Bedeutung der digitalen Welt und der Aufforderung, entweder dabei zu sein oder gleich in Rente zu gehen.

Es bleibt immer weniger Zeit für Muße, für das stille Nachdenken und für die Langeweile. Ständig möchte jemand etwas von dir und darum fühlst du dich wie in einem Dschungel. Du stehst da mit deinen „Waffen“ und bist umgeben von einem unübersichtlichen und undurchdringlichen Wald von Einladungen, Verführungen, Manipulationen, Aufforderungen und Appellen. Es gibt keine Nische oder Höhle mehr, wo du dich zurückziehen kannst. Durch das ständige Beschallen verlierst du mehr und mehr den Kontakt zu dir selbst. Wer bist du jenseits des Dschungels? Was zählt wirklich? Was zählt vor allem für dich! Wenn du so etwas hättest wie einen inneren Leitfaden oder Wegweiser, wie sähe dein Leben dann aus? Was würde sich dann verändern.
Vielleicht könntest du dich im Dschungel heiter und gelassen bewegen, weil du einen besseren Zugang hast zu deinen Ressourcen. Dass alle Einladungen und Verführungen dich gar nicht mehr tangieren oder in Unruhe versetzen. Du bist nicht gemeint. Oder du schaffst es sogar, wie auf einer Welle zu surfen. Der Ozean kann dich nicht mehr verschlingen. Schleichst du angespannt und ängstlich durch die Dschungelwelt oder bist du Tarzan oder Jane? Wenn du für dich definieren kannst, was wirklich zählt, kannst du alles andere Überflüssige hinter dir lassen.
Mir sind ein paar Aspekte eingefallen, dir mir selber helfen, im Meer der Möglichkeiten nicht unterzugehen, sondern darauf zu surfen. Ich lade dich ein, diesen Gedanken zu folgen und zu überprüfen, ob das auch für dich hilfreich ist. Möchtest du einen Rettungsring oder lieber ein Surfbrett? Der Rettungsring ist das Werkzeug der Angst vor dem Untergang. Das Surfbrett das Werkzeug, sich in das Abenteuer Leben zu stürzen.

Wenn dein Leben als kleines Kind sehr bedroht war, wirst du dich eher für Rettungsringe interessieren. Es sei denn, du hast einen Teil der Ängste schon bewältigt. Oder du bist als Kind auf die Welt gekommen mit einem absoluten Willkommen. Dann interessierst du dich vielleicht eher für das Surfbrett. Für mich kommt es nicht darauf an, ob du schon ein Meister bist. Es reicht aus, wenn du dich entscheidest, dich weiterzuentwickeln. Zu wachsen und dein Leben zu entfalten mit allem, was in dir ist. Du bist ja nicht nur ein sterbliches und abhängiges Geschöpf sondern zugleich göttliche Schöpferin und Schöpfer. Verlasse für einen Moment den Dschungel oder das tosende Meer und suche dir einen sicheren und neutralen Platz, an dem du dich zurückziehen kannst. Wenn du deine Augen schließt bist du schon bei dir. Dann verschwindet die Welt um dich herum und so nach und nach wird es auch still in deinem Verstand. In der Dunkelheit hat er erst einmal nichts zu tun.
Vorher liest du die Überschrift des Kapitels und dann schließt du deine Augen. Welche Resonanz löst die Überschrift in dir aus? Welche Gedanken tauchen auf? Was fühlst und spürst du? Verweile eine Zeit mit dir selbst und dann öffnest du die Augen wieder und liest.  Vielleicht wirst du überrascht sein, dass du zu ähnlichen Ergebnissen kommst. Vielleicht entsteht aber aus deinen ursprünglichen Gedanken und meinen Überlegungen ein innerer Dialog. Dein innerer Dialog ist die eigentliche Basis deiner Entwicklung. Nur,  das, was du durchdenkst, durchfühlst oder durchkaust kann zur Nahrung für dich werden. Sonst liest du nur einen Gedanken und er wirkt wie ein Duft. Ein intensiver Moment, der sich schnell verflüchtigt und es bleibt nur eine Erinnerung ob es angenehm oder unangenehm war.

1. Verbinde dich lieber anstatt dich zu trennen

Du lebst in einer Welt in der alles voneinander getrennt ist. Zumindest kann ein solcher Eindruck entstehen. Du trennst Arbeit von Freizeit und hast für jeden Bereich unterschiedliche Ansprüche. Du möchtest in deiner Freizeit nicht gestört werden und in deiner Arbeit achtet dein Arbeitgeber darauf, dass du nichts Privates machst. Kinder werden von Erwachsenen getrennt. Die Welt von Kita und Schule für die Kinder, die Arbeitswelt für die Erwachsenen. Wir trennen die Grundstücke und errichten Grenzen. Hier wohne ich und dort wohnst du.
Deine Freundin macht dir einen Vorwurf, dass du ihr nicht zuhörst und du fühlst dich abgetrennt. Manche trennen sich von ihren Gefühlen und bleiben lieber im Kopf. Mit dem Kopf kannst du planen und kontrollieren. Deine Gefühle machen, was sie wollen. Sogar in deinem Verstand gibt es Trennung. Ein Teil von dir möchte sich ausruhen und ein anderer Teil möchte etwas erleben. Wieder ein anderer Teil möchte anerkannt werden und fühlt sich dennoch verurteilt.
Neben dir im Zug sitzt ein Mensch aus einem fremden Kulturkreis und du findest nichts, was dich mit ihm verbindet. Du kannst eine Brille aufsetzen mit der du alles was du siehst, trennst. Sogar bei einer Tasse mit Blumenmuster siehst du die Farben und Formen und denkst, dass rot ganz anders wirkt als blau. Beim Betrachten von blau bekommst du andere Gefühle als beim Betrachten von Rot. Die Tasse gefällt dir nicht und schon bist du von der Tasse getrennt. Außerdem besteht ihr Material aus Steingut und du bist aus Fleisch und Blut.
Du sitzt mit anderen Menschen zusammen und denkst, wie verschieden sie von dir sind. Deinen Nachbarn findest du zu leise, den nächsten zu laut, wieder jemand ist vom anderen Geschlecht, das du sowieso nie richtig verstehst. Einer hat die Macht und andere sind ohnmächtig.
Wenn du die Brille der Trennung aufsetzt kannst du dich in Trennungsgedanken hineinsteigern. Der Abstand zwischen dir und den Anderen wird immer größer und größer und plötzlich fühlst du dich allein. Du bist wie unter einer Glasglocke und du hast mit allem, was du siehst, nichts mehr zu tun. Wenn du es aushältst gibt es nichts zu tun. Es ist ja ein Teil der Wirklichkeit. Oder? Da bist du und da ist das Fremde gegenüber und du bist nicht das Fremde und das Fremde ist nicht du. Wahrscheinlich kannst du dich nicht mehr daran erinnern, wie du als Baby geschrien hast und niemand gekommen ist. Du warst allein mit deinem Bedürfnis und mit deinem Schmerz. Dabei lebte in dir noch die glasklare Gewissheit, dass du tief mit der Mutter verbunden bist. Du kamst doch aus ihrem Bauch. Du warst ein Teil von ihr. Nichts deutete darauf hin, dass du allein bist in dieser Welt. Du lagst dort in deinem Bettchen und konntest dir nicht helfen. Du konntest ja noch nicht aufstehen und deine Mutter suchen. Du musstest es aushalten und schreien und warten. Diese Erfahrung hat sich in dir eingebrannt. Die Mutter ist nicht zuverlässig da. Sie mutet dir den Schmerz der Trennung zu.
Wie mag sich das auf dich ausgewirkt haben. Hast du alles dafür getan, dass das nie wieder passierte? Hast du so lange geschrien, bis deine Mutter verstand, dass du immer bei ihr sein wolltest? Und heute klammerst du immer noch? An Menschen oder Dingen? Dein Klammern diente ja nur dem Ziel, bloß nicht getrennt zu werden. Aber eigentlich warst du da gefühlt schon getrennt. Verbunden mit der Mutter, aber in tiefer Angst vor Trennung.
Oder du hast schicksalsergeben geschwiegen und resigniert. Du schreist und niemand kommt und du musst das Schicksal annehmen. Ja, du bist getrennt und niemals wieder wird jemand kommen und dir etwas vormachen können. Wenn deine Mutter jetzt kommt wirst du denken, dass sie sowieso gleich wieder geht. Freude und Wohlbefinden lohnen sich nicht. Halte dich zurück, damit du nicht gleich wieder enttäuscht wirst. Und so wächst du auf mit der Idee, dass eigentlich alles von dir getrennt ist. Die andere Wirklichkeit möchtest du nicht mehr sehen und wahrnehmen.
Die andere Wirklichkeit darfst du wieder entdecken. Die Wirklichkeit, dass du mit allem was ist, verbunden bist. Im Bettchen als kleines Baby musstest du das Unerträgliche ertragen. Aber jetzt als Erwachsener kannst du laufen. Du kannst dich bewegen. Mit deinem Körper, mit deinen Gedanken und mit deinem Herzen. Du kannst dich zu jedem Zeitpunkt deines Lebens dafür entscheiden, dich wieder zu verbinden. Der Verbindungsfaden ist vorhanden. Du kannst im Kreis deiner Menschen sitzen und das Verbindende sehen. Da sitzen lauter Menschen so wie du. Da schaut dich jemand an und du schaust zurück und im Augenblick gibt es eine Verbindung über den Blick. Ist dir schon einmal bewusst geworden, welche Energie im gegenseitigen Anschauen liegt.
Du schaust jemanden an und dieser Mensch schaut zurück und ihr trefft euch mit den Augen. In diesem „Augenblick“ steht die Welt still und es gibt keine belastete Vergangenheit und keine beängstigende Zukunft. Nur du bist da und dein Gegenüber. Du kannst mit vielen Menschen zusammensitzen und lauter überflüssiges Zeug sprechen. Allein dieser „Augenblick“ löscht alles Widrige aus. Du lebst im Geschenk. Und davon gibt es unendlich viele. Jemand berührt dich mit der Hand. Ganz sanft und nur so eben und scheinbar so nebenbei. Spürst du die Elektrizität, die durch deinen Körper geht? Du bist gemeint! Da nimmt dich jemand wahr. Über diesen Hautkontakt gibt es eine Verbindung. Ganz kurz flammt im Unterbewusstsein die Erinnerung auf, dass es eine Nabelschnur gab. Darüber wurdest du versorgt. Neun Monate und ohne Unterbrechung. Dann berührt dich jemand und das ganze Programm der Versorgung wird wieder aktiv. Wow, du bist verbunden!
Im Mutterleib gab es zwar eine Verbindung ohne Unterbrechung. Aber es hatte auch ein „aber“. Aber du konntest nicht unabhängig dein Eigenes machen. Um dein Eigenes machen zu können, was ja sehr befriedigend ist, musst du dich kurzfristig trennen. Du trennst dich und verbindest dich mit etwas anderem. So ist das Spiel: sich trennen und verbinden. Um sich wieder zu trennen und wieder zu verbinden. Du wanderst quasi von Verbindung zu Verbindung und bist eigentlich nie wirklich getrennt. Es sei denn, du nimmst es so wahr. Trennung über Trennung! Niemand mag mich und bei niemandem halte ich es aus.
In deinem Geist und in deiner Seele kannst du eine bewusste Entscheidung treffen. Du spielst mit allen Menschen ein schöpferisches Spiel. Die ständig sich wiederholende Freude, in immer wieder neue Verbindungen zu gehen. Oder du bewegst dich in der ständigen Angst, alles zu verlieren. Dann lebst du in dieser Angst wie in einem Dauerzustand. Mal gefühlt, oft aber auch verdrängt. Im Bewusstsein der Trennung bist du auch abgeschnitten von allen Quellen, die dich speisen können. Umgekehrt leidest du keinen Mangel, wenn du Teil eines wundererfüllten Netzwerkes bist. Du empfängst und du gibst weiter.
Stell dir die Beziehung zu einem guten Freund oder einer guten Freundin vor. Es beglückt dich, dass jemand für dich da ist und auch umgekehrt. Jetzt sagt dieser Mensch etwas zu dir, das dich kränkt. Für einen Moment fühlst du dich verraten und zurückgestoßen. Wie kann dieser Mensch diese  Freundschaft so verraten und mit Füßen treten. Du steigerst dich herein und deine Phantasie geht mit dir durch. Dein Freund war immer schon unehrlich und du hast dich ausnutzen lassen. Du wurdest belogen und betrogen und dieser Mensch hat deine  Freundschaft nicht verdient. Du selbst merkst nicht, wie du immer mehr in einen abgetrennten Zustand gerätst. Du kannst gar nicht mehr überprüfen, ob deine Gedanken wirklich wahr sind oder nur Produkte deiner Phantasie. In dieser Abtrennung fühlst du dich verraten und zugleich immer trauriger wütender und ängstlicher. Du bestrafst dich damit selbst, indem du dich in diesen schrecklichen Zustand hineinversetzt. Du erlebst den Kern dessen, was die christliche Höllenvorstellung ausmacht. Scheinbar angestoßen durch den Verrat des Freundes katapultierst du dich in deinen inneren Höllenzustand. Je öfter du das erlebst, desto schneller funktioniert dieser Mechanismus.
Was setzt du dieser zerstörerischen Energie entgegen? Wir Menschen haben einen starken Geist. Du kannst diese Gedanken stoppen und dich daran erinnern, dass es diese wunderbare Freundschaft gab. Du kannst die Frage in dir zulassen, ob es möglich ist, dass diese Freundschaft auch jetzt noch besteht. Eher im Pausenmodus, aber latent vorhanden. Du kannst dich an alle freundschaftlichen Begegnungen und Ereignisse erinnern und diesen Bedeutung und Kraft geben. Du kannst die Augen schließen, dich in dein Herz hineinbewegen und das Gefühl der Trennung fühlen und zugleich zulassen, dass dieser Zustand gefüllt wird mit Erinnerungen an diese Liebe. Je mehr dieses Bewusstsein von Liebe in dein Herz strömt, desto mehr besänftigt sich der innere Aufruhr. Ja, du spürst die Kränkung und ja, du spürst auch die Liebe. Indem du dich dafür entscheidest, die Verbundenheitsgefühle und Gedanken zuzulassen verändert sich deine innere Landschaft. Und du kannst dich dafür entscheiden, das fortlaufend zu trainieren. Die Welt mit all den Trennungsmöglichkeiten ist dein Sparringspartner deiner persönlichen Entwicklung. Jedes Auto, das dir entgegenkommt, jeder Regentropfen und jede Begegnung mit einem Menschen können in dir Höllenzustände oder himmlische Gefühle auslösen. Du selbst sitzt in deinem Herzen an der Weichenstellung und entscheidest, wohin es geht.
Ohne Zweifel magst du denken, dass es Menschen gibt, die es leichter haben. Sie haben mehr Verbundenheitsanteile geschenkt bekommen als Trennungsmöglichkeiten. Sie sind scheinbar vom Glück geküsst worden. Das ist bestimmt so. Aber du hast dein eigenes Leben und deine eigenen Herausforderungen. Und wenn du dich mit anderen Menschen vergleichst, bist du gleich wieder in der Hölle. „Die anderen haben Glück und ich? Ich muss im Elend aushalten.“ Nicht das Glück der anderen macht dich elendig, sondern der Vergleich, den du anstellst und bewertest.
Bleibe lieber bei deiner inneren Herzensweiche und entscheide dich für dein eigenes Leben. Du kannst die Hölle verstärken oder den Himmel. Es gibt keinen Tag, wo du nicht diese Herausforderung hast. Darin liegt zugleich das Geschenk. Du hast jeden Tag die Möglichkeiten zu wählen. Verbindest du dich oder trennst du?  

2. Nimm wahr, dass du äußerst liebenswert bist

Du kannst es nicht leugnen. Du bist da auf dieser Welt. Du kannst es befühlen und du kannst dich im Spiegel anschauen. Du existierst! Und du bist dir dessen bewusst. Doch wie bist du dir deiner selbst bewusst?
Du warst einmal ein wunderbar süßes kleines Baby. Deine Mutter und dein Vater haben dich angestrahlt und ihr Herz für dich geöffnet. Und wenn der Vater fehlte und die Mutter nicht so herzlich war, dann gab es einen anderen Menschen. Am Anfang stand ein großes Willkommen über deinem Leben. Du hast als ein äußerst liebenswertes Wesen das Licht der Welt erblickt. Niemand hat etwas von dir erwartet. Du musstest nichts dafür leisten und du konntest es nicht bezahlen. „Sei bitte freundlich zu mir Mama, dann bekommst du einen Euro von mir.“ Allein eine solche Vorstellung wäre völlig absurd. Ohne dein Zutun wurdest du geliebt.
Irgendwann gab es den Augenblick, wo du nicht mehr ganz so hilflos warst. Du konntest etwas. Greifen, dich umdrehen, krabbeln, lächeln. Deine Eltern sahen, dass du dich entwickelst und freuten sich mit dir. Und sie freuten sich, dass sie nicht mehr alles für dich tun mussten. Dass wieder etwas Energie und Zeit für sie selber blieb. Nur ein paar Minuten zwar, aber immerhin. Etwas später, als du sprechen konntest, und deine Eltern etwas für dich tun wollten, hast du so einen Wiederstand entwickelt. Mit allem Zorn hast du deutlich gemacht: „Alleine!“ Ah, du wolltest es alleine machen. Ohne fremde Hilfe! Da wurde in dir das Bedürfnis nach Freiheit und Autonomie wach. Die befriedigende Erfahrung, nicht abhängig zu sein. Nicht warten zu müssen. Nicht mehr diese entwürdigende und hilflose Erfahrung machen zu müssen, auf jemanden angewiesen zu sein.
Und deine Eltern? Sie erlebten vielleicht so eine ambivalente Mischung von Stolz und Furcht. „Ich werde nicht mehr gebraucht? Ich bin überflüssig? Ich werde zurückgestoßen?“ Die erste echte Kränkung deiner Eltern. Und diese Geschichte wird sich fortsetzen. „Kind, können wir etwas für dich tun?“ „Nein, vielen Dank, das schaffe ich selbst.“ Auch deine Reaktion war ambivalent. „Darf ich das alleine? Kränke ich nicht jetzt meine Eltern?“ Und schon sehr früh in der Interaktion zwischen dir und deinen Eltern taucht irgendwann der Gedanke auf, dass du nicht in Ordnung bist. Du kannst immer noch nicht laufen, nicht richtig sprechen, haust andere Kinder, quengelst, willst Sachen, die aus der Sicht des Erwachsenen völlig daneben sind, und, und, und...
Diese Erfahrungen kannst du sammeln und zu einem erschreckenden Ergebnis kommen. Du bist überhaupt nicht in Ordnung. Du bist ein Monster! Du machst viel falsch und nur wenig richtig und du nimmst es sehr persönlich. Du kommst zu dem Ergebnis, nicht, dass du etwas falsch machst, sondern dass du völlig falsch bist.
Du wirst älter und älter und vergisst den Anfang deiner Lebensgeschichte: Dass du ein äußerst liebenswerter Mensch bist. Du triffst andere Menschen und wirst vorsichtig. Werden sie dich mögen? Wenn ja, unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen? Wird sich das Drama im Elternhaus fortsetzen? Der Kampf um Anerkennung und Liebe?
Bitte keinen Vorwurf an deine Eltern! Sie sind wie sie sind und sie tragen nur einen kleinen Teil zu deiner Misere bei. Selbst, wenn sie dir alle ihre Liebe schenken, wirst du dahin kommen, wo alle Menschen heute sind. Im Zweifel, wirklich liebenswert zu sein. Einfacher ist es natürlich, wenn du einen Schuldigen findest. Weil meine Mutter mich nicht genug gestreichelt hat, bin ich jetzt so kühl. Weil mein  Vater mir nichts zugetraut hat, habe ich jetzt kein Selbstvertrauen. Ich kenne solche Schuldzuweisungen und sie stimmen auch. Aber es nutzt dir nichts. Du bist jetzt auf dieser Welt und darfst mit dem Erbe deiner Eltern leben. Ich kenne keinen Menschen, bei dem nicht ab und zu die Frage auftaucht, ob er liebenswert genug ist. Vielleicht war Jesus davon befreit oder der Dalai Lama. Aber sicher bin ich mir da nicht.
Fühlst du dich als ohnmächtiges Produkt deiner Lebensgeschichte? Nicht genug geliebt und unfähig zu lieben? Du bist äußerst liebenswert, weißt du das? Du bist so was von wunderbar und es ist toll, dass du mit mir auf dieser Welt bist. Ich meine das so und ich fühle das mit allen Fasern meines Körpers. Selbst, wenn ich dich gar nicht persönlich kenne. Ich schließe meine Augen und stelle mir vor, dass du da bist. Mein Herz geht auf und ich spüre die Liebe zu dir. Wow, welch ein wunderbares Wesen du bist!
Jetzt könnte ich von dir schwärmen und viele Worte für meine Freude finden. Aber was ist, wenn du mir nicht glaubst? Wenn du mich abweist. Wenn meine Worte dein Herz nicht erreichen können.
Viel entscheidender wäre es, wenn du selbst auf diese Idee kämest. Wenn du die Augen schließt und in dein Herz gehst und anfängst, über dich zu staunen. Wenn du sagen könntest: „Ja, ich bin total liebenswert! Wie wunderbar, dass ich da bin. Und dass ich da bin, genauso wie ich da bin!“ Dass du das zu dir selber sagst. Du könntest gedanklich zurückgehen zu deiner Geburt und noch weiter zurück zu deinem Dasein in der Höhle deiner Mutter, noch weiter zurückgehen zu dem Zeitpunkt, wo du gezeugt wurdest und noch weiter zurück, wo die Bausteine von Same und Zelle entstanden und noch weiter zurück zum Ursprung deines Bewusstseins. So weit zurück, bis du dich deiner göttlichen Quelle erinnerst und sie wieder verinnerlichst. Werde dir deines göttlichen Ursprunges bewusst. Trage es wie ein Siegel auf deinem Herzen. „Ich bin äußerst liebenswert.“
Dieses Bewusstsein will gepflegt werden, weil die Gefahr besteht, dass du es schnell wieder verlierst. Da nimmt dir jemand die Vorfahrt. Da übersieht dich jemand bei einer Begrüßung. Da bricht jemand den Kontakt zu dir ab. Mehrmals am Tag kannst du die Erfahrung machen, die dich abrutschen lässt in eine tiefe Verlorenheit. Erinnerst du dich daran? „Du bist äußerst liebenswert!“ Mach doch mal die Übung und zähle auf, was genau du an dir liebenswert findest. Insgesamt bist du liebenswert. Ja? Aber du kannst auch ins Detail gehen. Du bist ja eine Komposition aus vielen Elementen, ein buntes Mosaik von Liebenswertigkeit. Niemand kennt diese Zusammensetzung so wie du.
Ist dir schon einmal aufgefallen, dass Menschen von außen dich ganz anders wahrnehmen als du dich selbst. Ich bin manchmal total erstaunt, was Menschen an mir liebenswert finden. So genau habe ich für mich noch gar nicht hingeschaut. Ich schaue, was andere Menschen als liebenswerte Wesen ausmacht und kann das schnell herausfinden. Warum gelingt mir das nicht mit mir selbst?
Fühlt sich das dann sofort an wie Eigenlob? Eigenlob stinkt? Bin ich ein Narzisst, wenn ich so denke und verführe ich dich zu einer sehr unchristlichen Haltung? Im Laufe des Lebens haben wir ja das Bewusstsein dafür verloren, wie kostbar und wertvoll wir sind. Wir haben uns daran gewöhnt, wie mangelhafte Wesen herumzulaufen. Ständig bewertet und kritisiert. Wir sind unser größter Feind und Kritiker. Wir erkennen unsere Fehler und Schwächen und schämen uns dafür und sind damit beschäftigt, sie zu vermeiden, unsichtbar zu machen, auszumerzen. Immer mit der Absicht, dadurch liebenswerter zu sein. Dabei wächst der Schmerz, weil es uns eigentlich gar nicht gelingt. Jedes Scheitern bestätigt unser chronisches Versagen.
Wie würde sich dein Leben anfühlen, wenn du diesen ablehnenden Teil deines Lebens einmal ruhen lassen würdest. Und stattdessen dich so anschaust, wie andere liebevolle Menschen dich anschauen. Sieh dich an mit dem Blick deiner Eltern und wenn du gläubig bist mit dem Blick Gottes. Erinnerst du dich daran? Du bist äußerst liebenswert! Ich erinnere dich und mich ständig daran. Sobald ich dich frage, was dich in deiner Kindheit traumatisiert, dich eingeschränkt oder gekränkt hat, werden die entsprechenden Bilder, Gefühle und Bewertungen wach. Schon hast du wieder vergessen, dass du äußerst liebenswert bist. Kränkungsbilder sind unglaublich mächtig. Du glaubst ihnen lieber als der anderen Wirklichkeit. Das geht sehr schnell: „Ach, ich bin ja doch nicht liebenswert. Ich habe es immer schon gewusst. Mein Gefühl täuscht mich nicht.“ Du musst um diese Wirkmechanismen wissen. Die Wirkmächtigkeit deiner lebenslangen Glaubenssätze.
Als kluger Mensch wirst du vielleicht denken, dass es stimmt, dass du äußerst liebenswert bist. Aber dieser Gedanke ist oft nicht stark genug. Da sagt dir ein Mensch: „Du hast mich total enttäuscht!“ Und schon fällt deine Selbstliebe wie ein Kartenhaus zusammen. Kannst du dir vorstellen, dass die Vorstellung, dass du äußerst liebenswert bist, zu einem neuen Leitwert in deinem Leben wird. Du kannst dich dafür entscheiden. Du gibst immer wieder dein Ja dort hinein. Wenn dieser Mensch dir sagt, wie sehr er enttäuscht ist, wirst du vielleicht für einen kurzen Moment diese Trauer oder den Ärger spüren und zugleich den Lichtschalter anmachen: „Auch wenn ich jetzt diesen Kloß im Hals habe, bin ich total liebenswert.“ Du trainierst es und die „böse Welt“ und die „ablehnenden Menschen“ werden zu deinen effektivsten Sparringspartnern. Übe an deinen „Feinden“, dass du ein äußerst liebenswerter Mensch bist. Jetzt schließ die Augen und lass in dir das Bild entstehen wie du selber als Baby in der Wiege lagst. Was für ein liebenswertes Wesen!   



3. Du darfst dich angstfrei weiterentwickeln

„Ich tue das nie, nie wieder!“ In mir entsteht das Bild von mir als ich ein kleiner Junge war. Ich möchte einmal diese wunderbare bunte chinesische Tasse in der Hand halten und befühlen. Dabei werde ich erwischt und lasse vor Schreck die Tasse fallen. Mutter steht zornig und enttäuscht vor mir. Ich bekomme ihre ganze Wut und den Ärger ab. Die schöne chinesische Tasse von meiner Tante liegt nun in tausend Scherben da.
Ich bin ein Verbrecher. Man wird mich von meinen Eltern entfernen und ich lande im Heim. Unter lauter fremden Kindern. Ich werde alles verlieren. Meine Mutter wird mich nie wieder lieben und bei Vater werde ich auch keinen Trost finden. Ich bin schuldig. Die Scherben liegen da. Das Bild prägt sich ein wie das Brandmal bei einem Kalb. Die zerbrochene Tasse, die wütende und aufgelöste Mutter und ich hilflos und voller Angst. Nichts kann mich trösten oder beruhigen. Unauslöschlich gräbt sich das Erlebnis ein in jede Zelle meiner Haut.
Ich übertreibe? Ja, aus der Perspektive eines Erwachsenen. Du würdest es nivellieren. Es war schlimm und so schlimm auch wieder nicht. War ja nur ein Tasse. Die kann man ersetzen. In der Erwachsenenhaut gibt es das Erschrecken und das Beruhigen. Die Einsicht, dass ein Schaden entstanden ist. Ich entschuldige mich und bezahle die Rechnung. Ich vergewissere mich, dass die Beziehung nicht gelitten hat und dass wir uns wieder gut sind. Das Ganze dauert zehn Minuten.
Aber aus der Perspektive eines Kindes? Du hast keine Vorstellungen von Zeit, Kosten, Folgen oder Bewertungen. Du erschrickst, erstarrst und fühlst dich dem Tode nahe. Du bist nicht in der Lage, damit umzugehen. Du musst es erst noch lernen. Wenn du als Kind so hilflos und ohnmächtig dastehst wirst du alles dafür tun, dass dir das nie wieder geschieht.
„Ich tu das nie, nie wieder!“ So schnell wirst du keine Porzellantasse mehr in die Hand nehmen. Die Angst wird dich hindern. „Lass es stehen! Sonst lässt du es fallen und du weißt genau, was passieren wird. Willst du, dass die Welt zusammenbricht und alle geliebten Menschen sich von dir entfernen?“ Das willst du nicht, weil du ja alleingelassen sterben müsstest. Du bist angewiesen auf deine Eltern und auf ihr Wohlwollen!
Dabei fing alles so verheißungsvoll an. Du kommst als Schöpfer, als Erfinder und Entdecker auf die Welt. Voller Lust und positiver Energie drückst du dich aus. Das Wort Angst kennst du nicht im Zusammenhang mit Menschen. Höchstens mit normalen Abläufen des Alltags wie bei den Tieren. Da kommt plötzlich und unerwartet etwas auf dich zu, das dich erschreckt. Die Nacht bricht herein und du siehst nichts mehr. Geräusche dringen an dein Ohr, die du nicht deuten kannst.
Direkt bei dir jedoch hast du Kontakt zu deinen Eltern. In ihrer Nähe fühlst du dich sicher und geborgen. So lernst du eine gesunde Mischung aus Vertrauen und den Umgang mit unbekannten Situationen. Die Nähe deiner Eltern verleiht dir den Mut, deine Komfortzone zu verlassen und Neues zu wagen.
Wie jedoch entwickelst du dich, wenn deine Eltern unsicher sind? Wenn Vater und Mutter in einer angespannten Beziehung leben? Wenn deine Mutter Angst um dich hat und dir nichts zutraut? Wenn sie dich permanent beschimpft und überfordert? Wenn du in einem Umfeld von Angst aufwachsen musst? Die ersten Jahre deines Lebens prägen dich. Und als Erwachsener musst du mit deiner Prägung das Leben bestehen.
Vielleicht erinnerst du dich gar nicht mehr an die einzelnen Ereignisse aus deiner Kindheit. Aber du wirst ein Grundgefühl entwickelt haben. Du wirst eher vertrauen und dir kraftvoll das Leben erobern oder dich zögerlich zurückhalten und dich eher verweigern.
Wenn du angstvoll aufgewachsen bist bleibt dir nichts anderes übrig, als damit zu leben. Du wirst in der Regel sehr vorsichtig sein. Du wirst dazu neigen, viele Versicherungen abzuschließen, Türen und Fenster in deiner Wohnung zu verriegeln und ständig zu überprüfen. Dir unbekannte Menschen werden erst einmal beweisen müssen, dass sie vertrauenswürdig sind. Dein Immunsystem wird stark herausgefordert sein und du wirst stärker zu Allergien neigen als andere. Du wirst oft das Für und Wider abwägen und dich nicht gut entscheiden können. Du wirst dazu neigen, die Schuld auf dich zu nehmen und lieber kein Nein zu riskieren. Du wirst Lebensmittel nicht essen wenn sie nicht absolut sicher sind. Du wirst das Gefühl haben als ob um dich herum eine Mauer aufgebaut ist, die du nur angestrengt überwinden kannst. Je größer die Angst, desto höher und dicker die Mauern und das Bemühen, dir Sicherheit zu verschaffen.
Und du machst die Erfahrung, dass es nie genug ist. Noch eine Versicherung zusätzlich, noch vorsichtiger sein, noch weniger wagen. Die Angst und die Angst vor der Angst lauern dir ständig auf.
Wenn du dich weiterentwickeln möchtest bleibt dir nichts anderes übrig, als zu lernen, mit der Angst umzugehen. Menschen, die relativ angstfrei aufwachsen können sich da nicht wirklich gut einfühlen. Welche Möglichkeiten hast du? Du kannst weitermachen und alles, was Angst macht, vermeiden. Du flüchtest! Oder du stellst dich mutig den Herausforderungen. Du durchlebst die Angst. Du lässt dich von ihr überfluten. Du setzt dich daneben. Du lernst, trotzdem zu atmen. Du entschließt dich dazu, der Angst nicht mehr so viel Raum zu geben, dass sie dein Leben verhindert. Du entschließt dich zu einer neuen Lebensphilosophie: „Ich habe Angst davor, also mache ich es.“ Mach dir keine Sorgen. Es wird noch genug Angst übrig bleiben. Aber du wirst dich weiterentwickeln.
Stell dir aber vor, dass es den großen Tag geben wird, wo du dich weiterentwickelst jenseits der Angst. Einfach nur weil du Freude hast. Tiefe Freude an dir, an den Menschen um dich herum und an den Dingen. Du kehrst zum Anfang deines Daseins zurück. Du erinnerst dich daran, dass du mit voller Energie und grenzenlosem Vertrauen ausprobieren und gestalten darfst. Du darfst wie ein Baby die Welt erobern und machst das mit einer Bewusstheit von absoluter Sicherheit.
Du kannst es lernen, den Raum der Angst zu überwinden und zu ersetzen durch das Wissen, dass du Teil eines göttlichen Ursprunges bist. Deine Angst verzerrt dir den Blick auf die Wirklichkeit. Mit deiner Angst wirst du in vielen Menschen einen Feind sehen, der dich ausbeuten, betrügen und übervorteilen wird. Jenseits der Angst jedoch wirst du in jedem Menschen einen Bruder oder eine Schwester sehen. Einen Spielkameraden, mit dem du die Welt erkunden darfst.
Wo befindest du dich gerade in deiner persönlichen Entwicklung? Hast du schon alle Urängste kennengelernt und überwunden? Lebst du schon in der Freiheit der Kinder Gottes? Ich merke immer wieder, dass meine Vergangenheit ihren Schatten über mich legt, aber die Macht verschwindet mehr und mehr und das fühlt sich gut an. Stell dir vor, dass du dich angstfrei weiterentwickelst. Stell dir vor, dass du das kannst und dass das ganz selbstverständlich ist. Lerne solche Menschen kennen und lass dich von ihnen anstecken. Spüre den Unterschied, der einen Unterschied macht. Du kannst lustvoll und neugierig die neuen Räume betreten oder vorsichtig und zurückhaltend. Sterben musst du sowieso. Aber es reicht, dass am letzten Tag deines Lebens zu machen. Sonst stirbst du jeden Tag und hast gar nicht gelebt. 
Und hier der Text zum downloaden!


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen