Mit
diesem Vers endet das Gedicht „Stufen“ von Hermann Hesse. Abschied nehmen und
gesunden? Im „Totenmonat“ November
werden die Abschiede von unseren verstorbenen Angehörigen besonders präsent.
Wir besuchen ihre Gräber und verbinden uns mit ihnen.
Im
Gedenken wird uns zugleich unsere eigene Endlichkeit bewusst. Auch wir werden
uns von dieser Welt eines Tages verabschieden. Eines Tages müssen wir
hineingehen in den großen Abschied. Auch wenn wir alle Energie hineinsetzen,
ihn durch ein gesundes Leben so weit wie möglich hinauszuschieben: Wir kommen
nicht drum herum. Zum Glück können wir uns vorher einüben. Wir haben schon bei
der Geburt den ersten Abschied genommen von der Bauchhöhle unserer Mutter. Wir
haben uns von der Kindergartenzeit verabschiedet, von der Schule, vielleicht
schon vom Berufsleben, von Freundinnen und Freunden, von der ersten großen
Liebe. Manchmal fiel der Abschied leicht, oftmals aber auch schwer, vor allem,
wenn wir den Abschied gar nicht wollten. Wie kann Hermann Hesse davon sprechen,
dass wir gesunden, wenn wir Abschied nehmen?
Stell
dir nur einmal vor, du wärest im Bauch deiner Mutter geblieben oder du wärest
ein ewiges Kind im Kindergarten? Irgendwann ist es nicht mehr stimmig und deine
Weiterentwicklung sagt dir, dass etwas Neues beginnen muss. Im Gedicht „Stufen“
sagt Hermann Hesse: „Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten. An keinem
wie an einer Heimat hängen.“ Es geht um die immer wiederkehrende Gefahr, dass
wir festhalten möchten. Wir möchten halten, was wir lieben. Aber indem wir
festhalten, hören wir auf zu lieben und halten eben fest. Wir konservieren
etwas, das nur im „Frischezustand“ vorhanden ist. Manche Traditionen wirken
darum so sinnlos und leer, weil sie eher der Ausdruck von etwas längst Vergangenem
sind. Die Liebe zu den Dingen und den Menschen muss frei sein. Sie „geschieht“
immer in der Gegenwart. Du erlebst die Liebe im Augenblick und im Hier und
Jetzt, oder wie Hermann Hesse es ausdrückt, im heiteren Durchschreiten unserer
Lebensräume.
Abschied
nehmen und gesunden? Wenn wir festhalten, werden wir also krank. Das kann
sowohl auf der körperlichen also auch auf der geistig- seelischen Ebene
geschehen. Denke einfach mal nur an dein Verdauungssystem und deine
verbrauchten Zellen. Sie müssen deinen Organismus verlassen, sonst vergiftest
du dich. Oder ich denke an ein Ehepaar, das viele Jahrzehnte verheiratet war. Der
Eine stirbt und der Andere hat manchmal das Gefühl, mit gestorben zu sein. Die Welt
bleibt stehen und der Übriggebliebene wartet, bis auch er gehen darf. Es sei
denn, er kann auch innerlich loslassen und so einen Neubeginn wagen.
Abschied
nehmen ist leichter gesagt als getan. Wenn wir an den großen Abschied denken,
den Tod, so wissen wir ja, dass es kein Zurück gibt. Die kleinen Abschiede
mögen wir ja noch gut bewältigen, aber…
Ich
glaube, da gibt es einen Denkfehler. Wir konstruieren da in unserem Kopf einen
Gegensatz, den es so gar nicht gibt. Hier das Leben – da der Tod. Entweder
lebst du oder du bist tot. Weichen wir doch einmal die Grenzen auf! Lebst du
wirklich? Ja, dein Körper scheint zu funktionieren, zwar mit der einen oder
anderen Einschränkung oder Blessur, aber immerhin. Aber, lebst du wirklich? Es
ist wie mit der Liebe. Lieben kannst du nur, indem du liebst. Leben kannst du
nur, indem du lebst. Wenn du sagst: „Erst im Urlaub lebe ich so richtig auf.“
Dann lebst du nicht, dann bist du so etwas wie „zwischentot“, wenn es das gibt.
Jetzt, wo du diese Zeilen liest, wird dir bewusst, dass du freust oder dich
ärgerst. Wenn du dich nicht mehr spürst und die Gegenwart verlässt dann wirkt
das wie ein „Mini-Tod“ mit dem Festhalten am Vergangenen, mit deiner fehlenden
Flexibilität, mit deinen starren Gewohnheiten.
Noch
ein Gedanke für die Auflösung der Grenzen von Tod und Leben. Als du im
Mutterleib warst, dachtest du vielleicht bei der Geburt: „Hilfe, ich sterbe!“ Du
hattest wahrscheinlich keine Geburtsfreuden, sondern eher Todesangst. Aber, du
lebst! Jetzt denkst du, aber wenn ich gestorben bin, bin ich wirklich tot. Da
sagt Jesus im Lukasevangelium (Lk 20,38) „Er ist doch kein Gott von Toten, sondern
von Lebenden; denn für ihn sind alle lebendig.“ Für Gott sind alle lebendig!
Deine verstorbenen Eltern, deine Familie, die Freunde, alle Menschen aller
Religionen und du selbst. Für Gott sind alle lebendig, meint Jesus. Wir
verwechseln das körperliche Ende mit dem Tod. Ja, der Körper ist begrenzt, aber du selbst mit deinem
innersten Wesenskern wirst nicht sterben, du lebst. Aber ob du wirklich lebst
und das Empfinden von Leben hast, entscheidest du einfach selber, indem du dich
weiterentwickelst. Im Grunde ist es egal, ob du jetzt in diesem vorübergehenden
Körper zuhause bist, oder nach diesem Leben in einen anderen Seinszustand übergehst,
du kannst immer tot und/oder lebendig sein.
Noch
einmal Hermann Hesse im Gedicht „Stufen“: „Es wird vielleicht auch noch die
Todesstunde uns neuen Räumen jung entgegen senden. Des Lebens Ruf an uns wird
niemals enden… Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!“ In diesen Versen
verbergen sich noch ein paar gute Hinweise für das Leben.
- Die Todesstunde macht uns jünger und nicht älter. Die neuen Räume werden uns erfrischen und beleben wie das Erlebnis der großen Welt damals nach unserer Geburt. Der Tod ist nicht Tod, sondern die Öffnung der neuen Räume.
- Die Tür zu den neuen Räumen liegt nicht in der Region des Verstandes, sondern im Herzen.
- Da gibt es „des Lebens Ruf“. Von außen sagt die Stimme: „Mach dich auf!“ Ich glaube, dass Gott uns ruft. Werde aufmerksam für seine Stimme.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen