Wenn ich berufliche Mails verschicke fügt mein Programm automatisch meine Signatur hinzu. Name, Anschrift, Firma und Kontaktdaten. So weiß mein Gegenüber wer ich bin und kann sich entscheiden, die Mail zu öffnen oder sie zu löschen. Eine Unterschrift ist auch eine Signatur. „Hiermit bestätige ich, dass ich das aufgeschrieben habe und auch so meine und dafür die Verantwortung übernehme.“ Oder: „Ich stehe dafür mit meinem guten Namen.“ Eine Bestätigung hat etwas Kräftiges und Bejahendes. Das bin ich. Das gehört zu mir. Dazu stehe ich!
Martin Seligmann
prägt in seinem Buch über positive Psychologie das Wort „Signaturstärke“. Mir
gefällt dieses Wort und der dazugehörige Gedanke und das möchte ich in diesem
Brief gerne mit dir teilen. Signaturstärken, die ein Mensch verwirklicht nach
Seligmann, müssen bestimmte Kriterien erfüllen. Ich muss spüren, dass das
wirklich ich bin und zu meiner Persönlichkeit gehört. Dass ich beim Ausüben ein
Gefühl von Freude und Stärke entwickle. Und dass es nicht von außen kommt
sondern aus meinem Inneren erwächst. Im Kontext geht es darum, wie Glück funktioniert.
Ich kann mein Belohnungssystem aktivieren, indem ich etwas konsumiere. Das
verschafft leider nur ein kurzweiliges Glück. Nach dem Essen der Schokolade
gibt es bald den nächsten Wunsch nach Befriedigung. Oder ich kann eben meine
Signaturstärken entwickeln und habe damit ein tieferes und dauerhafteres
Glücksgefühl.
Kennst du deine
persönlichen Signaturstärken? Etwas, was zu dir gehört, was du mit großer
Freude machst und ganz aus deinem Inneren kommt? Je mehr Signaturstärken du bei
dir findest, desto stabiler entwickelt sich deine Zufriedenheit mit dir und mit
deinem Leben.
Wie könnte das im
Alltag aussehen? Wie kannst du dir das Leben mit deinen Signaturstärken
vorstellen? Ich glaube zum Beispiel, dass ich ein passabler Fahrradfahrer bin.
Ich halte das Gleichgewicht, ich kann treten, die Spur halten und schaffe ein
Tagespensum von 60 Kilometern. Ich kann die Gangschaltung bedienen, das Licht
an und ausmachen und bremsen. Aber Radfahren ist nicht meine Signaturstärke.
Aber vielleicht bei dir!
Ich habe einen
Freund, der geht nahezu ehrfürchtig mit seinen Fahrrädern um. Er besitzt Räder
für unterschiedliche Zwecke. Er pflegt sie und kann alles reparieren. Zu jedem
Rad kann er eine Geschichte erzählen. Und wenn er leidenschaftlich erzählt
bekomme ich die Vorstellung davon, als ob er über seine Kinder spricht. Man
merkt: Er liebt seine Räder und hat eine tiefe Freude daran.
Du kannst also
Radfahrer sehen, die einfach nur Rad fahren, oder welche, die das als ihre
Signaturstärke herausgefunden haben. Dabei geht es nicht darum, ob das auch
eine objektiv messbare Qualität oder Stärke ist. Es geht nicht um
Perfektionismus. Es geht um die persönliche Signatur.
Eine meiner
Signaturstärken besteht in der Zubereitung von Bratkartoffeln. Sei es aus rohen
oder gekochten, in Scheiben oder in Würfeln geschnitten oder auch gerieben.
Wenn ich die Kartoffeln schäle fühlt sich das schon wie eine Andacht an. Jedes
Detail bekommt eine besondere Aufmerksamkeit. Wie viel Fett in der Pfanne? Welches
und mit welcher Temperatur? Wie lange müssen sie braten? Wie bekomme ich die
für mich richtige Bräune und wie verhindere ich das Kleben am Pfannenboden? Ich
stehe im Bratkartoffelduft und die Küche und Kleidung werden immer mehr zu
einem Meer von Bratkartoffelgerüchen. Stehen und zuschauen, Zeit zum rösten lassen
und zum richtigen Zeitpunkt wenden. Den Inhalt ab und zu hochwirbeln lassen und
wieder auffangen. Und während der ganzen Zeit nichts anderes nebenbei machen.
Keine Ablenkungen! Einfach da stehen und Bratkartoffeln produzieren. Und sich
dabei tief entspannen!
Es gibt viele
Menschen, die ordentliche und gute Bratkartoffeln hinbekommen, sogar restauranttauglich.
Die es aber nicht als Signaturstärke erleben. Von außen ist diese Qualität also
nicht so leicht erkennbar. Jemand kann auch eine Signaturstärke in etwas haben,
das von außen betrachtet eher nur so ungefähr klappt. Es geht um den Ausdruck und
das Ausleben von Lebensqualität und Freude.
Die Frage nach
dem Verwirklichen der eigenen Signaturstärken spiegelt zwei uralte Fragen
wieder, die mir aus der Theologie vertraut sind. Es handelt sich dabei um lebenswichtige
Grundfragen, die jeder Mensch für sich beantworten sollte. Die erste Frage
heißt: „Wer darf ich sein?“ Und die zweite Lebensfrage lautet: „Was muss ich
tun?“ Und es gibt eine Rangfolge der Wichtigkeit.
„Wer darf ich
sein?“ Da geht es darum herauszubekommen, wer ich als Mensch bin aufgrund
meiner Existenz. Ich darf ein Mensch sein. Ich bin äußerst liebenswert. Ich bin
ein Geschenk auf dieser Welt. Ich darf lieben und werde geliebt. Dafür muss ich
überhaupt nichts machen. Wer einen guten Zugang zu dieser Frage hat und darum
im Sein ist, lebt auf der Sonnenseite des Lebens – ein paradiesischer Zustand.
„Was muss ich
tun?“ Da geht es um die Fragen der Moral. Was muss ich tun, um richtig zu sein.
Wie hätten mich gerne die Menschen. So, wie ich bin, bin ich erst einmal nicht
so richtig in Ordnung. Ich muss etwas Bestimmtes tun um liebenswert zu sein, also
bescheiden, zurückhaltend oder fleißig. Ich soll oder muss immer irgendetwas,
um vor mir und meinen Menschen bestehen zu können.
Dabei leben wir
als Menschen ja durchaus in diesen zwei Dimensionen. Ich bin da und es ist gut,
dass ich mich in meinem Dasein einfach annehmen und lieben kann. Zugleich bin
ich in die Welt gestellt und darf mich in meinem Tun verwirklichen. Ich bin so
etwas wie ein Schöpfer und eine Schöpferin. Schwierig wird es nur, wenn ich an
dem „Tun“ eine Bewertung klebe. Wenn ich höflich bin, dann werde ich geliebt.
Wenn ich fleißig bin, finden mich meine Eltern in Ordnung. Wenn ich mich
vierundzwanzig Stunden am Tag um meine Kinder kümmere, werde ich als Mutter
oder Vater bestehen können.
Der erlösende und
auflösende Satz könnte heißen: So, wie ich bin, bin ich total in Ordnung.
Völlig richtig und sehr liebenswert. Zugleich darf ich mein Leben anpacken und
etwas ins Leben bringen. Aus purer Freude am Dasein. Die Entwicklung der
Signaturstärken geht in diese Richtung, diese beiden Dimensionen miteinander zu
verbinden. Ich mache etwas, bei dem ich ganz im Sein bin. Ganz in Übereinstimmung
mit mir und mit meiner Persönlichkeit.
In diesem Sinne
kann sich Radfahren oder Bratkartoffeln letztlich wie ein heiliges Spiel entfalten.
Möglichkeiten zur Entwicklung der eigenen Signaturstärken gibt es unendlich
viele. Du kannst etwas wissen über einen bestimmten Vogel. Du kannst tolle
Gedichte schreiben. Oder unglaublich intensiv lachen oder mit dem Kaffeelöffel
einen Wirbel im Kaffee erzeugen oder küssen oder leidenschaftlich Eiscafés
weltweit ausprobieren, oder...oder...
Für irgendetwas
bist du wichtig auf dieser Welt. Irgendetwas kannst du, was dich unterscheidet
von allen anderen Menschen. Und es reicht aus, wenn du es nur für dich selber
machst. Auch wenn es Ähnlichkeiten gibt zu anderen Menschen so bist du in
deinem Eigenen dennoch einmalig und unverwechselbar.
Du bist kein
Mauerblümchen und kein vergessenes und vernachlässigtes und unglückliches Wesen
auf diesem Planeten. Wie jede Blume und jeder Baum bist du da und bereicherst
diese Schöpfung. Im Entwickeln deiner Signaturstärken wirst du dir dessen mehr
und mehr bewusst. „Ah, das gehört zu mir! Das zeichnet mich aus! Da bin ich
ganz ich und das mache ich aus mir heraus mit tiefer Freude und Zufriedenheit!“
Leider sind wir
als Kinder ja oft anders geprägt worden. Unsere Eltern haben uns gesagt, was
wir machen müssen, um richtig zu sein. Sie hatten vielleicht selber nicht
genügend Entwicklungsmöglichkeiten, und wir sollten so werden, wie sie gerne
geworden wären. Wir führen darum heute noch manchmal das Leben unserer Eltern
und nicht unser eigenes. Oder wir machen das gleiche wieder mit unseren eigenen
Kindern und denken, sie müssten unser Leben weiterleben. Beobachte einmal, wo
du Dinge machst, die eigentlich zu deinem Vater oder zu deiner Mutter gehören.
Wo du erkennst: „Das bin ja gar nicht ich! Das ist ja mein Vater!“
Oder es bleibt
als „Erbe“ so etwas wie „Großartigkeitsberufung“ in uns. Eltern sehen durchaus
berechtigt etwas Großartiges in ihren Kindern und auf der Seins-Ebene ist das
sehr förderlich und schwer in Ordnung. Manchmal sehen sie Das Großartige jedoch
in dem Potential, was die Kinder tun müssten. Unsere Eltern sehen in uns z.B.
einen großartigen Ingenieur und dann werden wir Elektriker mit dem Anspruch,
eigentlich Ingenieur sein zu müssen. So klebt an uns die elterliche „Großartigkeitsberufung“,
was bewirkt, dass wir uns immer wie im Mangel fühlen. Aus uns ist nicht das geworden,
was wir hätten sein können.
Bei den Signaturstärken
geht es um eine andere Qualität. Um das, was unmittelbar zu dir gehört. Es kann
groß, aber auch sehr klein sein. Hauptsache, du bist darin glücklich und
befindest dich im Flow. Mach doch mal eine Liste all der kleinen Dinge, die
diese Kriterien erfüllen: Es ist ein authentischer Ausdruck deiner Persönlichkeit.
Es bereitet dir Freude und es kommt von innen. In diesem Sinne wünsche ich dir
frohmachendes Forschen. Ich sehe schon, wie du wächst.
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