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Donnerstag, 9. Juni 2022

Wenn ich könnte wie ich wollte



Wenn ich könnte wie ich wollte, dann würde ich was machen? Ich will ja wohl, aber ich kann nicht.
Ich würde gerne eine Reise um die ganze Welt machen. Alle Länder der Welt besuchen. Auch nach Nordkorea. Fremde Kulturen erleben. Von jeder Sprache wenigstens ein paar Sätze verstehen. Das wollte ich wirklich, aber mir fehlen leider Zeit und Geld.
Wenn ich könnte, würde ich gerne Einfluss nehmen auf die Politik unseres Landes. Weg von der Scheindemokratie mit dem Ankreuzen von irgendwelchen Parteien hin zu mehr Mitgestaltung an der Basis. Ich würde mich dafür stark machen, dass es mehr Gerechtigkeit und Vertrauen gäbe in unserem Land. Ich wollte das wirklich, aber ich habe keinen Einfluss auf notwendige Veränderungen im Grundgesetz.
Wenn ich könnte, dann würde ich echt die Kirchen abschaffen, sowohl die evangelische als auch die katholische. Ich hielte es für ausreichend, wenn Christen nur Christen wären, ohne Konfession. Wenn ich könnte, dann würde ich vielleicht sogar alle Religionen abschaffen, damit die Menschen ihre Unterschiede leichter überwinden und sich besser verbinden könnten. Das wollte ich wirklich, aber ich bin kein Papst und kein Bischof.
Und wenn ich könnte, dann würde ich nur noch ökologisch korrekte Produkte einkaufen. Ganz ohne Gentechnik oder Pestizide und völlig fair gehandelt. Das wollte ich wirklich, aber ich durchschaue bei der Komplexität des Marktes einfach nicht, was denn nun wirklich absolut korrekt wäre.
Wenn ich könnte wie ich wollte! Manchmal will ich etwas, was nicht geht. Weil die Welt es nicht so vorsieht. Weil es für mich eine Nummer zu groß ist. Darum wäre es besser, manche unrealistischen Dinge gar nicht erst zu wollen. Am Ende frustriere ich mich nur selbst.
Zu mir kommen immer wieder Menschen in die Beratung, die etwas wollen. Verständlich! Jeder will etwas! Eine Mitarbeiterin will wirklich gut und erfolgreich arbeiten. Aber sie scheitert, weil der Abteilungsleiter keine klaren Aufträge erteilt. So macht sie irgendetwas so ungefähr und ist frustriert.
Ein anderer Mitarbeiter weiß nicht, wie er sein Pensum bewältigen soll, weil seine Führungskraft ihm viel zu viel Verantwortung übertragen hat. Wenn er könnte, würde er alles wegarbeiten.
Eine Führungskraft findet, dass die gesamte Firmenpolitik sich in eine völlig falsche Richtung entwickelt. Unter diesen Voraussetzungen will sie nicht weiterarbeiten.
Wir leben alle in kleinen und großen Systemen wie Familie, Nachbarschaft, Firma oder Gemeinde. Dabei gibt es Bereiche, die ich beeinflussen kann und Bereiche, wo ich eher ohnmächtig bin. Ich kann mein Kreuz bei der Bundestagswahl machen und an Demonstrationen teilnehmen. Ich kann Petitionen stellen und an Diskussionen teilnehmen. Aber ich sitze nicht im Bundestag und stimme mit ab. Es gibt klare Grenzen.
Ein Mitarbeiter in seiner Firma kann seinen eigenen Arbeitsplatz begrenzt mitgestalten. Er kann alle Chancen nutzen, die er zur Verfügung bekommt. Er kann sich mit seinen Führungskräften auseinandersetzen und seinen Gestaltungsraum ausdehnen. Aber er wird immer wieder an Grenzen stoßen. Er ist nicht der Chef!
So wird es immer im Leben sein, dass wir etwas wollen, aber nicht können. Wir können nicht, weil es nicht zu unserem Einflussbereich gehört. Es ist zu groß für uns. Da liegt leider auch die Quelle für viel Frust und Enttäuschung. Manche Menschen wollen dann auch nicht loslassen nach dem Motto: „Das muss doch jetzt aber gehen!“ In manchem von uns zeigt sich gerade da ein kleiner Revolutionär oder Rebell.
Auf die Dauer ist es ungesund, ständig gegen Wände zu laufen und sich eine blutige Nase zu holen. Oder frustriert durch die Gegend zu laufen und nie zum Ziel zu kommen. Ich finde es hilfreicher, eher bei sich selbst anzufangen. Ich kann aufhören, etwas zu wollen. Ich kann meine Haltungen ändern. Meine innere Freiheit und Unabhängigkeit bewahren. Priorisieren... Vor einiger Zeit hörte ich den Satz: „Die Antwort auf jede Frage heißt: Liebe!“ Da ist etwas dran. Lieben kann ich immer. In jeder Situation.
Ich kann denken, dass mein Vorgesetzter nicht sehr qualifiziert ist in seiner Position, aber lieben kann ich ihn trotzdem. Ich kann wahrnehmen, dass ich überlastet bin und zu viel Verantwortung trage. Zugleich kann ich aber lieben. Wenigstens einen Kollegen oder die Tasse Kaffee am Morgen.
Wenn ich könnte wie ich wollte... Wenn ich das ständig täte würde ich im Möglichkeits- Unmöglichkeitsmodus leben. Im Spagat von wollen und nicht können. Das kann nur Frust zur Folge haben.
Wenn ich könnte wie ich wollte beinhaltet aber noch einen anderen Zugang. Es geht oft darum, dass ich nicht wirklich will. Ich will es nur nicht sagen. Wenn ich könnte wie ich wollte, dann würde ich dich am Wochenende besuchen. Leider muss ich in den Garten und noch zu meiner pflegebedürftigen Mutter, die auf mich wartet. Wenn ich könnte wie ich wollte, dann würde ich dich treffen. Ich schiebe aber lieber die Mutter und den Garten vor, weil ich eigentlich nicht will. Ich möchte dich nur nicht zurückweisen um dich nicht zu kränken.
Wenn ich könnte wie ich wollte, würde ich... schafft zugleich eine eigenartig lähmende Atmosphäre. Manchmal erlebe ich Gruppen und Teams in dieser emotionalen Verfassung von Stagnation. „Wir würden uns ja alle gerne bewegen wenn wir könnten. Aber wir dürfen ja nicht. Es geht einfach nicht!“ Jemand hat eine Idee und viele finden diese Idee gut. Dann kommen die Bedenkenträger und sagen, was nicht funktionieren wird. Sie sehen die Hürden und Hindernisse und nicht die Möglichkeiten. Sehr schnell sind alle frustriert und die Konferenz endet mit dem Frustgefühl: „Wir würden alle sehr gerne wenn wir könnten. Aber wir können nicht.“
Oft ist dabei die „große Lösung“ im Sinn. Die Weltreise, die Basisdemokratie, die Abschaffung der Religion. Wenn das Große nicht geht, dann geht gar nichts. Und da möchte ich gerne einhaken! Es geht immer etwas. Immer! An irgendeiner Stelle. Ich kann eine kleine Lösung finden. Einen ersten Schritt mal probeweise gehen. Eine Ausnahme machen.
Ich kann aufhören, die großen Dinge zu wollen und darauf vertrauen, dass ich doch etwas kann. Wie sieht meine Welt aus, wenn ich mit dem „wollen“ aufhöre. Je mehr ich will, desto mehr Leid schaffe ich. Besonders für mich selbst. Wenn es nicht geht bleib ich am Ende im eigenen Frustgefühl stecken. Und ich muss sehen, wie ich da wieder herauskomme.  
Wenn ich nichts mehr will – werde ich dann gleichgültig? Wird mir dann alles egal? Die Gefahr besteht, es muss aber nicht sein. Ich kann mich für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen mit der ganzen Kraft meines Herzens und zugleich loslassen, dass es unbedingt gelingen muss.
Ich kann von ganzem Herzen lieben ohne die Erwartung, dass mein Geschenk angenommen wird. Deswegen bleibt die Liebe dennoch kostbar und wertvoll.
Ich kann alle Religionen der Welt bestehen lassen ohne sie zu bekämpfen und zugleich nach dem suchen, was alle Menschen spirituell verbindet.
Ich kann voller Leidenschaft ansprechen, wo es ungerecht zugeht aber dennoch den Menschen würdigen, der anders denkt als ich.
Wenn ich könnte wie ich wollte ... hält aber auch noch die Möglichkeit zum Träumen offen. Wenn ich könnte wie ich wollte, dann würde ich eine Politik erfinden, wo die Parteien sich nicht gegenseitig beschimpfen, sondern würdigen, was der andere für tolle Ideen hat. Wenn ich könnte wie ich wollte, dann würde ich einen Ort schaffen, wo Menschen aller Religionen friedlich in der Meditation verbunden sind. Und wenn ich könnte wie ich wollte, dann würde ich das Zauberwort finden, dass dir und mir die Fähigkeit geben würde, grenzenlos und ohne Angst zu lieben.

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