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Donnerstag, 27. Dezember 2018

Der Caganer an der Krippe



Schon einmal vom Caganer gehört? Nicht? Ich kenne den Caganer auch erst seit kurzer Zeit. Ich möchte dir heute etwas über diese Krippenfigur erzählen, die aus Katalonien kommt. Sie ist dort äußerst populär, kirchlich nicht sanktioniert, mehr oder weniger anrüchig  und nimmt einen diskreten Platz an der Krippe ein. Inzwischen trägt der Caganer neben einer spanischen Tracht viele unterschiedliche und zeitgemäße Gesichter. Das von Angela Merkel, Barack Obama, Papst Franziskus oder von Messi. Jeder berühmte und bekannte Mensch kann irgendwann an der Krippe landen als Caganer. 
Der flämische Landschaftsmaler Joachim Patinir (1480 – 1524) fing wohl damit an, diesen Caganer in seine Bilder zu setzen. Dezent und winzig klein hat er ihn in seinen Landschaften irgendwo versteckt. Manchmal benötigt man sogar eine Lupe um ihn zu entdecken. Viele Bilder von Patinir wurden nach Spanien an den Königshof verkauft und befinden sich nun im Prado. Die Katalanen haben jedoch diese Figur für sich entdeckt.  Mag es sich auch nur um eine mögliche Legende handeln, wie der Caganer den Weg zur Krippe fand. Er existiert bis heute als Folklorespektakel und hat mein Interesse geweckt.
Habe ich dich neugierig gemacht? Dann will ich das Geheimnis lüften. Während die Spanier da echten Spaß dran haben wird es für mich und vielleicht auch für dich jetzt eher peinlich sein. Ich rede nicht mehr länger drum herum. Das katalanische Wort klingt so sympathisch! „Caganer!“ In der deutschen Übersetzung klingt es banal bis abstoßend oder ekelerregend. Den will niemand hier wirklich an der Krippe haben. Wovon spreche ich?  Also mal die Hose runter und Butter bei die Fische! Ich spreche schlichtweg vom „Kacker“, oder vom „Scheißerchen“. Jetzt ist es raus!
Magst du jetzt noch weiterlesen? Bekommst du ein ordentliches Ekelgefühl? Der Caganer – ich kehre zurück zur katalanischen Sprache – sitzt tatsächlich mit heruntergelassener Hose und entblößtem Po irgendwo mehr oder weniger versteckt in der Krippenlandschaft, übrigens inklusive Häufchen.
Man mag es als Folklore betrachten oder als Krippenspaß für die Kinder nach dem Motto: „Na, wo ist denn der Caganer? Kannst du ihn sehen?“
Wie fremd ist uns dieser Weihnachtsbrauch! Die Spanier sind sowieso anders. Keine Stubenhocker Weihnachtsmuffel, sondern Party auf der Straße. Wir hier mögen da eher ein weichgespültes und bereinigtes Weihnachtsfest. Der Stall ist nicht zugig sondern strahlt Kerzenlicht und Wärme aus. Die Hirten leben nicht einen kärglichen und anstrengenden Beruf sondern sind gekleidet in behaglichem Öko-Look. Das Kind liegt auf sauberem Stroh in strahlendweißen Windeln. Maria wirkt lieblich und fromm und Josef steht bedächtig und andächtig daneben. Gemütlich sind unsere Krippen. Wie die Krippe im Bild, so unsere Familie in der Wirklichkeit. Gemütlich und behaglich im Wohnzimmer bei Kerzenlicht und freundlichen Gesichtern. Nichts möge die Harmonie stören.
Und das genau macht der Caganer. Er zerstört das idyllische Weihnachtsbild. Er zerstört das harmonische Bild. Er sitzt da in aller Ruhe und verrichtet sein Geschäft. Er steht auch nicht auf, sondern verbringt dort die ganze Weihnachtskrippenzeit. Er stellt sich dadurch quer zu unseren Gewohnheiten und Lebenseinstellungen. Er entblößt, was jeder lieber im Verborgenen hält oder macht.
Das ist doch schon interessant, nicht wahr? Die Aufnahme von Speis und Trank findet in aller Öffentlichkeit statt. In der Familie, in Restaurants, in Filmen, in Kochsendungen in Schaufensterauslagen, an Büffets und in Zeitschriften. In epischer Breite und in allen Schattierungen und leuchtenden Farben.  
Die Abgabe von Speis und Trank unterliegt der Diskretion. Wird darüber gesprochen hört man lieber weg, rümpft die Nase, wendet sich ab, senkt die Stimme. Einer der wenigen Bereiche, in denen noch Tabus gebrochen werden können.
Die Katalanen setzen nun dieses Scheißerchen einfach in die Krippenlandschaft. Sie geben ihm Gesichter von berühmten Persönlichkeiten in der Welt. Er trägt auch dein Gesicht und mein Gesicht. Er sagt: „Hey, du bist auch ein kleines Scheißerchen! Du magst es vielleicht nicht hören wollen. Du magst es diskret verstecken. Es gehört aber zu deiner Lebens - Existenz dazu.
Womit werden wir hier eigentlich konfrontiert? Worum geht es beim Caganer an der Krippe? Nun, wir mögen lieber die edlen Seiten an uns. Wir möchten strahlen und duften! Wir lieben die Sonne und die lichten Farben! Die Freude und die Feste! Die Harmonie und die Freunde! Die liebenden Familienangehörige und den erfüllenden Beruf. Wir mögen es, wenn es toll ist! Wenn sich das Leben auf der positiven Seite abspielt. Und – wir strengen uns gerne dafür an. Ich auch! Ich mag die idyllische Krippe, den Glanz und die Wärme! Den Caganer würde ich nicht in meine Krippe stellen. Ich lasse mir den Frieden nicht nehmen und mit Ekelgefühlen muss man ja nicht extra an Weihnachten experimentieren.
Das Thema der menschlichen Entleerung ist doch eher unerquicklich. Im Advent denke ich lieber fromme Gedanken. Gedanken, die meine Seele erheitern und dich mich aufrichten und aufbauen. Gedanken über Friede und Erlösung. Sehnsucht nach ewigem Leben und Verbindung mit dem Göttlichen. Aufstieg in die Höhe und nicht Abstieg in die Exkremente.
Und da hockt in aller Ruhe der Caganer in der katalanischen Krippe und lässt sich nicht fortschicken. Er sitzt dort mit der größten Ruhe. Mit aller Selbstverständlichkeit! Ich kann mich umdrehen und gehen! Ich kann dableiben und zusehen! Ich kann auch wegsehen und mich auf das süße Jesuskind konzentrieren! Der Caganer bleibt einfach da hocken. Er hockt und entleert sich.
Halt! Stopp! Ich kann aber auch noch einmal genauer hinschauen. Meine Aversion überwinden! Meinen Ekel einfach annehmen! Mal einfach akzeptieren, dass er da ist! Was macht er da eigentlich genau? Er entleert sich!
Das ist ja interessant! Er entleert sich. Er leert aus was nicht mehr gebraucht wird in seinem System. Er hat irgendwann das Nahrhafte aufgenommen in seinem Körper. Er hat Energie getankt und den Abfall lässt er jetzt wieder los. Er macht deutlich, dass es im Leben einen Kreislauf gibt. Wir bewegen uns im Kreislauf des Lebens. Wir nehmen auf und wir geben ab. Wir nehmen Sauerstoff auf und geben Kohlendioxyd ab. Wir nehmen auf, wandeln um und geben wieder ab. In uns gibt es die Kreisläufe von Blut, Nerven und Meridianen. Wir sind als ganze Menschen immer Teile eines Kreislaufes. Wir haben das Leben von unseren Eltern. Wir geben es an unsere Kinder weiter und wir verlassen es wieder.
Und immer wieder gibt es etwas, das wir nicht mehr brauchen. Unsere Hautschuppen, Zellen und Exkremente. Sie gehörten zum Kreislauf und werden jetzt entsorgt.
Die Geburt im Stall könnte mit dem Caganer eine wichtige Geschichte erzählen. Gott ist ein Teil dieses großen Kreislaufes von Nehmen und Geben. Er bewegt sich im Fluss der Liebe. Da darf alles sein und nichts wird ausgeklammert.
Maria weint ihre Tränen. Josef muss mit Kränkungen bezüglich der Vaterschaft klarkommen. Der Stall ist zugig. Sie wohnen dort nicht freiwillig und das Kind macht an die Windeln wie jedes andere Kind auch.
Der Caganer erinnert uns an die widrigen Umstände. Wir machen es uns gerne so schön, vor allem an Weihnachten. Wir hoffen, dass es keine widrigen Umstände gibt. Die Familienmitglieder mögen friedlich sein und das Essen soll allen schmecken.
Wenn der Caganer in deinem Leben und deiner Familie einen Platz findet, dann könnte das dein Fest entlasten. Widrigkeiten dürften sein. Du würdest heiter und gelassen bleiben. Es dürfte ganz doll menscheln. Mit Tränen und Kränkungen, mit leicht versalzener Suppe und Geschenken, die nicht ganz alle Bedürfnisse erfüllen. Die menschliche Zuwendung untereinander dürfte ein paar Macken und Einschränkungen bekommen.
Du wärest erfüllt von dem inneren Wissen, dass du der Teil eines großen Kreislaufes wärest von Empfangen und Schenken. Von Geben und Nehmen. Von Liebe und Ablehnung. Von Weiterentwicklung und Stagnation.
Außerdem wäre es hilfreich, auch den Gedankenmüll loszuwerden. Mit welchen Gedanken und Gefühlen möchtest du an die Krippe treten? Wovon möchtest du dich befreien? Was belastet dein System? Was ist überflüssig und tot und dient nur noch als Dünger, wenn es mal aus dir herauskommt?
Der Caganer könnte so zu einer adventlichen Gestalt werden. Tu, was nötig ist. Schieb nichts auf die lange Bank. Nimm an, was ist! Räum auf und mach einen inneren und äußeren Hausputz. Lebe ganzheitlich und erneuere Körper, Geist und Seele!
Und das Kind in der Krippe wird dir sagen: „Es ist wie es ist. Gib einfach dein Einverständnis!“

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