Diese
Weisheit widerstrebt mir ein wenig. Wenn ich mit einer Arbeit beginne
oder einen Weg gehe, dann freue ich mich schon über die ersten
Ergebnisse und die ersten gegangenen Schritte. Ich spreche mir Mut zu
und schaue auf das, was ich schon geschafft habe. Mir kommen dabei die
Menschen in den Sinn, die sich schnell abschrecken lassen und gar nicht
erst anfangen. Ich habe immerhin schon begonnen.
Erst Recht, wenn
ich etwas mehr als die Hälfte geschafft habe wächst in mir der Stolz.
Den Rest mache ich mit links, sage ich mir. Es ist schon mehr als die
Hälfte. Ich blicke zurück und mir wächst die Energie zu für die kleine
Reststrecke an Weg oder Arbeit. Da kommt mir dieser chinesische Satz in
die Quere, der "behauptet", dass ich bei 99 von 100 Schritten nicht
behaupten darf, dass ich bereits die Hälfte geschafft hätte. 99 ist doch
kurz vor dem Ziel. Es fehlt nur noch ein Schritt, ein einziger Schritt.
Im Alltag beschäftige ich beim hundersten Schritt schon mit der
nächsten Aufgabe.
Der Brief ist geschrieben und eingetütet.
Während ich die Briefmarke klebe geht mein Blick zur letzten Mail, die
ich beantworten möchte. Wenn ich dort meinen Namen druntersetze geht
mein Gedanke hin zu den Kartoffeln in der Küche, die geschält werden
wollen. Wenn ich zum Schluss am Herd alle Töpfe noch einmal abschmecke
und rühre geht mein Gedanke zum Briefkasten um zu schauen, ob der
Postbote schon da war.
Jedes Mal denke ich, wie gut ich doch
organisiert bin und wie am Schnürchen die Arbeiten erledigt werden. Mein
Vater wäre stolz auf mich. Wie kann der chinesische Spruch so etwas
behaupten! Will er mich ärgern?
Ja ich kenne Menschen, denen im
letzten Moment der Mut verlässt und alle bisherigen Schritte waren
vergeblich. Die letzten Hindernisse vor dem Ziel, die du nicht
überwinden kannst. Die meisten Bauwerke werden darum erst so spät
vollendet. Da war etwas, mit dem niemand gerechnet hat.
Und wie
ist das mit meinen eigenen letzten Schritten? Womöglich vergesse ich,
den Brief einzuwerfen. Während ich meinen Namen unter meine Mail setze
und abschicke übersehe ich die Betreffzeile. Während ich zum Briefkasten
gehe brennt mir mein Essen an. Was lerne ich aus diesem Weisheitswort:
Abgerechnet wird zum Schluss. Sei sorgfältig bis zum letzten Schritt.
www.matthias-koenning.de
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