Im Radio hörte ich einen Beitrag über die Religion der Jains. Dort suchen die Eltern die Braut für den Sohn aus. Ein solcher Sohn wurde dann interviewt und kommentierte diesen Brauch. Er fand das gut, dass er sich keine Braut suchen musste. "Als Jain wird man nicht so schnell ein Opfer der Liebe!"
Diesen Aspekt fand ich ja mal wirklich interessant. Als Westeuropäer legen wir doch so viel Wert auf die freie Liebe. Romane leben davon, wer wen wann und wie findet oder auch nicht. Die Liebe ist Stoff für Dramen und Filme. Jugendliche und Erwachsene träumen vom Partner für das Leben.
Die Liebe erfüllt sich oder sie erfüllt sich auch nicht. Manche finden nie die Liebe ihres Lebens. Manche finden sie und verlieren sie nach kurzer oder längerer Zeit.
Und immer dieser Anspruch. Was muss da alles geschehen im Namen der Liebe! Zugegeben, wenn die Liebe kein Thema wäre, wäre ich als Berater manchmal arbeitslos. Dieser junge Jain hat bestimmt mitbekommen, wie sehr sein Umfeld zum "Opfer" der Liebe wird. Von dieser Seite hatte ich das Thema noch nicht betrachtet. Da kommt jemand von außen, dem die Eltern die Braut aussuchen und sagt: "Hey, du bist ein Opfer der Liebe! Ich erspar mit diese Dramen! Dieses ständige auf und ab! Diese Ungewissheit! Diese Sehnsucht! Wenn du der Liebe erliegst wirst du zum Opfer!" Die Liebe ist der Täter und du bist das Opfer! Wer kann dich da retten? Das Schicksal? Gott? Der Therapeut oder die Zeit?
Der junge Jain ist befreit von einem scheinbar so wichtigen Lebensthema. Er erwartet keine Glück in der Liebe. Dann kann er auch nicht enttäuscht werden. Er erspart sich die rosarote Brille und die Euphorie, die doch im Alltag enden. Er beginnt gleich mit dem Alltag. Irgendwie wird es schon gehen! Die Eltern werden nicht jemand Beliebigen aussuchen. Sie werden schon darauf achten, dass es passt. Welch eine Entlastung!
Als Jain wird man nicht so schnell zu einem Opfer der Liebe. Nach all den Jahren der Romantik scheinen die Liebesexperimente doch zum Teil gescheitert sein. Warum nicht mal variieren? Ist vielleicht gar nicht so schlecht, wie es die Jains machen und wie es bei uns früher auch üblich war. Glücklich oder unglücklich kannst du so oder so werden. Wenn die Eltern aussuchen tragen sie die Verantwortung und du bist sie los. Zur Liebe kann dich ja niemand verpflichten! Vielleicht lernst du einen Menschen auf diesem Weg ganz anders kennen und lieben. Ohne Maske! Ohne Verstellungen! Ohne Schminke! Dann stellst du fest, dass du einen Menschen auch auf diesem Weg lieben lernen kannst und bist ganz erstaunt, dass all die romantischen Liebesromane am Ende nichts taugen.
Ich würde gerne einmal ein westliches Paar in meiner Beratung haben, das erzählt: "Übrigens, unsere Eltern haben uns gegenseitig ausgesucht."
Nicht, dass du mich falsch verstehst! Ich bin nicht für diese Form! Aber ich bin dafür, da wirklich einmal wieder neu drüber nachzudenken und sich für die Vorstellung des Jain zu öffnen.
www.matthias-koenning.de
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