Translate

Samstag, 21. Oktober 2023

Wieder weich werden!


Wenn ich auf die letzten Monate zurückblicke, spüre ich eine gewisse Härte. Mehr Vorwürfe an die Verantwortungslosigkeit der Mitmenschen, die Hilflosigkeit der Politiker und die Strenge der scheinbar willkürlichen Regeln. Die Menschen spalten ich in Impfgegner und Befürworter. Wenn ich in der Familie und im Freundeskreis über das Thema Corona spreche werden schnell die verhärteten Positionen klar. Manche Freundschaften können diese Belastungen nicht aushalten und gehen in die Brüche. In meinen Beratungen merke ich, wie die Menschen mehr und mehr mit ihren eigenen Lebensthemen konfrontiert werden. Alte Ängste und Traumata werden reaktiviert. Ärger und Zorn lassen sich nicht mehr heiter und gelassen unterdrücken. Das ganze Geschehen über Monate bleibt nicht im Verstand, sondern geht tief hinein in alle Muskeln und in den ganzen Körper. Wir wissen schon gar nicht mehr, wie sich Entspannung anfühlt im Unterschied zur momentanen Situation.

Diese Anspannung ist kontinuierlich gewachsen. Wie achtsam muss ich sein? Mit wem darf ich über was sprechen und mit wem auf keinen Fall? Wie verhalte ich mich im öffentlichen Raum, um keinen Ärger zu erregen? Wer beobachtet mich und wie beobachte ich die anderen?  Benehme ich mich regelkonform genug, um nicht bestraft zu werden?  Was muss ich beachten und wie plane und organisiere ich meinen „neuen“ Alltag?

Selbst, wenn ich mir vornehme, wieder mehr über andere Themen zu sprechen, bin ich doch Teil der Gesellschaft, Teil eines Arbeitsteams und kann nur bedingt die Themen mitbestimmen. Was geschieht eigentlich mit mir und meiner Psyche, wenn ich zunehmend genervter reagiere? Werde ich schneller bereit, Dinge zu tun, die ich unter normalen Umständen nicht machen würde? Mich schneller aufregen! Aggressiver reagieren! Regeln durchbrechen! Überangepasst reagieren, um Ärger zu vermeiden!

Ich erinnere dich und mich an die Geschichte von den zwei Fröschen, die mit heißem Wasser konfrontiert werden. Den ersten Frosch setzt man in heißes Wasser und er springt vor Schmerzen sofort wieder raus. Den zweiten Frosch setzt man in kaltes Wasser und regelt die Temperatur immer höher. Er gewöhnt sich daran und merkt nicht mehr, dass das Wasser so heiß wird, dass er stirbt.

Ich denke, dass wir uns gesellschaftlich betrachtet im Augenblick in der Geschichte des zweiten Frosches befinden. Wir halten da etwas aus und verlieren das Gefühl für unsere Grenzen. Da gibt es doch das Geschenk des Lebens! Da gibt es doch die wunderbaren Freundinnen und Freunde. Wir sind immer noch ein Teil der großartigen Schöpfung und die Welt ist voller Liebe und Leben. Das möchte ich gerne wieder mehr in den Blick nehmen als unerlässliches therapeutisches Mittel. Auch, wenn die objektive Bedrohung nicht wirklich so hoch ist und genug Lebensmöglichkeiten bleiben, so sagt das subjektive Empfinden und die Botschaften der Medien etwas anderes als Freude.  

 Vor ein paar Tagen bekam ich einen Link zu einem Lied von Joachim Goerke mit dem Text: „Wieder weich, zart und lebendig werden dürfen. Im Fluss meiner Liebe, im Fluss meines Klangs.“

Das hatte mich sehr berührt und mir kamen fast die Tränen. Wieder weich werden! Das ist es! Einfach wieder weich werden. Mir kommen die Menschen, in den Sinn, die mit chronischen Themen zu mir kommen. Die ausweglosen Situationen mit Stress bei der Arbeit. Die Dauerkonflikte in der Ehe. Die Aussichtslosigkeit, dass der Sohn den Weg in die Eigenverantwortung schafft. Die lästige Erkrankung, an der man nicht stirbt, mit der das Leben aber keine Freude mehr macht. Viele von diesen Menschen kommen mit dieser Anspannung und Verhärtung. Das Gesicht wird grauer und verhärmt zunehmend. Diese Menschen wirken wie Pflanzen, die langsam dahinwelken und das rettende Wasser gar nicht mehr aufnehmen können.

Es ist so, dass das Leben manchmal zu Verhärtungen führen kann. Aber ich kann auch wieder loslassen und entspannen. Und dazu möchte ich dich gerne einladen. Es könnte dir und mir und uns allen guttun. Wieder weich werden!

Du spürst in jeden Muskel deines Körpers hinein und schaust, wo es besonders angespannt ist. Vielleicht im Hals, im Nacken und in den Schultern? Wie fühlen sich deine Gesichtsmuskeln an und wie wirkt die Farbe deiner Haut auf dich, wenn du dich im Spiegel betrachtest? Wie atmest du? Flach und in den Brustkorb oder tief hinein bis ins Zwergfell? Magst du dich liebevoll im Spiegelbild anschauen und die Freundschaft zu dir selbst erneuern? „Hallo alte Freundin, alter Freund! Wie schön, dass du mit mir da bist!“

Magst du durch die Fußgängerzone gehen und jedem Menschen per Augenkontakt sagen, dass er wunderbar und großartig ist. Kannst du denken, dass jeder Mensch auf dieser Welt grundsätzlich ein Bruder oder eine Schwester ist. Im Moment vielleicht sich selbst und dir entfremdet, aber potenziell ein Verbündeter. Du könntest jeden in die Augen schauen mit einem freundlichen und zugewandten Lächeln. „Ich freue mich, dich zu sehen.“ Wenn du gerade nicht die Hände schütteln kannst, machst du das indische „Namaste!“ – „Ich grüße das Göttliche in dir!“

Wie erlebst du deine Bewegungen, wenn du läufst? Wie gehst du einkaufen? Schnell aus dem Haus. Auf kürzestem Weg in den Supermarkt. Maske auf und schnell durch die Regale schieben. Niemandem zu nahekommen. Keinen anstecken und nicht angesteckt werden. An der Kasse aufpassen und die Abstände einhalten. Zwischendurch die Luft anhalten. Beim Einkaufwagenabstellen noch einmal Abstand halten und auf direktem Weg nach Hause. Dann erst wieder tief durchatmen. Chronisch seit mehr als einem Jahr die ähnlichen Abläufe im Alltag. Kann dein Körper sich noch daran erinnern, wie entspanntes Einkaufen geht? Du könntest eine kleine Übung ausprobieren. Geh mal gedanklich einkaufen mit fließenden und weichen Bewegungen. Stell dir vor, wie du beschwingt zum Supermarkt läufst und deine Einkaufstasche schlenkert locker in deiner Hand. Du genießt den Weg und spürst die Sonne auf deiner Haut. Die Leuchtreklamen vor dem Supermarkt weisen dich hin auf wunderbare Angebote in leuchtenden Farben. Du freust dich, wie dein Eurostück den Einkaufswagen von den Fesseln befreit und du rollst fröhlich durch den Eingang in der Erwartung von frischem Gemüse. Dann schlenderst du durch die Gänge und prüfst wohlwollend die Qualität der Produkte und die Angebote, die du entdeckst, weil du langsam und nach und nach alles betrachtest, was deine Neugier weckt. Zwischendurch siehst du eine Bekannte und tauscht mit ihr ein paar fröhliche Worte aus. Du wünschst ihr einen angenehmen Tag. An der Kasse lässt du jemanden vor, der nur ein Produkt hat und du betrachtest die Einkaufswägen der anderen Miteinkaufenden und freust dich über deinen gesunden Einkauf von Obst und Gemüse. Ohne Eile und tiefenentspannt packst du ein, schiebst den Wagen elegant zurück und machst dich auf den Heimweg. Male dir den Einkauf in deinen Bildern aus und spüre in deinen Körper hinein, wie sich das anfühlt. Und dann bemerke, ob es einen Unterschied gibt zu deiner Praxis seit einem Jahr.

Wieder weich werden! Lies einmal die polarisierenden Nachrichten in der Zeitung und nimm einen Weichzeichner. Glätte die Wörter und ergänze sie mit „möglicherweise“, „vielleicht“, „Gott sei Dank“, „es kann so sein, muss aber nicht“. Schick der Zeitungsredaktion liebevolle Gedanken. Den Politikern ein weises Wort und Wünsche für ein gutes Gelingen in dieser unübersichtlichen Zeit. Verschicke Aufmunterungen an die Ärzte und alle, die sich mit dem Thema Gesundheit beschäftigen. Stelle dir vor, du wärest Päpstin, Papst, der Dali Lama oder eine indigene Heilerin. Auf deine Art und Weise erteilst du allen und allem deinen mütterlich-, väterlichen Segen. Dann spüre, wie du dabei selbst immer weicher wirst. Der Segen, den du gibst, kommt zu dir zurück und macht dich noch weicher.

Du spürst mehr und mehr den Unterschied in deinem Körper von Härte und Weichheit. Deine Gedanken werden auch zunehmend wohlwollender, weiter und durchlässiger. Du kannst andere Perspektiven zulassen, ohne gleich zu verkrampfen bis in die Muskulatur deines Körpers hinein. „Vielen Dank für deinen Gedanken. Ich werde mich ihm gerne zuwenden und deine Idee willkommen heißen.“

Wenn du wieder weicher wirst, kannst du die Räume der Möglichkeiten betreten. Der Tunnelblick weitet sich und du kannst wieder mehr wahrnehmen. Das geht, das andere geht und das ganz andere geht auch noch. Was du bislang für nicht möglich gehalten hattest zeigt sich als Anfang eines neuen Weges. Wenn du wieder weich wirst, öffnest du den Raum für Wunder.

Es geht nur darum wieder weicher zu werden. Für einen Moment den Gedanken und die Idee zulassen. Stell dir vor, dass eine Stimme zu dir spricht mit der Einladung: „Du darfst wieder weicher werden. Entspanne dich in deinen Körper hinein. In deine Atmung hinein und bis in jede Zelle.“ Es ist so, als wenn dir jemand sagt: „Hast du schon gemerkt? Die Gefahr ist vorüber!“

Warum ist es wichtig, wieder weicher zu werden? Wenn wir uns entspannen, werden wir wieder lösungsfähiger. Der Körper muss nicht mehr angreifen oder weglaufen vor den Gefahren. Der Sauerstoff kommt wieder ins Hirn und meine Fähigkeit wächst, alles wieder klarer zu sehen.

Die Folgen des Virus werden jetzt erst in allen Ausmaßen spürbar und wir sind noch lange nicht am Ende. Krisen stellen das ganze Leben in Frage und nicht nur Teilbereiche. Klimawandel, unser Umgang mit den Ressourcen, die Stabilität unserer Demokratie, die Enttäuschungen über die traditionellen Kirchen, die chinesische Expansionspolitik, veränderte Virusmutanten, wirtschaftliche Auswirkungen…

Was geschieht in dir, wenn ich die Themen alle aufzähle? Spürst du Gefühle von Angst und Ärger. Merkst du, wie schnell es sich wieder in dir anspannt und verkrampft? Ich spüre das deutlich bei mir und kann mich aber auch wieder entspannen. Ja, das Leben zeigt gerade viele harte Seiten bis hinein in die Freundeskreise. Aber ich kann dem Ganzen etwas entgegensetzen. Ich mache das Harte wieder weich und lasse es fließen.

Ich empfehle dir die Übung aus der „EmoTrance“ von Dr. Silvia Hartmann. Wenn du eine Verhärtung in deinem Körper spürst aufgrund von Stress oder Ärger dann bearbeitest du das in drei Schritten. Berühre mit deiner Hand zunächst die Stelle im Körper, wo es diese Verhärtung gibt. Der erste Schritt heißt: „Es ist alles nur eine Information“. Du sagst dir selbst diesen Satz. Das ist die Grundwahrheit über alles, was existiert in dieser Welt. Es ist einfach eine Information, eine Energie, eine Welle oder ein Teilchen. Rein physikalisch und ohne Bewertung. Damit nimmst du die Wertung aus deinem System. Negative Bewertungen führen zu Härte und Stress. Der zweite Schritt heißt: „Ich mache es weich.“ Du hast die Fähigkeit, per Entschluss und mit deiner Vorstellungskraft, das Harte in dir wieder weich werden zu lassen. Du lässt es zu. Du lässt es geschehen. Du beobachtest die Stelle in deinem Körper. Du nimmst die Unterstützung durch die Wärme deiner Hand. Du machst es weich. Der dritte Schritt heißt: „Ich lasse es fließen.“ Beobachte, wie das Harte in deinem Körper weich wird und ins Fließen kommt. Es fließt zu einer anderen Stelle in deinen Körper und die Starre hört auf. Diese drei Schritte wieder holst du in meditativer Weise, bis die Härte aus deinem Körper hinausgeflossen ist. Damit zeigst du, dass du Einfluss nehmen kannst auf deine Gedanken und auf deinen Körper. Du gestaltest es, wie du dich fühlst und wie du deinem Leben wieder eine Form gibst, die menschenfreundlicher ist. „Alles ist nur eine Information. Ich mache es weich. Ich lasse es fließen.“

Wenn etwas weich wird, kann es wieder ins Fließen kommen und darf sich weiterentwickeln. Mir kommt noch ein wichtiger ergänzender Aspekt im Umgang von Härte und Weichheit. Wenn ich meine Errungenschaften, Werte, Normen, Beziehungen und Ressourcen unbedingt mit aller Macht nicht verlieren möchte, werde ich hart und starr.  Wenn ich in der Lage bin, das alles loszulassen, kann wieder etwas in Bewegung kommen. Ich denke also, dass wir gerne vieles festhalten möchten, was wir eigentlich loslassen müssten. Den übergroßen materiellen Wohlstand, die totale Sicherheit, die Illusionen von Stabilität und Kontrolle. Wer loslässt hat wieder Energie frei für das Neue. Das Leben zwingt uns alle zu mehr Flexibilität. Ich kann das mögen oder auch nicht. Im Augenblick kann da wohl niemand aussteigen. Wenn du damit einverstanden bist, wächst dein Freiraum und es darf wieder weicher werden.  

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen