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Dienstag, 10. Mai 2016

Sieben Wünsche

Ich stehe vor dem Papierladen in Berlin mit dem Namen "Sieben Wünsche". Ich stutze ein wenig. In den Märchen gibt es doch immer nur drei Wünsche, die frei sind. Dabei werden die Wünsche dann klug oder eher dumm verwendet je nach Gier oder Reifegrad der beteiligten Märchenfigur.
Ich stehe vor dem Schaufenster und schaue hinein in den Laden. Sieben Wünsche wird er mir erfüllen. Reicht es aus, vor dem Laden stehen zu bleiben und von da aus sich etwas zu wünschen? Oder muss ich den Laden betreten und dafür sieben Dinge kaufen? Die Schaufensterauslagen lachen mich an mit dem bunten Papier und den vielen nostalgischen Motiven, die mich zurückversetzen in eine mythische Vorzeit.
Das ist die Frage, die ich mir stelle. Bleibe ich Zuschauer oder gehe ich hinein und werde zum Akteur. Im Märchen werden die Wünsche immer verknüpft mit dem Erfüllen von Aufgaben. Entweder als Belohnung oder als Unterstützung den Weg zum Ziel gehen zu können. Wer nur zuschaut, gewinnt nichts. Oder?
Wenn ich genauer hinschaue, dann gibt es immer ein Leser oder Hörer des Märchens mit der Erfüllung der drei Wünsche. Der Held erfüllt stellvertretend für mich die schwere Aufgabe und erhält die Belohnung. Ich als Leser lese dieses Märchen. Ich bin in der Zuhörerrolle. Ich stehe also wie auf dem Photo vor dem Laden und lasse das Gesehene oder das Gehörte auf mich einwirken. Dabei identifiziere ich mich mit dem Helden der Geschichte und hoffe, dass auch mich das Glück erreichen wird. Der Held löst die Aufgabe und lädt mich ein, meine eigenen Aufgaben anzunehmen und umzusetzen.
Ich stehe vor dem Papierladen in Berlin mit dem Namen "Sieben Wünsche". Das sind vier Wünsche mehr als die drei aus dem Märchen. Für jeden Tag in der Woche habe ich einen Wunsch frei. Ich muss mich nicht beschränken. Ich darf aus der Fülle schöpfen. Ich stehe also vor diesem Geschäft und lese diese Buchstaben. Ich lasse die Worte auf mich einwirken. Sie sagen: "Sieben Wünsche für dich! Was wählst du?"
Soll ich wünschen? Man kann sich so schnell verwünschen! Wünschen ist echt ein Stress. Denke ich an mich oder denke ich an meine Familie und an die Freunde? Denke ich an den Weltfrieden? Spüre ich da die Last der Verantwortung und mache es lieber wie Hans im Glück. Die leere Tasche bedeutet auch Freiheit.
Ich stehe vor dem Laden und die Worte laden mich ein: "Sieben Wünsche". Mir kommt da eine Idee. Ich belasse es beim Wissen und bei der Erlaubnis, dass ich wünschen darf. Jeden Tag darf ich wünschen. Es darf dann etwas geschehen, aber es muss nichts passieren. Das Wünschen öffnet den Raum der Freiheit und verbindet mich mit allem, was ist. Ich wünsche also nichts Konkretes, sondern ich begebe mich in den Wunschraum und - freue mich.

www.matthias-koenning.de

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