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Sonntag, 5. Oktober 2014

Nach der Schöpfung die Erschöpfung...



Im Oktober feiern wir Erntedank. Wir sammeln die Früchte der Erde und der Arbeit ein und sagen Dank. Bei dem „Gedanken“ an den Oktober kamen mir auf einmal die Wortverwandtschaft von „Schöpfung“ und „Erschöpfung“ in den Sinn.
Zunächst einmal sind wir als Erschaffene alle selbst Schöpferinnen und Schöpfer – gemeinsam und in Verbundenheit mit der großen Schöpfungskraft. Wir engagieren uns in unseren Aufgaben, wir bewegen und verändern die Dinge. Wir denken, fühlen und handeln.
Der Gärtner in seinem Garten erlebt zwar den ursprünglicheren und natürlicheren Ablauf von Säen, pflegen und ernten. Aber auch wir Nichtlandwirte leben in Abläufen. Wir hatten im Frühjahr vielleicht eine schöpferische und kreative Idee. Wir haben geplant und umgesetzt und blicken jetzt hoffentlich dankbar auf die Ergebnisse.
Du hast vielleicht unterrichtet, Seminare gegeben, Kinder begleitet oder dein Haus instand gehalten. Du hast Liebe und Kraft gegeben und die vergangenen Monate gestaltet. Manche Ergebnisse mögen nicht sicht- und greifbar wie die Früchte des Feldes. Aber du erntest sie wie einen Schatz von Erkenntnissen und neu dazugewonnen Weisheiten.
Dabei wohnt in dir eine Schöpferkraft, die gestalten kann und die bewegt. Bist du dir dieser Kraft bewusst? Kannst du zu dir sagen: „Ja! Das war ich! Ich habe das alles in diesem Jahr erreicht! Ich war gut angebunden an meine Quelle. Ich bin hoch zufrieden mit meinen Ergebnissen!“ Du hast vielleicht Hürden und Hindernisse überwinden müssen. Du warst bei manchen Aufgaben kurz vor der „Aufgabe“. Du hast vielleicht auch kleine „Missernten“ hinnehmen müssen. Du hast Energie und Kraft in die Arbeit hineingelegt. Du warst liebevoll, achtsam und fürsorglich mit den Menschen und mit den Dingen. Am Ende wirst du mit dem leben müssen, was als Ergebnis vor dir liegt. Es mag dir wenig oder viel erscheinen.
Nach dem Schöpfen kommt die Erschöpfung. Wenn die Mutter das Kind auf die Welt bringt, kommt die Erschöpfung. Wenn die Erde die Früchte hervorgebracht hat erlebt auch sie die Erschöpfung. Die Erde kann für den Augenblick nichts mehr hergeben. Auch die Erde ist erschöpft. Die Energie ist geflossen und es braucht eine Zeit der „Rekreation“. Ein schönes Wort: „Rekreation“! Du brauchst Zeit, dich zu erholen und zu erfrischen. „Creare“ heißt erschaffen und „recreare“  meint dann vielleicht den Zeitraum, den es braucht, um wieder in die Schöpferkraft zu kommen.
In unserer Zeit des pausenlosen Schaffens fällt das vielen Menschen schwer. Sitzen, nichts tun, die Hände in den Schoß legen. Es geht darum, nach der Schaffensperiode einfach auszuruhen. Auch hier steckt die Botschaft im Detail. Du bist eingeladen, so lange zu ruhen, bis die Ruhe „aus“ ist. „Ausruhen“  meint also, nicht zu früh wieder anzufangen sondern sich so viel Zeit zu lassen, wie es braucht.
Ich gehöre leider auch zu den Menschen, die immer vorzeitig schon aufstehen und weitermachen. Ich gönne mir die Tasse Kaffee am Nachmittag. Aber der letzte Schluck bringt mich schon wieder in Bewegung. Es fällt mir schwer, noch einen Moment innezuhalten und dann noch einen Moment innezuhalten und dann noch einen Moment... Da fängt plötzlich das Kribbeln an und die Botschaft: Komm, Zeit ist Geld! Du musst noch so viel erledigen! So „erledigst“ du, bis du „erledigt“ bist.
Mir geht es dabei sehr um die Aufmerksamkeit für den Übergang. Es gibt einen Übergang von der Erschöpfung hin zu dem Wiederaufnehmen des Schöpfens. Denn nach der Ruhephase gibt es ja auch den Augenblick der Freude und der Wiederbelebung der Kräfte: „Jetzt geht es los!“ Wann kommt der Augenblick, wo es stimmig ist? Bist du wirklich schon so weit? Kannst du wieder loslegen?
Wenn du immer zu früh anfängst mit der Arbeit und diesen Zeitraum zu lange ausdehnst, wirst du die Balance im Leben verlieren. Ich kenne genug Menschen, die gar nicht mehr in der Lage sind, sich der Muße hinzugeben. Jetzt im Oktober und mehr noch im November werden wir uns ausruhen dürfen.
Alle Religionen teilen die wohltuende Erfahrung des Wechsels von Arbeit und Stille. Auch die Bibel erzählt von dem Schöpfergott, der am siebenten Tag ruhte. Er besah sich sein Werk und stellte fest: „Siehe, alles war sehr gut!“
Das „Ausruhen“ bekommt dann noch eine neue und tiefere Qualität. Neben dem Kraftsammeln für neue Taten geht es um viel mehr. Im Innehalten wächst und verändert sich dein Bewusstsein. Du wirst dir bewusst, dass du ein schöpferischer Mensch bist. In der Stille wächst die Freude über das Geschaffene. In der Ruhe reift das Gefühl der Dankbarkeit wie die Süße in den Trauben an den letzten Sonnentagen vor der Ernte. Im Innehalten zu genießen wird dir helfen, in das Bewusstsein von Verbundenheit zu kommen. Du bist verbunden mit dir selbst, mit der Schöpfung, mit den Menschen und der Quelle, die ich Gott nenne.  In diesem Sinne wünsche ich dir eine erntereiche Ausruhzeit.

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