Schon einmal vom Caganer gehört? Nicht? Ich kenne den Caganer auch erst seit kurzer Zeit. Ich möchte dir heute etwas über diese Krippenfigur erzählen, die aus Katalonien kommt. Sie ist dort äußerst populär, kirchlich nicht sanktioniert, mehr oder weniger anrüchig und nimmt einen diskreten Platz an der Krippe ein. Inzwischen trägt der Caganer neben einer spanischen Tracht viele unterschiedliche und zeitgemäße Gesichter. Das von Angela Merkel, Barack Obama, Papst Franziskus oder von Messi. Jeder berühmte und bekannte Mensch kann irgendwann an der Krippe landen als Caganer.
Der
flämische Landschaftsmaler Joachim Patinir (1480 – 1524) fing wohl damit an,
diesen Caganer in seine Bilder zu setzen. Dezent und winzig klein hat er ihn in
seinen Landschaften irgendwo versteckt. Manchmal benötigt man sogar eine Lupe
um ihn zu entdecken. Viele Bilder von Patinir wurden nach Spanien an den
Königshof verkauft und befinden sich nun im Prado. Die Katalanen haben jedoch
diese Figur für sich entdeckt. Mag es
sich auch nur um eine mögliche Legende handeln, wie der Caganer den Weg zur Krippe
fand. Er existiert bis heute als Folklorespektakel und hat mein Interesse
geweckt.
Habe ich dich
neugierig gemacht? Dann will ich das Geheimnis lüften. Während die Spanier da
echten Spaß dran haben wird es für mich und vielleicht auch für dich jetzt eher
peinlich sein. Ich rede nicht mehr länger drum herum. Das katalanische Wort
klingt so sympathisch! „Caganer!“ In der deutschen Übersetzung klingt es banal
bis abstoßend oder ekelerregend. Den will niemand hier wirklich an der Krippe
haben. Wovon spreche ich? Also mal die
Hose runter und Butter bei die Fische! Ich spreche schlichtweg vom „Kacker“, oder
vom „Scheißerchen“. Jetzt ist es raus!
Magst du jetzt
noch weiterlesen? Bekommst du ein ordentliches Ekelgefühl? Der Caganer – ich
kehre zurück zur katalanischen Sprache – sitzt tatsächlich mit
heruntergelassener Hose und entblößtem Po irgendwo mehr oder weniger versteckt
in der Krippenlandschaft, übrigens inklusive Häufchen.
Man mag es als
Folklore betrachten oder als Krippenspaß für die Kinder nach dem Motto: „Na, wo
ist denn der Caganer? Kannst du ihn sehen?“
Wie fremd ist uns
dieser Weihnachtsbrauch! Die Spanier sind sowieso anders. Keine Stubenhocker
Weihnachtsmuffel, sondern Party auf der Straße. Wir hier mögen da eher ein
weichgespültes und bereinigtes Weihnachtsfest. Der Stall ist nicht zugig
sondern strahlt Kerzenlicht und Wärme aus. Die Hirten leben nicht einen kärglichen
und anstrengenden Beruf sondern sind gekleidet in behaglichem Öko-Look. Das
Kind liegt auf sauberem Stroh in strahlendweißen Windeln. Maria wirkt lieblich
und fromm und Josef steht bedächtig und andächtig daneben. Gemütlich sind
unsere Krippen. Wie die Krippe im Bild, so unsere Familie in der Wirklichkeit.
Gemütlich und behaglich im Wohnzimmer bei Kerzenlicht und freundlichen
Gesichtern. Nichts möge die Harmonie stören.
Und das genau
macht der Caganer. Er zerstört das idyllische Weihnachtsbild. Er zerstört das
harmonische Bild. Er sitzt da in aller Ruhe und verrichtet sein Geschäft. Er
steht auch nicht auf, sondern verbringt dort die ganze Weihnachtskrippenzeit. Er
stellt sich dadurch quer zu unseren Gewohnheiten und Lebenseinstellungen. Er
entblößt, was jeder lieber im Verborgenen hält oder macht.
Das ist doch
schon interessant, nicht wahr? Die Aufnahme von Speis und Trank findet in aller
Öffentlichkeit statt. In der Familie, in Restaurants, in Filmen, in
Kochsendungen in Schaufensterauslagen, an Büffets und in Zeitschriften. In
epischer Breite und in allen Schattierungen und leuchtenden Farben.
Die Abgabe von
Speis und Trank unterliegt der Diskretion. Wird darüber gesprochen hört man
lieber weg, rümpft die Nase, wendet sich ab, senkt die Stimme. Einer der
wenigen Bereiche, in denen noch Tabus gebrochen werden können.
Die Katalanen
setzen nun dieses Scheißerchen einfach in die Krippenlandschaft. Sie geben ihm
Gesichter von berühmten Persönlichkeiten in der Welt. Er trägt auch dein Gesicht
und mein Gesicht. Er sagt: „Hey, du bist auch ein kleines Scheißerchen! Du
magst es vielleicht nicht hören wollen. Du magst es diskret verstecken. Es
gehört aber zu deiner Lebens - Existenz dazu.
Womit werden wir
hier eigentlich konfrontiert? Worum geht es beim Caganer an der Krippe? Nun, wir
mögen lieber die edlen Seiten an uns. Wir möchten strahlen und duften! Wir
lieben die Sonne und die lichten Farben! Die Freude und die Feste! Die Harmonie
und die Freunde! Die liebenden Familienangehörige und den erfüllenden Beruf.
Wir mögen es, wenn es toll ist! Wenn sich das Leben auf der positiven Seite
abspielt. Und – wir strengen uns gerne dafür an. Ich auch! Ich mag die
idyllische Krippe, den Glanz und die Wärme! Den Caganer würde ich nicht in meine
Krippe stellen. Ich lasse mir den Frieden nicht nehmen und mit Ekelgefühlen
muss man ja nicht extra an Weihnachten experimentieren.
Das Thema der
menschlichen Entleerung ist doch eher unerquicklich. Im Advent denke ich lieber
fromme Gedanken. Gedanken, die meine Seele erheitern und dich mich aufrichten
und aufbauen. Gedanken über Friede und Erlösung. Sehnsucht nach ewigem Leben
und Verbindung mit dem Göttlichen. Aufstieg in die Höhe und nicht Abstieg in
die Exkremente.
Und da hockt in
aller Ruhe der Caganer in der katalanischen Krippe und lässt sich nicht fortschicken.
Er sitzt dort mit der größten Ruhe. Mit aller Selbstverständlichkeit! Ich kann
mich umdrehen und gehen! Ich kann dableiben und zusehen! Ich kann auch wegsehen
und mich auf das süße Jesuskind konzentrieren! Der Caganer bleibt einfach da
hocken. Er hockt und entleert sich.
Halt! Stopp! Ich
kann aber auch noch einmal genauer hinschauen. Meine Aversion überwinden!
Meinen Ekel einfach annehmen! Mal einfach akzeptieren, dass er da ist! Was
macht er da eigentlich genau? Er entleert sich!
Das ist ja
interessant! Er entleert sich. Er leert aus was nicht mehr gebraucht wird in
seinem System. Er hat irgendwann das Nahrhafte aufgenommen in seinem Körper. Er
hat Energie getankt und den Abfall lässt er jetzt wieder los. Er macht
deutlich, dass es im Leben einen Kreislauf gibt. Wir bewegen uns im Kreislauf
des Lebens. Wir nehmen auf und wir geben ab. Wir nehmen Sauerstoff auf und
geben Kohlendioxyd ab. Wir nehmen auf, wandeln um und geben wieder ab. In uns
gibt es die Kreisläufe von Blut, Nerven und Meridianen. Wir sind als ganze
Menschen immer Teile eines Kreislaufes. Wir haben das Leben von unseren Eltern.
Wir geben es an unsere Kinder weiter und wir verlassen es wieder.
Und immer wieder
gibt es etwas, das wir nicht mehr brauchen. Unsere Hautschuppen, Zellen und
Exkremente. Sie gehörten zum Kreislauf und werden jetzt entsorgt.
Die Geburt im
Stall könnte mit dem Caganer eine wichtige Geschichte erzählen. Gott ist ein
Teil dieses großen Kreislaufes von Nehmen und Geben. Er bewegt sich im Fluss
der Liebe. Da darf alles sein und nichts wird ausgeklammert.
Maria weint ihre
Tränen. Josef muss mit Kränkungen bezüglich der Vaterschaft klarkommen. Der
Stall ist zugig. Sie wohnen dort nicht freiwillig und das Kind macht an die
Windeln wie jedes andere Kind auch.
Der Caganer
erinnert uns an die widrigen Umstände. Wir machen es uns gerne so schön, vor
allem an Weihnachten. Wir hoffen, dass es keine widrigen Umstände gibt. Die
Familienmitglieder mögen friedlich sein und das Essen soll allen schmecken.
Wenn der Caganer
in deinem Leben und deiner Familie einen Platz findet, dann könnte das dein
Fest entlasten. Widrigkeiten dürften sein. Du würdest heiter und gelassen
bleiben. Es dürfte ganz doll menscheln. Mit Tränen und Kränkungen, mit leicht
versalzener Suppe und Geschenken, die nicht ganz alle Bedürfnisse erfüllen. Die
menschliche Zuwendung untereinander dürfte ein paar Macken und Einschränkungen
bekommen.
Du wärest erfüllt
von dem inneren Wissen, dass du der Teil eines großen Kreislaufes wärest von
Empfangen und Schenken. Von Geben und Nehmen. Von Liebe und Ablehnung. Von
Weiterentwicklung und Stagnation.
Außerdem wäre es
hilfreich, auch den Gedankenmüll loszuwerden. Mit welchen Gedanken und Gefühlen
möchtest du an die Krippe treten? Wovon möchtest du dich befreien? Was belastet
dein System? Was ist überflüssig und tot und dient nur noch als Dünger, wenn es
mal aus dir herauskommt?
Der Caganer
könnte so zu einer adventlichen Gestalt werden. Tu, was nötig ist. Schieb
nichts auf die lange Bank. Nimm an, was ist! Räum auf und mach einen inneren
und äußeren Hausputz. Lebe ganzheitlich und erneuere Körper, Geist und Seele!
Und das Kind in
der Krippe wird dir sagen: „Es ist wie es ist. Gib einfach dein
Einverständnis!“
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