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Mittwoch, 25. Februar 2015
Liest du noch die Speisekarte oder isst du schon!
Auf den ersten Blick klingt dieser Satz vielleicht eigenartig. Darum will ich ein paar Sätze dazu schreiben.
Stell dir vor, du gehst mit Freunden in ein Restaurant. Der Kellner heißt euch willkommen und zeigt euch einen Platz, wo ihr sitzen könnt. Ihr setzt euch und der Kellner bringt die Speisekarte. Er überreicht dir sehr freundlich diese Karte und empfiehlt dir auch eine von den Speisen. "Suchen sie vegetarisch? Das finden Sie hier! Und auf dieser Seite stehen die Tagesgerichte! Der Fisch ist heute besonders zu empfehlen!"
Du bedankst dich beim Kellner und dann lest ihr alle die Speisekarte rauf und runter. Ihr tauscht euch aus. "Was nimmst du?" "Ja wie toll, das klingt auch ganz lecker!" Vor deinem geistigen Auge siehst du die toll angerichteten Speisen. Dein Magen ruft: "Hurra!" in seiner unnachahmlichen Art. Dann kommt der Kellner wieder und es geschieht etwas merkwürdiges. Du gibst dem Kellner die Speisekarte zurück und deine Freunde machen es ebenso. Ihr bedankt euch bei dem freundlichen Mann für das Austeilen der Karten, entrichtet eine kleine Leihgebühr und verlasst das Lokal.
"Hä!" wirst du jetzt denken, oder? Das ist doch völlig schräg! Man geht doch in ein Lokal um zu essen. Du liest zwar die Speisekarte, aber das Ziel ist doch das Essen. In meiner Geschichte gibt es aber keine Bewusstheit vom Essen, sondern nur die Bewusstheit einer Speisekarte. Dort werden die Speisen gelesen, aber nicht konsumiert. In meiner Geschichte ist das völlig in Ordnung so. Meine Besucher kennen es nicht anders. Sie gehen in eine Lokal um Speisekarten zu lesen.
Du würdest jetzt vielleicht mit deinem erweiterten Bewusstsein sagen: "Wie schräg ist denn das! Das Eigentliche haben die Gäste doch verpasst. Das Wesentliche kommt erst nach der Bestellung. Es geht um das Essen, das Genießen und das Sattwerden. Vom Lesen wirst du nicht satt!"
Jetzt wirst du vielleicht fragen warum ich diesen Gedanken mit dir teile. Ich möchte dich einladen, diese Geschichte auf dein Leben zu übertragen. Wo liest du noch die Speisekarte und merkst nicht, dass du eigentlich essen dürftest?
Ich wage einmal eine Übertragung. In der Kirche erzählt dir der Pfarrer im Rahmen seiner Predigt etwas über Gott. Er erzählt, dass er gütig ist und dass man ihm vertrauen kann. Er liest dir vor, was in der Bibel steht und erklärt dir, wie du das verstehen kannst. Mit meinen Worten. Er liest eine Speisekarte vor. Aber isst du auch? Du hörst vielleicht etwas über Gott, aber du isst ihn nicht. Du spürst ihn nicht in dir und hast keine Gespür dafür in ihm zu leben. Du bekommst selten eine Anleitung zum "Gott spüren". Gerade in spirituellen Fragen habe ich oft den Eindruck, dass wir alle Speisekarten lesen und gar nicht wissen, dass es ums Essen geht.
Stell dir doch einmal vor, dass die Predigt ausfällt. Der Pfarrer würde sagen: "Herzlich willkommen! Schließe deine Augen und achte auf deinen Atem wie er kommt und geht. Nimm wahr, welche Bilder in dir auftauchen und welche Gedanken entstehen. Hörst du die Stimme Gottes? Was sagt er gerade. Was nimmst du wahr?" Dann - Stille. Zeit zum Wirken! Nach einer Weile lädt der Pfarrer ein zum Teilen: "Wer möchte erzählen, was geschehen ist?"
Auf einmal gäbe es eine Demokratisierung von Religion. Alle würden von den kostbaren Speisen erzählen, die sie gerade gegessen haben. Alle würden merken, dass sie den Sprung geschafft haben vom Lesen der Speisekarte hin zum Genießen der Speisen.
Die Gotteserfahrung ist meine Herzensangelegenheit. Ich weiß nicht, ob dir mein Bild etwas sagt. Vielleicht lässt es sich auch auf andere Situationen übertragen. Du hörst von Musik aber in dir gibt es keine Melodie. Dir erzählt jemand von Farben aber deine Welt ist schwarz und weiß. Du hörst, dass es die Liebe gibt, aber dein Herz bleibt bei der Sehnsucht stehen. Darum noch einmal meine Frage: Liest du noch die Speisekarte oder isst du schon?
www.matthias-koenning.de
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