Ich steige in den Zug und viele Plätze sind besetzt. Da sehe ich vier Plätze, davon zwei gegenüber. Ein Platz ist besetzt mit einer jungen Frau. Ihre Taschen hat sie auf zwei Plätze verteilt und ein Koffer steht vor dem letzten freien Platz. Bezahlt hat sie vermutlich nur für eine Person. Aber den Platz in Anspruch nimmt sie für vier. Mein erstes Gefühl ist Ärger. Kann sie nicht Rücksicht nehmen? Sieht sie nicht, dass schon so viele Plätze besetzt sind? Muss sie die Sitze mit ihren schmutzigen Tüten belegen?
Ich nehme mein eigenes Bedürfnis wahr. Ich möchte sitzen und mich ausruhen. Aber diese Frau hat ihr Revier abgesteckt. Das muss man erst einmal können. Im gut besetzten Abteil so viel Platz einnehmen.
Diese Situation ist mir vertraut. Immer wieder komme ich in ähnliche Situationen. Da breitet sich jemand aus und ich komme zu kurz. Da nimmt jemand mehr in Anspruch als er wirklich bräuchte. Einfach so! Ohne nachzudenken! Das würde ich nie machen. Jedes mal ärgere ich mich. Und ich nehme wahr, dass ich mich ärgere. Und ich ärgere mich, dass diese Menschen es schaffen, mich in Ärger zu versetzen. Wo ich doch eigentlich müde bin und ausruhen möchte. Stopp! Stopp!
Wenn ich mich jetzt ärgere ist das doch gut! Ich stoße Adrenalin aus und werde wieder lebendig. Die Müdigkeit verfliegt und ich kann locker stehen. Ich könnte! Aber ich mache es nicht. Ich schiebe den Koffer zur Seite und setze mich einfach hin. Ich frage auch nicht um Erlaubnis. Ich setze mich einfach und platziere meinen Rucksack auf ihre Tüte. Ich mache etwas, was sich sonst nicht tue. Normalerweise schmolle ich in meinem Ärger und erzähle allen davon.
Ich habe mich einfach hingesetzt und diese Frau ein wenig aus dem Gleichgewicht gebracht. Und? Wie ging die Geschichte aus? Die Frau fing an, ihre Sachen neu zu sortieren und schaffte es, sich auf zwei Plätze zu beschränken. So hatte ich einen Sitz für mich und einen für den Rucksack. Und die Lehre daraus für mich? Da finden oft so Kopfgeschichten statt mit kruden Gefühlen.
Besser ist es, einfach zu machen. Kein Kopfkino, keine überflüssigen Gedanken und irreführenden Gefühle. Alte Muster wiederholen? Muster aus der Kindheit? Manchmal ist es hilfreich, seine Muster zu unterbrechen. Im Zug zahlt jeder nur für einen Platz. Also setze ich mich. Ich scheue mich nicht, einfach zu bitten: "Würden Sie bitte den Rucksack wegnehmen, damit ich mich setzen kann?"
Fühlt sich anders an als die Opferrolle. Ich gestalte und übernehme die Verantwortung.
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