Bist
du verrückt? Ein "Verrückter" hat seinen Platz verlassen. Er steht
nicht an seiner gewohnten Stelle. Wir nehmen in der Regel doch einen
festen Platz im Leben ein. Meine Familie, meine Wohnung, meine Arbeit,
meine Talente und Fähigkeiten, meine Gewohnheiten, meine Art zu Denken
und zu Handeln. Je berechenbarer wir sind für uns selbst, desto sicherer
fühlen wir uns.
Die Welt erweist sich als stabil und zuverlässig.
Zugleich wünschen wir uns auch von den anderen, dass sie ihren Platz
einnehmen. Die Führungskraft soll ordentlich führen. Die Kinder sollen
die Schule besuchen und jedes Familienmitglied möge zuverlässig seine
Aufgaben erfüllen. Wir achten darauf und tun jeden Tag etwas dafür, dass
alles seinen gewohnten Gang geht.
Stell dir einmal vor, dass sich
Menschen und Dinge verrücken. Zunächst einmal nur ein ganz klein wenig.
Die Wohnung rutscht um zehn Meter nach links. Die Kinder kommen eine
Stunde zu spät vom Sport. Der Arbeitgeber zahlt den Lohn am Neunten Tag
des Monats. Die Autos halten zwei Meter hinter der roten Ampel. Die
Kleidergrößen in der Boutique weichen um eine Größe nach oben oder unten
ab. Die beiden Pole des Elektrosteckers rücken um wenige Millimeter
auseinander. Überall verrückt sich also etwas nur ein klein wenig. Was
würde passieren? Die Welt würde nicht mehr funktionieren. Sie würde aus
den Fugen geraten. Wir kämen vielleicht noch so gerade zurecht. Aber nur
wenige Millimeter bis Meter mehr - wir wären mitten im Chaos.
Ein
Teil in uns weiß das. Ein Teil in uns weiß, dass für den "runden"
Ablauf der Welt alles wie am Schnürchen klappen muss. Wie Zahnräder, die
ineinander greifen. Manche denken, je präziser jeder seinen Platz
einnimmt, desto zuverlässiger funktioniert die Welt. Ich glaube, das ist
ein Irrtum.
Ein Herz schlägt immer mit einer leichten
Unregelmäßigkeit, nicht präzise wie ein Uhrwerk. Untersuchungen zeigen,
dass elektronische Musik mit einem ganz präzisen Muster sich negativ
auswirkt auf das menschliche Körpersystem. Der Körper verträgt keine
Präzision. Er mag es lieber so ungefähr.
Es braucht diesen kleinen
Spielraum der scheinbaren Ungenauigkeit, der alles am "Leben" erhält.
Wenn im Leben etwas zu starr wird geschieht etwas ganz interessantes.
Einer verrückt sich und bringt das System aus dem Gleichgewicht. Einer
wird also verrückt! Viele so genannte psychische Erkrankungen haben den
Zweck, darauf hinzuweisen, dass im gesamten System der Beziehungen etwas
nicht stimmt. Wenn eine Familie total zwanghaft ist muss ein Kind zum
Ausgleich ausflippen. Wenn die ganze Familie den Glaubenssatz lebt: "Wir
sind alle und immer gut gelaunt," wird ein Familienmitglied
Depressionen bekommen. In einer total mutigen Familie bekommt ein
Mitglied folglich Angst.
Die Könige in den Märchen wussten um
diese Qualität. Wer regiert muss für Stabilität und Gerechtigkeit
sorgen. Der Narr am Hofe spielt den "Verrückten", damit der König König
sein kann. Der Verrückte hat also die Aufgabe dafür zu sorgen, dass das
Leben wieder Freude macht.
Ich habe mal an einem Seminar
teilgenommen und alle saßen brav auf ihrem Stuhl. Nur ein Teilnehmer
setzte sich unter dem Stuhl. Total verrückt, nicht wahr? Alle sitzen
also auf dem Stuhl und der Seminarleiter hat ein leichtes Spiel. Alle
sind ja gleich geschaltet. Wenn jetzt einer sich unter den Stuhl setzt
verstört er das ganze System. Das ist bestimmt nicht immer bequem und
einfach. Ich habe viele Seminare und Weiterbildungen vergessen, aber
dieser junge Mann unter dem Stuhl ist mir in Erinnerung geblieben. Da
hat er doch eine wichtige Aufgabe erfüllt.
Und? Verspürst du ein wenig Lust, dich zu verrücken? Lust auf Leben? Auf Veränderung? Nur zu!
www.matthias-koenning.de
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