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Sonntag, 9. August 2015

Wenn du einmal enttäuscht bist...




Du hast Gäste eingeladen. Es ist Erdbeerzeit. Du möchtest einen wunderbaren Erdbeerboden backen. Eine dünne Schicht Mürbeteig, darüber einen lockeren Biskuit. Zwischen den Böden Erdbeermarmelade und obendrauf die leckeren reifen und süßen Erdbeeren, dicht an dicht und ohne Lücken. Viele Erdbeeren und wenig Tortenguss. Dabei stellst du dir vor, wie die Augen der Gäste vor Freude aufgehen. „Wie beim Konditor! Selbstgemacht! Nein, so was!“ Du freust dich schon bei diesen Gedanken einen Ast ab! Deine Gäste und deine Torte! Jetzt darfst du aber die Sahne nicht vergessen! Und vielleicht fällt dir noch ein Detail ein, das für dich unbedingt zu dieser Szene dazugehören müsste.
Dann kommen die Gäste und dein Drehbuch wird zum Film. Bis zu dem Moment, wo der erste Gast in den Kuchen beißt und seinen Bissen spontan wieder ausspuckt. Du hast leider beim Tortenguss Salz verwendet statt des süßen Zuckers. Aus und vorbei! Das Fest ist gelaufen! Deine Laune dahin! Du bist für keinen Trost mehr zugänglich und für den Rest des Tages beschäftigt dich nur die Frage: „Wie hat dir das passieren können!“ Du wirst ungnädig mit dir und du würdest gerne für eine Weile von der Bildfläche des Lebens verschwinden. Du hast dir das doch so gut ausgedacht, und jetzt?  
Der Kuchen ist jetzt nur die Einstimmung für das folgende Erlebnis und meine Erkenntnisse dazu für diesen Newsletter.
Wie so häufig hatte mein Regionalzug nach Gütersloh Verspätung. IC und ICE bekommen ja immer den Vorrang. Inzwischen habe ich mich darauf eingestellt. Ich plane Verspätungen ein. So komme ich nie zu spät! Ich nehme einfach immer einen früheren Zug und komme dadurch immer etwas zu früh. Dadurch sitze ich sehr entspannt im Zug und habe Zeit.
Mein Regionalzug nach Gütersloh hielt in Oelde. Auf dem Bahnsteig stand eine Reisgruppe von ca. 12 Herren im Rentenalter. Sie waren gekleidet in Khakihosen und ausgerüstet mit Wanderstock und Rucksack. Als der Zug hielt, öffnete einer der Männer die Tür, hielt inne, stieg aber nicht ein. Es gab eine kurzes Händefuchteln, dann liefen alle wie eine Horde aufgescheuchter Hühner zu einem der vorderen Wagen und ein Wanderer nach dem anderen stieg schließlich in das Abteil ein. Den Grund für den Türwechsel konnte ich nicht erkennen.
Als der Zug losfuhr kam die Durchsage des Zugführers, die es echt in sich hatte: „In diesem Zug wie auch in allen anderen Zügen der Deutschen Bahn haben Sie die Möglichkeit, an jeder Tür einzusteigen. Sie haben auch die Erlaubnis, nach dem Einsteigen durch den ganzen Zug zu laufen und ein für Sie passendes Abteil zu finden. Durch diese Einsteigeaktion am Bahnhof (Er meinte wohl die älteren Herren) kommen zu den augenblicklichen zehn Minuten noch fünf Minuten Verspätung hinzu. Vielen Dank!“
Der Zuführer war total höflich, nicht wahr? Aber es war zu spüren, wie es in ihm kochte und wie er sich ärgerte! Wie mögen wohl die Khakimänner darauf reagiert haben?
Gehen wir mal ein wenig in die Tiefe. Der Zug hat Verspätung. Der Zugführer spürt den Druck. Zwischen den Wartezeiten auf IC und ICEs muss er ständig auf die Tube drücken, um die Verspätungen wieder ein wenig aufzuholen. Nie kann er entspannt fahren. Er hat immer Züge vor sich und Züge hinter sich. Er hofft, dass alles im Fluss ist und reibungslos funktioniert. Vielleicht hat er einen kleinen Spielraum, Zeitdifferenzen auszugleichen. Wenn an einem Bahnhof die Menschen zügig aus- und einsteigen kann er die eine oder andere Minute gewinnen.
Jetzt kommt er im Bahnhof von Oelde an und sieht diese Reisegruppe. Er weiß, wie Reisegruppen sich verhalten! Die steigen nicht an unterschiedlichen Türen ein. Sie sind ja eine Gruppe! Alle bleiben schön zusammen! Das gehört zur Gruppenidentität. Der Zugführer sieht also schon bei der Einfahrt seine kostbaren Minuten dahinschwinden. Und schon während des Einsteigens kann er seine Rede vorbereiten. Jedes Wort sticht wie ein Messer in die Brust seiner Bahnkunden. Beschimpfen kann er sie ja nicht. Aber seinem Ärger Luft machen. Diese Rentner, die den ganzen Tag Zeit haben, halten seinen Laden auf! Sie haben ihm den ganzen Tag kaputt gemacht! Seine Aversion gegen Reisegruppen bekommt reichlich Nahrung.
Und unsere Rentnertruppe in afrikanisch anmutender Khakiuniform? Kurz vor der Lautsprecherdurchsage ist ihre Welt noch in Ordnung. Wie schön, in der Gruppe zu reisen. Einen Tag Pause zu machen von den Ehefrauen und Enkelkindern. Das Rentnerdasein genießen. Etwas für die Gesundheit tun. Schön wandern und lecker essen. Eine nette Truppe mit Menschen, die ähnlich ticken. Wir haben alle Zeit der Welt! Steigen wir nicht an dieser Tür ein, dann eben an einer anderen! Hauptsache ist, wir haben Spaß.
Alle haben jetzt Platz gefunden und die Reise kann losgehen. Da kommt auf einmal die Durchsage dieses Zugführers: „Der will uns wohl auf den Arm nehmen! Kann er das nicht in einem anderen Ton sagen? Der soll sich mal nicht so wichtig nehmen. Wenn er so weiter macht, dann schafft er es gar nicht bis zur Rente.“ Einer versucht noch, die Gruppe zu beschwichtigen, die gute Atmosphäre zu retten. Aber jetzt ist der Wurm drin. Die Reise geht nicht mehr so unbeschwert weiter wie bislang.
Die Rentner wurden zum Sand im Getriebe des Zugführers und der Zugführer wurde zum Zerstörer des Rentnerfriedens. Enttäuschung!
Welche Geschichten erlebst du im Alltag? Worin bestehen die Zutaten deines „Erdbeerkuchens“? Denkst du dir auch manchmal so schöne Dinge aus und dann kommt es so, wie du es dir nicht gewünscht und gedacht hast?  „Ich habe mir das so schön vorgestellt und jetzt...?“ Wie gehst du mit deinen Enttäuschungen um?
Zunächst einmal musst du nüchtern eingestehen, dass du dich getäuscht hast. Es war eben nur eine Vorstellung und nicht die Realität. Du wirst aus einem irrigen Bild herausgeholt, weil du dich getäuscht hast. Du wirst gezwungen, dein Bild von der Situation „einzutauschen“ gegen die wirkliche Wirklichkeit. Das ist durchaus schmerzhaft und unangenehm. So eine Enttäuschung kann dich sogar in eine tiefe Krise stürzen.
Die Liebe deines Lebens entspricht nicht deinem Bild, das du dir gemacht hast. Deine Kinder bringen nicht die Begabung mit, die du vermeintlich gesehen hast. Das Produkt, das du gekauft hast, hält nicht, was es verspricht. Immer das Gleiche! Du machst dir ein Bild von etwas und jemand anders zerstört es. Du siehst im Internet die schöne Ferienwohnung. Wenn du dort ankommst stellst du fest, dass die Fotos nur die Sonnenseiten zeigten, die Schattenseiten aber viel stärker auf dich einwirken, wenn du vor Ort bist.
Gibt es Möglichkeiten, da entspannter und gelöster mit sich umzugehen? Ich denke ja! Und das sind meine Ideen dazu.
Du planst Enttäuschungen im Leben einfach mit ein. Sie sind nichts Außergewöhnliches. Sie gehören dazu! Sie dienen letztlich deiner inneren Entwicklung und Reifung. Du wiederholst deine Täuschungen so oft, bis du klar siehst. Vertraue zugleich auf den Moment der Dankbarkeit, der sich einstellt, wenn du das erste schreckliche Gefühl erst einmal überstanden hast.
Du kannst auch die Kehrseite der Enttäuschung wahrnehmen. Für irgendwen und irgendetwas war es auch gut. Vielleicht sollte niemand den Erdbeerkuchen essen, weil alle gerade eigentlich auf Diät sind. Die Wanderrentner entwickeln einen noch größeren Gruppenzusammenhalt und der Zugführer gewinnt die Erkenntnis, dass er an seinem Stressgefühl auch einmal arbeiten könnte.
Enttäuschungen sind ein wunderbares Feld des Übens, auf Bewertungen zu verzichten. Es ist so anstrengend, ständig zu werten. „Das ist richtig! Das ist falsch!“ -  „Das ist gut! Das ist schlecht!“ Vielleicht lernst du durch die Erfahrung von Enttäuschung, gnädiger mit dir zu sein.
Du kannst deine Erlebnisse auch in einen neuen und größeren Gesamtzusammenhang stellen. Was bedeutet ein salziger Erdbeerkuchen schon im Blick auf die Ewigkeit, zu der du berufen bist? Du kommst vielleicht mit der Bahn oft zu spät, aber du wirst pünktlich genug im Himmel sein. Dort existier die Zeit gar nicht.
Das wäre doch, schön, wenn wir so gelöst mit unseren Enttäuschen umgehen könnten, nicht wahr?
Zugegeben! So weit entwickelt bin ich leider auch noch nicht, dass mir eine Enttäuschung keinen tiefen Stich im Herzen verursacht. Es fühlt sich nach wie schmerzhaft an und wenn ich es vermeiden kann, dann tue ich es. Und wenn ich mit diesem Thema nichts emotional zu tun hätte, würde ich darüber nicht schreiben.
Ich möchte nicht getäuscht werden, nicht enttäuscht werden und tausche diese Erfahrungen gerne aus gegen das pure Glück. Aber wenn ich es schaffe, eine Enttäuschung zu verarbeiten, dann liegt darin ein dickes Stück von „So ist es gut!“ Und das wünsche ich dir von ganzem Herzen. 

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