Für drei Jahre lebte ich bei einem Pfarrer, der einen Spruch
liebte und ständig zitierte. „Nichts erfordert so viel Treue wie beständiger
Wandel.“ Ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht, dass die Quelle bei Heraklit liegt.
Wir neigen dazu, die Dinge festzuhalten. Wir halten unser
Haus fest, unsere Freundschaften, Gewohnheiten, unsere Versicherungen, das Geld
und letztlich das Leben. Dahinter steht vielleicht das Bedürfnis nach
Sicherheit. Materielle und personale Sicherheit geben uns ein stabiles und
gutes Gefühl. Die größte Gefahr für die beständige Sicherheit ist der Wandel.
Ich erinnere mich noch eine Kindersendung von früher mit
einem Liedvers: „Nichts soll bleiben wie es ist. Alles muss sich ändern.“
Kinder lieben das Abenteuer und das Neue. Das Leben möge spannend sein. Zu Beginn des Lebens bist du neugierig und
freust dich auf spannende Erfahrungen. Mit zunehmendem Alter jedoch schleicht
sich das Bedürfnis ein nach einem Zustand jenseits der Anstrengung. So wirst du
älter und hast so manches Ehepaar vor Augen, das nur noch in Ritualen lebt nach
dem Motto: „Alles soll bleiben wie es ist, nichts darf sich ändern.“ Wir
richten uns ein und finden das so
gemütlich und zuverlässig. Schließlich folgt die Zwei immer der Eins, der Abend folgt immer dem
Mittag und der Schlaf folgt dem Wachsein.
Wenn wir unser Leben aber aus einem anderen Blickwinkel der
Vergänglichkeit und Begrenzung betrachten, zerrinnt uns alles zwischen den
Fingern. Die Körperzellen, aus denen wir jetzt bestehen, werden sich morgen
umgewandelt haben in eine andere Daseinsform. Den gestrigen Tag kann ich nicht
wieder beleben. Die Kinder werden erwachsen und ich lebe unaufhaltsam dem körperlichen
Tod entgegen. Das ach so stabile und sichere Haus verfällt trotz aller
Sanierungen und bei genauerem Betrachten stelle ich fest: Die absolute
Beständigkeit ist eine Illusion.
Was tun? Wenn du die Prozesse nicht aufhalten kannst, dann
kannst du vielleicht mit Allem mitschwingen. Gib dich einfach einverstanden mit
den Veränderungen. Seltsamerweise kannst du darin beständig sein. Du kannst
jeden Augenblick deines Lebens dich damit einverstanden erklären, alles
loszulassen und Neues zu empfangen. In dem Wort Treue steckt ja „Vertrauen“.
„Nichts erfordert so viel Treue wie beständiger Wandel.“ Das heißt: Mit großem
Vertrauen meisterst du den stetigen Wandel. So wird dein Bedürfnis nach
Beständigkeit erfüllt in der Bejahung eines fortwährenden Veränderungsprozesses.
Für mich hat diese Idee des Wandels auch etwas mit der
Schöpfung zu tun. Wir sind Mitschöpfer und Gestalter dieser Welt. Wir
entwickeln uns ständig weiter, hoffentlich. Wir dürfen wie eine Pflanze wachsen
und reifen und unser ganzes Potential ausschöpfen. Der Wunsch nach Pausen ist
bestimmt hilfreich und ebenfalls notwendig. Die Wandlungen finden einfach statt,
aber in den Pausen triffst du die Entscheidung, wohin du dich mitentwickeln
möchtest. Treue zum Wandel ist das Einverständnis in die eigene Weiterentwicklung.
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