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Mittwoch, 11. Februar 2015

Ein quasi intime Augenblick, die Fortsetzung vom Vortag!


Ich sitze im Zug und bin auf dem Heimweg. Ich sitze wieder einer Frau gegenüber. Deja vu. Das war doch erst gestern. Die Frau mit dem Smartphone. Die da schrieb und lachte und ich der sie beobachtete und beschämt beiseite schaute. Die Frau, die nicht mit den Fingern schrieb, sondern mit dem Gesichtsausdruck.
Jetzt sitze ich wieder im Zug. Dieses Mal sitzt dort eine andere Frau mir schräg gegenüber. Türkische Herkunft? Langes grünes Kleid, Kopftuch in Pink. In der rechten Hand eine Gebetskette. Sie legt die Kette fort und liest ihre Mails? SMS? Ich kann nichts im Gesicht ablesen. Ich wollte mich auch nicht wieder erwischen lassen und ich blicke weg. Dann holt sie aus ihrem Rucksack einen Terminkalender und einen Kugelschreiber. Sie will etwas übertragen vom Smartphone in das Heft. Doch der Kugelschreiber ist defekt. Irgendetwas mit der Feder klemmt. Jetzt kommt Bewegung in das Gesicht. Ungeduld, Ärger, Hilflosigkeit. Sie öffnet die Müllklappe und wirft den Stift weg.
Da öffne ich meinen Rucksack und hole einen Kugelschreiber heraus. Ich reiche dieser Frau mir schräg gegenüber den Stift: "Für Sie! Schenke ich Ihnen!" Mehr nicht. Sie antwortet vielleicht ein wenig verlegen: "Ich habe zu hause einen Stift, nur nicht hier. Danke!" Dann wendet sie sich wieder ihren Eintragungen zu. Wir schauen uns nicht weiter an. An der Haltestelle steige ich aus und unsere Augen treffen sich noch einmal kurz. "Tschüss". 
Was die Frau in Grün mit Kopftuch und Gebetskette nicht wusste war, dass meinem Kugelschreiber eine gewisse Scham klebte. Mein Kugelschreiber für sie hatte etwas zu tun mit der Begegnung vom Vortag. Ich wollte etwas wieder gut machen, obwohl es nichts gut zu machen gab. Vielleicht habe ich am Vortag nur einen Blick gestohlen und musste jetzt wieder etwas zurückgeben.
Ohne die Frau vom Vortag hätte ich meinen Kugelschreiber behalten. Und so gab es zwei intime Momente. Der Augenblick, als ich im Gesicht der Frau das Lachen las und der Augenblick als ich dafür den Kugelschreiber verschenkte.
Warum erzähle ich das? Für mich besteht das Leben im Wesentlichen genau in solchen Momenten des Ungeplanten, des Überraschenden, des Geschenkes. Da taucht auf einmal etwas auf wie der Duft einer Blume oder das Lächeln eines Menschen. Da schaut dich jemand an und es entsteht eine Verbindung. In solchen Augenblicken öffnet sich der Himmel und du weißt, wer du eigentlich bist. Und du du weißt es ohne Worte und es ist ein tiefes inneres Wissen wie ein großes "Ja".
www.matthias-koenning.de



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