Welches dicke Brett in deinem Leben wartet gerade darauf, durchbohrt zu werden? Liegt es schon lange da? Oder ist es eben erst hereingekommen? Vielleicht bist du auch in der glücklichen Lage, dass du nur ein paar dünne Bretter zu bearbeiten hast oder völlig davon befreit bist. Dann freue ich mich für dich. Ein Leben ohne zu durchbohrende dicke Bretter fühlt sich leichter und unbeschwerter an.
Ich liebe Aufgaben, die ich bewältigen kann. Wenn sie meinen Fähigkeiten entsprechen, ich Zeit und Energie dafür habe und mich in der entsprechenden psychischen Verfassung fühle. Dann fühlt sich das Leben an wie im Flow. Alles prima und wunderbar! Es gibt weiter nichts zu sagen.
Ich möchte von den Aufgaben und Herausforderungen sprechen, die sich so anfühlen wie ein zu dickes Brett mit einem ungeeigneten Bohrer.
Ich hatte einmal einen Mann in der Beratung, der wollte seinen Rasen neu anlegen. Beim Erzählen wurde sein Brett immer dicker. Selbst machen oder Handwerker bestellen? Rasenkantensteine, ja oder nein? Rollrasen oder säen? Was ist der geeignete Zeitraum, damit zu beginnen? Aus jeder Frage wuchsen zehn neue Fragen und aus diesen Fragen wiederum zehn neue. Das Brett wurde so dick, dass er in völliger Hilflosigkeit endete. Solche und ähnliche Projekte dauerten bei ihm darum Jahre und oft packte er sie gar nicht erst an. Sein Perfektionsanspruch stand ihm dabei ständig im Weg.
Schau dir einmal deine eigenen Bretter an. Welche davon machst du ständig dicker nur durch deine Sorgen- und Gedanken Konstrukte. Die Angst lässt so manche Bretter fetter werden, als sie bei nüchterner Betrachtung sind.
Das Rasenprojekt meines Kunden wäre für mich ein dünnes Brett. Ich würde einfach machen. Nicht lange überlegen. Materialien besorgen und umsetzen. Ich wüsste schon im Voraus, dass es gelingen würde. Nicht einmal annähernd perfekt, aber so, dass ich damit gut leben könnte.
Dicke Bretter sind also nicht immer dicke Bretter. Der Durchmesser wächst mit meinen Ansprüchen und durch meine Gedanken, Interpretationen und Vorstellungen.
Dabei kann es leicht passieren, dass ich das Leben generell so verstehe. Ich habe da eine riesige Sammlung von dicken Brettern, die ich bis zum Ende meines Lebens durchbohrt haben muss. Brett für Brett durchbohren, bis ich den Weg zum Himmel freigelegt habe. Und irgendjemand sorgt dafür, dass immer noch Bretter dazukommen. Auf jeden Fall so viele, dass ich am Ende scheitern muss. Zu viele Bretter für zu wenig Lebenszeit.
Ich möchte dich einladen, die Brettmetapher zu verlassen. Sie verspricht nur eine bedingte Lebensqualität. Einverstanden, wenn du ein Brett durchbohrt hast, kannst du stolz sein auf deine Leistung und dich mit recht darüber freuen. Oft genug gehört es zum Leben einfach dazu. Nimm deine Verantwortung wahr und arbeite die Dinge ab. Das gehört auch zu meinem ganz normalen Alltag.
Zugleich möchte ich dich heute einladen, mit mir die Welt des Hühnergottes zu betreten. Ich komme darauf, weil mir ein sehr netter Mensch einen solchen Gott geschenkt hat.
Ein Hühnergott ist ein Stein mit einem Loch drin, das auf natürlicherweise durch Verwitterung entsteht. Man findet sie an Nord- und Ostsee. In der Mythologie sind Hühner die Begleiterinnen der Götter. So ein Stein am Hühnerstall gehängt sorgt für Glück und ein entspanntes Hühnerleben bei Blitz und Donner.
Wenn ich eine Aufgabe bewältigen muss, kann ich also Bretter bohren oder vom Hühnergott profitieren.
So ein Stein liegt also Jahrtausende im Meer und wird vom Wasser umspült. So nach und nach werden die Kreideeinlagerungen fortgewaschen, bis das Loch entsteht. Das wirkt auf den Betrachter wie ein Wunder. Wie kann in einem Stein ein Loch entstehen? Das muss mit Magie zu tun haben!
Was mache ich damit, wenn ich es auf mein Leben übertrage? Ich habe für meine Aufgaben nicht Tausende von Jahren Zeit. Schon morgen könnte ich sterben. Dennoch kann ich etwas von den Grundprinzipien des Hühnergottes in meine Aufgaben integrieren. Drei Ideen fallen mir dazu ein.
Lass die Umstände für dich arbeiten.
Der Stein sucht keine Werkzeuge, um sich vom Kalk zu befreien. Er liegt dort und nutzt die Kraft des Wassers und seiner eigenen Schwerkraft. Er ist einverstanden mit den Umständen wie sie gerade da sind und nutzt die vorhandenen Möglichkeiten für sich.
Beim Bewältigen unserer Aufgaben haben wir oft solche Gedanken wie: „Wenn ich das und das jetzt hätte, dann könnte ich es hinbekommen. Leider fehlen mir die Werkzeuge, die Ideen, das Geld, die Zeit…“ Wir richten unseren Blick auf das Fehlende. Weil wir oft sehr klare Vorstellungen davon haben, wie sich ein Problem lösen lässt, sehen wir nicht die Möglichkeiten, die außerhalb unseres Denkhorizontes auf uns warten. Da gibt es die Geschichte, wo bei einer Flut ein Mensch auf einem Dach Gott um Rettung bittet. Er lehnt alle Angebote ab, weil er auf Gott persönlich wartet.
Die Vorstellung vom besten aller Werkzeuge hindert uns daran, mit den zweitbesten Werkzeugen zu arbeiten. Beim Hühnergott zeigt es sich erst im Laufe der Jahre, dass das Wasser durchaus eine gute Möglichkeit ist, den Kalk zu entfernen.
Lass es geschehen.
Bei unseren Aufgaben denken wir oft, dass wir es selbst machen müssten. Es kommt auf unsere Arbeit an, unser Denken, unsere Energie, unsere Kraft. Arbeiten erledigen sich nicht von selbst. Wenn ich das Problem nicht löse, bleibt es mir trotzdem erhalten. Es beschäftigt mich im Kopf so lange, bis ich es abgearbeitet habe.
Das stimmt auch so und ich habe nichts dagegen einzuwenden. Wenn ich nicht einkaufe, habe ich nichts zu essen. Wenn ich die Waschmaschine nicht anstelle bekomme ich keine saubere Wäsche. Wenn ich kein Geld verdiene, kann ich nicht überleben. Es kommt auf mein Engagement an.
Das ist aber nur ein Teil der Wirklichkeit. Der Hühnergott zeigt, dass es grundsätzlich auch anders gehen könnte. Er lässt sich vom Wasser hin und her bewegen und das Loch entsteht ohne aktive Arbeit. Der Stein lässt zu, dass das Wasser seine Wirkung entfalten kann. Es ist in Ordnung, dass es Jahrhunderte oder Jahrtausende dauert. Am Ende wird es dieses Loch geben.
Die Wäsche an der Leine wird auch nach Jahrhunderten nicht gefaltet im Schrank liegen. Ich werde es immer selbst falten müssen. Dennoch gibt es einen Anteil von „Lass es geschehen.“ Es gibt den Moment in der Woche, wo Wäsche falten ganz leicht ist und so nebenbei gemacht werden kann. Oder wo ich den Geruch von Frische in meiner Nase verspüre oder die Lust auf Ordnung und Aufräumen. Dann wirkt das Wäschefalten nicht wie Arbeit, sondern kann sehr vergnüglich und befriedigend sein.
Die Magie jenseits der Möglichkeiten
Ein dünnes Brett kann ich mit einfachen Werkzeugen leicht durchbohren. Aber je dicker, desto schwieriger. Und wenn es dick genug ist, werde ich es nicht mehr schaffen. Das gilt noch mehr für den Stein, vor allem dann, wenn ich gar kein Werkzeug dafür habe. In bestimmten Situationen streikt mein Verstand und gibt auf. Der Verstand kann nur mit dem arbeiten, was sich in seiner Bibliothek befindet. Er arbeitet mit dem, was ihm bekannt ist, was er gelernt und was er verstanden hat. Er kann nicht das Unmögliche denken, das jenseits der Naturgesetze liegt.
Der Hühnergott berührt die Fragen der Magie. Er bewahrt die Hühner vor Angst und Panik, wenn es donnert. Er sorgt für Glück und bewirkt Wunder. Wie wäre es, mal wieder an ein Wunder zu glauben? Nicht, dass der Stein plötzlich wie von Zauberhand ein Loch bekommt. Sondern, dass sich grundsätzlich ein Wunder ereignen könnte. Es würde etwas passieren, was eine Wendung gibt für dein Problem oder deine zu bewältigende Aufgabe. Wunder können sehr vielfältig sein, sozusagen unerschöpflich. Nehmen wir doch einmal die Wäsche auf deiner Leine. Wie könnte dort ein Wunder aussehen? Du bekommst Besuch, der sehr gerne faltet. Du gewinnst im Lotto und bestellst dir für den Rest des Lebens immer wieder frische Kleidung. In deinem Waschmittel gibt es einen Stoff, der bei dir Allergien auslöst und zum Glück ziehst du jetzt diese Wäsche nicht mehr an. Sie bleibt auf der Leine. Jemand bettelt an deiner Haustür und benötigt Kleidung. Die auf deiner Leine passt und er kann sie sich bequem mitnehmen.
Du kannst auch einfach beschließen, auf das Wunder zu warten. Ganz freundlich, heiter und gelassen. Das Wunder darf kommen, muss es aber nicht. Wunder mögen keine Zwänge. Wunder lieben den Freiraum.
Zum Schluss:
Das Leben pendelt zwischen der Anstrengung des Bohrens und dem Geschenk des Hühnergottes. Du kannst beide Möglichkeiten nutzen. Manchmal geht es um deinen Einsatz und dein Engagement. Manchmal geht es um das Vertrauen und darum, es geschehen zu lassen. Überlege einmal, wo du deine persönliche Stärke siehst und wo du dich weiterentwickeln könntest. Bist du eher ein Bretterbohrer? Wenn ja, in welchen Bereichen deines Lebens? Oder bist du Genießer eines Hühnergottes? Wo besonders und wann eher nicht?
Ein arabisches Sprichwort sagt: „Glaube an Gott und binde dein Kamel fest.“ Ich wünsche dir, dass es dir gut gelingt, die für dich richtige Mischung zu finden.
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