Ich atme ein und ich atme aus. Im Winter zieht sich die Natur zurück und im Frühling kehrt sie wieder. In der Nacht ziehe ich mich in mein Bett zurück und kuschle mich in meine Decke ein. Ich ziehe mich zusammen, damit ich mich gut geschützt fühle. Aber am Morgen, wenn ich aufwache, dann dehne und strecke ich mich. Ich kehre ins bewusste Leben zurück.
Mein ganzes Leben kann ich
verstehen als einen Wechsel von Zusammenziehen und wieder Ausdehnen. So, wie
das Herz pulsiert, lebe ich dabei meinen ganz eigenen Rhythmus. Ich gehe unter
die Menschen als soziales Wesen und genieße den lebenswichtigen Kontakt. Ich
ziehe mich wieder zurück und bin mit mir selbst allein. Sicherlich hat jeder
Mensch ganz eigene Bedürfnisse und einen unterschiedlichen Rhythmus.
Wenn alles fließt, dann empfinde
ich diesen Wechsel als ganz natürlich, sinnvoll und kraftgebend. Ich befinde
mich in einer Balance von selbst gewähltem Rückzug und gewünschten sozialen
Kontakten. Leider befinden wir uns Menschen nicht immer in dieser Balance. Es
fühlt sich immer wieder mal unausgewogen an.
Manchmal betrete ich einen Raum
und es zieht sich etwas in mir zusammen. Es wird eng und ich spüre die
Kontraktionen. Zu viele Menschen, dicke oder schlechte Luft, Aggressivität,
fehlendes Licht. Ich fühle mich nicht gesehen und nicht willkommen. Mein Körper
signalisiert: Alarm! Schnell weg von hier!
Oder ich treffe einen Menschen,
der mir sehr nahe kommt. Zu nahe. So nahe, dass mir nichts anderes übrigbleibt
als mich innerlich zurückzuziehen. Auch hier habe ich wieder das Bedürfnis,
möglichst schnell diesen Ort der Enge zu verlassen.
Ich beobachte auch, dass ich nicht
das tue was mir gut tut, sondern das, was schädlich für mich ist. Ich gehe
hinein in den Raum mit der „dicken“ Luft und halte es aus. „Stell dich nicht so
an!“ lautet meine Devise. Vielleicht entspannt es sich ja noch. Vielleicht
geschieht ein Wunder. Zur Not kann ich immer noch wieder gehen.
Oder ich nehme wahr, dass mir ein
Mensch zu nahe kommt und ich schweige wiederum. Ich möchte ihn nicht verletzen
oder zurückweisen. Ich könnte ja sagen: „Bitte geh doch einen Schritt zurück.
Das ist mir zu nahe.“ Ich will ja schließlich diesen netten Menschen nicht
kränken. Das Ergebnis jedoch ist, dass ich diese erdrückende Nähe aushalten und
ertragen muss. Ich übergehe meine eigenen Bedürfnisse und Wünsche. Ich stelle
mich hinten an.
Das richtige Verhältnis von Nähe
und Distanz sieht für jeden Menschen unterschiedlich aus. Wie viel Zeit hättest
du gerne für dich alleine wenn du nur für dich entscheiden dürftest. Ohne mal
an deine Familie zu denken. Aber du
erlaubst es dir nicht? Aus falscher Rücksicht? Ich will ein guter Ehemann sein,
eine perfekte Mutter, ein...
Vielleicht hast du aber auch von
dem Rückzug zu viell. Du verbringst zu wenig Zeit in der Nähe mit denen, die du
magst. Möchtest du gerne mehr und intensiveren Kontakt als dein Gegenüber? Bist
du dir dessen bewusst?
Oder umgekehrt drängst du dich
vielleicht unbewusst auf? Hat dir schon mal jemand gesagt: „Du, du kommst mir zu
nahe. Das nimmt mir echt die Luft weg.“ Du könntest dich ja mal selber
beobachten bei deinen sozialen Interaktionen.
Meine Wahrnehmung geht dahin, dass
sich das nicht immer von selbst reguliert. Besser ist es, seine Wünsche und
Bedürfnisse zu kommunizieren. Niemand schaut in meinen Kopf und niemand kennt
die Regungen meines Herzens. Ich sorge also gut für mich und übernehme die
Verantwortung für mich, auch wenn ich mal zurückgewiesen werde oder ich es für
andere eng mache.
Eines steht fest: Jedes Lebewesen
braucht Platz und möchte sich ausdehnen. Im Garten werden sich jetzt im
Frühling die Pflanzen ausdehnen. Da gibt es die Starken und Prächtigen. Sie
fragen nicht einmal, ob sie dürfen und geben keinen Kommentar dazu. Sie dehnen
sich einfach aus und beanspruchen ihren Raum. Und es ist ihnen völlig egal, ob
die kleinen Blümchen noch Sonne und Wasser bekommen. Viele Pflanzen finden zum
Glück ihre Nische und behaupten sich trotz der Großen und Starken. Oder sie
hängen sich einfach dran wie es der Efeu macht.
Bei Menschen erlebe ich das auch
so. Da gibt es diejenigen, die den Raum beherrschen, wo auch immer sie
auftauchen. „Platz da! Hier bin ich!“ Gehörst du auch zu den Königen und
Königinnen, die einen automatischen Rechtsanspruch auf ein Weltreich haben? Oder
gehörst du eher zu denen, die schauen, ob es irgendwo ein kleines Plätzchen
gibt, wo es sich einigermaßen ruhig überleben lässt.
Mit der Fastenzeit verbinden viele
Menschen die Vorstellung, sich zurückzunehmen. Verzichten, sich klein machen
und sich beschränken heißt die Devise. Asche auf dein Haupt! Entschuldigung,
dass ich da bin!
Wenn du das schon viele Jahre
erfolgreich gemacht hast, dann könntest du ja mal in diesen Wochen das andere
Ende des Pendels ausprobieren. Das Gegenteil sozusagen. Dehne dich aus. Nimm
deine Schultern zurück und hebe den Kopf an. Schaue deine Mitmenschen auf
Augenhöhe an und lächle ihnen zu. Lass alle wissen: „Hier bin ich! Ich nehme
diesen Raum hier ein und genieße es!“ Geh in ein Zugabteil und besetze mal
einfach deinen Nachbarsitz mit oder sogar noch die Plätze gegenüber. Warum
nicht vier auf einmal? Geh durch die Fußgängerzone und lass dich nicht von den
Menschenmassen beeindrucken. Da, wo du stehst, steht niemand sonst. Unter
Tausenden von Menschen bist du einmalig!
Besuche eine deiner sozialen
Gruppen wie Familie, Freunde oder Vereine und schaue alle strahlend an. Du bist
ein König und du bist eine Königin. Die Bühne gehört dir. Du musst diese Ideen
nicht praktisch umsetzen, aber du kannst sie denken und fühlen. Du wirst
merken, wie ein Ruck durch deinen Körper geht. Du ziehst dich nicht zusammen.
Du dehnst dich aus.
Die Ausdehnung beginnt im Herzen
und im Denken. Manchmal erlebe ich es bei Ehepaaren, dass sich einer aus
Rücksicht immer zurückhält. „Mein Mann ist ja so krank. Er ist so beansprucht
in seinem Job.“ - „Meine Frau kann ja nicht so, wie sie will. Ihr geht alles
immer so zu Herzen.“ Es ist nicht nötig, so zu denken. Das macht mein Gegenüber
klein. So kommt es in der Partnerschaft schnell zu einem Oben und Unten und die
Liebe auf Augenhöhe geht verloren.
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