Translate

Donnerstag, 7. Mai 2015

Die Kunst, im Regen zu tanzen


Wenn es regnet, ziehe ich die Schultern ein. Ich laufe unter meinem Regenschirm oder ziehe die Mütze tief ins Gesicht. Ich schaue auf die Erde und vermeide alle Pfützen. Ich hoffe, dass ich einigermaßen trocken an mein Ziel ankomme. Der Regen hat auch Auswirkungen auf meine Psyche. Wenn der Himmel zu lange grau verhangen ist und die Sonne sich mehrere Tage nicht zeigt. Wenn mein Leben auf Regen ausgerichtet ist dann macht das was mit mir.
Der Regen erinnert mich an all die Tränen, die ich bislang unterdrückt habe. Ich frage den Regen wie er das einfach macht, dass er so loslassen kann. Ich kann es nicht. Ich bin eher wie die grauen Wolken am Himmel, die den Regen nicht loslassen können. Jeden Augenblick könnte es losgehen, aber es geht nicht los. Die grauen Wolken bleiben. Graue Wolken und Regen können deine depressiven Momente ganz schön verstärken und beeinflussen.
In der Sonne zu tanzen ist keine Kunst. Die Sonne beflügelt dich! Sie macht dein Leben leicht! Sie nährt dich. Aber mir geht es um die Kunst, im Regen zu tanzen. Manche Menschen können einfach so im Regen tanzen. Sie mögen den Regen und lassen sich nicht davon beeindrucken. Mir geht es um die Menschen mit depressiven Anteilen. Mir geht es darum, dass die "Verstärker" wie graue Wolken und Regen nicht mehr eine solche Macht über dich bekommen. Wenn deine Seele sich verdüstert dann nimmst du auch im Außen alles wahr, was "düster" ist.  Der Regen wird zu einem ordentlichen Depressionsverstärker. Wie bei einer Spirale rutscht du nach und nach tiefer und tiefer.
Ich glaube, dass du lernen kannst, mit dem Regen anders umzugehen. Ich glaube auch, dass du zugleich mit deiner Seele anders umgehen kannst. Der Regen selbst kann dabei helfen. Stell dir vor, dass es regnet. Bislang suchst du Schutz unter deiner Mütze oder dem Schirm. Nur für einen Augenblick hältst du dein Gesicht in den Regen. Nur für ein paar Tropfen. Dann kehrst du wieder zurück in deine Burg. Und? Es ist nichts passiert. Du lebst noch. Es waren nur ein paar Tropfen. Vielleicht spürst du deinen Durst. Du riechst das Wasser. Du atmest es ein. Du beobachtest, wie die Tropfen springen. Du hörst die Geräusche und entdeckst einzelne Töne darin. Der Regen fängt an zu singen. Du hältst dein Gesicht noch einmal in den Regen. Für einen Augenblick länger. Du stellst dir vor, dass du experimentierst. Du wirst zu einem Pfadfinder des Regens. Du wagst dich das neue Land. Du kannst jederzeit zurück unter deinen Schirm. Du hast die Freiheit!
Natürlich willst du wieder ins Trockene. Dafür musst du aber gehen. Und wenn du schon gehst, dann kannst du hin und wieder auch mal einen kleinen Hüpfer machen. Und siehe da! Auf einmal fängst du an, ein wenig mehr dich zu bewegen und du tanzt. Dann hältst du für einen Moment inne und fragst dich: "Bin ich das wirklich, die da tanzt?!" Ja, du bist es wirklich!
Was hindert dich daran, mit deinen depressiven Gedanken und Gefühlen ähnlich umzugehen. Du willst den Regen nicht? Du willst auch diesen Zustand nicht. Nimm ihn wahr in einer "homöopathischen" Dosis. Heiße diesen Zustand für einen Moment willkommen. Dann vergräbst du dich wieder. Das ist dir vertraut! Du hast dieses Gefühl willkommen geheißen und du bist nicht gestorben. Du hast es überlebt. Geht noch ein wenig mehr? Vielleicht lässt du noch ein wenig mehr von deinen bedrückenden Bildern zu. Du fängst an, genauer hinzuschauen, hinzuspüren, dich darauf einzulassen. Der trübe Regen zeigte dir seine liebenswerten Seiten. Das ließ dich tanzen. Und deine depressiven Gedanken? Besitzt er auch liebenswerte Seiten? Auf keinen Fall? Dann geh zurück zur homöpathischen Dosis. Wenn du lernst, im Regen zu tanzen, dann beginnst du mit dem ersten Schritt. Die Kunst wird kommen, wenn du dich damit vertraut gemacht hast.
www.matthias-koenning.de

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen