Ich hörte einen
Kommentar im Radio: „Wir wurden alle hinters Licht geführt.“ Ich weiß nicht
einmal mehr, worum es ging. Es war bestimmt etwas aus der Politik. In der
Weltpolitik zeigt es sich immer wieder, dass ständig jemand etwas zu verbergen
hat und andere versuchen, das Verborgene ins Licht zu zerren. Ein altes Spiel
mit der Absicht: „Ich bin gut und du bist böse.“ Der Enthüllungsjournalismus
lebt ja davon, den Schmutz sichtbar zu machen. Und wir reiben uns die Hände,
wenn wir alle zu Zeugen werden und das Übel durch Aufdeckung aus dem Weg
geräumt wird.
Manchmal möchten
wir etwas verbergen, in die Dunkelheit bringen, damit es niemand mehr sehen
kann. Unsichtbar für die anderen und vor allem unsichtbar für mich. Müsste ich
es betrachten, dann könnte mir die Schamesröte ins Gesicht steigen. Irgendwie
verbinde ich die Fastenzeit auch mit so einem Aspekt, die Schattenseiten in uns
Menschen zu erlösen. Die Süchte zu kontrollieren, die negativen Eigenschaften
abzumildern oder umzuwandeln. Weniger Gier und weniger Sünde. Die negativen
Haltungen und Eigenschaften in der Dunkelheit reduzieren. Das kann man so machen,
ist aber nicht so sehr mein Weg.
Manche Paare
kommen zu mir in die Beratung und machen dem anderen Teil der Partnerschaft vor
meinen Ohren nur Vorwürfe. Was alles nicht richtig ist und was richtiger sein
sollte. Wie sehr das Gegenüber kränkend mit einem umgeht. Ich sehe das scharfe
Schwert in der Hand und spüre den Kampf. Ich hoffe, dass nach einer Stunde noch
beide leben und ihre Würde nicht komplett verloren haben. Manchmal wäre es allein
schon besser, wenn es weniger Vorwürfe gäbe. Die Hälfte von den nicht
ausgesprochenen Vorwürfen würde schon mal das Klima verbessern.
Die
Schattenseiten existieren. Bei Politikern, bei meinem Partner, bei meiner
Partnerin, bei meinen Kindern und natürlich bei mir selbst. Ich kann in meinem
Schatten herumwühlen und in den Wunden meiner Mitgeschöpfe bohren. Ich kann das
ans Licht zerren, was so schmutzig ist und mit dem Finger darauf zeigen um
meinen Abscheu auszudrücken. Und es gibt vieles in der Welt, das wirklich nicht
in Ordnung ist. Wenn ich aber zu viel im Dreck wühle, dann besteht die Gefahr,
dass ich mir selbst eine seelische Hölle bereite.
In meinem Theologiestudium
wohnte ich zuerst in einer WG, wo alle und jeder durch den Kakao gezogen wurde.
Wie furchtbar dieser Kollege ist, wie schlimm jener Ausbilder und wie
katastrophal die Kirchenoberen überhaupt. Je mehr darüber gesprochen wurde,
desto mehr breitete sich in mir die Depression aus. Das war ein Klima, das mich
krank gemacht hat. Das Wühlen in der Dunkelheit und im Schatten ist nicht
ungefährlich und kann leicht abfärben. Wie wäre es damit, in der Fastenzeit
weniger im Schmutz zu wühlen?
Die von mir sehr
geschätzte Sozialarbeiterin und Therapeutin Virginia Satir hat mit Familien gearbeitet,
die sehr vorwurfsvoll miteinander umgehen. Sie hat ihnen zuerst einmal
empfohlen, den Blick auf das zu richten, was gut ist und rund läuft und dafür
auch einmal Danke zu sagen. „Danke, dass du heute für mich den Kaffee gekocht
hast. Das hat mir gefallen und gut getan!“ „Schön, dass es dir gelungen ist,
heute pünktlich nach Hause zu kommen.“ „Wie schön, dass du in der Schule aufgepasst
hast und dich jetzt an deine Hausaufgaben erinnerst.“ Durch die Sammlung und
das Aussprechen der Aufmerksamkeiten wächst ein positives Lichtfeld. Die
Menschen, mit denen ich zusammenlebe sind keine Feinde. Sie sind zunächst
einmal wunderbare Freunde.
Der Blick auf das
soziale Wesen an meiner Seite erinnert mich daran, dass ich zum Glück nicht
allein auf dieser Welt bin. Da ist jemand an meiner Seite. Das darf ich mir
bewusst machen und genießen.
Viele Menschen an
meiner Seite sind wirklich wunderbare Lieblingsmenschen. Ich besitze nicht nur
eine einzige arme Rose, von der ich abhängig bin. Ich bin eingebettet in einen
Strauß voller bunter Blumen. Vielfältiger als die größte Blumenwiese. Ich muss
nur an einen bestimmten Menschen denken, dann entfaltet sich in meinem Herzen
ein köstlicher Duft von Nähe und Vertrauen. Ich darf ins Licht stellen, was
lichtvoll ist. Ich kann diesen Aspekt jeden Tag verstärken indem ich es sehe,
würdige, darüber spreche, es vermehre.
Ich möchte mich
und dich gerne jeden Tag daran erinnern. Dass du liebe Leserin und lieber Leser
ein wunderbar lichtvolles Wesen bist. Du bist ein göttliches Universum voller
Liebe und Wahrheit. Wenn es dich nicht gäbe, wäre die Welt ärmer. Aber die Welt
ist reich für mich, weil du da bist. Du bist nicht nur eine oder einer von Vielen.
Du gehörst zum Großen und Ganzen der Schöpfung dazu. Du magst dich vielleicht
nur als kleines Wesen sehen, aber du bist ein unendlich wichtiger Teil davon.
Ich kann in der
Fastenzeit und darüber hinaus die Fehler verringern, die Schattenräume kleiner
machen und auf Hass und Entwürdigung verzichten. Oder ich kann die Liebe vermehren.
Wie nimmst du
dich selber wahr und wie geht es dir damit, wenn ich dich so anspreche. Kannst
du das glauben? Dass du ein äußerst liebenswürdiger Mensch bist? Fallen dir bei
dir selbst die vielen wunderbaren Seiten ein, die das bestätigen? Oder denkst
du eher: „Wenn du wüsstest wer ich wirklich bin oder wer ich sonst sein könnte
– dann würdest du dich von mir abwenden. Ich kann mich ja selber nicht einmal
vor dem Spiegel ertragen.“
Ich denke, es ist
leicht, in der Fastenzeit auf irgendetwas zu verzichten. Aber es ist für viele
Menschen schwer, ganz im Licht zu stehen und sehr liebevoll mit sich zu sein.
Obwohl ich das so deutlich sage und für so wichtig finde erlebe ich mich darin
auch immer noch als Übenden.
Es beginnt ja
schon damit, dass ich mich bei den Gedanken ertappe, von etwas weniger zu machen.
Ich möchte zum Beispiel weniger kritisieren. Leider ist der Tag so lang und mir
passieren so viele Dinge und es gibt so viele Begegnungen, dass sich ein Haufen
Kritik ansammelt. Die Kartoffeln waren einen Augenblick zu lange im Wasser. Ein
Autofahrer hat beim Überholen nicht genug Abstand gehalten und mich auf dem
Fahrrad gefährdet. Die Verkäuferin hat mich nicht angeschaut bei der Rückgabe
des Wechselgeldes. Die Kollegin ist an meinem Büro vorbeigegangen und hat sich
nicht verabschiedet. Im Wohnzimmer ist es ein wenig zu kühl. An einem Tag kann
es eine lange Liste geben von Dingen, die nicht in Ordnung sind. Dabei ist es
egal, ob die anderen etwas falsch machen oder ich selber mich falsch fühle.
Auch, wenn die
anderen schuldig an meinem Unwohlsein sind und ich alles richtig gemacht habe
gibt es dieses Unwohlsein. Es taucht auf, weil ich so viele Kritikgedanken im
Laufe des Tages in mir gesammelt habe. Die
Kritikgedanken in mir erschaffen ein schädliches Klima. Wenn ich fürsorglich
mit mir umgehe, werde ich etwas dazu beitragen, dass das Lebensklima
freundlicher wird.
In Ahlen wird im
Augenblick darüber gestritten, ob das alte Rathaus abgerissen oder saniert werden
soll. Da haben sich echte Fronten aufgetan. Feindbilder sind entstanden.
Unversöhnliche Ansichten stehen sich gegenüber. Kann aus so einem Konfliktpaket
etwas entstehen, wo alle Einwohner einverstanden sind? Ist es noch möglich, dem
„Gegner“ wohlwollend zu begegnen. Dass beide Gruppen einen Teil von Wahrheit
erkannt haben? Manchmal ist es so, dass die Einen sich als „lichtvoll“ erleben
und die anderen „dämonisch“. Schon entsteht eine Polarität, die entzweit und
trennt. Wer hat Recht, wer ist machtvoller und wer kann sich durchsetzen?
Die Kirche macht
es nicht anders. Da gibt es den synodalen Weg und die Frage, wer geweiht werden
darf und wer ausgeschlossen wird. Die eine Gruppe der Bischöfe fürchtet um den
Verlust der katholischen Identität und die anderen darum, unterzugehen, wenn
sich nichts ändert. Was wird aus dieser Atmosphäre entstehen? Wer ist im Licht
und wen stecke ich in die dunkle Ecke?
Wie sähe eine
Antwort in Richtung Rathaus, synodaler Weg oder deinem eigenen inneren Dilemma
aus, wenn ich andere Fragen stelle: Wie kannst du angesichts dieser Situation
noch liebevoll sein? Wie kannst du das Wohl aller vermehren? Was kann ich für
dich tun und was du für mich? Wie könnten wir beide dazu beitragen, dass das
Leben liebenswerter ist? Wenn wir das machen würden – wie sähe dann ein Rathaus
aus oder ein synodaler Weg? Gäbe es vielleicht sogar etwas völlig unerwartet
Neues? Etwas, was Rathaus oder synodale Wege übersteigt? Was kann ich dazu
beitragen, dass das lichtvolle Wesen in jedem Menschen besser leuchten kann?
Was lässt Menschen friedvoller werden?
Wie sähe mein oder dein Leben aus, wenn es liebe- und lichtvoller
wäre? Gäbe es einen Unterschied zum Jetztzustand? Könnte ich einen kleinen
Schritt in die Richtung setzen, dass mehr davon entsteht? Von dem Lichtvollen?
Der Wunsch und die Bewusstheit in mir sind da. Und ich kann es immer und an
jedem Ort machen. Ich brauche dafür keine Voraussetzung und keine Vorbedingung.
Nur den Impuls in mir und die Entscheidung, es einfach zu tun. Hallo du
lichtvolles Wesen an meiner Seite und in der räumlichen Ferne! Danke, dass ich
das mit dir teilen darf.
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