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Mittwoch, 18. Februar 2015

Ein Zug fährt nie zu früh ab, oder?!

Ich fahre häufig mit der Bahn. Der Zug kommt leider nicht immer pünktlich. Er kommt eher zu spät und öfter als mir lieb ist. Man könnte sagen, dass die Bahn da sehr unzuverlässig ist. Manchmal ärgere ich mich darüber. Aber nicht oft! Ich habe das schon in meinem Zeitplan einkalkuliert. Die Bahn bekommt von mir die innere Erlaubnis bis zu fünfzehn Minuten. Innerhalb dieses Zeitraumes bleibe ich völlig gelassen. Das sage ich der Bahn jedoch nicht. Sonst strengen sie sich nicht mehr an.

Ich war auf einer Tagung und eine Teilnehmerin erzählte mir auf dem Rückweg zum Bahnhof, dass sie gerne ein paar Minuten eher am Bahnsteig ist. Lieber zu früh als zu spät. Das Gefühl kenne ich auch. Besser etwas früher am Bahnhof sein. Es könnte ja auf dem Weg etwas dazwischen kommen. Du wirst an der Ampel aufgehalten. Du läufst länger als du gedacht hast...

Dabei kam mir ein Gedanke, der mich tief berührte. Ein Zug fährt nie zu früh ab! Wenn die Bahn pünktlich ist, dann rollt der Zug erste los wenn der Sekundenzeiger von der Zwölf wieder auf die Eins wechselt. In meinem ganzen Bahnleben ist nie ein Zug zu früh abgefahren. Die Bundesbahn ist in dieser Frage unglaublich zuverlässig.

Ich stelle mir den Zugführer vor, wie er mit den Füßen scharrt und auf die Uhr schaut. Obwohl er abfahrbereit ist wartet er noch. Sekunde um Sekunde übt er sich in Geduld und wartet, bis der Zeiger sagt: "Jetzt!" Dann geht es los. Nicht vorher!

Dieser Gedanke bringt mich auf die Idee einmal die Menschen in den Blick zu nehmen, die in der Regel unpünktlich sind. Ich habe solche Freundinnen und Freunde. Die beschweren sich manchmal über die Bahn aber selber kommen sie auch immer zu spät. Ich habe aufgehört mich über diese Menschen zu ärgern. Das ist wie mit der Bahn. Wenn du dich über die Unpünktlichkeit ärgerst fährst du doppelte Negativität ein: Die Tatsache der Unpünktlichkeit und deinen Ärger! So viel Macht gebe ich weder der Bahn noch den Freunden, auch noch ärgerlich zu sein. Wie mache ich das?

Nun, ich bewundere meine unpünktlichen Freunde. Ich bewundere sie für die heitere Gelassenheit. Wenn sie kommen und ich demonstrativ auf die Uhr schaue dann bemerken sie meine Geste nicht einmal. Und wenn ich etwas sage kommt die Antwort: "Ach ja? Wirklich?" Dann bewundern sie ausgibig dein Outfit und erzählen von ihrem interessanten Tag. In Wirklichkeit sind die Unpünktlichen genauso zuverlässig wie ich. Sie sind zuverlässig in ihrer Unpünktlichkeit, zuverlässig in ihrer Gelassenheit, zuverlässig in ihrer Freundschaft, zuverlässig in ihrem offenen Zeitmanagement. Sie sind genau betrachtet viel zuverlässiger als ich.

Die Bahn auch! Ich kann mich total darauf verlassen, dass sie nie vor der Zeit abfährt. Das gibt mir ein sehr beruhigendes Gefühl. Ich muss nicht früher am Bahnsteig stehen. Das mache ich zwar weiterhin, weil ich nicht weiß, ob die Zuverlässigkeit der Bahn auch morgen noch bleibt. Ich gehe früher zum Bahnsteig wegen meines guten Gefühles. Und auch wenn die Bahn demnächst nie mehr pünktlich ankommt bleibt meine Welt bestehen. Mein Zug wird zuverlässig nicht vor der Zeit abfahren. Meine unpünktlichen Freunde werden auch mit dieser kleinen Schwäche ganz zu mir stehen.
www.matthias-koenning.de

2 Kommentare:

  1. Ein wunderschöner Artikel. Er erinnert mich an "Momo" von Michael Ende.

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  2. Ein wunderschöner Artikel, nur inhaltlich falsch. Mein Zug ist eben eine geschlagene Minute zu früh abgefahren. Selbstredend ohne mich....

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