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Freitag, 19. Februar 2016

Bist du verrückt?

Bist du verrückt? Ein "Verrückter" hat seinen Platz verlassen. Er steht nicht an seiner gewohnten Stelle. Wir nehmen in der Regel doch einen festen Platz im Leben ein. Meine Familie, meine Wohnung, meine Arbeit, meine Talente und Fähigkeiten, meine Gewohnheiten, meine Art zu Denken und zu Handeln. Je berechenbarer wir sind für uns selbst, desto sicherer fühlen wir uns.
Die Welt erweist sich als stabil und zuverlässig. Zugleich wünschen wir uns auch von den anderen, dass sie ihren Platz einnehmen. Die Führungskraft soll ordentlich führen. Die Kinder sollen die Schule besuchen und jedes Familienmitglied möge zuverlässig seine Aufgaben erfüllen. Wir achten darauf und tun jeden Tag etwas dafür, dass alles seinen gewohnten Gang geht.
Stell dir einmal vor, dass sich Menschen und Dinge verrücken. Zunächst einmal nur ein ganz klein wenig. Die Wohnung rutscht um zehn Meter nach links. Die Kinder kommen eine Stunde zu spät vom Sport. Der Arbeitgeber zahlt den Lohn am Neunten Tag des Monats. Die Autos halten zwei Meter hinter der roten Ampel. Die Kleidergrößen in der Boutique weichen um eine Größe nach oben oder unten ab. Die beiden Pole des Elektrosteckers rücken um wenige Millimeter auseinander. Überall verrückt sich also etwas nur ein klein wenig. Was würde passieren? Die Welt würde nicht mehr funktionieren. Sie würde aus den Fugen geraten. Wir kämen vielleicht noch so gerade zurecht. Aber nur wenige Millimeter bis Meter mehr - wir wären mitten im Chaos.
Ein Teil in uns weiß das. Ein Teil in uns weiß, dass für den "runden" Ablauf der Welt alles wie am Schnürchen klappen muss. Wie Zahnräder, die ineinander greifen. Manche denken, je präziser jeder seinen Platz einnimmt, desto zuverlässiger funktioniert die Welt. Ich glaube, das ist ein Irrtum.
Ein Herz schlägt immer mit einer leichten Unregelmäßigkeit, nicht präzise wie ein Uhrwerk. Untersuchungen zeigen, dass elektronische Musik mit einem ganz präzisen Muster sich negativ auswirkt auf das menschliche Körpersystem. Der Körper verträgt keine Präzision. Er mag es lieber so ungefähr.
Es braucht diesen kleinen Spielraum der scheinbaren Ungenauigkeit, der alles am "Leben" erhält. Wenn im Leben etwas zu starr wird geschieht etwas ganz interessantes. Einer verrückt sich und bringt das System aus dem Gleichgewicht. Einer wird also verrückt! Viele so genannte psychische Erkrankungen haben den Zweck, darauf hinzuweisen, dass im gesamten System der Beziehungen etwas nicht stimmt. Wenn eine Familie total zwanghaft ist muss ein Kind zum Ausgleich ausflippen. Wenn die ganze Familie den Glaubenssatz lebt: "Wir sind alle und immer gut gelaunt," wird ein Familienmitglied Depressionen bekommen. In einer total mutigen Familie bekommt ein Mitglied folglich Angst.
Die Könige in den Märchen wussten um diese Qualität. Wer regiert muss für Stabilität und Gerechtigkeit sorgen. Der Narr am Hofe spielt den "Verrückten", damit der König König sein kann. Der Verrückte hat also die Aufgabe dafür zu sorgen, dass das Leben wieder Freude macht.
Ich habe mal an einem Seminar teilgenommen und alle saßen brav auf ihrem Stuhl. Nur ein Teilnehmer setzte sich unter dem Stuhl. Total verrückt, nicht wahr? Alle sitzen also auf dem Stuhl und der Seminarleiter hat ein leichtes Spiel. Alle sind ja gleich geschaltet. Wenn jetzt einer sich unter den Stuhl setzt verstört er das ganze System. Das ist bestimmt nicht immer bequem und einfach. Ich habe viele Seminare und Weiterbildungen vergessen, aber dieser junge Mann unter dem Stuhl ist mir in Erinnerung geblieben. Da hat er doch eine wichtige Aufgabe erfüllt.
Und? Verspürst du ein wenig Lust, dich zu verrücken? Lust auf Leben? Auf Veränderung? Nur zu!
www.matthias-koenning.de

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