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Freitag, 11. Juli 2014

Al(l)di(e) Prospekte



Ich gehöre zu den Menschen, die einen deutlichen Hinweis am Briefkasten haben, dass Werbung unerwünscht ist. Gott sei Dank halten sich die Prospektboten daran. Unser Kasten bleibt sauber. Meine Identität als kritischer Verbraucher wird so wunderbar erfüllt und bestätigt.
Das ist aber nur die eine Seite. Für den Sonntag hat sich inzwischen ein Ritual eingeschlichen, das ich nur hinter vorgehaltener Hand preisgebe. Ich gehe mit meiner Lebensgefährtin spazieren durch die Straßen der Innenstadt. Da hängen und stecken sie: Die Sonntagszeitungen und die Werbeprospekte. Zwischen all diesen Werbepamphleten interessiert uns trotz inneren Protestes ein gewisser Zettel in blauer Farbe. Er handelt sich dabei um ein Prospekt unter al(l)di(esen) Prospekten. Manche besuchen an diesem Tag die Kirche, um in der Predigt eine wichtige Botschaft für die Woche zu hören. Wir lesen diese Botschaft regelmäßig und zugleicht verschämt auf diesem blauen Zettel. Dort wird uns etwas versprochen, das sehr verheißungsvoll ist. 
Die Botschaft lautet: „Ich habe was, was du nicht hast aber gerne hättest. Du hast schon lange darauf gewartet, nicht wahr? Du bist dafür in vielen Geschäften gewesen oder hast im Internet danach recherchiert. Du bist aber mit leeren Händen weggegangen. Du warst enttäuscht: Zu teuer! Und jetzt liest du diese Zeilen, deine vergeblichen Einkaufsversuche führst du dir vor Augen und gestehst dir ein: Darauf habe ich gewartet. Endlich! Das Warten hat sich gelohnt! Morgen sprinte ich los und bin um kurz vor Acht da. Ich werde dieses Teil ergattern unter dem Einsatz all meiner Kräfte. Das Objekt deiner Begierde ist wertvoll. Du bekommst es für wenig Geld, es ist fast geschenkt. Du zahlst es aus deiner Portokasse. Es steigert dein Selbstwertgefühl. Es bringt dich dem Himmel ein Stück näher.“
Zugegeben, die Predigt am Sonntag in der Kirche kostet noch weniger Geld, aber da musst du dich auch nicht wundern über den mangelnden Nährwert. Eigentlich sollten wir mit dem Ritual aufhören, Prospekte aus fremden Briefkästen zu stehlen. Aber es bereitet ein unglaubliches Vergnügen. Und jetzt kommt die Frage: War das jetzt nur eine Glosse oder wirklich ernst gemeint? 

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