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Mittwoch, 27. April 2022

Im Abgrund der Todesbedrohung und weit jenseits davon – Wege zu österlichen Befreiungen (der gesamte Text)


Manchmal wird dir das Leben schwer. Du schaust hinein in einen Abgrund. In deinen Abgrund. Du erkennst deine Fehler, dein Versagen und vor allem – dein Unglück. Da gibt es Momente des Erschreckens und zugleich des Aufwachens. Die Überraschung: Ach ja, das bin ja ich. Das ist mir passiert! Das habe ich bewirkt! Das ist geschehen mit meiner Schöpferkraft.
Wenn du in den Abgrund hineinschaust mag es sich wie ein heilsames Erschrecken anfühlen. Ich bin noch nicht da drin. Ich kann einen anderen Weg einschlagen. Aber wenn du im Abgrund deiner Verstrickungen hockst und erst einmal keinen Ausweg siehst, braucht es vielleicht den einen oder anderen Impuls. Vielleicht ist der Abgrund gar nicht so tief, wie du dachtest. Vielleicht lösen sich von einem Rand ein paar Steine und es entsteht eine Rampe. Oder du besitzt verborgenes Werkzeug, dass dir beim Herausklettern helfen könnte. Nur du hast es noch nicht wahrgenommen oder kennst dich nicht aus mit dem Gebrauch. Bestenfalls entpuppt sich der Abgrund als kleines Loch, den du nur so „abgrundtief“ wahrnimmst. Dann musst du nur aufstehen und weitergehen. Mehr ist nicht zu tun.
Ich möchte mit dir gerne durch den einen oder anderen „Abgrundsatz“ gehen. Was meine ich mit Sätzen aus der Tiefe der Scham oder des Schmerzes? „Das habe ich nicht gewollt...“ oder „Wie lange muss ich das noch aushalten...“ sind für mich ganz typische Worte der Verzweiflung. Ich glaube, dass es heilsam und wichtig ist, etwas Licht in diese Erlebnisse und Erfahrungen zu bringen. Du kannst im Abgrund fest steckenbleiben oder daran wachsen und reifen. Wachsen und reifen gefällt mir besser. Wenn es im Schmerz Tröstendes gibt, kann sich etwas lösen und ein „österlicher“ Verwandlungsprozess kann beginnen. In diesem Sinne wünsche ich dir eine mutige Begegnung mit dir selbst. Deinem Licht und deinem Schatten. 


Das habe ich nicht gewollt...
Stell dir vor, dass du ganz in Übereinstimmung bist mit deinen Zielen. Du hast aus voller Überzeugung und mit ganzem Herzen etwas in die Tat umgesetzt. Vielleicht hattest du bei deiner Entscheidung ein etwas mulmiges Gefühl, aber dennoch war es abgewogen und in Ordnung.
Nach dem Tun kommt dann jemand auf dich zu und beschwert sich über die Auswirkungen. Deine Entscheidung hat bewirkt, dass jemand anders gekränkt ist oder sich beschädigt fühlt. Es kann sogar sein, dass du sprachlos bist über die Auswirkungen deiner Entscheidungen. „Das habe ich nicht gewollt...“  - magst du sagen und denken. Du hast etwas anderes gewollt. Du musstest eine Entscheidung treffen und bist jetzt erschrocken, dass du einem Menschen „Schaden“ zugefügt hast. Das ist nicht nur unangenehm. Du fühlst dich im ersten Moment schuldig. Du machst dir Vorwürfe, dass du manche Aspekte gar nicht bedacht hast. Du hättest bei etwas längerem Nachdenken doch eine bessere Entscheidung treffen können.
Ich stelle mir da all die Politiker vor, die ständig Entscheidungen treffen und die Auswirkungen nicht wirklich bedenken. Oder du hast dein Kind erzogen nach bestimmten Grundsätzen. Vielleicht waren deine Eltern total sparsam und du wolltest jetzt deinen Kindern gegenüber großzügig sein. Du warst es und hast verschwenderische Kinder erzogen, die mit ihrem Geld nie auskommen und dich ständig anpumpen. „Das hast du nicht gewollt...“  Du wolltest etwas Gutes! Du wolltest zu einer besseren Welt beitragen in deinem Bereich. Du wolltest vor allem ein gutes Gefühl haben für das, was du tust. Du wolltest „Ja“ zu deinem Leben sagen. Und dann kommt alles anders. Es kann sogar sein, dass dein Weltbild dadurch zusammenbricht. Auch das „hast du nicht gewollt.“
So oft geschehen Dinge, die wir eigentlich nicht wollen. Du stößt etwas an und das „Etwas“ nimmt seinen von dir unabhängigen Verlauf. Nur begrenzt kannst du es noch beeinflussen. Jesus hat auch nicht „gewollt“, dass sein Weg am Kreuz endet. Das hätte auch gut eines seiner letzten Worte gewesen sein. „Das habe ich nicht gewollt...“ Vielleicht hätte er gewollte, dass auch seine „Gegner“ sich für einen Weg der Vergebung entschieden hätten. Haben manche aber nicht gemacht.
Wie gehe ich aber jetzt um mit dem „Das habe ich nicht gewollt...“?
Mir hilft die Vorstellung, dass das letzte Wort dazu noch nicht gesprochen ist. Du weißt nicht, ob es am Ende doch zu etwas Gutem führt. Du bist ein wichtiges Rädchen im Weltgetriebe, weil das wirkt, was du tust. Gott sei Dank. Sonst wäre alles egal! Aber du bist nur ein relativ kleines Rädchen in der langen Menschheitsgeschichte. Da gibt es neben dir viele andere Räder, die auch etwas bewirken. Sie verstärken dich oder arbeiten gegen dich.
Der andere Impuls der mir kommt heißt: Dann übernimm doch einfach die Verantwortung dafür. Steh zu deiner Entscheidung. Steh zu deinen Fehlern. Bezahl den Preis und geh den nächsten Schritt. „Das habe ich nicht gewollt...“ führt schnell in eine Ohnmacht. Wichtig ist es, aus dieser Ohnmacht herauszukommen. Einen Schritt machen. Fast egal, welchen! „Entschuldigung, kann ich nach jetzt nach dem Fehlgriff etwas für dich tun?“ „Was brauchst du jetzt, wo das passiert ist, was ich mit verursacht habe?“ „Kann ich noch eine Korrektur versuchen?“ Zur Übernahme der Verantwortung gehört auch, die Augen aufzumachen und einzugestehen, dass alle meine Handlungen etwas bewirken. Wenn ich Gedanken an den Weltfrieden hege, trage ich etwas zum Frieden bei.  Wenn ich meinen Arbeitskollegen gering schätze, dann trage ich etwas zum schlechten Betriebsklima bei. Es reicht, wenn ich es denke. Ich muss nicht einmal etwas tun.
Der österlich verändernde Impuls zu „Das habe ich nicht gewollt...“ heißt für mich: „Ich muss nicht stehen bleiben. Auch damit kann ich etwas machen. Ich kann eingestehen, Verantwortung übernehmen, Korrekturen einleiten und das Vertrauen auf einen möglichen positiven Ausweg weiter im Auge behalten.“   


Ich habe mich so bemüht...
Ich musste einmal einen Vortrag im Kindergarten halten über religiöse Erziehung im Kleinkindalter und habe dafür viele Bücher gelesen. Ich habe mich hineingewühlt in Religionspädagogik und kindgerechter Gebetspraxis. Ich habe Ideen gesammelt für einen spirituellen und zugleich modernen Weg, heute als Familie religiös zu leben. Gemalte Folien gehörten selbstverständlich dazu und ein Hand out für die Teilnehmer.
Nach fünf Minuten schon wurde ich unterbrochen durch einen Vater, der endlich seine ganzen Enttäuschungen über die Kirche abladen konnte. Das war das Einfallstor für einen Abend  voller Kirchenkritik.
Dabei hatte ich mich so bemüht, ein anderes Bild von Kirche abzugeben. Ich hatte so viel vorbereitet und so gute Ideen. Ich hatte mich auf alle Eltern gefreut und gehofft, ihnen hilfreiche Ideen an die Hand geben zu können. All meine Mühe war vergebens. So lautete die Quintessenz des Abends.
„Ich habe mich so bemüht...“ Wie oft kommt es vor, dass du dir wirklich ganz viel Mühe gegeben hast. Du hattest ein Rezept ausgesucht und dementsprechend eingekauft. Du hattest dich hingestellt, liebevoll vorbereitet und gekocht. Dir hatte es selbst geschmeckt und du warst stolz auf deine Leistung. Dann sitzt deine Familie beim Essen und du tischst auf. Dein wunderbares Gericht! Alle probieren und - verziehen die Gesichter zur Ekelgrimmasse. Sie wollen deine Kochexperimente nicht! Lieber Pizza und Pommes. Du hast ihnen keinen Gefallen getan. Dabei hast du dir solche Mühe gegeben!
„Ich habe mich so bemüht...“ Oft geht es darum, dass uns eine Arbeit Zeit und Energie gekostet hat. Wir haben echt investiert, so wie es ein gutes Unternehmen macht zur Verbesserung der Produktpalette. Und dann dieses Enttäuschung. Es ist mir nicht gelungen oder es wird nicht gewürdigt.
Erinnerst du dich an Kommentare deiner Lehrer aus Kindertagen? „Er hat sich sehr viel Mühe gegeben!“ Du hast nicht gehört, wie fleißig du warst, sondern dass du es einfach nicht drauf hast. Du bist zu blöd! „Ich habe mich so bemüht...“ das kratzt an dein Selbstwertgefühl. Da musst du echt stark sein und zu dir stehen können.
Wie könnte da ein österlicher Impuls aussehen? Bei dem Satz „Ich habe mich so bemüht...“ folgt ja ein gedachtes „Aber“. Das „Aber“ bringt die Einschränkung und die Vernichtung der Bemühungen. Dieses „Aber“ denkst du mit und machst dich damit klein. „Ich habe mich so bemüht, aber es hat nicht geklappt. Aber ich war nicht gut genug. Aber die anderen haben mich nicht gesehen.“  - Streiche diese „Aber-Gedanken“ aus deinem Bewusstsein.
Vielleicht kannst du auch das Wort Mühe streichen. „Ja, ich habe alles gegeben!“ Du hast ganz viel Energie von dir hineingegeben. Auch wenn niemand anders das würdigt, so kannst du es selber würdigen. Du kannst dich selbst anerkennen für deine Leistung und Hingabe. Du tust es zunächst einmal für dich! Wenn die anderen das toll finden, auch gut! Die österliche Umformulierung heißt für mich: „Ja, ich habe alles gegeben und freue mich über mein Werk!“

Wie lange muss ich das noch aushalten...
Du kannst wirklich in ausweglose Situationen geraten. Du leidest einfach! Du musst einen Menschen ertragen, der dich ablehnt und du kannst nicht weg von ihm. Du bist konfrontiert mit einer Erkrankung, die dich unglaublich schmerzt. Du musst eine Arbeit verrichten, die dir gar nicht liegt und mit der du dich überhaupt nicht identifizieren kannst. Du bist in eine Phase gekommen, wo du es eigentlich nicht mehr ertragen kannst, aber dennoch aushältst.
Es bleibt dir nichts anderes übrig? Du siehst keine Alternativen? Du steckst fest? Du hast keine Kraft und Energie mehr für einen Neubeginn? Du schleppst dich so gerade durch von Tag zu Tag?
„Wie lange muss ich das noch aushalten!“ Dieser quälende Schrei scheint eingebrannt zu sein in deinem ganzen Körper und in deiner Seele. Wenn das so ist, dann gebe ich dir gerne die Bestätigung und das Feed back : „Ja, das ist einfach zu viel!“
Das Unerträgliche wird eben irgendwann „untragbar“. Du kannst es nicht mehr tragen! Es ist zu viel geworden und du musstest es über einen zu langen Zeitraum tragen. Vielleicht hast du bei bestimmten Dingen irgendwann einmal eine vorläufige Erlaubnis gegeben. Du kümmerst dich zum Beispiel um deine alten Eltern. Aber du hattest nicht daran gedacht, dass das Jahre dauern könnte. Du hast mit ein paar Wochen gerechnet. Das wäre gegangen. Aber Monate oder sogar Jahre? Du übernimmst vielleicht eine schwere Aufgabe für den Augenblick aber nicht für einen unübersehbar langen Zeitraum. Dein Ja galt nur für eine kleine Strecke, für eine kurze Zeit.
„Ich muss das alles tragen! Wer soll das sonst machen? Es ist doch niemand da! Freiwillig mache ich das auch nicht!“ Solche Sätze höre ich dann und das macht mich mit hilflos. Manchmal scheint es nur so etwas zu geben wie einen Trostsatz: „Ich wünsche dir, dass es bald aufhört. Vielleicht geschieht ja auch mal ein Wunder!“
Hinter dem „Wie lange noch“ steht es ein „Eigentlich kann ich gar nicht mehr“. Du bist schon jenseits deiner Kräfte angekommen. Sogar so weit, dass du nicht einmal mehr die Lasten aus deinen Händen legen kannst. Sie kleben an dir fest!
Gibt es einen österlichen Impuls? Ich gehöre zu den unerschütterlichen Vertretern, die trotzdem nach einer Lösung suchen jenseits des „Wie lange noch ertragen!“ Vielleicht magst du jemanden bitten: „Hilfst du mir beim Tragen?“ Wenn da schon eine Last ist, die zur übermäßigen Belastung geworden ist dann gibt es doch auch oft die Bereitschaft anderer Menschen, etwas mitzutragen. Ein wenig Entlastung! Ein wenig Freiraum! Als belasteter Mensch musst du allerdings die Bereitschaft haben, jemanden zu fragen und das Angebot auch zu würdigen. Du wirst nicht alles loswerden. Was du ja eigentlich möchtest. Aber die Entlastung wäre der erste Schritt hin zu einer Veränderung. Ein erster kleiner, aber hilfreicher Schritt. Einen kleinen Teil der Lasten jemand anderes zu übergeben. Vielleicht trägst du ja auch Teile, die gehören dir gar nicht. Da hat jemand dir etwas aufgeladen und du hast es einfach behalten. Jetzt musst du es eben zurückgeben. Vielleicht kannst du auch hier und da eine kleine Pause einlegen und dir Ruhezeiten erlauben und Abladeplätze finden. Mein österlicher Satz heißt: „Ich trage eine Last, die mir zu groß geworden ist. Kannst du mir helfen? Zugleich erlaube ich mir Zeiten und Orte der Entlastung!“

Wenn ich das gewusst hätte...
„Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich mich völlig anders entschieden. Ich bin von völlig anderen Tatsachen ausgegangen.“ „Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich nie das Haus gekauft. Jetzt hocke ich da mit den Schulden, die ich nicht mehr bezahlen kann.“ „Wenn ich das gewusst hätte, dass du ein so depressiv veranlagter Mensch bist, hätte ich mit dir nie eine Beziehung aufgenommen.“ „Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich nie auf die Welt gekommen. Da ist so viel Unfrieden und Zerstörung. Mehr als ich ertragen kann.“
So viel „Wenn ich das gewusst hätte...“ Gehörst du auch zu den Menschen, die möglichst viel wissen möchten, damit sie eine Entscheidung treffen können? Das hat ja auch eine gewisse Logik. Wenn ich viel über etwas weiß, kann ich auch eine gute Entscheidung treffen. Ich kann abwägen und die beste aller Möglichkeiten herausfinden.
Wenn du so denkst, dann bist du doch ein sehr verantwortungsvoller Mensch. Dir kann man wirklich vertrauen. Du triffst keine Entscheidungen ins Blaue hinein. Einfach so aus dem Bauch! Du überlegst gründlich. Du beherzigst die Worte deiner Eltern und Lehrer die dir einmal sagten: „Denk doch mal nach!“
Vielleicht hast du darum auch Angst vor einer Fehlentscheidung. Wenn du das gewusst hättest, dann hättest du dich nicht „falsch“ entschieden. Leider können wir immer nur eine Entscheidung treffen mit dem Wissen zu dem Zeitpunkt, wo wir uns entscheiden müssen. Wenn du es gewusst hättest, hättest du eine noch bessere Entscheidung treffen können.
Es kann aber auch passieren, dass du gar keine Entscheidung triffst. Du wartest und wartest und informierst dich hier und dort. Du denkst, dass du bestimmt was übersehen hast und dass irgendjemand noch mehr weiß. Dann geschieht es, dass du auf einmal zu spät bist. Die Zeit ist abgelaufen. Die Geschichte hat sich ohne dich weiterentwickelt. Ein anderer Interessent hat die Ferienwohnung gemietet auf die du spekuliert hast. Dir fehlten noch ein paar ganz wichtige „Details“.  Dinge, die nicht in der Internetbeschreibung waren wie: Wo gibt es den nächsten Bäcker? Wann gibt es die stärkste Sonneneinstrahlung auf der Terrasse? Wie stark ist der Strahl, der aus der Dusche kommt? Wenn du gewusst hättest, dass jemand anders sich auch für die Wohnung interessiert, hättest du schneller zugegriffen.
„Wenn du das gewusst hättest“ kann auch ein Ausdruck deiner Angst sein. Die Angst überhaupt vor Entscheidungen. Deine Überzeugung, dass du nichts falsch machen darfst. Deine Sorge, von anderen dafür kritisiert zu werden. Die Stimme deines inneren Kritikers der da sagt: „Mach bloß nichts unüberlegt!“ – „Nachher wirst du es bitter bereuen!“
Die österliche Umwandlung aus meiner Sicht könnte heißen: „Du bist begrenzt. Du wirst nie alles wissen. Du wirst nie wirklich genug wissen und du kannst dich auch entscheiden mit einem begrenzten Wissen. Du kannst viele Dinge im Laufe des Weges noch korrigieren. Und vielleicht entsteht aus dem scheinbar Negativen auch etwas Positives. Das Leben hält noch Überraschungen für dich bereit und du kannst üben nur so ungefähr perfekt zu sein.“ Der dazugehörige Umkehrsatz heißt: „Das, was ich weiß wird ausreichen für meine Entscheidung. Und zugleich vertraue ich auf meinen Bauch, der mehr und anders „weiß“ als mein Kopf.“

Hätte ich doch was gesagt...
„Ja genau! Hätte ich doch bei der letzten Dienstbesprechung was gesagt. Ich habe genau gewusst, dass es nicht funktioniert. Aber alle anderen haben so stark argumentiert, dass ich nichts mehr sagen mochte. Jetzt ist es zu spät und ich muss eine Sache mit ausbaden, die ich gar nicht so wollte.“
„Hätte ich doch was gesagt als mein Mann sich dieses Auto gekauft hatte. Ich habe gleich gewusst, dass es für uns als Familie nicht geeignet ist. Kein Platz für Gepäck. Das habe ich sofort gesehen. Aber mein Mann wollte unbedingt diesen Wagen. Ich habe mich nicht getraut. Mein Mann hätte mich bestimmt platt geredet. Jetzt ist es zu spät und wir müssen mit diesem Wagen irgendwie klarkommen.“
Kennst du solche oder ähnliche Situationen? Eine Stimme in dir spricht: „Sag was! Das geht so nicht!“ Aber du schweigst. Du scharrst mit den Füßen. Du schaust unruhig hin und her und zugleich fühlst du dich gehemmt. „Soll ich es sagen? Wie stehe ich denn da, wenn ich nicht recht habe?“ Du wirst vielleicht wieder als Spaßbremse abgestempelt. „Schon wieder die mit ihren ewigen Bedenken!“
Wenn du bereit wärest, die Folgen einer Fehlentscheidung zu tragen, wäre ja alles in Ordnung. Aber du bist gar nicht bereit. Du hättest nur etwas sagen müssen! Dann ärgerst du dich doppelt. Du findest die Entscheidung falsch und du hast nichts gesagt. Du ärgerst dich über dich selbst. Über deine Feigheit. Über deine Angst. Über dein mangelndes Selbstvertrauen. Und dann klebst du am „hättest“ fest. Stundenlang zerfleischst du dich in Gedanken und möchtest die Uhr zurückdrehen. „Hätte ich doch...“
Hast du aber nicht! Du hast nichts gesagt! Du wirst damit leben müssen. Du kannst es dir dabei leicht machen oder schwer. Du kannst dich tagelang geißeln und deine geschwollene Zunge pflegen auf die du gebissen hast um nichts zu sagen. Du kannst aber auch sagen: „Nicht noch einmal! Das nächste Mal rede ich! Ich überwinde alle Hindernisse und sage, was ich denke!“
Die österliche Umkehr heißt: „Ich spreche aus was ich denke und bin bereit, jeden möglichen schiefen Blick zu tragen. Mein Gedanke ist genauso wichtig wie jeder andere. Auch ich trage etwas dazu bei, dass es zu einer gemeinsamen Entscheidung kommt, an der ich meinen Anteil haben darf.“

Jetzt ist es zu spät...
Eigentlich wolltest du dich entschuldigen bei deiner Freundin, bei deinem Freund. Dir war klar, dass du dich nicht richtig verhalten hast. Dein enttäuschtes Gegenüber wartet und du bekommst die Kurve nicht. Du schämst dich. Du findest scheinbar nie den richtigen Zeitpunkt. Bis du es doch mal eines Tages hinbekommst. Du hast dich überwunden. Deine eigenen Kränkungen aus dem Weg geräumt. Du stammelst deine Entschuldigung und bekommst die Antwort: „Jetzt ist es zu spät...“ Du hast zu lange gewartet und den Zeitpunkt verpasst wo noch etwas möglich gewesen wäre.
Da gibt es so ein merkwürdiges Ziehen im Bauch und/oder im Brustraum. Ein Teil von dir weiß es. Ein Teil weiß, dass du handeln musst. Ein anderer Teil in dir ist rebellisch. Der Verstand gibt dir klare Botschaften und der Bauch leistet rebellischen Widerstand. Du spürst das Ringen und du spürst den Druck. Eigentlich müsstest du jetzt aktiv werden. Aber es geht nicht.  Du magst es mit Angst bezeichnen oder mit Unsicherheit. Oder mit Widerwillen oder Rebellion. Am Ende zählt das Ergebnis. „Jetzt ist es zu spät...“ Dein innerer Kampf hat zu lange gedauert. Du hast verloren! Wirklich?
Vielleicht hat dein Bauch sich am Ende einfach nur durchgesetzt. Er wollte nicht. Er hat sich stur geweigert und erst nachgegeben, als es eh zu spät war. Der Kopf hatte vielleicht gute Argumente, aber die Gefühle wollten das nicht akzeptieren.
Wann ist etwas zu spät? Manchmal geschieht es einfach durch Zufall. Dann kannst du eh nichts dafür. Es kommt wie es kommt. Du bist ein Spielball der Kräfte. Manchmal jedoch liegt es nur daran, dass du mit dir nicht in Übereinstimmung bist. Kopf und Herz schwingen nicht synchron. Dann ist es deine Aufgabe, wieder mit dir selbst in Übereinstimmung zu kommen.
Wie könnte eine österliche Umkehrung aussehen? Für diese konkrete Situation ist es zu spät. Aber es ist nicht zu spät mit dem was jetzt da ist, etwas zu machen. Du kannst beschließen, demnächst nicht so lange zu warten. Du ziehst die Konsequenzen. Du kannst trotz der verpassten Möglichkeiten mit deinen Freunden und Freundinnen in Verbindung bleiben. Wenn durch das „Zu spät“ sich ein Mensch von dir trennt kannst du von deiner Seite her die Verbindung aufrecht halten so gut es geht. Auch wenn es einseitig ist.
Vielleicht folgst du auch nur einem alten Glaubenssatz, den du über Bord werfen darfst. Der „Jetzt ist es zu spät...“ kann leicht in eine Depression führen.  „Es ist nie zu spät...“  Das gilt genauso. Du bist zu spät dran für einen bestimmten Zug, der jetzt weg ist. Dafür ist es noch Zeit für einen Kaffee am Bahnhof und ein Schwätzchen mit einem anderen Reisenden am Bahnsteig. Vielleicht findest du da die Grundlage für eine neue Lebensfreundschaft. Außerdem glaube ich, dass du auf jeden Fall rechtzeitig in der jenseitigen Welt ankommen wirst. „Zeit“ ist lediglich eine irdische Erscheinung.
Der österliche Umkehrsatz könnte heißen: „Es ist weder zu spät noch zu früh. Es ist Jetzt! Und da bin ich – im Jetzt!“

Nie wieder...
Du hast dir die Finger verbrannt? Du bist tief enttäuscht? Du bist so enttäuscht, dass das „Nie wieder...“ auf die Welt kam? Es kam in deine Welt. Nie wieder möchtest du dir die Finger verbrennen. Nie wieder darf dich jemand so verletzen! Nie wieder wirst du vertrauen! Nie wieder wirst du dein Herz öffnen!
Ich war vor vielen Jahren in Indien und habe dort meinen Urlaub verbracht. In der letzten Woche bekam ich eine starke Infektion und verbrachte nach der Reise drei Wochen in einer Klinik. Meine Haut bestand nur noch auch schmerzenden Eiterblasen. Nie wieder wollte ich nach Indien reisen. Allein der Gedanke  daran verursachte mir Ekel, Angst und Abwehr. Viele Jahre konnte ich auch hier kein indisches Restaurant besuchen. Nie wieder wollte ich etwas mit diesem Land zu tun haben, das mich gefühlt an den Rand des Todes gebracht hatte.
Darum kann ich das „nie wieder...“ gut nachvollziehen. Der Schmerz muss nur tief genug sitzen. Das „Nie wieder...“ folgt einem tiefen und eindrucksvollen Erlebnis. Bei mir führte es zu der Folge, dass ich nie wieder nach Indien wollte. Ich war auch nie wieder in Indien. Aber immerhin habe ich meine Phobie bezüglich eines indischen Restaurants überwunden. Manchmal lasse ich mich überreden und kann dort sitzen und essen. Der Ekel, die Angst und die Abwehr machen sich bemerkbar und behindern mich, aber nicht mehr so, dass ich völlig blockiert werde. Ich kann mich begrenzt auf Indien einlassen. Mein „Nie wieder...“ bröckelt seit einiger Zeit.
Nie wieder lieben? Nie wieder eine Freundschaft? Nie wieder einem Menschen vertrauen? Dann kannst du gleich mit dem Leben aufhören, oder? Wenn du für alle Lebensbereiche ein „Nie wieder...“ aussprichst kannst du dir gleich einen Sarg bestellen. Nie wieder leben!
Wie könnte eine österliche Umkehrung aussehen? Vielleicht musst du nur ein wenig von dem „Nie“ zurücknehmen. Etwa so: „Im Augenblick, zur Zeit kann ich nicht vertrauen. Ich trage noch die schlechten Erfahrungen in mir. Vielleicht sieht meine Welt morgen aber schon ein wenig heller aus. Jetzt gerade mag ich nicht mehr.“ Wenn du so denkst machst du deutlich, dass du gerade ein schlimmes Erlebnis hattest, aber du machst daraus kein Drama oder sprichst ein Todesurteil. Du behältst dir selber die Freiheit vor, morgen anders zu denken. Heute nicht mehr aber morgen vielleicht!
Du weichst dein „Nie wieder...“ auf, weil es für dich einen höheren Wert gibt. Die Liebe darf noch eine Chance bekommen. Das Vertrauen ist auf die Dauer heilsamer für dich und führt dich in eine höhere Kohärenz als die Enttäuschung und das Misstrauen. Anderenfalls müsstest du ständig dein „Nie wieder...“ bedienen. Deine Körperhaltung wäre voller Abwehr und Widerstand. Deine Umwelt würde denken: „Mit diesem Menschen ist es echt schwer auszuhalten. Ständig diese negativen Sätze, diese feindliche Ausstrahlung.“ Und du bekämest daraufhin deine fortwährende Bestätigung: „Habe ich doch gewusst, dass ich nicht vertrauen oder lieben darf. Ich werde nur enttäuscht.“
Der österliche Gedanke lautet also: „Immer wieder gebe ich der Liebe und dem Leben eine Chance. Niemand wird es schaffen, mich ganz aus dem Vertrauen herauszuwerfen. Ich komme wieder, auch wenn ich enttäuscht bin. Ich gönne mir eine Auszeit und pflege meine Wunden. Und dann bin ich wieder da! So oft ich kann...“

Warum immer ich...
Mir kommen Menschen in den Sinn, die sich scheinbar in einer lebenslangen Pechschleife befinden. Wenn sich sonst niemand ansteckt mit einer Grippe, dieser eine Mensch schafft das ganz bestimmt. Wenn alle das Ziel finden, diese Person wird sich verlaufen. Allen im Restaurant schmeckt das Essen und dieser „Pechvogel“ bekommt nicht, was er bestellt hat. Hat vielleicht auch noch die Geldbörse vergessen. Den Bus verpasst. Auf der Autobahn mit einer Panne liegengeblieben usw.
„Warum immer ich...“ höre ich dann als Kommentar. Damit schwingt so eine gewisse Hilflosigkeit und Resignation. Da gibt es zwar so ein Bemühen, ja auch alles richtig zu machen. Diese Menschen sind oft sehr sorgfältig und umsichtig in ihren Planungen. Aber zugleich wirken sie so, als hätten sie einen Aufkleber auf dem steht: „Schicksal, schlage mich! Etwas geht noch!“ Diese Menschen legen schon bei der Planung ihrer Aktionen einen Keim von Misslingen und Unglück mit hinein. Fast automatisch kommt das herbeigefürchtete Pech und sagt wie selbstverständlich: „Da bin ich! Du hast mich gerufen!“
Warum immer ich? Weil du es auf der unbewussten Ebene bestellt hast? Vielleicht nicht auf dem Bestellzettel, aber auf dem heimlichen Wunschzettel. Nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit bekommt jeder Mensch mal einen Schlag ab. Irgendwann und irgendwo. Es ist einfach wahrscheinlich, mehr aber nicht!
Geh doch mal zurück, wann dieser Glaubenssatz entstanden ist in deiner Biografie. Denn ich halte diesen Satz „Warum immer ich...“ eher für einen Glaubenssatz als für eine Erfahrung. Du bekommst lediglich die Bestätigung für deinen Glauben. Und der scheint sehr stark zu sein.
„Warum immer ich...“ – Fragst du wirklich nach dem „Warum“? Gehst du dem „Warum“ wirklich nach, mit aller Konsequenz? Welche „Weil“ - Antworten würdest du bekommen? Weil du es verdient hast? Weil du schlecht bist? Weil du zu dumm bist? Wenn du solche „Weil“ – Antworten in deinem Inneren wahrnimmst, dann hörst du die Stimme deiner Eltern. Sie haben dich vielleicht nicht wachsen lassen.  Und sie haben dir wenig zugetraut. „Warum immer ich...?“
Weil es Zeit wird, diese Frage einfach über Bord zu werfen. Keines dieser drei Wörter stimmt! Weder „warum“ noch „immer“ noch „ich“. Es wird Zeit, diese alten Klebezettel von der Stirn zu entfernen.
Wie könnte die österliche Umkehrung aussehen? Du beginnst mit dem Weichspülen. Du hast sehr viel Glück im Leben gehabt. Sonst wärest du in deiner Pechsträhne bestimmt schon gestorben. Du hattest total viele glückliche und gelungene Situationen. Wenn du eine Liste machst mit zwei Rubriken von Glück und Pech und du ganz ehrlich mit dir bist. Wo wirst du mehr hin schreiben? Du wirst dich an dein Pech besser erinnern, darum wirst du da mehr finden. Es liegt aber nur an dein Erinnerungsvermögen. Die Tatsache, dass du lebst, ist ein Hinweis dafür, dass es genug gab, damit du dich am Leben halten konntest. Das nenne ich doch mal echtes Glück!
Vielleicht magst du diesen Satz mal österlich erweitern: „Warum nur komme ich aus jeder Krise wieder hervor?!“ „Wie schaffe ich es nur, in dieser „Charly Chaplin Qualität“ zu leben! Immer zu fallen ist nicht die Kunst, sondern dieses Aufstehen! Wie habe ich das nur hinbekommen? Jeder andere wäre längst am Boden liegengeblieben. Aber ich nicht! Ich bin ein „wieder Aufsteher!“ Das nenne ich mal wirklich eine österliche Qualität.



Wenn ich nur könnte...
Wenn ich nur könnte, dann würde ich es ja tun. Aber die Umstände verhindern es. „Wenn ich nur könnte...“ lebt von dem Nachsatz „...dann würde ich.“ Ich will ja wohl, aber ich kann doch nicht.
Mach doch einmal eine Liste all der Dinge, die du tun willst, aber nicht zu können glaubst. Du merkst schon hier meine Umformulierung. Die erste Unterscheidung. Es gibt Dinge, die ich nicht kann und Dinge ich glaube nicht zu können. Ich kann definitiv kein Flugzeug fliegen und Kinder gebären. Fliegen habe ich nicht gelernt und für eine Schwangerschaft fehlt mir die anatomische Voraussetzung. Ein Haus bauen habe ich auch nicht gelernt und kann es nicht. Da vermute ich aber eher einen Glaubenssatz. Ich glaube, dass ich es nicht kann. Wenn ich da genauer nachforsche dann stimmt es so nicht. Als Kind habe ich regelmäßig Hütten im Wald gebaut. Zwischen Hütten und Häusern gibt es keinen so großen Unterschied. Du brauchst Wände, ein Dach und einen Eingang. Es scheint also vom Grundprinzip her kinderleicht.
Jetzt nimmst du an einer Weiterbildung teil und der Trainer fordert dich zu einer Übung auf. Was ist dein erster Impuls? „Das kann ich nicht!“ Natürlich kannst du es nicht im Sinne von Könnerschaft und Perfektion! Wie denn auch? Aber du kannst jetzt diese Übung machen. Es geht um eine Übung und nicht um die Demonstration deines Könnens. Da läuft also ein unbewusster Mechanismus ab. Ich soll üben? Ich mache das bestimmt nicht perfekt. Ich werde mich bestimmt blamieren. Alle werden auf mich schauen und denken, wie schlecht ich bin. Wie unfähig! Warum ich mich überhaupt hier angemeldet habe! Du katapultierst dich in Windeseile in dein „Unfähigkeitsprogramm.“ Der Trainer muss nur sagen: „So, jetzt habe ich es euch gezeigt und jetzt dürft ihr einmal üben.“ Bei welchen Worten wirst du gleich emotional hochgehen? „Ja, gezeigt hast du es. Aber noch nicht ganz genau erklärt!“ – „Dürfen? Dass ich nicht lache! Ich muss ja wohl!“ – „Üben? Meint der wirklich üben? Wenigstens den Hauch einer Ahnung sollte ich zeigen.“ Dein unbewusstes Unfähigkeitsprogramm katapultiert dich in Windeseile in die absolute Hilflosigkeit.
Dann läuft das nächste Programm ab das da heißt: „Wie komme ich da wieder raus!“ Wenn du dich weigerst, stehst du auch schlecht da. Du blamierst dich wenn du dich verweigerst und du blamierst dich, wenn du es tust. Du hast die Wahl zwischen Cholera und Pest. Wie rettest du dich vor dir selbst? „Ich will ja wohl! Wenn ich nur könnte...“ Du machst wenigstens das Angebot deines guten Willens. Deinen guten Willen wird der Trainer bestimmt positiv konnotieren.  Und du wirst nicht in einem allzu schlechten Licht dastehen vor allen anderen Kursteilnehmern. Denn immerhin willst du ja!
Nun mag so eine Weiterbildung eine Ausnahme sein. Gott sei Dank kommst du dich nicht zu oft in eine solche Situation und meldest dich darum auch lieber nicht zu diesen Veranstaltungen an.
Vielleicht jedoch gehörst du zu den Menschen, die mit diesem Glaubenssatz in einem Abgrund hocken. „Wenn ich nur könnte...“ ist zu deinem Lebensthema geworden. Immer und ständig zweifelst du an deinen Fähigkeiten. Ständig bewertest du deine Stagnationen und fehlenden Fortschritte. Du leidest darunter und du kommst nicht so richtig voran. Gefühlt wirft dich jede Herausforderung eher zurück. Auf den Stuhlgang übertragen hieße dein Motto: „Ich drücke, aber es kommt nichts!“
Wo könnte da eine österliche Umkehrung ansetzen? Meine erste Idee lautet: „Du willst zwar, aber du willst zu sehr wollen. Dein starkes „Wollen“ führt zu einem verminderten „Können“. Du hast zu viel Druck! Du hörst womöglich die inneren Elternstimmen, die da sagen: „Streng dich mal an!“ „Der Wille allein genügt nicht!“ „Üb mal eifrig, dann kannst du das auch!“ „Du bist halt nicht so intelligent wie dein Bruder, wie deine Schwester!“ „Schon dein Opa konnte nicht ordentlich sprechen. Du hast das von ihm!“
Deine Eltern haben dir ein genmanipuliertes Samenkorn eingepflanzt. Identifiziere es und gib es deinen Eltern zurück. Es gehört ihnen und zu ihrem Leben und nicht zu dir.
Wenn du das zu starke „Wollen“ loslassen kannst, kann sich dein eigenes Potential erst entfalten. Es ist in Ordnung, dass du dich blamieren könntest. Ja steh zu deiner Scham! Werde dir bewusst, dass da ein uraltes Programm in dir abläuft. Schreibe dir ein lustvolles neues Programm. Werde zu einer Entdeckerin und einem Entdecker. Sei dir bewusst, dass du noch gar nicht weißt, was du alles so kannst. Du kannst mit Sicherheit viel mehr. Vielleicht kannst du bei dem Lehrgang gerade nicht diese Übung. Dafür kannst du eine andere Übung. Du kannst den Trainer beeindrucken mit deiner Schlagfertigkeit, deinem Blick, deinem Scharm, deiner Wissbegier, deinen Fragen oder was auch immer.
In deinem Inneren blickst du auf eine Messlatte, die unheimlich hoch gelegt ist. Eine Messlatte, über die du nie springen wirst. Leg sie auf dem Boden und schlendere mal so gerade drüber. Oder geh unter deine hohe Messlatte hindurch. Auch das ist möglich! Du musst nicht springen!
Ich habe beschlossen, dass ich nie einen Flugschein machen werde. Da gehe ich voll unter meine Anspruchslatte hindurch. Ich werde immer in einem Flieger mitfliegen – als Passagier. Da schlendere ich über diese Messlatte.
„Wenn ich nur könnte...“ Formulieren wir den Satz österlich um. „Ich befreie mich von diesem Gedanken. Vor allem von dem Aspekt des Selbstmitleides. Von meinem Betteln um Anerkennung! Das brauche ich nicht. Ich finde meinen Selbstwert in mir selbst. Ich kann genug, um das Leben zu bestehen. Ich kann genug, um mich des Lebens zu erfreuen. Und zu dem, was ich nicht kann, stehe ich.“

Wege aus dem Abgrund
Ich habe exemplarisch lediglich ein paar Sätze aus dem Abgrund ausgewählt. Ich vermute, dass jeder einen anderen „lebensbedrohlichen“ Satz kennt. Deiner war möglicherweise gar nicht dabei. Es geht auch nicht so sehr um den Satz, sondern um das damit verbundene Gefühl der Ohnmacht, der Angst und der Hilflosigkeit.
Niemand hält sich gerne in diesen schrecklichen Feldern auf. Du fühlst dich abgeschnitten vom Leben und von der Liebe. Du hast den Eindruck, dass du da auch so schnell nicht wieder herauskommst. Die Abgrunderfahrungen erscheinen zugleich so absolut und so bodenlos. Ein Abgrund kann zwei Meter oder schnell auch zwanzig Meter tief sein. Bei zwei Metern funktionieren noch die eingeübten Überlebensstrategien. Du denkst zuerst nach. Du suchst dann nach Lösungen. Du erinnerst dich an deine Fähigkeiten. Du findest Lösungsstrategien. Du bist noch nicht am Nullpunkt.
Wenn du jedoch tiefer rutscht, weil das Ohnmachtsgefühl stetig zunimmt, näherst du dich einem Zustand, in dem die Resignation überhand nimmt bis du dich ihr ergibst.
Bis dahin leistest du Widerstand.
Jetzt stell dir einmal vor, dass du ab einem gewissen Zeitpunkt den Widerstand aufgibst. Du rutscht wirklich hinein bis in die tiefste Tiefe. Normalerweise wehrst du dich. Jetzt lass mal einfach die Frage zu, die da heißt: Was kommt nach dem Abrutschen? Was liegt unter dem Abgrund? Wer bin ich jetzt, wenn ich da so liege? Welche „Ich-Anteile“ liegen da in der Tiefe des Abgrundes? Alle? Wirklich alle? Vielleicht gibt es noch ein anderes „Ich“, das nicht da liegt? Nach diesem „Ich“ könnte ich jetzt fragen. Diesem Teil könnte ich mich jetzt zuwenden.
Und der Teil, der im Abgrund liegt, muss vielleicht dort liegen, weil dieser Teil nicht mehr gebraucht wird. Weil dieser Teil sterben muss. Weil dieser Teil begraben werden möchte. Totes stößt du in den Abgrund und überlässt es der Erde für den Kompostierungsprozess.
Vielleicht sind alle deine Notschreie am Rande des Abgrundes: „Wie lange muss ich das noch aushalten!“ „Warum immer ich!“ „Hätte ich doch was gesagt!“ lediglich das Material, das du zum Kompostieren abgeben möchtest. Es geht ja um deine Weiterentwicklung. Die Glaubenssätze, die dich hindern, kannst du der Erde übergeben. Du hast sie für ein paar Jahre deines Lebens gebraucht und ordentlich gefüttert! Mit allen dazugehörigen Erfahrungen, die dein Leben so ohnmächtig hat werden lassen. Weg mit dem ganzen Müll! Nur ein Teil von dir liegt im Abgrund. Ein anderer Teil ruft dich zum Aufstehen und zur Auferstehung. Der göttliche Teil in dir möchte solche lebensfeindlichen Sätze abstreifen. Sie sind vergleichbar mit einem Computerprogramm aus längst vergangenen Tagen.
Somit musst du nicht nach Wegen aus dem Abgrund suchen. Dort landet das, was dort irgendwann landen muss. Aber du kannst nach den Anteilen schauen, die dich leben lassen und die eine andere Sprache sprechen. Eine Sprache der Liebe und eine Sprache des kraftvollen „Ja“. Der Teil im Abgrund darf ruhig ohnmächtig werden -  genauer betrachtet heißt es ja „ohne Macht“. Du entziehst den tödlichen Sätzen die todbringende Macht. Das ist eine Kernidee von Ostern. Keine Flucht vor dem Abgrund. Keine Angst vor dem Tod. Eine Entscheidung für das Leben und für die Liebe.

www.matthias-koenning.de

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