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Samstag, 1. Januar 2022

Der Mensch an deiner Seite! Mit einem irischen Segen für das neue Jahr


 

Es ist mir ein Herzensanliegen, mich mit dir zu Beginn des neuen Jahres bewusst zu verbinden. Die Masken, der Rückzug ins Private, das soziale Distanzieren machen auf die Dauer krank. Ich lebe von deinem Lächeln und deinem freundlichen Blick. Ich fühle mich gemeint, wenn du mich anblickst und merke, wie mir das gut tut. Ich möchte nicht in einer Welt leben, wo Freunde zu Fremden werden. Deine Viren und Bakterien helfen mir dabei, mein Immunsystem zu stärken. Deine Fragen und dein Interesse an meinem Leben helfen mir dabei, mich selbst lebendig zu fühlen.

Das möchte ich zu Beginn des neuen Jahres mir und dir verstärkt ins Herz schreiben. Noch vor zwei Wochen dachte ich, dass ich mit dem Schreiben aufhöre. Genug Briefe geschrieben. Ich habe alles gesagt, was ich selbst sagen möchte. Dann bekomme ich ein paar Rückmeldungen, dass sich Menschen immer noch freuen über meine Gedanken und das hilfreich finden. Am Ende des alten und am Beginn des neuen Jahres beschließe ich, noch ein wenig weiterzuschreiben. Nicht mehr jeden Monat, aber immer wieder mal nach Lust und Bedarf. An das sich Verbinden, statt zu trennen kann ich nicht oft genug erinnern. Das Menschliche geht schneller verloren als ich dachte. Ein paar Virusmonate können eine ganze Kultur vernichten.

In meinem Weihnachtsgruß habe ich eine Puzzle Krippe zerlegt und durcheinandergebracht. Die Ordnung von Bethlehem war zerstört. Zugleich weiß ich, dass jede Krise die Geburt von etwas sein kann, was tiefer wird und sinnerfüllter. Ich glaube nicht, dass es darum geht, etwas wiederzubeleben, was eh nicht mehr lebendig war. Aber es geht für mich darum, den Reichtum der Liebe in sich selbst zu entdecken und im Menschen an meiner Seite. Beides gehört zusammen und bedingt sich gegenseitig.

Jeder Mensch kann sich selbst als kostbar und wertvoll erleben. Das ist ein großartiges Geschenk. Aber es braucht den anderen, der das wahrnehmen kann, sieht und bestätigt.

Es gibt Mechanismen, die uns entzweien und Haltungen, die uns in die Fülle führen. Das gilt es zu erkennen und zu durchschauen. Was entzweit und was kann verbinden?

Diese Frage lässt sich für mich leicht beantworten. Recht haben wollen, den anderen als Bedrohung zu sehen, die jeden Menschen innewohnende Angst, die traumatischen Lebenserfahrungen bringen in die Entzweiung. Vertrauen, Freundschaft, Wohlwollen, Fürsorge und Liebe bringen uns Menschen einander näher und verbinden uns miteinander. Wenn wir das so einfach tun könnten und würden!

Ich gehe davon aus, dass wir alle im Moment nicht mehr gut bei uns sind. Aber so, dass wir es auch nicht mehr gut einschätzen können. Manchmal habe ich Menschen in der Beratung, die unter einer Art Verfolgungswahn leiden. Sie fühlen sich am Arbeitsplatz beobachtet von den Kollegen und Führungskräften und geraten in eine Angst, die mehr und mehr zunimmt. Sie sind nur noch darauf fixiert, dass ihnen niemand zu nahe kommt und wittern überall Gefahr. Es ist nirgendwo mehr sicher. Im Kontakt wirken sie so, als seien sie in einer Art Traumwelt, abgedriftet, jenseits des Hier und Jetzt. Dann „klopfe“ ich an und frage: „Sind Sie da?“ „Können Sie mich wahrnehmen? Mögen Sie mich einmal anschauen?“ Das Anschauen kann helfen, wieder ins Hier und Jetzt zu kommen.

Es geht also um die Angst und darum, was mit uns Menschen passiert, wenn die Räume der Sicherheit immer kleiner werden. Wir verlieren den Blick für die Realität. Die Angst bewirkt eine Art von Verzerrung. Die Gespenster werden immer größer, mächtiger und bedrohlicher. Wenn das auch noch kollektiv geschieht, kann uns niemand mehr in die wirkliche Wirklichkeit zurückholen. Alle sind schließlich betroffen. In der Politik merken wir es daran, dass es auf einmal Maßnahmen gibt, die es unter „normalen“ Umständen nie gäbe. „Außerordentliche Ereignisse erfordern außerordentliche Maßnahmen.“ Uns werden Lösungen angeboten, die wir nüchtern betrachtet nie als Lösungen akzeptieren würden.

Erinnerst du dich an den Ausverkauf von Toilettenpapier, Mehl und Trockenhefe? Wie schnell konnte die Angst uns zu solchen Handlungen führen. Wir „denken“ ja, dass wir rationale Wesen sind. Wir sind „aufgeklärt“. Aber sind wir das? Und auch, wenn wir uns aufgeklärt wähnen, besitzen wir den Körper und das Fühlen eines Säugetieres. Das Denk-Hirn suggeriert uns, dass wir alles im Griff haben, während im Untergrund unser Stammhirn Panik schiebt.

Bei zeitlich befristeten Krisen fühlen wir uns in der Regel noch gut in unserer Kraft und haben einen Zugang zu unseren Ressourcen. Das Vertrauen ist stark und wir sehen schnell das Licht am Ende des Tunnels. Je länger der Weg ist desto mehr werden wir abgeschnitten vom Vertrauen, der am Anfang des Weges noch stark ist.

Ich erinnere mich an eine Wanderung auf der Insel Madeira vor vielen Jahren. Dort kann man an den Wasserläufen, den sogenannten Levadas entlanglaufen. Manchmal führen sie auch durch einen Tunnel, so dass eine Taschenlampe ein wichtiges Utensil ist. Wir hatten damals keine dabei und wagten uns in einen längeren Tunnel hinein. Wir vertrauten uns dem Handlauf an, dass er uns genügend Sicherheit gab. Doch der Weg machte im Verlauf einen kleinen Bogen, so dass wir irgendwann gar nichts mehr sehen konnten. Kein Licht am Anfang oder Ende des Tunnels. Unsere Schritte wurden immer langsamer und die Angst machte sich im Körper breit. Zugleich aber auch der Überlebenswille und die Anstrengung, ruhig zu atmen. Es gab das innere Wissen, dass wir irgendwann einen kleinen Lichtpunkt sehen werden. Der ließ aber auf sich warten, länger als unser Vertrauen dauerte. Sollen wir umkehren? Die Strecke und die Zeit konnten wir abschätzen. Der Verstand funktionierte noch. Das Licht wird kommen, logischerweise. Der Tunnel ist nicht länger als ein Kilometer. Irgendwann tauchte natürlich das Licht mit einem winzig kleinen Punkt auf und die Erleichterung war riesengroß.

Was jedoch wäre, wenn es dieses Licht nicht gegeben hätte. Wenn wir Schritt für Schritt weitergelaufen wären in die absolute Dunkelheit hinein. Wir hätten uns durch Panik und Angst durchgekämpft. Hätten Hoffnung geschöpft und uns gegenseitig ermutigt und wären am Ende doch resigniert.

Inzwischen wissen wir mehr über die Funktion unseres autonomen Nervensystems. Wenn alles aussichtslos wird, geraten wir in eine tiefe Erschöpfung und Resignation. Das „Säugetier“ in uns bereitet sich auf eine Art komatöses Sterben ein. Dabei ist es nicht wichtig, ob es im Außen wirklich eine Gefahr gibt. Die gefühlte Bedrohung reicht aus.

Gibt es einen Ausweg? Ja, den gibt es tatsächlich für uns Menschen im Unterschied zum Säugetier. Die bewusste erneute Entscheidung für die Liebe und die Verbundenheit. Wir Menschen sind in der Lage, uns an das nährende Feuer in der Höhle zu erinnern. Wo wir im Kreis sitzen und miteinander essen und reden, singen und uns Geschichten erzählen. Und wir können uns daran erinnern, wie sich das angefühlt hat. Wir können also damit beginnen, wieder Höhlen zu bauen, ein Feuer anzuzünden, Geschichten und Essen zu teilen und dem „sozialen Säugetier“ in uns wieder den Raum zu geben, den es braucht, sich sicher und geborgen zu fühlen.

Ich habe einen irischen Segen gefunden, der genau das zum Ausdruck bringt. Da heißt es:

Irischer Segen

An deiner Seite sei ein Mensch, der wissen will, wer Du wirklich bist, der annehmen kann, der Du warst, der verzeiht, was Du zu tun versäumst und der Dir dankt, was Du gibst.

Ein Mensch, der an Dich glaubt, wenn Du an Dir zweifelst, der Dich umarmt, wenn Du Dich selber nicht aushältst, der sich zu Dir bekennt, wenn Du Dich verleugnest, und der Deine Zuversicht ist, wenn Dir der Mut sinkt. 

Ein Mensch, der Dir so sehr vertraut, dass er bereit ist, sich preiszugeben, sein Licht in Deine Tiefe zu schenken, und mit Dir das Wagnis einzugehen, das wachsende, wandernde Liebe heißt.

Für mich kommt in dem Segen zum Ausdruck, dass wir Menschen es immer wieder schaffen, unsere Angst zu überwinden und ins Vertrauen zu gehen. Dass Wunder möglich sind und Sichtweisen sich verändern. Dass Vergebung geschieht, weil Menschen ein großes Herz zeigen. Und dass dann, wenn es mir gerade nicht gut geht und ich mutlos geworden bin, es zugleich einen wunderbaren Menschen an meiner Seite gibt, der das sieht und mich auffängt. Wenn viele Menschen in Angst und Sorge sind, dann gibt es aber oft auch einen Menschen, der sich nicht hat anstecken lassen und der im Vertrauen geblieben ist.

Ich wünsche dir solche Menschen im kommenden Jahr, an die du dich anlehnen kannst und die dich stärken. Und vielleicht gehörst du zu denen, die unerschütterlich im Vertrauen und in der Liebe geblieben sind. Dann wünsche ich dir, dass dir diese Stärke erhalten bleibt und du zugleich auch jemanden findest, der dir Augenblicke der Stärkung schenkt.

 


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