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Sonntag, 24. August 2014

Hoffentlich bin ich nicht peinlich!

Ich stehe auf dem Bahnsteig und warte auf den Zug. Mit mir warten drei weitere Menschen. Ein alter Herr geht geistesabwesend Zigarette rauchend im verbotenen Abschnitt mit unsicheren Schritten langsam auf und ab. Ein junger Mann bekleidet mit einem schneeweißen Daunenanorak mitten im Sommer bewegt sich im Rhythmus seiner Musik im Ohrstöpsel, spielt leidenschaftlich im Wechsel Luftgitarre und Luftkeyboard, greift zwischendurch in seine Tasche und stopft sich den Mund mit Marshmallows voll. Eine Frau, etwas heruntergekommen, sitzt auf der Bank und erhält einen Anruf auf ihr Handy. Dabei schreit sie in ihr Telefon und wiederholt immer die gleichen Worte: "Wir mögen doch diese Zigaretten, nich?"
Ich drehe mich um und schaue nach, ob hier ein Film gedreht wird. Nein, es wird kein Film gedreht. Ich muss mir also selber meine Gedanken dazu machen. Ich stehe auf dem Bahnsteig und bin Zeuge einer äußerst surrealen Szene. Sie erinnert mich an Theaterstücke, die ich nicht verstehe. Ich bekomme einen Anflug von Sinnlosigkeit des Lebens. Mich beschleicht ein Gedanke, dass mein Leben auch so aussehen könnte, alt und rauchend dahinschlurfend; Luftgitarre spielend in der Öffentlichkeit; herumkrakelend ohne ein Bewusstsein dafür, dass das peinlich sein könnte.
Jetzt verstehe ich! Es ist peinlich, es ist einfach nur schrecklich peinlich! Diese Menschen wirken auf mich peinlich! So darfst du nicht in der Öffentlichkeit auftreten! Was würden die Leute von dir denken? An meiner Scham kann ich also noch arbeiten. Diese Drei haben es mir gezeigt! Du entscheidest, was du mit deinem Leben machst. Spiel Luftgitarre oder schrei doch herum! Was solls? 
Immer auf sich zu achten, nie etwas falsch zu machen, immer auf seine Wirkung bedacht sein - das ist ganz schön anstrengend. Jetzt lasse ich manchmal einen Knopf an meinem Hemd offen und freue mich über meinen ersten Schritt jenseits der Scham.
www.matthias-koenning.de

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