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Montag, 23. März 2015

Angeschlagenes Geschirr hält gut zwei Menschenalter. (aus Russland)

Ich hänge an meinen Töpfen, an meinem Geschirr, an meinem Besteck. Ich brauche nicht alle Jahre davon etwas Neues. Neues Geschirr im Laden lacht mich nicht an. Ich gehe gleichgültig daran vorbei. Mit meinen Tellern und Tassen bin ich sehr zufrieden. Die Tassen sind schlicht, sie sind rundum dicht und halten jede Flüssigkeit. Auf den Tellern passt so viel, dass ich locker davon satt werden kann. Mein Geschirr lässt sich gut spülen und ist äußerst pflegeleicht. Auch die Jahre im Geschirrspüler haben sie schadlos überstanden. Die Teller haben noch keine einzige Macke, denn ich bin sorgfältig damit umgegangen. Nach so vielen Jahren mute ich dieses Geschirr auch meinen Besuchern zu. Bislang hat sich noch niemand darüber beschwert und alle essen brav von diesem Geschirr ohne Anzeichen von Ekel oder Ablehnung.
Zugegeben, die eine oder andere Tasse ist nicht mehr ganz heile. Von zwölf Tassen sind drei angeschlagen, wie man so schön sagt. Ich habe sie nicht nach hinten gestellt. Ich entscheide nach dem Zufallsprinzip. So müssen auch Gäste aus diesen Tassen trinken. Mir fällt das nicht einmal mehr auf. All dieses Geschirr gehört zu mir und ich habe mir fest vorgenommen, sie bis zum letzten Tag meines Lebens zu benutzen. Meine Möbel halten nicht so lange aus. Stoffe verschleißen sichtbarer als Porzellan.
Wir werfen viel zu früh viel zu viel weg. Trödelmärkte machen mich traurig. Da stehen all die Dinge, die angeschlagen und aussortiert sind. Ich will sie nicht haben, denn ich bin mit meinen Dingen ganz zufrieden. Ich möchte sie auch nicht zum Trödel bringen. Wenn ich diese Welt verlasse mögen meine Erben entscheiden, ob mein Geschirr noch taugt für ein weiteres Menschenalter.
Mein Geschirr ist zuverlässiger als meine Berufslaufbahn und meine Beziehungen. Sie sind treuer als das Geld auf meinem Konto und meine zunehmenden Alterskennzeichen. Sie stehen gleichmütig und treu in ihrem Schrank und warten auf den nächsten Einsatz, ohne Klage und ohne sich über das Alter zu beschweren.
Sie sind es sogar wert, darüber zu meditieren und darüber in eine Meditationshaltung zu kommen. Das ist ein wichtiger Aspekt: Es geht mir um das Würdigen, Werschätzen und Anerkennen. Wer dem angeschlagenen Geschirr noch zwei Menschenalter schenkt, dem kann man sich gut mit seinen Sorgen anvertrauen. Der wird sorgsam und liebevoll damit umgehen.
www.matthias-koenning.de

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