Es wird eng! Am Ende des
Monats schaust du auf dein Bankkonto und bekommst ein beklemmendes Gefühl. Da
sind nur noch wenige Geldreserven da und es wird eng für die letzten Tage.
Du hast einen Termin
vereinbart und steckst mit deinem Auto im Stau. Du wirst unruhig und schaust
ständig auf die Uhr. Noch gibt es einen Puffer, aber wie lang reicht er noch?
Irgendwann wird es eng und du weißt nicht, ob du pünktlich an dein Ziel kommst.
Du glaubst dich am Ende
deines Lebens. Eigentlich wolltest du noch dieses oder jenes erledigen. Du
stirbst und dein Leichnam wird in den Sarg oder die Asche in die Urne gelegt. Sowohl
da als auch in der Erde wird es eng.
Dir wird klar, dass du in
dieser Woche viele Aufgaben zu erledigen hast. Dein Terminkalender wird voller
und voller. Deine Gedanken kreisen um die Anforderungen und du machst dir
Sorgen, ob du das alles noch schaffst, was du dir vorgenommen hast. Es wird
enger und enger.
Du kommst von der Arbeit
nach Hause und bist in Gedanken noch bei den Ereignissen des Tages. Du kannst
nicht loslassen und hast dich noch nicht von dem zuvor Erlebten verabschiedet.
Zu Hause wirst du überfallen mit Wünschen und Bitten und du merkst, dass du
noch gar nicht dazu bereit bist. Du spürst schon körperlich die Enge.
Begleitet wird das Erleben
von Enge vielleicht auch dadurch, dass du förmlich vergisst zu atmen oder dass
du ganz hektisch, unregelmäßig oder viel zu schnell atmest.
Immer wenn es eng wird
bist du nicht mehr gut in dem, was du tust. Du verlierst die Aufmerksamkeit für
die Details. Du fühlst dich überfordert. Du verlierst den Überblick. Du bist
angespannt. Du bist nicht mehr ganz präsent. Irgendwann versuchst du, alles „so
ungefähr“ hinzubekommen, aber eben nur „so ungefähr“. Du hast das Gefühl, als
ob du in einen anderen Modus schaltest. Wenn es eng wird, schaltetest du in den
Funktionsmodus.
Eng
kann es auch beim Kontakt mit Menschen werden. Ist dir folgende Erfahrung
vertraut? Da steht dir jemand gegenüber und kommt dir mit seinem Gesicht näher. Er überschreitet diese imaginäre,
unsichtbare und persönliche Körpergrenze immer mehr. Dir wird es unangenehm und
du weichst instinktiv einen Schritt zurück. Dein Gegenüber bemerkt nicht einmal
dein Unwohlsein und rückt nach. Du
spürst die kurze Distanz förmlich wie eine Bedrohung. Es fällt dir immer
schwerer, aufmerksam zuzuhören und du weichst wieder einen Schritt zurück. Was
ist dein Impuls? „Es wird mir hier viel zu eng! Rück mir von der Pelle!“
Auf
der anderen Seite sprechen wir von engen Freundinnen und einer engen
Verwandtschaft. Dann geht es nicht um Einengung, sondern um unser Wohlgefühl
bei einer positiv erlebten Nähe. Nicht jede Enge wird also automatisch negativ
empfunden.
Die
meisten „Engen“ jedoch bedürfen der Aufmerksamkeit und rufen nach einem sehr
notwendigen Schritt. Wenn es eng wird, dann brauchst du zuerst einen Freiraum.
Stell
dir eine Lehrerin in ihrem Klassenzimmer vor, die von allen Kindern körperlich
gleichzeitig bestürmt wird. Sie wird sagen: „Macht mal erst Platz!“ Wenn du zu
viele Aufgaben zur gleichen Zeit erledigen musst, dann ist es wichtig, sich
zuerst inneren Freiraum und Platz zu verschaffen. Im Freiraum kannst du vom
Funktionsmodus in einen entspannten Zustand umschalten.
Das
Leben im Freiraum wird sich verändern. Du bekommst neue Impulse. Die Aufgaben
lassen sich leichter bewältigen. Du fühlst dich im Fluss mit den Dingen und
alles geht dir leicht von der Hand.
Ich
kenne viele Menschen, die einem anderen Lebensprinzip folgen. Sie erledigen
erst die vielen einengenden Aufgaben und atmen dann erleichtert auf. Sie gönnen
sich erst den Freiraum, nachdem sie es sich „leisten“ können. Ich glaube, das
ist ein Irrtum! So bewegst du dich von Anspannung zu Anspannung, von Enge zu
Enge und von Erleichterung zu Erleichterung. Irgendwann bist du nur noch froh
um die kurzen Augenblicke der Erleichterungen im Lauf der gewohnten Enge.
Wenn
du dir zu Beginn des Tages und auch zwischendurch dir Freiräume schaffst, wirst
du gut durch den Tag gehen können. Du kannst mit deiner Aufmerksamkeit nach
Innen gehen und dir vorstellen, wie du deine Räume ausweitest. Schaffe bildlich
gesprochen deinem Herzen Raum, damit es atmen kann. Schon der Psalmbeter kannte
diese wunderbare Erfahrung als Dank an Gott. „Als mir eng war, hast du mir’s
weit gemacht.“ (Psalm 4)
Mir
kommt dieser Vers und auch der Wunsch nach Weitung des Freiraums im
„Totenmonat“ November sehr entgegen. Die
Erfahrung vom Verlust eines geliebten Menschen kann das Herz ganz schön eng machen.
Das Bewusstsein, dass ich dem Tod immer näher komme und meine Möglichkeiten
sich allein dadurch zeitlich immer mehr einschränken kann leicht einen Mangel
bewirken. Enge und Angst ziehen ein, überfallen dich, nisten sich bei dir ein
und bestimmen deinen Weg.
Du
hast es in der Hand. Du kannst eine Entscheidung treffen und für einen Moment
innehalten: Stopp sagen und den Herzensraum weiten. Und wenn dir jemand zu nahe in dein
Gesichtsfeld tritt dann kannst du sagen: „Schön, dass du da bist und meine Nähe
so schätzt. Aber ein paar Zentimeter mehr Abstand lässt meine Sympathie zu dir
noch wachsen.“ Dann atmest du tief ein und füllst Bauch und Brustraum ganz aus
mit deiner Gegenwart. Hier stehst du und nimmst den Raum ein, den du brauchst,
um gut da sein zu können.
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